Dr. Friedrich Graf von Westphalen,
Rechtsanwalt, Köln*

Ein Kulturdenkmal wankt – Reform des BGB-Schuldrechts

Nein, nicht daß ein "Kulturdenkmal" (Flume) ins Wanken geraten sei oder gar einstürzt. Nein, nicht davon soll die Rede sein, wohl aber davon, daß ein "Kulturdenkmal" – gemeint: das altehrwürdige Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) – reformiert wird, reformiert an Leib und Gliedern. Und viele sind, die da meinen, das komme zu früh, sei übereilt, und auch gar nicht notwendig, weil sich eben das BGB bewährt habe in den Stürmen der Zeiten. Doch das Bundesjustizministerium plant anderes. Es plant – noch in diesem Jahr – die "große Lösung". Gemeint ist damit eine ganz grundlegende, weitreichende Reform des Schuldrechts, also des sog. dispositiven Rechts des BGB. Nicht gemeint und auch nicht geplant, obwohl unerläßlich ist damit die "kleine" Lösung, also die in jedem Fall gebotene Umsetzung der EU-Richtlinie über den Verbrauchsgüterkauf in nationales Recht, was bis Ende diesen Jahres zwingend gesetzliche Wirklichkeit werden soll und auch, sollen nicht Schadensersatzansprüche von Bürgern gegen die Bundesrepublik erfolgreich sein, Wirklichkeit werden muß.

Doch dem altehrwürdigen BGB geht es im wahrsten Sinn des Wortes an den Kragen. Nimmt man den gegenwärtigen Stand der Reform des BGB zum Nennwert, dann ändert sich grundlegend vieles: An erster Stelle das gesamte Leistungsstörungsrecht, also die Regeln, die über Verzug, Unmöglichkeit und Schlechterfüllung der Vertragspflichten durch Schuldner oder Gläubiger Auskunft geben. Sie ändern sich, indem jetzt – wie in der Mehrzahl der modern sich gerierenden Rechtsordnungen – dahin, daß auf die Pflichten abgestellt wird, die die Parteien durch den Abschluß des jeweiligen Vertrags begründen. Werden sie verletzt, dann handelt jetzt § 280 des Diskussionsentwurfs (DE) von der Notwendigkeit, daß der vertragsbrüchige Schuldner Ersatz des durch die Pflichtverletzung verursachten Schadens schuldet. Und die Grundnorm des § 276 DE sagt aus, daß es die "Natur der Schuld" ist, also: wiederum die Abrede der Parteien, die darüber Maß gibt, ob denn der Schuldner – wie gewöhnlich – für Vorsatz und Fahrlässigkeit einstehen muß oder ob er – stattdessen – strenger (grobe Fahrlässigkeit) oder sogar schärfer (ohne Verschulden) haften soll. So entscheidet also nicht mehr das Gesetz, sondern die Vereinbarung der Parteien, Parteiautonomie pur.

Auswirkungen hat dies unmittelbar. Vor allem auf die bisherigen Fälle, die unter dem Stichwort "Gewährleistung" beim Kauf- und Werkvertragsrecht bekannt geworden sind. Denn das war ja in der Tat – römisches Recht ließ grüßen – nicht einfach zu begreifen: Der Verkäufer einer bestimmten Sache hatte den Vertrag ordnungsgemäß (makellos) erfüllt, auch wenn die von ihm gelieferte Sache mangelhaft, also fehlerbehaftet war. Dann standen dem Käufer die gesetzlichen Ansprüche auf Wandelung oder Minderung zur Seite; Schadensersatz wegen Nichterfüllung konnte der Käufer indessen nur dann verlangen, wenn der Verkäufer entweder arglistig gehandelt hatte oder eine zugesicherte Eigenschaft der Kaufsache fehlte. Wenn dann sog. Folgeschaden entstanden waren, dann kamen Ansprüche aus positiver Vertragsverletzung zum Zuge. Denn diese füllten die Lücke, die das BGB gelassen hatte, weil es sich eben nur mit dem Recht der Gewährleistung auseinandersetzte.

Ganz und gar wird dies jetzt anders werden. Wenn der Verkäufer eine Sache mangelhaft liefert, dann haftet er dem Käufer auf Nacherfüllung, weil er durch diese Schlechterfüllung die im Kaufvertrag begründete Pflicht zur Lieferung einer mangelfreien Sache verletzt hat. Und das führt nicht nur zur Pflichtverletzung, sondern auch nach § 280 DE zur Haftung auf Ersatz des dadurch verursachten Schadens. Doch auch dies: Die Frist, innerhalb derer der Käufer einer mangelhaften Sache Ansprüche geltend machen konnte und durfte, war auf sechs Monate – gerechnet ab Übergang der Gefahr – begrenzt, eine unerhört kurze Frist, die oft zu Unzuträglichkeiten führte. Jetzt hingegen – und die Wirtschaft hat Sturm geblasen – soll diese Frist drei Jahre betragen, doch ist sie inzwischen auf zwei Jahre verkürzt worden. Verstanden wird sie als eine einheitliche Frist, die auch dazu dient, die häufig im gegenwärtig geltend Recht einsetzende Frist von 30 Jahren zu kompensieren.

Doch auch dies ändert sich, zwar nicht entscheidend, aber immer signifikant. Bislang sollten alle EU-Richtlinien im wesentlichen als Nebengesetze zum BGB geltendes Recht werden. Jetzt wird dies anders: Alle wesentlichen Nebengesetze – Verbraucherkreditgesetz und das Recht über Allgemeine Geschäftsbedingungen, um die wesentlichen zu nennen – werden ins BGB übernommen und dort integriert. Das ist also der Kern der "großen" Lösung, wie sie das Justizministerium im Auge hat.

Und das alles soll dann auch bis Ende diesen Jahres Wirklichkeit werden. Doch das löst Kritik aus: Die Wirtschaft wird es kaum schaffen, sich bis dahin an die weitreichenden Neuerungen anzupassen, sie verstehen und begreifen lernen, bevor sie denn auch – in der Praxis – zutreffend angewandt und beherrscht werden. Das in der Tat ist ein Dilemma, ein schlimmes sogar, weil es eine Einbuße an Rechtssicherheit, damit auch an Gerechtigkeit bedeutet. Aber es scheint so, als sei dies der Preis für die Reform des BGB, eine nicht unbedingt in ihrer Gänze notwendige, aber eine immerhin doch – per Saldo – nicht abzulehnende. Sie entspricht ja – das gilt es zu sehen – modernen Konzeptionen des Schuldrechts, wie sie auch in anderen Ländern des europäischen Kontinents verankert sind, nicht aus dem 19. Jahrhundert stammend, sondern aus der Zeit geboren, die man die Neuzeit nennt. Doch ein jedes Gesetz bewährt sich erst in seiner Robustheit und auch in seiner Weitsichtigkeit im Alltag, in der Praxis, die wir dann – rückschauend – Rechtsgeschichte nennen.
 
 

* Graf von Westphalen Fritze & Modest, Köln.

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