Tobias Freudenberg,         
Rechtsanwalt, Köln*

 

Machtkampf um VW und das VW-Gesetz

Gesellschafterprivilegien im Visier des EuGH -- Auch viele Unternehmenssatzungen betroffen

 

Die Herrscher über die beiden Autobauer Porsche und Volkswagen beherrschen längst auch die Schlagzeilen der deutschen Wirtschaftspresse. Die Stuttgarter Sportwagenschmiede schickt sich an, bei dem viel größeren Fahrzeughersteller in Wolfsburg die Macht zu übernehmen. Porsche ist bereits Großaktionär, spielt sich aber auf wie ein Mehrheitsaktionär. Das stößt auf erbitterten Widerstand -- vor allem beim VW-Betriebsrat und beim Land Niedersachsen, das mit rund 20 Prozent an Volkswagen beteiligt ist. Mittendrin im Getümmel: Die Familien Porsche und Piëch mit ihren Frontmännern Wolfgang Porsche und Ferdinand Piëch -- der eine Aufsichtsratschef von Porsche, der andere oberster Kontrolleur der Volkswagen AG.

 

VW-Gesetz spielt entscheidende Rolle

Keine Frage: In dem Machtkampf um den Wolfsburger Autoproduzenten steckt jede Menge Brisanz -- auch juristisch. Denn eine ganz entscheidende Rolle in der Auseinandersetzung spielt das VW-Gesetz.  Und darum zanken sich nicht nur Porsche und Volkswagen. Um das 1960 in Kraft getretene Regelwerk ist längst auch heftiger politischer Streit entbrannt.

Zur Erinnerung: Das VW-Gesetz enthält einige Privilegien für den Bund und das Land Niedersachsen. So garantiert es den beiden je zwei Sitze im Aufsichtsrat, so lange sie zumindest eine Aktie halten. Außerdem beschränkt es die Stimmrechte von VW-Anteilseignern unabhängig von der Höhe ihrer Beteiligung auf 20 Prozent des Grundkapitals. Für Hauptversammlungsbeschlüsse ist eine Mehrheit von mindestens 80 Prozent des vertretenen Kapitals erforderlich -- nach dem Aktiengesetz reichen 75 Prozent.

Nach Auffassung des Europäischen Gerichtshofs in Luxemburg ein glatter Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht. Die Richter erkannten in dem Gesetz eine ungerechtfertigte Beschränkung des freien Kapitalverkehrs, weil private Investoren durch die staatlichen Sonderrechte vom Erwerb eines bedeutenden Aktienpakets der Volkswagen AG abgehalten werden können. Denn: Zusammengenommen verstärkten Entsenderecht, Stimmrechtsbeschränkung  und verringerte Sperrminorität die beherrschende Stellung des Bundes und des Landes Niedersachen. Eine Beteiligung an der Verwaltung des Unternehmens werde so verhindert, schrieben die Richter der Bundesregierung ins Stammbuch. Die hatte die Sonderregeln noch mit dem Schutz von Arbeitnehmern, Arbeitsplätzen und Minderheitsaktionären zu rechtfertigen versucht, fand damit in Luxemburg aber kein Gehör. Die Folge: Die Richter kassierten die entsprechenden Vorschriften (EuGH v. 23.10.2007 -- Rs. C-112/05, AG 2007, 817).

Damit ist das VW-Gesetz aber keinesfalls Geschichte. Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) will so viel von dem Regelwerk retten wie irgendwie möglich. Vor allem will sie an § 4 Abs. 2 des VW-Gesetzes festhalten. Der schreibt für Standortentscheidungen eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Aufsichtsrat vor; Werksschließungen können damit nicht gegen die Arbeitnehmerseite durchgesetzt werden. Das Entsenderecht der öffentlichen Hand will Zypries nur noch durch das Aktiengesetz und die Satzung der VW AG regeln lassen. Demnach dürfte der Staat künftig bloß insgesamt drei Vertreter in das Kontrollgremium entsenden. Ansonsten will sie die Beschränkung des Stimmrechts zwar insoweit aufheben, wie sie durch das Höchststimmrecht von 20 Prozent begründet wird. Dass bedeutsame Entscheidungen in der Hauptversammlung mit einer Mehrheit von 80 Prozent plus einer Aktie getroffen werden müssen, soll aber beibehalten werden.

Bei diesem Vorhaben weiß Zypries einen Verbündeten fest an ihrer Seite: Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff (CDU). Denn diese Regelung sichert Niedersachsen ein Vetorecht, obwohl das Land nur mit gut 20 Prozent an Volkswagen beteiligt ist. In einem Konflikt mit der Entscheidung des EuGH sehen sich Wulff und Zypries nicht. Beide sind der Meinung, der EuGH hätte nur das Zusammenspiel von Entsenderecht, Höchststimmrecht und Sperrminorität gekippt. Insofern sei es mit dem Urteil vereinbar, nur zwei der drei vom Gerichtshof verworfenen Punkte aus dem Gesetz zu streichen.

Dieses Verständnis ist jedoch keinesfalls zwingend. Bundeswirtschaftsminister Michael Glos (CSU) will den Entwurf von Zypries nicht unterstützen, weil seine Juristen -- anders als die Rechtsexperten im Bundesjustizministerium und in der niedersächsischen Staatskanzlei -- eine sofortige Klage der EU-Kommission befürchten. Und auch Baden-Württembergs Ministerpräsident Günther Oettinger hält den bisherigen Entwurf für mit EU-Recht nicht vereinbar.

