Klaus-Heiner Lehne (MdEP), Rechtsanwalt, Düsseldorf/Brüssel

 

Die Europäische Privatgesellschaft nach dem Parlamentsvotum

 

"Weiter so!" lautet die verkürzte Botschaft des Europäischen Parlaments an die 27 Mitgliedstaaten der EU. Mit überwältigender Mehrheit haben die Abgeordneten im März dem Kommissionsvorschlag zum Statut einer Europäischen Privatgesellschaft (SPE) zugestimmt und somit die Regierungen im Rat aufgefordert, auf der mittelstandsfreundlichen Kommissionslinie einen endgültigen Verordnungstext zu erarbeiten (s. dazu auch die Beiträge von Cannivé/Seebach, GmbHR 2009, 519 ff. und Teichmann/Limmer, GmbHR 2009, 538 ff. -- beide in diesem Heft.).

Die Verhandlungen im Rat erweisen sich zur Zeit als mühsam und zäh. Die Verteidigung nationaler Eigenheiten versperrt vielen Regierungen den Blick auf das Ziel des Kommissionsvorschlags. Mit der SPE als EU-einheitlichen Unternehmensform für den Mittelstand soll der Geschäftsverkehr im Europäischen Binnenmarkt effektiver und unbürokratischer werden.

Um den begrüßenswert gründungs- und unternehmensfreundlichen Ansatz der Kommission zu retten und gleichzeitig Blockaden im Rat zu lösen, bietet das Parlament Kompromisslösungen an, die auf die Bedenken der Mitgliedstaaten eingehen. Zu den fünf wichtigsten Problemfeldern gehören: der grenzüberschreitende Bezug, das Mindestkapital, der Gesellschaftssitz, die Beurkundungspflichten sowie Fragen der unternehmerischen Mitbestimmung.

 

Grenzüberschreitender Bezug

Die Kommission verzichtet gänzlich auf ein grenzüberschreitendes Element in ihrem Verordnungsvorschlag. Das ist rechtens und in Ordnung. Die Rechtsgrundlage der Verordnung, Art. 380 des EG-Vertrages, verlangt keinen grenzüberschreitenden Bezug. Rechtspolitisch sieht die Situation allerdings ganz anders aus. Viele Mitgliedstaaten sehen die SPE als Konkurrenz zu ihren nationalen Unternehmensformen und wollen ihre Verwendungsmöglichkeit auf ausgesuchte grenzüberschreitende Unternehmenstätigkeiten zurückdrängen. Ein strenges Transnationalitätserfordernis führte jedoch zu einer aufwendigen Zwei-Stufen-Gründung. Jeder Unternehmensgründer, der nicht gleich am Tag der Registrierung den Schritt über die Grenze vollziehen kann, wäre zunächst zur Gründung einer nationalen Gesellschaft (GmbH, SARL etc.) gezwungen. Erst dann, in einem zweiten Schritt, müsste die nationale Gesellschaft in eine SPE umgewandelt werden. Das ist Bürokratie pur. Das Parlament schlägt mit Blick auf Unternehmensgründungen eine Vereinfachung vor. Zum Registrierungszeitpunkt reicht die bloße Absichtserklärung, grenzüberschreitend tätig sein zu wollen, aus. Zur Absicherung muss die SPE dann nach zwei Jahren nachweisen, dass sie ihre Absicht realisiert hat. Gelingt der Nachweis nicht, wird die SPE in die entsprechende nationale Rechtsform umgewandelt.

 

Mindestkapital

Der Kommissionsentwurf verzichtet auf ein gesetzliches Mindestkapital. Ein Euro reicht zur Gründung der SPE aus. Im Gegenzug muss die Geschäftsführung vor jeder Ausschüttung einen Bilanztest durchführen und kann freiwillig einen zusätzlichen Solvenztest ablegen. Das Parlament schlägt hier eine Kombination von Mindestkapital und Solvenztest vor. Entweder bringen die Unternehmensgründer 8.000 € als Mindestkapital auf oder die Satzung verpflichtet sie zu einem verbindlichen Solvenztest (zusätzlich zum Bilanztest). Mit anderen Worten, die Gründer haben die Wahl, welchem der beiden Systeme sie den Vorrang geben. Bringen sie keine 8.000 € auf, muss die Satzung eine entsprechende Geschäftsführerpflicht vorsehen. Der Gläubigerschutz und die Haftung müssen sich dann nach dem gewählten System richten.

 

