Marcel Grobys,
Rechtsanwalt, München*

Abwerben von Mitarbeitern am Arbeitsplatz

Ein neueres Urt. des OLG Karlsruhe v. 25.7.2001 -- 6 U 145/00, MDR 2002, 165 Volltext (dazu Krügermeyer- Kalthoff/Reutershan, MDR 2002, 139) -- Volltext als PDF -- gibt Anlaß, den Stand der Rechtsprechung zur Frage der Mitarbeiterabwerbung per Telefon kritisch zu hinterfragen. Im heiß umkämpften Markt für Fach- und Führungskräfte greifen Personalberatungen schon seit geraumer Zeit zum Mittel der Direktansprache. Die gezielte Kontaktaufnahme mit einzelnen Personen wird von vielen Marktteilnehmern als unverzichtbare Methode zur Gewinnung von Fach- und Führungskräften angesehen. So setzten die deutschen Personalberatungsunternehmen im Jahr 1999 allein mit Dienstleistungen dieser Art etwa 1,2 Mrd. DM um, d.h. mehr als 57 % ihres gesamten Honorarvolumens (vgl. Quiring, WRP 2001, 470 [477]). Besonderes Gewicht kommt dabei der telefonischen Direktansprache am Arbeitsplatz zu.

In Literatur und Rechtsprechung wird seit einiger Zeit lebhaft über die Zulässigkeit von Headhunting am Arbeitsplatz gestritten. Auslöser war eine Entscheidung des OLG Stuttgart v. 17.12.1999 -- 2 U 133/99, DB 2000, 372 (ebenso LG Heilbronn v. 21.5.1999 -- 1 KfH O 152/99, BB 1999, 1840), wonach Anrufe eines Personalberaters am Arbeitsplatz grundsätzlich rechtswidrig seien. Diese Rechtsansicht ist in der Literatur z.T. scharf kritisiert worden (Reufels, GRUR 2001, 214). Die Revision der beklagten Personalberatung wurde durch Beschl. des BGH v. 2.11.2000 -- I ZR 22/00 wegen mangelnder Erfolgsaussichten nicht angenommen. Nunmehr ist das OLG Karlsruhe den apodiktischen Äußerungen seiner Stuttgarter Kollegen mit guten Argumenten entgegengetreten. Über die auch gegen das Urt. des OLG Karlsruhe eingelegte Revision (I ZR 221/01) wird der BGH nun wahrscheinlich entscheiden müssen.

Der Ausgangsfall

Beiden OLG Entscheidungen lagen vergleichbare Sachverhalte zugrunde: zu beurteilen war ein einmaliger, kurzer, weder vom Adressaten noch dessen Arbeitgeber erbetener Anruf am Arbeitsplatz eines (leitenden) Angestellten mit dem Ziel, in einem noch zu vereinbarenden Treffen außerhalb des Arbeitsplatzes einen Abwerbeversuch zu unternehmen.

Das OLG Stuttgart hält solches Treiben für wettbewerbswidrig und bejaht unter Hinweis auf § 1 UWG einen Unterlassungs- und Schadensersatzanspruch des Arbeitgebers gegen den Headhunter. Zwar weist das Gericht vorab darauf hin, daß das Abwerben fremder Arbeitnehmer nicht grundsätzlich, sondern nur bei Hinzutreten besonderer Umstände sittenwidrig sei. Doch macht es hiervon sogleich weitgehende Ausnahmen. Das Gericht baut dabei auf eine bis in die 60er Jahre zurückgehende Rechtsprechung des BGH auf, nach der die Abwerbung unter (körperlichem) Eindringen in eine fremde Betriebssphäre als verboten gewertet wurde. Sogar dem "Aufsuchen von Waldarbeitern in der Gemeinschaftsunterkunft des fremden Unternehmens" (OLG Stuttgart v. 31.1.1968 -- 2 U 164/68, NJW 1969, 986) will das OLG Stuttgart den kurzen Anruf am Arbeitsplatz gleichstellen. Dessen "Störgehalt" stehe dem von unbestellten (Haus-)Besuchen wenig oder gar nicht nach. Der Angerufene werde durch das Gespräch von seiner Leistungspflicht gegenüber seinem Dienstherrn abgehalten, zudem nehme der Anrufer in sittenwidriger Weise die vom Arbeitgeber unterhaltene Telefonanlage in Anspruch und schädige ihn somit auch noch durch seine eigenen Betriebsmittel.

Das OLG Karlsruhe betont hingegen die große Bedeutung eines offenen Wettbewerbs um qualifizierte Mitarbeiter. Die Integrität des betrieblichen Organismus oder der Funktionsfähigkeit des Unternehmens werde nicht bereits dadurch gestört, dass der angesprochene Arbeitnehmer während einer "gewissen Zeit" von der Erfüllung seiner dienstvertraglichen Verpflichtungen abgehalten werde. In aller Regel dauere diese Behinderung nur wenige Minuten und sei letztlich ein kaum meßbarer und wirtschaftlich quantifizierbarer Vorgang.

