Dr. Volker Römermann,
Rechtsanwalt, Hannover*

Rechtsberatungsrecht im Umbruch

Anmerkungen zum Referentenentwurf eines Rechtsdienstleistungsgesetzes

Bereits in den Jahren 2003 (GmbHR 2003, R 25 -- Volltext) und 2004 (GmbHR 2004, R 209 -- Volltext) habe ich in GmbHR-Blickpunkten versucht, die Aufmerksamkeit auf eine Entwicklung zu lenken, die den Rechtsberatungsmarkt revolutionieren wird: Die bevorstehende Abschaffung des Rechtsberatungsgesetzes (RBerG). Es war klar, daß eine gegenständliche wie auch eine personelle Lockerung des (etwas unpräzise) sog. "Rechtsberatungsmonopols" der Rechtsanwälte kommen würde. Das BVerfG hatte die Vorgabe gemacht, daß simple Beratungstätigkeiten, die sich "irgendwie" in einem rechtlich relevanten Bereich bewegen, etwa die Fristenüberwachung in Patentsachen, nicht unter ein Monopol fallen können (BVerfG v. 29.10.1997 -- 1 BvR 780/87, NJW 1998, 3481 -- Masterpatent).

Vogel-Strauß-Politik der Anwaltsorganisationen

Der Aufruf, sich aktiv an der notwendigen Diskussion über die Abgrenzung von "simpler" und "anspruchsvoller" Rechtsbesorgung zu beteiligen (GmbHR 2003, R 25 [R 26] -- Volltext), verhallte bei den anwaltlichen Berufsverbänden weitgehend ungehört. Die Gesetzentwürfe von DAV und BRAK zogen es vielmehr vor, diese Kernfrage im wesentlichen auszuklammern, offenbar in der Hoffnung, der Gesetzgeber würde dann ebenfalls nicht darauf kommen. Die Erfahrung lehrt aber, daß eine "Vogel-Strauß-Politik" nur selten zu dem gewünschten Ergebnis führt. So ist es kein Wunder, daß der am 14.4.2005 vorgelegte Referentenentwurf des Bundesjustizministeriums zu einem neuen Rechtsdienstleistungsgesetz (RDG -- Volltext (PDF-Dokument)) die genannte Abgrenzung zu der entscheidenden Weichenstellung erhebt. Die Frage stellt sich nun also akut. Der Entwurf soll noch in diesem Jahr verabschiedet werden und 2007 in Kraft treten. Die Lösung, an die im BMJ derzeit gedacht wird, wäre für den Rechtsstaat ebenso wie für die Anwaltschaft katastrophal.

Nach § 1 RDG-E fallen nur noch "Rechtsdienstleistungen" in den Anwendungsbereich des Gesetzes. Eine Rechtsbesorgung, die keine Rechtsdienstleistung darstellt, darf im Ergebnis also von jedermann angeboten und erbracht werden. Was aber ist eine Rechtsdienstleistung? § 2 Abs. 1 RDG-E definiert das so:

"Rechtsdienstleistung ist jede Tätigkeit in konkreten fremden Angelegenheiten, die nach der Verkehrsanschauung oder der erkennbaren Erwartung des Rechtsuchenden eine vertiefte Prüfung der Rechtslage unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls erfordert."

Simple Treuhandmodelle

Für die Zukunft entscheidend ist also die Frage, wann eine Angelegenheit eine "vertiefte" Prüfung "erfordert". Die Entwurfsbegründung erläutert dazu (S. 66):

"Damit scheiden zunächst alle Lebensvorgänge aus dem Anwendungsbereich des Gesetzes aus, die ohne jede rechtliche Prüfung auskommen, weil sie nach Inhalt, Formen und Rechtsfolgen jedermann derart vertraut sind, daß sie nicht als 'rechtliche' Lebensvorgänge empfunden werden. ... Least zum Beispiel jemand ein Kfz, so weiß jeder Jurist, daß dies ein rechtlich komplexer Vorgang ist; gleichwohl empfindet der Leasingnehmer den Vertragsschluß regelmäßig ebenso wenig als rechtlich hervorhebenswerten Vorgang und somit im Kern ebenso alltäglich wie den Kauf eines Alltagsgegenstands. ... Diese Grundsätze gelten auch in den sog. 'Treuhandfällen' bei Bauträger- oder sonstigen Anlagemodellen ..."

