Dr. Jan Tibor Lelley,
Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht, Essen*

Ausschlußfristen im Arbeitsverhältnis -- ein Fallstrick?

Rechtsprechungsentwicklung und Folgen für die betriebliche Praxis

Sind Ausschlußfristen -- auch genannt Verfallfristen -- zwischen den Parteien eines Arbeitsverhältnisses vereinbart, erlischt ein unter die Frist fallendes Recht, wenn es nicht innerhalb bestimmter Zeit geltend gemacht wird. Ausschlußfristen können im Arbeitsvertrag selber, aber auch in Betriebsvereinbarungen oder Tarifverträgen zu finden sein. Zweck der Ausschlußfrist ist es, bei der Abwicklung von Arbeitsverhältnissen schnell und zuverlässig Rechtsklarheit zu schaffen. Das BAG geht in seiner Rechtsprechung seit den 60er Jahren davon aus, daß (tarifvertragliche) Ausschlußfristen im Arbeitsgerichtsprozeß von Amts wegen zu beachten sind, ohne daß sich eine der Prozeßparteien auf sie berufen muß (vgl. BAG v. 27.3.1963 -- 4 AZR 72/62). Es ist anerkannt, daß Ausschlußfristen dazu dienen, den Arbeitsvertragsparteien rasch Klarheit über die in einem Arbeitsverhältnis verbleibenden Ansprüche zu verschaffen und dadurch -- vergleichbar den materiellen Verjährungsregelungen -- Rechtsfrieden und Rechtssicherheit im Arbeitsverhältnis herzustellen.

Eigenständige und einbezogene Ausschlußfristen

In der Praxis anzutreffen sind zum einen die Ausschlußfristen, die durch die Vertragsparteien direkt im Arbeitsvertrag vereinbart werden und dort als eigenständige Klausel auftauchen. Bei diesen sich direkt aus dem Arbeitsvertrag ergebenden Ausschlußfristen wird seit dem Inkrafttreten der Schuldrechtsreform eine Angemessenheits- und Billigkeitskontrolle für notwendig gehalten; denn auf diese Klauseln im Arbeitsvertrag ist der Kontrollmaßstab der §§ 307 -- 309 BGB anzuwenden (vgl. § 310 Abs. 4 BGB). Maßstab einer solchen Inhaltskontrolle ist insbesondere § 307 BGB. Die Ansatzpunkte der Kontrolle sind vor allem die Dauer der Ausschlußfrist und eine eventuelle einseitige Vereinbarung der Frist. Hier sprechen sehr gute Argumente dafür, daß eine Ausschlußfrist von weniger als drei Monaten jedenfalls gegen den Kontrollmaßstab des § 307 BGB verstößt und damit unwirksam ist (vgl. nur Preis in Erf.Komm. zum ArbR, 4. Aufl. 2004, §§ 194 -- 218 BGB Rz. 47 ff.). Das gleiche gilt für Ausschlußfristen, die nur zu Lasten einer Vertragspartei -- regelmäßig der Arbeitnehmerseite -- vereinbart werden. Auch hier kann für die Praxis davon ausgegangen werden, daß solche Vereinbarungen im Arbeitsvertrag einer Inhaltskontrolle durch die Arbeitsgerichte nicht standhalten werden.

Viel weiter verbreitet und damit auch viel praxisrelevanter sind allerdings Ausschlußfristen, die zwar auf das Arbeitsverhältnis Anwendung finden sollen, deren Anwendung sich aber nicht direkt aus dem Arbeitsvertrag ergibt. Es handelt sich dann um Ausschlußfristen, die im Tarifvertrag vorgesehen sind und aufgrund Tarifbindung der Vertragsparteien oder aufgrund Verweisungsklausel im konkreten Arbeitsverhältnis wirken. Bei derartigen Verweisungsklauseln muß man sich mit der Diskussion einer eventuellen Inhaltskontrolle nach der Schuldrechtsreform zunächst nicht belasten: Denn tarifvertragliche Ausschlußfristen sind nach § 310 Abs. 4 BGB vom Anwendungsbereich der Inhaltskontrolle und Klauselverbote ausgenommen. Etwas anderes kann nur dann gelten, wenn es sich um eine Teilverweisung handelt, also eine Vertragspartei per arbeitsvertraglicher Verweisung nur die tarifvertraglichen Bestimmungen in den Arbeitsvertrag einbezieht, die ihr nach Art einer "Rosinentheorie" günstig erscheinen. In diesen Fällen sollen auch die so einbezogenen tarifvertraglichen Bestimmungen -- also auch Ausschlußklauseln -- der Inhaltskontrolle unterliegen.

