Dr. Norma Studt,
Rechtsanwältin und Fachanwältin für Arbeitsrecht, Hamburg*

 

Ethikrichtlinien: Verhaltenskodex oder Code of Conduct -- die neue Herausforderung für deutsche Unternehmen

 

Ethikrichtlinien -- warum?

Deutsche Unternehmen führen verstärkt sog. Ethikrichtlinien ein. Sie finden ihre Ursache häufig in dem US-amerikanischen Sarbanes Oxley Act (SOX). Er fordert von börsennotierten Unternehmen in den USA, zum Schutze der Anleger Wirtschaftskriminalität und sonstiges Fehlverhalten im Rechnungs- und Bankwesen baldmöglichst aufzudecken. SOX verpflichtet auch deutsche Unternehmen zu entsprechenden Maßnahmen, wenn ihre Muttergesellschaft in den USA börsennotiert ist. Die Maßnahmen werden etwa in Form eines Verhaltenskodexes oder Code of Conduct eingeführt. Durch sie sollen Haftungsrisiken des Unternehmens durch die vorgesehene Organisation von Abläufen sowie Vorgaben zum Verhalten vermieden werden ("Compliance"). Mittlerweile verpflichten sich auch viele Unternehmen, die weder selbst börsennotiert sind noch deren Muttergesellschaft an SOX gebunden ist, zur Einhaltung bestimmter Verfahrensabläufe und/oder Meldeverfahren für Verstöße. Die einen planen vielleicht einen Börsengang, die anderen arbeiten mit Unternehmen zusammen, die auch von ihren Zulieferern die Einhaltung der eigenen Standards verlangen.

 

Inhalt von Ethikrichtlinien

Der Inhalt von Ethikrichtlinien ist vielfältig. Manche weisen den Arbeitnehmer nur darauf hin, dass er sich allen Gesetzen, internen Vorschriften und Weisungen gemäß zu verhalten hat und Verstöße anderer melden soll oder muss. Häufig sind Ethikrichtlinien aber von einer Fülle von Verhaltensregelungen geprägt, die weit über das hinausgehen, was etwa SOX zum Schutze der Anleger im Rechnungs- und Bankwesens fordert. Von dem Verbot der Alkohol- und Drogeneinnahme, der Annahme von Geschenken oder der Kinderarbeit über den Umgang mit Medienanfragen oder Wertpapierankäufen, der Verpflichtung zur Meldung von Konflikten, etwa durch Konkurrenztätigkeiten von Familienangehörigen, bis hin zu Regelungen zur Nutzung von technischen Einrichtungen (z.B. Telefon, E-Mail, Internet) sind fast alle denkbaren Verhaltensanweisungen vertreten. Bei Verstoß gegen die Vorgaben sind zumeist Disziplinarmaßnahmen vorgesehen.

Ein typisches Merkmal von Ethikrichtlinien ist das sog. Whistleblowing-System ("whistleblowing" -- zu Deutsch "verpfeifen"), ein System, im Rahmen dessen Arbeitnehmer das Fehlverhalten anderer Arbeitnehmer melden, zumeist telefonisch über eine sog. Hotline oder per E-Mail. Dabei wird Geheimhaltung oder Anonymisierung der Angaben versprochen.

Grund für den teilweise erheblichen Umfang von Verhaltenspflichten in Ethikrichtlinien, die etwa US-börsennotierte Muttergesellschaften auflegen, dürfte die mangelnde gesetzliche Regelungsdichte im eigenen Land sein. Die Einführung von Ethikrichtlinien birgt aber in Deutschland eine ganze Reihe von arbeits- und datenschutzrechtlichen Problemen.

 

Umsetzung gegenüber den Arbeitnehmern

Verpflichtungen, die nur die Arbeit des Arbeitnehmers konkretisieren, sind zumeist von § 106 GewO gedeckt. Danach darf der Arbeitgeber die Arbeitsleistung nach Inhalt, Ort und Zeit nach billigem Ermessen näher bestimmen. Dieses Weisungsrecht gilt aber nur für bereits bestehende vertragliche (Neben-)Pflichten, nicht für deren Erweiterung.