Der Treuhandvertrag von Kapitalanlegern als "simpler" Vorgang? Dort, wo selbst Gesellschaftsrechtler häufig Schwierigkeiten haben, die Vertragswerke und das damit verbundene "Paragraphendickicht" zu verstehen -- nicht selten dient eine Hyperkomplexität der Verschleierung unlauterer Absichten --, soll der Anleger sich also auf sein "Empfinden" verlassen dürfen, soll er nicht gezwungen sein, den juristischen Profi einzuschalten? Das "Empfinden" ist am Anfang eigentlich immer gut, geschickte Verkäufer wissen angenehme Gefühle beim Vertragsabschluß zu erzeugen. In manchen Fällen kommt am Schluß ein bitteres Erwachen. Der BGH hat auf Basis des RBerG solche Verträge mit nichtjuristischen Treuhändern für nichtig erklärt (zuletzt BGH v. 22.2.2005 -- XI ZR 41/04, GmbHR 2005, 694 [LS] -- in diesem Heft -- Volltext).

Der Satzungsentwurf des Psychologen

Nach § 2 Abs. 3 Nr. 3 RDG-E ist keine Rechtsdienstleistung "die Mediation und jede vergleichbare Form der Streitbeilegung einschließlich der Fixierung einer Abschlußvereinbarung". Löst etwa ein Psychologe oder ein Betriebswirt die Streitigkeiten zwischen GmbH-Gesellschaftern im Wege der Mediation, dann darf er das Ergebnis auch gleich in die entsprechenden Worte fassen. Er darf. Kann er das aber auch? Jeder Praktiker weiß, daß eine Vereinbarung bei der Formulierung des vermeintlich schon gefundenen Ergebnisses häufig erst entsteht -- oder eben nicht. Der Teufel steckt im Detail. Blauäugig wäre es, anzunehmen, das bloße Niederschreiben im Sinne eines Protokolls würde keine rechtliche Regelung mehr bedeuten. Ob Mediation im übrigen schon während des Verfahrens einen juristischen oder einen nichtjuristischen Charakter hat, ist eine Frage des Einzelfalls. Mancher Mediator klammert rechtliche Aspekte völlig aus (mit dem Risiko, daß sich das gefundene Ergebnis überhaupt nicht umsetzen läßt). Andere berücksichtigen die rechtlichen Rahmenbedingungen von Anfang an. Die Erwähnung des Wortes "Mediation" allein sollte jedenfalls nicht ausreichen, um rechtliche Tätigkeiten durch Scharlatane zu legalisieren.

Nebenleistung Unternehmensnachfolgeberatung

Die Vorschrift des § 5 RDG-E erlaubt juristische "Nebenleistungen". Das sind Leistungen im Zusammenhang mit einer anderen beruflichen oder gesetzlich geregelten Tätigkeit,

"die eine zum Berufs- oder Tätigkeitsbild oder zur vollständigen Erfüllung der vertraglichen oder gesetzlichen Hauptpflichten gehörige Nebenleistung darstellen. Ob eine Nebenleistung vorliegt, ist nach Umfang und Inhalt dieser Leistung unter Berücksichtigung der beruflichen Qualifikation zu beurteilen, die für die Haupttätigkeit erforderlich ist."

Stets erlaubt sind Rechtsdienstleistungen im Zusammenhang mit Testamentsvollstreckung oder Fördermittelberatung. Auch im übrigen soll "eine kleinliche Sicht bei der Beurteilung, ob eine zulässige Annextätigkeit vorliegt, nicht angezeigt" sein (S. 76 der Entwurfsbegründung). Dies gilt nach Auffassung des BMJ etwa für die Sanierungs- oder Insolvenzberatung durch Diplom-Kaufleute oder --Wirtschaftsjuristen (FH), ferner für die Beratung über Gestaltungsmöglichkeiten hinsichtlich der Vermögens- oder Unternehmensnachfolge durch Banken. Kreditgewährung an den Käufer oder hoffnungsvollen Erbkandidaten in Kombination mit der Unternehmensnachfolge -- ein neues Leistungspaket der Kreditinstitute. Volljuristen, insbesondere anwaltliche Berater sind da überflüssig. Wohlgemerkt: Wir befinden uns hier im Bereich der Rechtsdienstleistungen (sonst wäre nach § 2 RDG-E das Gesetz gar nicht anwendbar), also gerade der komplexeren Angelegenheiten.

