Ausländische Betriebsstätte: Abzugsausschluss von Verlusten aus Fremdenverkehrsleistungen gemeinschaftsrechtswidrig

EStG 1990 § 2a Abs. 3 S. 1, Abs. 1 Nr. 2 u. Abs. 2 S. 1; DBA-Österreich 1954 Art. 4, Art. 15 Abs. 1; EGV Art. 52, Art. 58 (EG Art. 43, Art. 48)

§ 2a Abs. 3 S. 1 i.V.m. Abs. 1 Nr. 2 u. Abs. 2 S. 1 EStG 1990 ermöglicht den Abzug eines Verlusts, der aus einer gewerblichen Betriebsstätte im Ausland stammt und (u.a.) ausschließlich oder fast ausschließlich die Bewirkung gewerblicher Leistungen zum Gegenstand hat, soweit diese nicht in der Errichtung oder dem Betrieb von Anlagen bestehen, die dem Fremdenverkehr dienen. Der Abzugsausschluss von Verlusten aus Fremdenverkehrsleistungen widerspricht der Niederlassungsfreiheit gemäß Art. 52 u. Art. 58 EGV, jetzt Art. 43 u. Art. 48 EG, und ist deshalb innerhalb der EU nicht anzuwenden (Anschl. an EuGH v. 29.3.2007 -- Rs. C-347/04 -- "Rewe Zentralfinanz", BStBl. II 2007, 492 = GmbHR 2007, 494 m. Rehm/Nagler).

BFH, Urt. v. 29.1.2008 -- I R 85/06

 

Aus den Gründen:

I.

Der im Inland in B wohnende Kläger (Kl.) bezog im Streitjahr 1996 Einkünfte aus selbständiger Arbeit als Masseur. Daneben betrieb er seit 1993 -- anfangs wohl zusammen mit seiner damaligen Ehefrau, ab 1996 jedenfalls allein -- unter der Firma "X-Mietwohnwagen" die Vermietung von ursprünglich zwei, später neun und im Streitjahr sieben Wohnwagen, die er Feriengästen zur Nutzung anbot. 1993 hatte er sich aus diesem Grund bei diversen Betreibern von Campingplätzen vornehmlich im Ausland (u.a. in Spanien und Italien) um die Anmietung von Dauerstellplätzen bemüht. Letztlich stellte er die Wohnwagen auf dem Campingplatz der Fremdenverkehrsgesellschaft mbH und Co. KG (KG) in Z (Österreich) ab.

Nach der vom Kl. am 15.7.1998 beim FA abgegebenen, allerdings nicht unterzeichneten Vereinbarung mit der KG hatte er sechs Stellplätze zu Festpreisen angemietet, von denen einer für einen Bürowohnwagen vorgesehen war. Bei Bedarf sollte er weitere Stellplätze zugewiesen bekommen. Der Kl. trägt demgegenüber vor, er habe die Wohnwagen nur bei Bedarf nach Z verbracht. Die Stellplätze seien entsprechend der tatsächlichen Nutzung fallweise angemietet und abgerechnet worden. Nach Beendigung der jeweiligen Vermietungszeit habe er die Wohnwagen nach B gebracht.

Der Kl. hatte für die Wohnwagenvermietung zusammen mit seiner früheren Ehefrau für die Jahre ab 1993 bei dem zuständigen österreichischen FA USt.-Erklärungen und Erklärungen zur Feststellung von (gemeinsamen) Einkünften aus Vermietung und Verpachtung abgegeben. Die Eheleute wurden erklärungsgemäß veranlagt. Für das Streitjahr hatte der Kl. mitgeteilt, dass die Vermietungsgemeinschaft scheidungsbedingt aufgelöst sei und er, der Kl., das Unternehmen allein weiterbetreibe. Er erklärte für das Streitjahr positive Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung i.H.v. 16.285 öS. 1997 veräußerte er die noch vorhandenen Wohnwagen für insgesamt 299.439 öS und stellte die Vermietung ein.

