Dr. Christian B. Korn,
Steuerberater, Offenbach a. M., derzeit Wien

Österreichischer Verfassungsgerichtshof zieht nach: Erbschaftsteuer auch in Österreich verfassungswidrig!

Gleichheitswidrigkeit der Besteuerung von Einheitswerten

Gerade vier Monate nach dem Beschluss des BVerfG zur Erbschaftsteuer (BVerfG v. 7.11.2006 -- 1 BvL 10/02, GmbHR 2007, 320) hat der österreichische Verfassungsgerichtshof (VfGH) die dortigen Bewertungsvorschriften von Grundvermögen für Zwecke der Erbschaftsteuer ins Visier genommen (VfGH v. 7.3.2007 -- G 54/06 u.a., Volltext (PDF-Dokument)). Die Entscheidung fiel aber noch deutlicher aus als die Vorlage aus Karlsruhe, denn der VfGH hob mit Ablauf des 31.7.2008 den Steuertatbestand des Erwerbs von Todes wegen (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 öErbStG) insgesamt auf. Die Erhebung der Steuer von Schenkungen unter Lebenden und von Zweckzuwendungen wird hierdurch nicht berührt. Zur Schenkungsteuer ist allerdings ein ähnliches Verfahren anhängig. In einem Prüfungsbeschluss (VfGH v. 8.3.2007 -- B 1983/06-7, Volltext (PDF-Dokument)) hat der VfGH die analoge Verfassungswidrigkeit bereits angekündigt, so dass nicht ernsthaft damit zu rechnen ist, dass die Schenkungsteuer in den nächsten Monaten nicht auch aufgehoben wird.

Das geltende österreichische ErbStG 1955 basiert auf dem 1938 übernommenen deutschen ErbStG. Die 1974 und 1996 in Deutschland vorgenommenen Änderungen (Einführung der Erbersatzsteuer und Umstellung der Bewertung vom Einheitswert zum Bedarfswert) wurden in Österreich nicht nachvollzogen. Land- und forstwirtschaftliches Vermögen sowie Grundvermögen ist daher nach § 19 Abs. 2 öErbStG analog zur früheren deutschen Rechtslage mit dem Einheitswert zu bewerten. Seit 2001 sieht das Gesetz den Ansatz des dreifachen Einheitswerts vor, um die seit der letzten Hauptfeststellung bewirkten Werterhöhungen pauschal zu berücksichtigen. Analog zum deutschen Recht besteht auch in Österreich ein Wahlrecht zum Ansatz des niedrigeren gemeinen Werts. Die letzte Hauptfeststellung erfolgte für Grundvermögen zum 1.1.1973.

Der VfGH rügte in seiner Entscheidung, dass die geltende Bewertung von land- und forstwirtschaftlichem Vermögen sowie von Grundvermögen dem Gleichheitsgrundsatz widerspricht. Ähnlich wie das BVerfG bemängelte er vor allem die große Streuung der steuerlichen Wertansätze und damit, dass "eine pauschale Vervielfachung von historischen Einheitswerten nicht geeignet ist, die Wertentwicklung von Grundstücken angemessen abzubilden" (VfGH, S. 30). Wie das deutsche Ertragswertverfahren führt der Ansatz des dreifachen Einheitswerts regelmäßig zu Werten, die unter dem gemeinen Wert liegen. Der Streitfall war besonders drastisch, dort betrug der dreifache Einheitswert eines Grundstücks, das einen Verkehrswert von rd. 3,5 Mio. € aufwies, gerade 6.322,53 €. Statistische Erhebungen haben ergeben, dass der gemeine Wert rd. beim Dreifachen des dreifachen Einheitswerts liegt, allerdings reichte die Bandbreite des gemeinen Werts von unter 100 % bis zu 580 % der Steuerbemessungsgrundlage (vgl. VfGH, S. 30). Dem Gesetzgeber sei es zwar nicht verwehrt, ein Verfahren zu wählen, das "verwaltungsökonomischen Anforderungen gerecht wird", nur eben keines, das "zu zufallsabhängigen und damit willkürlichen Bemessungsgrundlagen führt." (VfGH, S. 31).