Europarechtsexperten bestätigen dies: Zuletzt warnte der frühere Generalanwalt am EuGH Siegbert Alber in der FAZ die Bundesregierung vor der geplanten Neuauflage des VW-Gesetzes. Er befürchtet eine satte Geldstrafe, wenn der Entwurf in seiner jetzigen Form Gesetz werde. Anders als Zypries und Wulff ist Alber der Meinung, dass jede der vom EuGH kassierten Vorschriften auch einzeln keinen Bestand haben dürfte. Er wertet ausgerechnet das beibehaltene Vetorecht als den schwersten Verstoß gegen die Kapitalverkehrs- und Niederlassungsfreiheit. "Dies ist von der Wirkung her der schärfste Eingriff, weil er eine Totalblockade ermöglicht", so Alber gegenüber der FAZ. EU-Kommissar Charles McCreevy sieht das ähnlich. Er hält das EuGH-Urteil ohne Abschaffung der 20-prozentigen Sperrminorität für nicht zutreffend umgesetzt.

Ex-Generalanwalt Siegbert Alber hält auch die VW-Satzung, in der die Sonderrechte zusätzlich festgeschrieben sind, für ungültig. Die dort eingeräumten Rechte dürften daher nicht mehr ausgeübt werden. Anderenfalls könnten auf dieser Grundlage gefasste Beschlüsse angefochten werden. Die Möglichkeit, die Sperrminorität freiwillig auf 20 Prozent abzusenken, was nach dem Aktiengesetz zulässig ist, hat die Hauptversammlung von Volkswagen allerdings am 23. April dieses Jahres verstreichen lassen. Niedersachsen bekam für einen entsprechenden Antrag keine Mehrheit auf dem Aktionärstreffen. Porsche scheiterte seinerseits mit dem Vorhaben, in der Satzung ein Vetorecht ab 25 Prozent Anteilsbesitz beschließen zu lassen. Die beiden großen Einzelaktionäre stellen sich nun auf eine lange gerichtliche Auseinandersetzung ein.

 

Auch private Sonderrechte in Satzungen betroffen

Ein ähnliches Schicksal wie dem VW-Gesetz in Luxemburg könnte auch Sonderrechten drohen, mit denen sich private Gesellschafter maßgeblichen Einfluss in der Unternehmenssatzung gesichert haben. In vielen Familienunternehmen und Konzernen ist das der Fall. Dort finden sich besonders häufig Entsenderechte in den Aufsichtsrat zugunsten bestimmter Teilhaber.

Ein prominentes Beispiel ist die ThyssenKrupp AG. Die Satzung des Stahlkonzerns enthält eine Klausel, wonach die firmeneigene Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung je nach Anteilsbesitz bis zu drei Aufsichtsratsmitglieder benennen darf. Faktisch hat das Vorrecht der Stiftung einen ähnlichen Effekt wie die staatlichen Privilegien im VW-Gesetz. Denn im Aufsichtsrat geben Stiftung und Arbeitnehmer die Richtung vor. Selbst ein Mehrheitsaktionär hätte daher keine effektiven Kontrollmöglichkeiten. Das dürfte Investoren, auch solche aus dem europäischen Ausland, von Beteiligungen abhalten.

Anders als das VW-Gesetz hielt die ThyssenKrupp-Satzung gerichtlicher Prüfung bisher stand. Das Landgericht Essen wies Aktionärsklagen gegen den Hauptversammlungsbeschluss, mit dem das Entsenderecht zugunsten der Stiftung im letzten Jahr erweitert wurde, zurück (LG Essen v. 29.6.2007 -- 45 O 15/07, AG 2007, 797; Berufung zurückgewiesen durch OLG Hamm v. 31.3.2008 -- 8 U 222/07, AG 2008 -- erscheint demnächst). Ein Verstoß gegen europäisches Recht schloss das Gericht aus. Die Grundfreiheiten verpflichten nach Meinung der Richter nur die Mitgliedstaaten, nicht Private.

Diese strikt formale Betrachtungsweise hat man in Luxemburg aber längst aufgegeben. Der Gerichtshof hat in der Vergangenheit mehrfach eine mittelbare Drittwirkung der Grundfreiheiten angenommen -- und die gilt auch für Maßnahmen privater Unternehmen. Poiares Maduro, Generalanwalt beim EuGH, hat das in seinem Schlussantrag zur inzwischen entschiedenen Rechtssache Viking Line, in der es um Streikmaßnahmen einer finnischen Gewerkschaft ging, noch einmal ausdrücklich betont. Tätigkeiten privater Akteure dürften andere Marktteilnehmer nicht in ihren Grundfreiheiten beeinträchtigen, sonst verstießen sie gegen Europarecht, heißt es dort (Schlussanträge GA Maduro v. 23.5.2007 -- Rs. C-438/05).

Wie der Europäische Gerichtshof sich zu dieser Frage verhält, bleibt abzuwarten. Vielleicht bekommt er im Fall der ThyssenKrupp AG demnächst Gelegenheit, sich dazu zu äußern. Im Rechtsstreit um die Erweiterung des Entsenderechts wollen die Kläger bis zum BGH gehen. Der muss dann die Frage der Vereinbarkeit des Sonderrechts mit der Kapitalverkehrsfreiheit dem EuGH vorlegen. Dort könnten die deutschen Zivilgerichte zu einer Inhaltskontrolle der Gesellschafterprivilegien verpflichtet werden. Und das beträfe dann auch die Sonderrechte in deutschen Unternehmenssatzungen.

 

 

*              Redaktion AG und GmbHR.




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