Dr. Wolfgang Lingemann,
Rechtsanwalt, Köln*

GmbH-Geschäftsführer und AG-Vorstände: "Wenn ich einmal reich wär’, …"

… das hätten die meisten von ihnen wohl gerne noch nach Silvester 2006 gesungen. Doch die Große Koalition möchte es anders und erfindet mit dem neuen "Steueränderungsgesetz 2007" eine "Reichensteuer", die als Zuschlag von 3% auf diejenigen zukommt, deren zu versteuerndes Einkommen mehr als 250.000 € (bei Verheirateten: 500.000 €) beträgt (BT-Drucks. 16/1545). Nach der bundesweiten Umfrage der BBE Steuerpraxis, des Deutschen Steuerberaterverbandes und des Wirtschaftsmagazins "impulse" über die Höhe der GmbH-Geschäftsführervergütungen 2005/06 (GmbHR 2005, R 413) dürften immerhin knapp 8 % aller befragten Geschäftsführer "reich" im Sinne des neuen Einkommensteuergesetzes sein. Die Reichensteuer wird aber für Bezieher von Gewinneinkünften -- also Gewerbetreibende, Freiberufler und die Landwirte -- wieder durch eine Sonderregelung aufgehoben, weil angesichts der 2008 zu erwartenden Unternehmenssteuerreform, bei der dann unternehmerische Einkünfte entlastet werden sollen, die jetzige Reichensteuer "das falsche Signal wäre", wie es der Gesetzgeber selbst feststellt. So trifft es faktisch vor allem Angestellte, Vermieter, Kapitalvermögensinhaber und diejenigen, denen nicht die Flucht in gewerbliche Einnahmen gelingt. Der harmlose Name "Steueränderungsgesetz 2007" verdeckt, dass es sich in Wahrheit wieder um ein "Steuererhöhungsgesetz" handelt. Das Kartell der Kassierer in Berlin hat mit einer "Steuererhöhungsorgie" begonnen, das meint nicht nur die FAZ v. 20.5.2006, S. 11.

Jetzt gibt es immerhin zum ersten Mal eine gesetzliche Festlegung, wer denn genau "reich" ist, weil sog. "Spitzenverdiener", und wer noch "arm" geblieben ist. Der Finanzminister Peer Steinbrück wird durch die Reichensteuer jedenfalls nicht "reich", denn diese soll nur 1,3 Mrd. € an Steuermehreinnahmen bringen. Bei einem Haushaltsvolumen von 500 Mrd. € ist das ein Scherz. Doch der parteiideologische Befriedigungseffekt ist natürlich viel (ge)wichtiger! Das gesamte Mehraufkommen des Steueränderungsgesetzes 2007 mutet mit 4,389 Mrd. € ohnehin eher bescheiden an. Viel Ärger also, und nur wenig Effekt.

Wie sollen sich GmbH-Geschäftsführer nun verhalten, um steuerlich günstiger zu fahren? "Heiraten, heiraten, heiraten!!!" rufen die Familienpolitiker, das verdoppelt die Reichtumsschwelle. Kontraproduktiv wäre es sicher, sich bei einem Einkommen von z.B. 499.000 € scheiden zu lassen und dadurch "reich" im Sinne der Reichensteuer zu werden, wie der Glossist Cato in der Finanz-Rundschau 12/2006 feststellt. Bedeutet doch die Scheidung eines Gutverdienenden oft nach derzeitigem Recht schon seinen pekuniären Ruin, setzt der Eintritt in die Reichensteuer ihm dann weiter zu.

Was bleibt einem reichen GmbH-Geschäftsführer noch anderes übrig, als sein zu versteuerndes Einkommen unter die Schwelle von 250.000/500.000 € zu drücken? Sein steuerlicher Berater wird kaum mehr dafür plädieren, so weit wie möglich vom Unternehmen wegzuziehen, um Fahrtkosten zu vermehren. Denn auch hier reibt sich der Leser des Steueränderungsgesetzes 2007 verwundert die Augen: Im neuen Text der §§ 4 und 9 EStG werden kurzerhand die Fahrten zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte sowie Familienheimfahrten aus den Betriebsausgaben und Werbungskosten hinwegdefiniert und ein Prinzip neu eingeführt, dass steuerlich relevante Beschäftigung nicht schon vor, sondern erst hinter dem "Werkstor" beginnen soll. Erst ab dem 21. Entfernungskilometer werden dann Fahrtkosten "wie" Betriebsausgaben oder Werbungskosten abziehbar gestellt. Das ist in den Augen des Gesetzgebers eine Härtefallregelung für rund 17 % der Pendler, die eine längere Wegstrecke als 25 km zur Arbeit zurücklegen. Heureka, das Gesetz hat "Quasi-Betriebsausgaben" und "Quasi-Werbungskosten" erfunden, das kannten wir noch nicht! Doch auch berufsbedingte Kinderbetreuungskosten sollen nach dem neuen § 4f EStG "wie" Betriebsausgaben und Werbungskosten abziehbar werden, aber nicht "als" solche (durch das soeben verkündete Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetz, BGBl. I 2006, 1091). Das alles könnte empfindliche Weiterungen für die Einkommensgrenzen und -begriffe im Zivil-, Arbeits-, Sozial- und Versicherungsrecht haben. Oder werden dann die "Quasi-Kosten" ebenfalls wieder aus den Bemessungsgrundlagen herausgerechnet und diesmal unbeschränkt?