Gesellschaftssitz

Register- und Verwaltungssitz müssen nach dem Verordnungsentwurf nicht in ein und demselben Mitgliedstaat liegen. Mit diesem Vorschlag verwirklicht die Kommission bei der SPE bereits die Neuerung, die sie für die SE (Europäische Aktiengesellschaft) schon einmal ins Auge gefasst hat. Die Bundesregierung ist im MoMiG denselben Weg gegangen. Die GmbH braucht Register- und Verwaltungssitz auch nicht mehr an ein und demselben Ort zu haben. Das soll jetzt auch für die SPE gelten. Kritiker dieser Trennungsmöglichkeit sehen hier ein Transparenzproblem. Deshalb haben die Abgeordneten vorgeschlagen, dass die SPE -- zusätzlich zur Registrierung am Satzungssitz -- das Register am Ort des Verwaltungssitzes mit einem Mindestmaß an Informationen versorgen muss. Diese Informationen sind: Name der Gesellschaft, Anschrift des Registersitzes, Identifikation und ladungsfähige Adresse der Vertretungsberechtigten und das Gesellschaftskapital. Damit ist Transparenz geschaffen, ohne die Freiheit der Unternehmen, Register- und Verwaltungssitz unabhängig von einander zu verlegen, einzuschränken. Die Cartesio-Entscheidung des EuGH (EuGH v. 16.12.2008 -- Rs. C-210/06, GmbHR 2009, 86 mit Komm. W. Meilicke), die in diesem Zusammenhang immer wieder genannt wird, hat im Übrigen keinerlei Veränderungen gebracht. Weder sprechen sich die Richter gegen die Trennungsmöglichkeit aus, noch schreiben sie sie vor. Die Richter bestätigen lediglich den status quo, nämlich dass die Niederlassungsfreiheit die Trennungsmöglichkeit umfasst, dass aber die Mitgliedstaaten frei sind, ihre eigenen Unternehmen zu diskriminieren und ihnen einseitig die Vorteile des Binnenmarkts zu verwehren.

 

Beurkundungspflichten

Da die Kommission die Unternehmensgründung möglichst frei von Bürokratie und unnötigen Kosten ausgestalten wollte, sieht der Verordnungsentwurf keine Beurkundungspflichten vor. Einfache Schriftform reicht aus. Hier waren sich die Abgeordneten einig, dass ein Mindestmaß an vorbeugender Rechtspflege -- wozu in Deutschland die notarielle Beurkundung gehört -- auch für die SPE sinnvoll ist. Insofern waren sie bereit, sich ausnahmsweise an bestehenden mitgliedstaatlichen Regeln zu orientieren und Verweise ins nationale Recht einzufügen. Das Parlament macht aber zwei Einschränkungen für die SPE. Erstens darf für die Anteilsübertragung keine notarielle Beurkundung verlangt werden. Hier fällt also die Beurkundungspflicht, die das GmbH-Gesetz für die GmbH vorsieht, weg. Zweitens unterliegt die Satzung dann keiner Beurkundungspflicht, wenn die Unternehmensgründer eine offizielle Mustersatzung verwenden. Natürlich steht es den SPE-Gründern und -gesellschaftern nach wie vor frei, sich für eine notarielle Beurkundung in diesen beiden Fällen zu entscheiden. Gesetzlich würde das aber nicht mehr gefordert.

 

Unternehmerische Mitbestimmung

Hier sind die Fronten recht verhärtet, weil die eine der beiden Kontrahentengruppen an einer SPE gar nicht interessiert ist und nichts gegen das Scheitern des ganzen SPE-Projekts hätte. Insofern gibt es auf dieser Seite auch keinerlei Kompromissbereitschaft. "Friss oder stirb" ist die Devise, für die sich allen voran der deutsche Sozialminister stark macht. Er tritt im Rat mit der Maximalforderung auf, die (deutsche) unternehmerische Mitbestimmung europaweit bei jeder SPE ab 50 Arbeitnehmern einzuführen. Der Kompromiss des Europäischen Parlaments, der von der Europäischen Gewerkschaftsvereinigung getragen und selbst vom DGB akzeptiert wurde, schlägt Folgendes vor. Im Grundsatz gilt das Recht des Register-Landes. Ausnahmen greifen bei drohendem Rechteverlust der Arbeitnehmer. SPEs mit mehr als 1.000 Arbeitnehmern müssen für die SPE ein Mitbestimmungsregime aushandeln, wenn ein Viertel der Belegschaft der SPE in einem Mitgliedstaat arbeitet, in dem die konkrete Anzahl der Arbeitnehmer nach dortigem Recht mehr Mitbestimmungsrechte genießt als nach dem Recht des Register-Landes. Bei Unternehmen bis zu 1.000 Arbeitnehmern gilt die Schwelle von einem Drittel der Belegschaft; bei Neugründungen bis zu 1.000 Arbeitnehmer beträgt die Schwelle 50 Prozent. Droht kein Mitbestimmungsverlust gelten die Mitbestimmungsregeln -- sofern vorhanden -- des Register-Mitgliedstaats. Die Lösung klingt kompliziert, so ist aber auch die Diskussion. Der Kompromiss bewegt sich zwischen zwei Polen: zum einen sollen bestehende Rechte möglichst nicht eingeschränkt werden, zum anderen sollen neue Vorschriften möglichst nicht eingeführt werden müssen.

 

Schlussbemerkung

Dass das Votum des Parlaments in allen Punkten klar und eindeutig ausgefallen ist, ist umso bedeutsamer, als der Rat den Verordnungsvorschlag einstimmig annehmen muss. Faktisch und rechtlich hat also jeder Mitgliedstaat ein Vetorecht.

Das Parlament seinerseits kann nur ein politisches Signal senden. Mehr ist nach der Rechtsgrundlage leider nicht drin. Art. 308 des EG-Vertrages verleiht den Abgeordneten hier nur ein Anhörungsrecht (was sich im Übrigen mit dem Lissabon-Vertrag ändern würde; Lissabon gewährt dem Parlament ein Zustimmungsrecht). Wir werden daher abwarten müssen, ob die Mitgliedstaaten am Ende das einhellige Plädoyer "pro SPE" der Vertreter von 500 Millionen Europäern ignorieren können.

 

 




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