Keine Orientierung am gemeinen Wert

Besondere Aufmerksamkeit verdient die Argumentation des VfGH, auf deren Grundlage er nicht § 19 Abs. 2 öErbStG (Bewertung von Grundvermögen) oder wie das BVerfG die Anwendung eines einheitlichen Steuersatzes auf das unterschiedlich bewertete Vermögen als verfassungswidrig aufhob, sondern § 1 Abs. 1 Nr. 1 öErbStG. Hätte der VfGH § 19 Abs. 2 öErbStG aufgehoben, gälte der allgemeine Grundsatz, wonach unentgeltliche Erwerbe mit dem gemeinen Wert anzusetzen sind (vgl. VfGH, S. 34). Diese Lösung wäre freilich unter verfahrensökonomischen Aspekten sehr fragwürdig, erschiene aber vordergründig als gleichheitskonform. Eine solche Entscheidung würde auch dem Tenor der Entscheidung des BVerfG entsprechen, denn dieses hat den deutschen Gesetzgeber damit beauftragt, die Bewertung für Zwecke der Erbschaftsteuer künftig für alle Vermögensarten am gemeinen Wert zu orientieren und Steuervergünstigungen als Freibeträge oder Tarifermäßigungen offen auszuweisen (vgl. Wachter, GmbHR 2007, R 81). Der VfGH führte hingegen ins Treffen, dass gerade eine Einbeziehung von Immobilien in die Erbschaftsteuer mit dem vollen Wert, während die Übertragung von bestimmten Anteilen an Kapitalgesellschaften und von Betrieben vollständig oder teilweise steuerbefreit sind, gleichheitswidrig wäre (vgl. VfGH, S. 33). Die generelle Steuerbefreiung für den Erwerb von Kapitalanlagen, die der Abgeltungsteuer unterliegen, führte der VfGH ausdrücklich nicht als Vergleichsmaßstab an, da diese Steuerbefreiung mit dem Endbesteuerungsgesetz eine verfassungsgesetzliche Grundlage hat und sich damit der Prüfung am Maßstab des Gleichheitsgrundsatzes entzieht (vgl. VfGH, S. 33).

Fazit: Da die geltende Bewertung von Grundvermögen willkürlich ist, aufgrund der Steuerbefreiungen für anderes Vermögen aber auch keine generelle Bewertung mit dem gemeinen Wert in Frage kommt, hob der VfGH die gesamte Erbschaftsteuer auf (vgl. auch Strunz, IStR-LB 7/2007, S. 2).

Regierung verweigert Reparatur

Die Aufhebung wirkt mit Ablauf des 31.7.2008. Damit wird dem österreichischen Gesetzgeber die Möglichkeit einer verfassungskonformen Neugestaltung des Erbschaftsteuerrechts eingeräumt. Sollte der VfGH mit seiner Entscheidung beabsichtigt haben, den Gesetzgeber damit zu einer Neugestaltung der Bewertungsvorschriften zu zwingen, so ging diese Rechnung allerdings nicht auf, denn es deutet alles darauf hin, dass der österreichische Gesetzgeber die Erbschaftsteuer nicht korrigieren wird, sondern ab 1.8.2008 auslaufen lässt. Die im Rahmen der Großen Koalition seit der letzten Nationalratswahl mitregierende ÖVP hatte die Abschaffung der Erbschaftsteuer bereits im letzten Wahlkampf gefordert. Finanzminister Molterer (ÖVP) sprach sich daher unmittelbar nach Bekanntgabe des Beschlusses für ein Auslaufen der Erbschaftsteuer aus. Nach einigem Aufbegehren in der SPÖ akzeptierte Bundeskanzler Gusenbauer (SPÖ) diese Entscheidung schließlich erstaunlich schnell. Offenbar sind die österreichischen Sozialdemokraten nicht bereit, an dieser Frage die Koalition scheitern zu lassen.

Was nun, Berlin?

