Telefonische Abwerbung am Arbeitsplatz

BGB §§823 I, 826; UWG §1

1. Das grundsätzlich zulässige Abwerben (Ausspannen) von Beschäftigten eines anderen Unternehmens ist nur bei Hinzutreten von besonderen Umständen sittenwidrig. Solche Umstände sind etwa das Verlei-ten zum Vertragsbruch, das Abwerben unter Eindringen in die fremde Betriebssphäre des Konkurrenten und insbesondere nachhaltige und wiederholte Abwerbungsversuche über einen geschäftlichen Telefon- apparat.


2. Eine erhebliche Störung der Integrität des betrieblichen Organismus oder der Funktionsfähigkeit des Unternehmens, die unter Umständen die persönliche Kontaktaufnahme am Arbeitsplatz zu einem wettbe- werbsrechtlich zu missbilligenden Vorgang macht, kann nicht schon darin liegen, dass der angespro- chene Arbeitnehmer während einer gewissen Zeit von der Erfüllung seiner dienstvertraglichen Verpflichtun- gen abgehalten wird.

3. Bei der Übertragung der zur Telefonwerbung entwickelten Grundsätze auf die wettbewerbsrechtliche Beurteilung von telefonischen Abwerbeversuchen sind neben den Interessen des Arbeitgebers auch die Belange des Arbeitnehmers in die Interessenbewertung einzustellen, da ein grundsätzliches Interesse der für Leitungsfunktionen qualifizierten Arbeitnehmer an beruflicher Verbesserung und damit ein mutmaû- liches Einverständnis nahe liegt.


OLG Karlsruhe, Urt. v. 25. 7. 2001 6 U 145/00

Sachverhalt: Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits ist das Verbot, Arbeitnehmer zum Zwecke der Abwerbung an ihrem Arbeitsplatz anzurufen. Die zulässige Berufung der Klägerin bleibt ohne Erfolg.

Aus den Gründen:
In Übereinstimmung mit der Bewertung des LG im angegriffenen Urteil hält auch der Senat die Klage für unbegründet. Das nach ihrem Antrag allein gewollte Schlechthinverbot der telefonischen Abwerbung am Arbeitsplatz kann der Klägerin von Rechts wegen nach keiner der im Streitfall in Betracht kommenden zivilrechtlichen (§§ 823 Abs. 1, 826 BGB) oder wettbewerbsrechtlichen Anspruchsgrundlagen (§ 1 UWG) zugesprochen werden. ...

Ausgangspunkt der auch die zivilrechtliche Beurteilung determinierenden wettbewerbsrechtlichen Betrachtung ist der Grundsatz, dass das Abwerben (Ausspannen) von Beschäftigten eines anderen Unternehmens zulässig ist. ...
Nur bei Hinzutreten von besonderen Umständen hat die Rechtsprechung in dem Abwerben von Arbeitnehmern des Mitbewerbers ein sittenwidriges Verhalten angenommen (BGH LM Nr. 26 a zu §826 BGB; BAG AP Nr. 1 zu §611 BGB Abwerbung; BGH NJW 1961, 1308f. Spritzgussmaschine; v. 22. 9. 1983 I ZR 166/ 81, MDR 1984, 376 = GRUR 1984, 129f. shop-in-the- shop I; OLG Frankfurt WRP 1977, 728; Piper, GRUR 1990, 643 [647]; wegen w. N. Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht, 22. Aufl. 2001, §1 UWG Rz. 583). Erst die Abwerbung unter Anwendung eines unlauteren Mittels oder unter Verfolgung eines verwerflichen Zwecks beeinträchtigt daher die guten Sitten im Wettbe werb unter dem Gesichtspunkt der Ausbeutung oder Behinderung des Mitbewerbers und qualifiziert das Ver halten als wettbewerbsrechtlich anstößig.