Sozietät mit jedermann

Soweit Rechtsdienstleistungen im Zusammenhang mit einer anderen Tätigkeit nicht nach anderen Vorschriften gestattet sind, dürfen sie gemäß § 5 Abs. 3 RDG-E "in Zusammenhang mit oder unter Hinzuziehung einer Person erbracht werden, der die entgeltliche Erbringung dieser Rechtsdienstleistungen erlaubt ist." Das soll "Lösungen aus einer Hand" ermöglichen: Das anbietende Unternehmen läßt die rechtlichen Leistungen durch anwaltliche Subunternehmer erbringen. Ergänzend hierzu schlägt der Gesetzentwurf vor, auch § 59a BRAO anzupassen. In dessen Abs. 4 S. 1 und 2 soll es dann schlicht heißen:

"Rechtsanwälte dürfen ihren Beruf gemeinschaftlich mit Angehörigen vereinbarer Berufe ausüben. Sie dürfen auch im Einzelfall einen Auftrag gemeinsam mit Angehörigen vereinbarer Berufe annehmen oder im Auftrag eines Angehörigen eines vereinbaren Berufs für dessen Vertragspartner Rechtsdienstleistungen erbringen."

S. 2 erlaubt somit gewerblichen Unternehmen die Leistungserbringung durch anwaltliche Erfüllungsgehilfen. Welche Berufe im Sinne des S. 1 "vereinbar" sind, ergibt sich aus der Rechtsprechung zu § 7 Nr. 8, § 14 Abs. 2 Nr. 8 BRAO. Außer dem Makler gibt es kaum Berufe, die danach unvereinbar sein sollen. Die im Grundsatz vernünftige Öffnung von Soziierungsmöglichkeiten etwa auf Ärzte oder Architekten, in der Praxis zuweilen sinnvoll für Kanzleien mit Schwerpunkten im Arzthaftungs- oder Baurecht, wird hier also im denkbar weitesten Ausmaß vorgenommen.

Gratis- und Verbandsberatung

Weitere tiefgreifende Neuerungen durch den Gesetzentwurf sind für den "klassischen" GmbHR-Leser von geringerer praktischer Bedeutung und sollen daher hier nur gestreift werden (ausführlich zu weiteren Aspekten des Entwurfs Römermann, DB 2005, 897 ff.):

§ 6 RDG-E gestattet unentgeltliche Rechtsdienstleistungen durch Familienangehörige, Nachbarn, Freunde und Bekannte, etwa Vereinskameraden oder Arbeitskollegen, ohne weiteres. Außerhalb dieses Personenkreises muß als weitere Voraussetzung hinzukommen, daß die Rechtsdienstleistung durch einen Volljuristen oder zumindest unter dessen "Anleitung" erbracht wird. Die Anleitung versteht die Entwurfsbegründung denkbar großzügig. Im wesentlichen reicht es, wenn der Volljurist eine Einweisung gibt und später noch für Fragen zur Verfügung steht. Ob der nichtjuristische Berater immer erkennt, wann er besser fragen sollte, bleibt offen. Durch § 7 RDG-E wird Verbänden aller Art die juristische Beratung erlaubt, sofern sie sich im Rahmen der Satzung hält und die sonstige Tätigkeit nicht dominiert. Hierdurch soll insbesondere dem ADAC der Auftritt auf dem Rechtsberatungsmarkt eröffnet werden. Auch Verbände sind gehalten, Rechtsdienstleistungen durch Volljuristen oder unter deren Anleitung erbringen zu lassen. Zudem müssen sie über die "erforderliche personelle, sachliche und finanzielle Ausstattung verfügen". Bei kleineren Verbänden soll darauf aber im Einzelfall verzichtet werden können. Inkassounternehmen müssen zukünftig in ein spezielles Rechtsdienstleistungsregister eingetragen werden. Sie dürfen dann erstmals auch vor Gericht auftreten, nämlich in Mahn-, Vollstreckungs- und Zwangsvollstreckungsverfahren.

Schlußbemerkung

Im Ergebnis wird das Gesetz Einfallstore für nichtjuristische Rechtsberater weit öffnen. Davon gehen unabsehbare Gefahren für das rechtsuchende Publikum aus. Wer Qualitätssicherung auf dem Rechtsberatungsmarkt für wichtig hält, wird den Gesetzentwurf ablehnen.

* RÖMERMANN Rechtsanwälte.


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