Bereits während des Verfahrens wurden ausgerechnet aus der österreichischen Berater- und Finanzanlagezunft Zweifel an der Vorteilhaftigkeit einer Abschaffung der Erbschaftsteuer in Österreich geäußert, denn man fürchtete um die Zukunft des Erbschaftsteuer-DBA mit Deutschland und damit um ein anscheinend recht einträgliches Steuerfluchtgeschäft. Grundsätzlich besteht für Berlin freilich kein Sinn darin, ein Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung aufrecht zu erhalten, wenn Österreich die entsprechende Steuer gar nicht erhebt. Andererseits lehrt das deutsche Ertragsteuer-DBA mit den Vereinigten Arabischen Emiraten, dass die Vermeidung von Doppelbesteuerung wohl nicht immer das Ziel eines DBA sein muss. Ganz ähnlich ist die Abkommenslage schließlich auch mit Deutschland hinsichtlich der Vermögensteuer. Viele Staaten, welche eine Vermögensteuer erheben, müssen bei in Deutschland belegenem Vermögen eine DBA-Freistellung gewähren, obwohl in Deutschland keine Vermögensteuer anfällt. Es ist daher sicher ausgeschlossen, dass Deutschland das Erbschaftsteuer-DBA mit Österreich unmittelbar kündigen wird, denn dies wäre ein beispielloser diplomatischer Affront. Ggf. wird Deutschland aber eine Neuverhandlung anstreben, um zur Anrechnungsmethode zu wechseln. Zuzutrauen ist es dem deutschen Steuergesetzgeber freilich auch, einmal mehr den Weg eines Treaty Override zu beschreiten. Das für den Fiskus unvorteilhafte Ertragsteuer-DBA mit Luxemburg hat schließlich jüngst auch einen Treaty Override in § 8b Abs. 1 KStG eingebracht.

Zunächst wird allerdings abzuwarten sein, was mit dem deutschen ErbStG geschieht. Das der Erbschaftsteuer anhaftende Problem ist, dass eine gleichheitskonforme Besteuerung der gemeinen Werte Erwerber von Sachvermögen dazu zwingen kann, dieses Vermögen zu veräußern, was insbesondere bei Unternehmen ökonomisch kontraproduktiv ist. Andererseits ist die Rechtfertigung einer Besteuerung des unentgeltlichen Erwerbs nach dem Leistungsfähigkeitsprinzip kaum zu bestreiten. Die immer wieder geäußerte Kritik, sie erfasse bereits versteuertes Vermögen, ist substanzlos. Die Einnahmen aus dem privaten Konsum unterliegen schließlich neben der Umsatzsteuer auch der Ertragsbesteuerung bei den Anbietern. Das Grundproblem bei der Erbschaftsteuer ist, dass ihre Akzeptanz auf eine Unterscheidung von gutem (steuerbegünstigten) und schlechtem Vermögen angewiesen ist. Diese Unterscheidung muss aber regelmäßig auf verfassungsrechtliche Kritik stoßen. Salomonische Formeln, wie die einst von Karlsruhe ins Feld geführte Gemeinwohlgebundenheit und Gemeinwohlverpflichtung von Unternehmen, sind nichts anderes als der Versuch, der Gleichheitswidrigkeit eine verfassungsrechtliche Legitimation zu verleihen, und darüber hinaus in der konkreten Umsetzung wenig hilfreich. In der CDU waren schon die ersten Stimmen zu vernehmen, die Erbschaftsteuer auch in Deutschland ganz abzuschaffen und damit diesen Spagat zu beenden (F.A.Z. v. 14.4.2007, S. 11). Die SPD, Teile der Unionsparteien sowie das BMF schließen dies aber kategorisch aus -- teilweise wird über diesen Streit sogar bereits die "Unternehmensteuerreform 2008" in Frage gestellt. Klar dürfte sein, dass das geringe Steueraufkommen aus der Erbschaftsteuer i.H.v. ca. 4 Mrd. € kein wirklicher Grund für deren Beibehaltung ist. Der Bundesregierung erscheint es aber wohl mehrheitlich wert, an einer komplizierten, aufkommensschwachen und darüber hinaus verfassungsrechtlich immer wieder anfälligen Steuer aus rein politischen Gründen festzuhalten. Ihren Wiener Amtskollegen ist es dies allerdings nicht mehr.




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