So ist etwa die Verleitung zum Vertragsbruch, also die Aufforderung an den Umworbenen, seine (noch) be stehende arbeitsvertragliche Pflicht zu verletzen, bei spielsweise durch eine Vertragsaufsagung vor wirksamer Vertragsbeendigung, als unlauter beurteilt worden (Baumbach/Hefermehl, a. a. O., Rz. 584). Selbst bei Be achtung vertraglicher Bindungen können besondere Begleitumstände die Sittenwidrigkeit zum Beispiel dann begründen, wenn die Abwerbung unter Eindringen in die fremde Betriebssphäre des Konkurrenten geschieht (BGH GRUR 1967, 104 [106] Stubenhändler; Baum bach/Hefermehl, a. a. O., Rz. 594). Insbesondere können nachhaltige und wiederholte Abwerbungsversuche über einen geschäftlichen Telefonapparat wettbewerbswidrig sein (OLG Frankfurt WRP 1977, 728f.; zustimmend Baumbach/Hefermehl, a. a. O., Rz. 594; Reufels, GRUR 2001, 214 [216]; Quiring, WRP 2001, 470 [474]). ...

Die Klägerin erstrebt ein generelles Verbot telefonischer Abwerbungsversuche für jeden denkbaren Fall. Das setzt voraus, dass die im Bereich der gezielten Personalakqui sition praktizierte Methode als solche, also bereits die telefonische Direktansprache potenzieller Kandidaten am Arbeitsplatz als anstöûig und unlauter einzustufen ist. Für ein so weit gehendes Handlungsverbot besteht allerdings nach Auffassung des Senats ein schützenswer tes Interesse des betroffenen Arbeitgebers nicht. ...

Der von der Klägerin ins Feld geführte Gesichtspunkt des Eindringens in die fremde Betriebssphäre und die Störung des betrieblichen Funktionsablaufes durch den Anrufer macht die hier allein zur Beurteilung stehende erste persönliche Kontaktaufnahme nicht schon zu einem wettbewerbsrechtlich zu missbilligenden Vorgang. Es besteht schon im Wertungsansatz ein erheblicher Unterschied, ob der im Drittinteresse auftretende Perso nalwerber den Arbeitnehmer persönlich an seinem Arbeitsplatz aufsucht und dabei körperlich in die Betriebssphäre des fremden Unternehmens eindringt oder ob er lediglich einen telefonischen Kontakt mit dem Umworbenen sucht. Denn es liegt auf der Hand, dass ein Mitarbeiter sich den Abwerbungsbemühungen eines am Arbeitsplatz erschienenen Werbers verhältnismäûig schwerer als einem Abwerbungsgespräch am Telefon entziehen kann (Reufels, GRUR 2001, 214 [218]; Qui ring, WRP 2001, 470 [474]). Der durch einen bloûen Telefonanruf verursachte Störfaktor steht daher nicht allgemein einem körperlichen Eindringen in die Betriebs sphäre gleich (a. A. OLG Stuttgart WRP 2000, 318 [320 f.]).

Eine erhebliche Störung der Integrität des betrieblichen Organismus oder der Funktionseinheit des Unterneh mens kann auch nicht darin liegen, dass der angespro chene Arbeitnehmer von der Erfüllung seiner dienstver traglichen Verpflichtung abgehalten wird (so OLG Stutt gart WRP 2000, 318 [321]), und zwar zunächst für die Dauer des Telefonats und sodann für eine weitere Zeit spanne, in der er sich gedanklich mit dem Angebot einer neuen Arbeitsstelle beschäftigt. Die hierfür in Anspruch genommene Arbeitszeit des Arbeitnehmers und die hier durch bedingte Beeinträchtigung der Interessen des Arbeitgebers können bei der rechtlichen Beurteilung ver nachlässigt werden. In aller Regel wird es sich nur um wenige Minuten und kaum messbare und wirtschaftlich quantifizierbare Vorgänge handeln. Jedenfalls aber kann für einen Verbotsausspruch nicht zugrunde gelegt wer den, dass ein angesprochener Arbeitnehmer sich so inten siv mit dem Gesprächsinhalt beschäftigt, dass es zu einer nachhaltigen Störung des Arbeitsablaufs kommt und der Anrufer als Störer erscheint. Die Behauptung von kon zentrationsbedingten Arbeitsunterbrechungen in einem solchen Ausmaû, darin ist dem LG beizupflichten, stellt eine Übertreibung dar, die an der Wirklichkeit des Arbeitslebens vorbeigeht und deshalb auch der wettbe werbsrechtlichen Beurteilung nicht zugrunde gelegt wer den darf.