Neuere und neueste Rechtsprechung des BAG

Seit dem Jahr 2002 hatte sich das BAG verstärkt mit dem Nachweis tarifvertraglicher Ausschlußfristen im Arbeitsvertrag vor allem vor dem Hintergrund der Nachweispflichten gemäß Nachweisgesetz (NachweisG) zu befassen. Im Urt. v. 23.1.2002 -- 4 AZR 56/01 geht das Gericht zunächst -- und diese Rechtsprechung wurde bis heute fortgesetzt -- davon aus, daß es sich bei in Tarifverträgen geregelten Ausschlußfristen um wesentliche Vertragsbedingungen nach § 2 Abs. 1 S. 1 NachweisG handelt, die spätestens einen Monat nach dem vereinbarten Beginn des Arbeitsverhältnisses schriftlich niedergelegt sein müssen und dem Arbeitnehmer auszuhändigen sind.

Das Gericht hält in dieser Entscheidung aber auch fest, daß kein gesonderter Nachweis einer tarifvertraglichen Ausschlußfrist notwendig ist, wenn die Frist sich aus einem Tarifvertrag ergibt, der wiederum im Arbeitsvertrag gemäß § 2 Abs. 1 S. 1 NachweisG nachgewiesen wurde. Das BAG leitet in dieser Entscheidung aus § 3 S. 2 NachweisG ab, daß von einem mündigen Arbeitnehmer verlangt werden kann, sich über tarifvertragliche Bestimmungen (gemeint sind hier vor allem die Ausschlußfristen) und auch deren eventuelle Änderung zu informieren. Nicht anerkennen will das Gericht auch insbesondere einen Grundsatz "Arbeitnehmer kennen Ausschlußfristen nicht". Weiter soll eine Berufung auf die Ausschlußfrist keine nach § 242 BGB für die Arbeitgeberseite eine unzulässige Rechtsausübung darstellen, wenn -- entgegen der Verpflichtungen nach § 8 TVG -- der anwendbare Tarifvertrag mit seiner Ausschlußfrist im Betrieb nicht an geeigneter Stelle zur Einsichtnahme durch die Arbeitnehmer ausgelegt wurde.

In seiner Entscheidung v. 17.4.2002 -- 5 AZR 89/01 führt das BAG diese Rechtsprechung in wesentlichen Punkten fort, indem es betont, daß der gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 10 NachweisG vorgeschriebene allgemeine Hinweis auf die anwendbaren Tarifverträge keinen besonderen Hinweis auf eine dadurch anwendbare Ausschlußfrist erfordert. Darüber hinaus soll es für die Arbeitgeberseite wiederum nach § 242 BGB nicht unzulässig sein, sich auf die Ausschlußfrist zu berufen, wenn der erforderliche Hinweis auf den anwendbaren Tarifvertrag unterblieb. In dieser Entscheidung weist das BAG allerdings auf einen in der Diskussion bis dahin neuen Aspekt hin, nämlich auf einen eventuellen Schadensersatzanspruch der Arbeitnehmerseite gemäß § 286 Abs. 1, § 284 Abs. 2, § 249 BGB a.F. Bei einem solchen Schadensersatzanspruch soll derjenige, dessen Rechte der Ausschlußfrist unterfallen, im Wege der Naturalrestitution so zu stellen sein, wie er bei rechtzeitigem Nachweis der Ausschlußfrist gestanden hätte. Das ist dann regelmäßig der Ersatz der durch die Ausschlußfrist untergegangenen Forderung. Das BAG arbeitet in dieser Entscheidung mit der Figur des "aufklärungsgemäßen Verhaltens". Hier wird unterstellt, daß bei einem Verstoß gegen die Nachweispflicht des § 2 Abs. 1 Nr. 10 NachweisG zugunsten des Arbeitnehmers zu vermuten ist, daß dieser die tarifliche Ausschlußfrist beachtet hätte, wenn er auf die Geltung des Tarifvertrags durch die Arbeitgeberseite hingewiesen worden wäre.