Ausgleich der widerstreitenden Interessen

In einer auf Leistung angelegten Wissensgesellschaft, in der qualifizierte Mitarbeiter einen erheblichen Wettbewerbsfaktor darstellen, ist der Wettbewerb um solche Mitarbeiter notwendiger Teil der Marktwirtschaft. Im Grundsatz ist die Tätigkeit der Personalberater daher gerade nicht anstößig, sondern eher erwünscht. Der Regelfall ist die "Abwerbefreiheit", das Verbot die besonders begründungsbedürftige Ausnahme. Dem Verdikt der Sittenwidrigkeit können nur solche Fälle unterfallen, bei denen die anerkennenswerten Interessen des Arbeitgebers diejenigen der anderen Beteiligten überwiegen.

Unschwer zu erkennen sind die Interessen der Personalberater und ihrer Auftraggeber. Neben Inseraten und der Direktansprache auf Messen ist der Anruf am Arbeitsplatz ein entscheidendes Instrument zur Gewinnung von Mitarbeitern mit einschlägigen Erfahrungen. Aber auch die Arbeitnehmer -- insbesondere die für Leitungsfunktionen qualifizierten -- haben ein anerkennenswertes Interesse an beruflicher Verbesserung. Personalberater dürfen daher davon ausgehen, daß die Beschäftigten mit dem telefonischen Erstkontakt zur Evaluation ihres "Marktwerts" grundsätzlich einverstanden sind.

Klar ist andererseits, daß der Arbeitgeber ein Interesse daran hat, seine Mitarbeiter zu halten und Ablenkungen sowie die Inanspruchnahme seiner eigenen betrieblichen Infrastruktur für betriebsfremde Zwecke möglichst zu unterbinden. Eine völlige Abschottung gegen externe Anrufer (gleich welcher Couleur) ist aber nicht möglich. Der Arbeitgeber widmet seine Telefonanlage nicht ausschließlich unmittelbar geschäftsbezogenen Anrufen, sondern stellt sie grundsätzlich jedermann zur Verfügung. Genauso wenig wie eine Internetseite nur von potentiellen Kunden besucht werden darf, kann ein Telefonanschluß a priori für bestimmte Anrufer tabu sein. Die Öffnung des Unternehmens über Telekommunikationsportale darf daher unter dem Aspekt wettbewerbswidriger Störungen nicht ohne weiteres wieder eingeschränkt werden. Sieht man genau hin, liegt das Störpotential für die Unternehmen auch nicht in der kurzzeitigen "Blockade" bestimmter Leitungen und Anschlüsse, sondern eher in der (mittelbaren) Konsequenz, daß der angerufene Arbeitnehmer die von ihm abverlangte Arbeit nicht ungestört verrichten kann. In welchen Fällen daraus ein rechtswidriger Zustand (d.h. eine Störung der Vertragsparität) erwächst, läßt sich nicht generell sagen. Die Beschäftigten sind schließlich vielen Störfaktoren ausgesetzt (z.B. "Zigarettenpause", Flurgespräch über private Erlebnisse usw.), ohne daß jemand auf die Idee käme, darin sogleich eine Beeinträchtigung betrieblicher Abläufe zu sehen. Es sind allerdings durchaus Fälle denkbar, in denen sozialadäquates Verhalten in eine Vertragspflichtverletzung gegenüber dem Arbeitgeber umschlagen kann. Dies ist auch bei Gesprächen mit Headhuntern denkbar, sofern sie sich auf die Art und Weise oder den Umfang der Arbeitsleistung spürbar negativ auswirken. In diesem Fall ist es allerdings Sache des Arbeitnehmers (und nicht des Headhunters), die ihm arbeitsvertraglich gesetzten Grenzen einzuhalten und das Telefonat ggf. unverzüglich zu beenden. Um seine Interessen zu sichern, steht es dem Arbeitgeber frei, entsprechend restriktive Abmachungen mit dem Arbeitnehmer zu treffen (z.B. Verbot, Abwerbegespräche vom Arbeitsplatz aus zu führen) und im Falle ihrer Verletzung auch zu sanktionieren (Abmahnung, Kündigung o.ä.).

Fazit

Ein Ausgleich der widerstreitenden Interessen ist nicht primär im Verhältnis Arbeitgeber/Headhunter, sondern vielmehr im Verhältnis der Arbeitsvertragsparteien zueinander zu suchen. Möglichen Abwerbeversuchen sollte grundsätzlich nicht durch wettbewerbsrechtliche Verbote, sondern eher auf der Ebene der materiellen Arbeitsbedingungen begegnet werden.

 

* Lovells Boesebeck Droste.

 


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