In Deutschland erklärte der Kl. ab 1993 gewerbliche Einkünfte aus der Wohnwagenvermietung. Bis zum Jahr 1995 wurden vom FA Verluste von insgesamt rd. 210.000 DM berücksichtigt. Bei der Veranlagung 1996 ging das FA demgegenüber davon aus, dass der Kl. die Wohnwagenvermietung ohne Gewinnerzielungsabsicht betrieben habe. Es ließ daher den für das Streitjahr geltend gemachten Verlust von rd. 64.000 DM nicht zum Abzug zu. Im anschließenden Einspruchsverfahren vertrat das FA die Auffassung, die Einkünfte aus der Wohnwagenvermietung seien (nur) in Österreich zu versteuern. Der Kl. habe in Z eine ständige Geschäftseinrichtung und somit eine Betriebsstätte unterhalten. Gemäß Art. 4 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen (DBA-Österreich 1954) v. 4.10.1954 (BGBl. II 1955, 833 = BStBl. I 1955, 434) stehe daher Österreich das Besteuerungsrecht für die Einkünfte aus der dortigen Betriebsstätte zu. Da die Wohnwagen ausschließlich dort zur Vermietung eingesetzt worden seien, seien ihr alle, auch die in B angefallenen Einnahmen und Ausgaben zuzurechnen.

Die dagegen gerichtete Klage hatte nur teilweisen Erfolg. Das FG gab dem FA in der Sache recht, berücksichtigte die in Rede stehenden Verluste jedoch im Rahmen des negativen Progressionsvorbehalts gemäß § 32b EStG 1990. Außerdem seien nicht sämtliche, sondern lediglich anteilige Betriebseinnahmen und Betriebsausgaben der in Österreich belegenen Betriebsstätte zuzuordnen (FG München v. 22.9.2006 -- 8 K 1299/06, EFG 2007, 334). ...

 

II.

Die Revision des Kl. ist begründet, diejenige des FA ist unbegründet. Die Vorinstanz hat im Ergebnis verkannt, dass der Ausschluss des Verlustausgleichs gemäß § 2a Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 S. 1 EStG 1990 nicht in Einklang mit den Grundfreiheiten des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EGV) steht und dass der Klage jedenfalls aus diesem Grunde stattzugeben war.

 

1.

Der im Inland ansässige Kl. war hier im Streitjahr mit seinen sämtlichen Einkünften (vgl. § 1 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 EStG) unbeschränkt steuerpflichtig. Unterstellt man -- mit dem FA und dem FG, aber entgegen dem Kl. --, Letzterer habe im Streitjahr in Österreich im Rahmen seiner gewerblichen Wohnwagenvermietung eine Betriebsstätte unterhalten, dann erwirtschaftete er in dieser Betriebsstätte Einkünfte aus einem gewerblichen Unternehmen i.S.v. Art. 4 Abs. 1 DBA-Österreich 1954, für die Österreich, auf dessen Gebiet sich die Wirkung des Unternehmens erstreckt, das Besteuerungsrecht hat. Für solche Einkünfte hat Deutschland nach Art. 15 Abs. 1 DBA-Österreich 1954 seinerseits kein Besteuerungsrecht. Die insoweit anzustellende Einkünfteermittlung richtet sich nach deutschem Recht.

 

2.

Da sich der Begriff der Betriebsstätteneinkünfte auf einen Nettobetrag bezieht, entspricht es ständiger Rechtsprechung des Senats, dass auch Betriebsstättenverluste aus der Bemessungsgrundlage der deutschen Steuer auszunehmen sind; das betrifft auch die mit Österreich vereinbarte Abkommenslage. Der Senat nimmt insoweit auf diese Rspr. Bezug (vgl. z.B. BFH v. 29.11.2006 -- I R 45/05, BFHE 216, 149 = BStBl. II 2007, 398 = GmbHR 2007, 503 [LS] m. Komm. Rehm/Nagler, m.w.N.).

 

3.

Allerdings wirkt sich die geschilderte Abkommenslage für gewerbliche Einkünfte aus einer in einem ausländischen Staat belegenen Betriebsstätte nach § 2a Abs. 3 S. 1 EStG 1990 nicht aus, falls der Steuerpflichtige beantragt, einen Verlust, der sich nach den Vorschriften des inländischen Steuerrechts bei diesen Einkünften ergibt, bei der Ermittlung des Gesamtbetrags der Einkünfte abzuziehen, soweit er vom Steuerpflichtigen ausgeglichen oder abgezogen werden könnte, wenn die Einkünfte nicht von der Einkommensteuer zu befreien wären, und soweit er nach dem betreffenden Doppelbesteuerungsabkommen zu befreiende positive Einkünfte aus gewerblicher Tätigkeit aus anderen in diesem ausländischen Staat belegenen Betriebsstätten übersteigt. Einen solchen Antrag hat der Kl. im Streitfall gestellt.