Ohne Erfolg leitet die Klägerin die Wettbewerbswidrig keit von telefonischen Abwerbungsversuchen aus den Rechtsprechung MDR 3/2002 167 Wettbewerbsrecht und gewerblicher Rechtsschutz vom BGH zur Telefonwerbung für Gewerbetreibende ent wickelten Grundsätzen her (BGH GRUR 1991, 766 Telefonwerbung IV). Hiernach sind solche Anrufe wegen der mit ihnen verbundenen unerwünschten Störung des Geschäftsganges nur dann wettbewerbskonform, wenn ein konkreter, in dem Interessenbereich des Anzurufenden bestehender Grund in Form eines ausdrücklichen oder konkludent erklärten Einverständnisses besteht oder auf grund konkreter tatsächlicher Umstände ein Interesse des Adressaten vom Anrufer vermutet werden kann.

Bei der Übertragung dieser Grundsätze darf aber nicht allein auf das Interesse des Arbeitgebers abgestellt wer den. Zwar trifft es im Ausgangspunkt zu, dass der Anschlussinhaber den für die Dauer des Anrufs blo ckierten betrieblichen Telefonanschluss nicht im Inte resse des Werbetreibenden, sondern im Interesse der eige nen wirtschaftlichen Betätigung eingerichtet hat. Da es sich dabei aber um die telefonische Verbindung handelt, über die der umworbene Arbeitnehmer gewöhnlich tags über nur erreicht werden kann, sind auch dessen Belange in die Interessenbewertung einzustellen. Dabei kann nicht, wie es die Klägerin tut, von einem fehlenden Arbeit nehmerinteresse ausgegangen werden. Vielmehr liegt ein grundsätzliches Interesse der in Rede stehenden speziali sierten und für Leitungsfunktionen qualifizierten Arbeit nehmer an beruflicher Verbesserung und damit ein mut maûliches Einverständnis mit dem von der Klägerin bean standeten Werbeanruf nahe. Der Anruf dient nicht allein gewerblichen Zwecken des Anrufers bzw. seines Auftrag gebers wie bei der unerbetenen telefonischen Produktre klame. Er berührt vielmehr auch die rechtlich geschützten Belange des Angerufenen, was seine Position auf dem Arbeitsmarkt angeht. Daher muss es dem Anrufer erlaubt sein, ein konkretes Interesse des Angerufenen durch Auf nahme eines Erstkontakts am Arbeitsplatz zumindest zu erfragen. Insoweit haben die Interessen des betroffenen Arbeitgebers am Unterbleiben von jeglichen Abwerbungs versuchen über betriebliche Kontaktaufnahmen zurückzu stehen. Das gilt auch mit Blick auf Art. 12 GG, auf den sich die Personalwerber selbst berufen können, deren Tätigkeit bei einem generellen Verbot der Direktansprache am Arbeitsplatz unverhältnismäûig eingeschränkt wäre. Dem
Arbeitgeber steht nicht das Recht zu, seine Mitarbeiter von jeden äuûeren Einflussnahmen und telefonischen Kontakt aufnahmen am Arbeitsplatz abzuschirmen. Möglichen Abwerbeversuchen kann und muss er mit anderen Mitteln als wettbewerbsrechtlichen Verboten, etwa auf der Ebene der materiellen Arbeitsbedingungen, begegnen. ...

Hinweis der Redaktion: Siehe auch zu diesem Thema den Beitrag von RA Rolf Krügermeyer-Kalthoff und Simon Reutershan, MDR 2002, 139 (in diesem Heft).

 


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