Diese Rechtsprechung wird im Urt. v. 24.10.2002 -- 6 AZR 743/00 fortgesetzt. Auch in dieser Entscheidung führt das BAG aus, daß dem Kläger -- dessen Nachtarbeitszuschläge einer tariflichen Ausschlußfrist unterfallen waren -- nach § 286 Abs. 1, § 284 Abs. 2, § 249 BGB a.F. ein Schadensersatzanspruch zustehen kann, der die Arbeitgeberin verpflichten sollte, den Kläger im Wege der Naturalrestitution so zu stellen, wie er bei rechtzeitigem (ordnungsgemäßem) Nachweis der tarifvertraglichen Ausschlußfrist gestanden hätte. Auch hier wird die Vermutung des aufklärungsgemäßen Verhaltens in die Prüfung einbezogen. Allerdings betont man, daß es -- neben dem allgemeinen Hinweis -- einer besonderen Information bezüglich der Ausschlußfrist nicht bedarf. Auch kann ein Verstoß gegen die Nachweispflicht -- im entschiedenen Fall gemäß § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 9 BBiG (im wesentlichen wortgleich mit § 2 Abs. 1 Nr. 10 NachweisG) -- grundsätzlich den Einwand des rechtsmißbräuchlichen Verhaltens gemäß § 242 BGB rechtfertigen.

Konsequent führt das BAG die Rechtsprechung im Urt. v. 5.11.2003 -- 5 AZR 469/02 weiter. In diesem Fall war nachträglich ein Haustarifvertrag in Kraft getreten, der eine Ausschlußfrist vorsah und dann auf das Arbeitsverhältnis des Klägers Anwendung fand. Der Arbeitnehmer hat im Klagewege geltend gemacht, daß seine Vergütungsansprüche dieser Ausschlußfrist nicht unterfielen, da er über den Abschluß des Haustarifvertrags nicht informiert worden wäre. Das BAG weist darauf hin, daß der Abschluß eines anwendbaren Tarifvertrags mit Ausschlußfrist eine Änderung der wesentlichen Vertragsbedingungen i.S.d. § 3 S. 1 NachweisG darstellt. Da der Tarifvertrag neu abgeschlossen wurde, war der Hinweis auch nicht nach § 3 S. 2 NachweisG entbehrlich. Denn es handelte sich hier nicht um eine Änderung des Tarifvertrags, sondern um einen Neuabschluß. Damit hätte eine Mitteilung über die damit verbundene Änderung der (Arbeits-)Vertragsbedingungen nach spätestens einem Monat in Schriftform erfolgen müssen. Es soll jedoch auch hier kein besonderer Nachweis über die Ausschlußfrist als solche, sondern nur auf den anwendbaren Tarifvertrag erforderlich sein. Im Ergebnis wurde die Klage zwar abgewiesen, aber nur, weil der Arbeitnehmer das Gericht mit seiner Argumentation, er habe vom einschlägigen Tarifvertrag nichts gewußt, nicht überzeugen konnte. Auch diese Entscheidung geht offenbar von der Möglichkeit eines Schadensersatzanspruchs gegen die Arbeitgeberseite bei unterbliebenem Nachweis aus.

Folgen für die betriebliche Praxis

Aus dieser Rechtsprechung ergeben sich für die Praxis folgende Merkposten:

Die Verweisung auf tarifvertragliche Ausschlußfristen ist einer formularmäßigen Vereinbarung von Ausschlußfristen vorzuziehen. Denn grundsätzlich scheidet dann eine Inhaltskontrolle der Ausschlußfrist insbesondere nach § 307 BGB wegen § 310 Abs. 4 S. 1 BGB aus. Nach der bisherigen BAG-Rechtsprechung ist es ausreichend, daß auf den Tarifvertrag, der die Ausschlußfrist vorsieht, hingewiesen wird. Ein ausdrücklicher Hinweis auf die Ausschlußfrist selbst muß im Arbeitsvertrag nicht erfolgen. Darüber hinaus kann natürlich auch ausdrücklich im Arbeitsvertrag auf die tarifvertraglich einschlägige Ausschlußfrist hingewiesen werden. Dann sollte man allerdings prüfen, ob es sich nicht nur um eine Teilverweisung handelt, die doch wieder eine Inhaltskontrolle nach § 307 BGB nach sich ziehen kann (Stichwort "Rosinentheorie"). Wenn Ausschlußfristen durch einen neuen Tarifvertrag auf ein Arbeitsverhältnis Anwendung finden, handelt es sich nach der Rechtsprechung um eine Änderung der wesentlichen Arbeitsvertragsbedingungen nach § 3 S. 1 NachweisG, die dem Arbeitnehmer schriftlich -- nachweisbar -- mitgeteilt werden müssen.

Wichtigster Punkt ist aber, daß das BAG offenbar im Grundsatz von einer Schadensersatzpflicht der Arbeitgeberseite bei unterbliebenem Hinweis auf Ausschlußfristen ausgeht. Die Betriebspraxis sollte daher besonderen Wert auf die Erfüllung der Nachweispflicht legen.

 

* Buse Heberer Fromm, Rechtsanwälte und Notare.

 


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