 

4.

Indem § 2a Abs. 3 S. 1 EStG 1990 den Verlustabzug davon abhängig macht, dass die betreffenden Einkünfte vom Steuerpflichtigen auch dann ausgeglichen oder abgezogen werden könnten, wenn sie nicht nach Maßgabe eines Doppelbesteuerungsabkommens von der Einkommensteuer zu befreien wären, scheitert der beantragte Verlustabzug indes, wenn und soweit die Beschränkungen des § 2a Abs. 1 u, 2 EStG 1990 vorliegen (vgl. z.B. Probst in Flick/Wassermeyer/Baumhoff, Außensteuerrecht, § 2a EStG Rz. 216; Probst in Herrmann/Heuer/Raupach, § 2a EStG Rz. 250; Mössner in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 2a Rz. D 75). Das ist nach § 2a Abs. 2 S. 1 EStG 1990 u.a. dann der Fall, wenn die negativen Einkünfte aus einer gewerblichen Betriebsstätte im Ausland stammen, die -- wie im Streitfall die Vermietung von Wohnwagen zu Urlaubszwecken -- dem Fremdenverkehr dient. Der Gesetzgeber wollte solche Tätigkeiten von der Verlustverrechnungsmöglichkeit des § 2a Abs. 3 EStG 1990 ausnehmen, denen aus seiner Sicht kein erkennbarer Nutzen für die deutsche Volkswirtschaft zukam oder die in nicht unerheblichem Umfang zu unerwünschten Steuersparmöglichkeiten genutzt wurden (vgl. BFH v. 17.10.1990 -- I R 182/87, BFHE 162, 307 = BStBl. II 1991, 136; BT-Drucks. 9/2074, S. 62).

Dieser Ausschluss von der Abzugsmöglichkeit widerspricht zwar nicht von vornherein verfassungsrechtlichen Grundsätzen. Die Befugnis des Gesetzgebers zu einer derartigen wirtschaftspolitischen Lenkung durch Steuergesetze wird, worauf das FG zutreffend hingewiesen hat, vom BVerfG in st. Rspr. anerkannt (vgl. BVerfG v. 22.5.1963 -- 1 BvR 78/56, BVerfGE 16, 147 [161]). Der Ausschluss von der Abzugsmöglichkeit widerspricht jedoch gemeinschaftsrechtlichen Anforderungen. Wie der EuGH zwischenzeitlich in seinem Urt. v. 29.3.2007 -- Rs. C-347/04 -- "Rewe Zentralfinanz", BStBl. II 2007, 492 = GmbHR 2007, 494 m. Komm. Rehm/Nagler, auf das i.Ü. verwiesen wird (unter Tz. 53), unmissverständlich ausgeführt hat, geht "§ 2a Abs. 2 EStG 1990 (...) über das hinaus, was zur Bekämpfung missbräuchlicher Konstruktionen erforderlich ist, indem er von den in ihm aufgelisteten 'aktiven' Tätigkeiten u.a. die Errichtung oder den Betrieb von Anlagen, die dem Fremdenverkehr dienen, ausnimmt. Die Bekämpfung der Steuerumgehung kann nicht rechtfertigen, dass die negativen Einkünfte aus einer gewerblichen Betriebsstätte im Ausland, die die Bewirkung gewerblicher Leistungen zum Gegenstand hat, generell unbeschränkt mit positiven Einkünften ausgeglichen werden können, während bei Betriebsstätten, die eine Tätigkeit auf dem Gebiet des Fremdenverkehrs ausüben, der Ausgleich mit positiven Einkünften von verschiedenen Voraussetzungen abhängig gemacht wird". Der EuGH hat deswegen im Ergebnis entschieden, dass die Verlustabzugsbeschränkung in § 2a Abs. 3 S. 1 EStG 1990 gegen die Niederlassungsfreiheit gemäß Art. 52 und Art. 58 EGV (jetzt Art. 43 und Art. 48 i.d.F. des Vertrages von Amsterdam zur Änderung des Vertrages über die Europäische Union, der Verträge zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften sowie einiger damit zusammenhängender Rechtsakte -- EG --, ABlEG 1997 Nr. C-340, 1) verstößt.