Man kann nur hoffen, dass das ausgerufene "Werkstorprinzip" nicht ganz ernst gemeint und nicht für alle Erwerbsausgaben gültig ist. Denn es wird dadurch eine Vielzahl von weiteren Ausgaben erodiert, die zwar zum Zweck der Beschäftigung anfallen, aber eindeutig räumlich vor den Toren des Unternehmens verursacht sind, angefangen von den Bewerbungskosten, denen der doppelten Haushaltsführung und für Übernachtungen außerhalb des Betriebs bis zu den Umzugskosten. Wer zieht schon hinter das Werkstor um? Und -- anders als es der Gesetzgeber im Steueränderungsgesetz 2007 selbst für streichungswürdig befindet -- es wären doch wohl Kosten eines häuslichen Arbeitszimmers wegen der geographischen Lage vor dem Werkstor ebenso nicht mehr abziehbar. Also, der Federstrich des Gesetzgebers, mit dem er ein "Werkstorprinzip" bei den Fahrtkosten begründet, könnte ganze Bibliotheken von Kommentaren und Gerichtsentscheidungen makulieren. Und er provoziert Sprüche aus Karlsruhe. Werden die Steuern also erhöht und damit der Spielraum begrenzt, etwas auf die hohe Kante zu legen, passt es nur zu gut, dass auch der Sparerfreibetrag ab 2007 auf 750/1.500 € fast halbiert werden soll. Für das Jahr 1993 hatte Deutschlands damaliger Kassenwart Theo Waigel noch gehofft, durch Verzehnfachung des Sparerfreibetrags auf 6.000/12.000 DM steuerscheue Rehe zurück an den Futtertrog in Deutschland zu locken. Doch wie wir hörten, hat sich anscheinend bisher lediglich ein südtiroler Braunbär zeitweise nach Bayern verirrt, offenbar aber nur auf der Suche nach einem Weibchen ...

"Über alle Berge, ab in den Süden", denkt jetzt der geschundene GmbH-Geschäftsführer oder Vorstand. Der Grenzübertritt scheint aber nicht nur für Bären, sondern auch für Kapitalgesellschaften und deren Anteilsinhaber gefährlich zu werden: Aus Berlin hört man auch von dem Entwurf eines "Gesetzes über steuerliche Begleitmaßnahmen zur Einführung der Europäischen Gesellschaft und zur Änderung weiterer steuerrechtlicher Vorschriften", dass zwar u.a. in der EU grenzüberschreitende Umwandlungen erstmals unter dem Regiment des Unwandlungssteuergesetzes ermöglicht und die sog. Wegzugsbesteuerung natürlicher Personen grundlegend neu geordnet werden sollen. Insbesondere die Wegzugsbesteuerung werde europarechtskonform gemacht. Damit verbindet sich aber wohl ganz überwiegend ein Gewinnrealisierungszaun, der im Falle der "Beschränkung" deutscher Besteuerungsrechte zur sofortigen Gewinnrealisierung ohne tatsächlichen Liquiditätsgewinn führt. Auch ausländische Verluste dürfen nicht nach Deutschland herein. Das Kanzleramt soll jedoch von allerhöchster Stelle aus den für den 31.5.2006 geplanten Kabinettsbeschluss zu diesen Regelungen abgesetzt und Peer Steinbrück die Erledigung weiterer europarechtlicher Hausaufgaben aufgegeben haben (Handelsblatt v. 1.6.2006, S. 4). Das Ringen um dieses fundamentale neue Steuergesetz hält also noch an. Am 14.6.2006 wird das Bundeskabinett das nächste Mal in Klausur gehen. Über den "Wasserstand" werden GmbHR und FR ihre Leser/innen auf dem Laufenden halten (zu den geplanten Änderungen im EStG, KStG und GewStG s. bereits Schönherr/Lemaitre, GmbHR 2006, 561, zu geplanten Änderungen bei grenzüberschreitenden sowie inländischen Verschmelzungen Hahn, GmbHR 2006, 617 sowie Prinz zu Hohenlohe/Rautenstrauch/Adrian, GmbHR 2006, 623 -- beide in diesem Heft).

Beim ersten Versuch im Bundestag, das Steueränderungsgesetz 2007 an einem Freitagabend nach 18:00 Uhr zu beschließen, ist die Beschneidung der Pendlerpauschale i.Ü. wegen zu vieler nach Hause gependelter Bundestagsabgeordneter gescheitert. Doch die Schadenfreude darüber hält nicht lange an ...

 

* Schriftleiter der Finanz-Rundschau.



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