Diese aufgrund des Anwendungsvorrangs gemeinschaftsrechtlichen Primärrechts (und damit der gemeinschaftsrechtlichen Grundfreiheiten) vor nationalem Recht verbindliche gemeinschaftsrechtliche Beurteilung durch den EuGH ist auch im Streitfall einschlägig. Zwar ist derzeit noch unbeantwortet, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen und Bedingungen der Ansässigkeitsstaat eines Gewerbetreibenden aus gemeinschaftsrechtlichen Gründen verpflichtet ist, Verluste, die dieser Gewerbetreibende in einem anderen Mitgliedstaat durch eine dort belegene Betriebsstätte erleidet, zum Abzug zuzulassen. Der Senat verweist insoweit auf das vom ihm durch den Beschl. v. 28.6.2006 -- I R 84/04, BFHE 214, 270 = BStBl. II 2006, 861 = GmbHR 2006, 1282 (s. auch BFH v. 29.11.2006 -- I R 45/05, BFHE 216, 149 = BStBl. II 2007, 398 = GmbHR 2007, 503 [LS] m. Komm. Rehm/Nagler) an den EuGH gerichtete einschlägige Vorabentscheidungsersuchen in der Rechtssache "Lidl Belgium" (beim EuGH unter dem Az. C-414/06 anhängig). Unter den Gegebenheiten des Streitfalls kommt es darauf jedoch nicht an. Denn der deutsche Gesetzgeber hat sich in § 2a Abs. 3 S. 1 EStG 1990 prinzipiell und ggf. unbeschadet einer entsprechenden gemeinschaftsrechtlichen Verpflichtung dafür entschieden, einen solchen Verlustabzug zu ermöglichen. Ist diese gesetzgeberische Entscheidung aber gefallen, muss sie sich ihrerseits an den Grundfreiheiten des EG-Vertrages messen lassen und ist sie in einer diskriminierungs- und beschränkungsfreien Weise durchzuführen. Das ist die Konsequenz des verfassungs- wie gemeinschaftsrechtlichen Konsistenzgebots (s. dazu z.B. EuGH v. 24.3.1994 -- Rs. C-275/92 -- "Schindler", ABlEG 1994, Nr. C-120, 5; v. 21.9.1999 -- Rs. C-124/97 -- "Läärä", EuGHE I 1999, 6067; v. 21.10.1999 -- Rs. C-67/98 -- "Zenatti", EuGHE I 1999, 7289; Tettinger, Gewerbearchiv 2005, 49, m.w.N.). Daran fehlt es, wie aufgezeigt, aber, wenn sie gewerbliche Auslandsaktivitäten auf dem Gebiet des Fremdenverkehrs pauschal und unspezifisch zur Abwehr von etwaigen Missbräuchen von der Begünstigung ausspart.

 

5.

Der Senat erachtet die aufgezeigte Gemeinschaftsrechtslage zwischenzeitlich als eindeutig. Sie entspricht den Aussagen des EuGH-Urt. v. 29.3.2007 -- Rs. C-347/04 "Rewe Zentralfinanz", BStBl. II 2007, 492 = GmbHR 2007, 494 m. Rehm/Nagler, und war damit bereits Gegenstand einer Auslegung durch den Gerichtshof. Einer abermaligen Vorlage an den EuGH gemäß Art. 234 Abs. 3 EG bedurfte es deshalb nicht (vgl. EuGH v. 6.10.1982 -- Rs. 283/81 -- "C.I.L.F.I.T.", EuGHE 1982, 3415).

 

6.

Die von der Vorinstanz vertretene Rechtsauffassung weicht davon ab. Ihr Urteil war aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Insbesondere steht mittlerweile zwischen den Beteiligten außer Streit, dass der Kl. das Unternehmen der gewerblichen Wohnwagenvermietung jedenfalls im Streitjahr allein -- also ohne seine frühere Ehefrau -- mit Gewinnerzielungsabsicht betrieben hat (vgl. § 15 Abs. 2 EStG 1990). Der festgestellte Sachverhalt gibt auch keinen Anlass für die Annahme, der Kl. habe den Vermietungsbetrieb in Österreich in einer rechtsmissbräuchlichen Weise zum Zwecke der Verlustverrechnung unterhalten; solches wird auch vom FA nicht behauptet. Der angefochtene ESt.-Bescheid ist deshalb entsprechend zu ändern, wobei die Ermittlung und Berechnung des festzusetzenden Steuerbetrags dem FA nach Maßgabe der Gründe dieser Entscheidung unter Abzug der in Rede stehenden Verluste überlassen wird (§ 100 Abs. 2 S. 2 FGO).




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