Regelungen, die etwa Vorgaben zur Einhaltung von Wertpapierhandelsbestimmungen (z.B. Insiderregeln), zur Bilanzierung und Rechnungslegung oder kartellrechtlichen Bestimmungen enthalten, zum Umgang mit Pressemitteilungen (LAG Düsseldorf v. 14.11.2005 -- 10 TaBV 46/05 -- "Wal-Mart") oder technischen Kommunikationseinrichtungen, zur Annahme von Geschenken oder die Verpflichtung zur Meldung von Verstößen können daher durch Übergabe des Verhaltenskodexes und Kenntnisnahme (am besten gegen Empfangsquittung) eingeführt werden. Dies gilt auch für Regelungen zum außerdienstlichen Verhalten der Arbeitnehmer, wenn dieses die Arbeitsleistung beeinträchtigt, z.B. das Verbot bestimmter Nebentätigkeiten oder der Einnahme von Alkohol vor Dienstbeginn. Vielfach gehen aber die Regelungen der Ethikrichtlinien über die Konkretisierung von Arbeitspflichten hinaus, betreffen etwa das außerdienstliche Verhalten. Dann müssen sie in der Regel mit dem Arbeitnehmer vereinbart werden. Solche Bestimmungen finden aber ihre Grenzen in dem verfassungsrechtlich geschützten Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers.

Während der Arbeitgeber bestimmte Arbeitnehmergruppen zur Einhaltung von Wertpapierhandelsvorschriften und Insiderrichtlinien verpflichten kann, ist nicht in jedem Fall die Offenlegung von privaten Wertpapiergeschäften zulässig (BAG v. 28.2.2002 -- 1 ABR 32/01). Auch dürfen Liebesbeziehungen unter Angestellten nicht untersagt werden (LAG Düsseldorf v. 14.11.2005 -- 10 TaBV 46/05 -- "Wal-Mart"), während sexuelle Belästigung verboten ist.

Ein bereits entstandener Individualanspruch des Arbeitnehmers durch betriebliche Übung, etwa durch die Duldung der Privatnutzung von Telefon, E-Mail und Internet, kann durch die Einführung des Verhaltenskodexes nicht ohne weiteres beseitigt werden. Schließlich unterliegen Ethikrichtlinien der allgemeinen Inhaltskontrolle für Standardarbeitsbedingungen gemäß §§ 305 ff. BGB. Einzelne Bestimmungen können danach unwirksam sein, wenn sie den Arbeitnehmer unangemessen benachteiligen bzw. zu pauschal formuliert und damit nicht klar und verständlich sind.

 

Beteiligung des Betriebsrats

Ob die Einführung des gesamten Regelungskomplexes "Ethikrichtlinie" mitbestimmungspflichtig ist, ist streitig, wenngleich wohl zu verneinen. Jedenfalls aber enthalten Ethikrichtlinien häufig diverse Einzelregelungen, die der Mitbestimmung des Betriebsrats nach dem BetrVG unterliegen. Dabei ist in vielen Fällen streitig, ob ein Mitbestimmungsrecht tatsächlich besteht, und zwar insbesondere im Bereich der Fragen der Ordnung des Betriebs und des Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG. Während das sog. Ordnungsverhalten der Arbeitnehmer der Mitbestimmung des Betriebsrats unterliegt, sind Regelungen und Anweisungen, die das Arbeitsverhalten der Arbeitnehmer betreffen, mitbestimmungsfrei. Die Differenzierung ist häufig schwierig.

Alkohol- und Drogenverbote sind etwa von der Mitbestimmung erfasst. Streitig ist, ob Vorgaben zum generellen Umgang mit Medienanfragen der Konkretisierung des Arbeitsverhaltens dienen oder dem mitbestimmungspflichtigen Ordnungsverhalten zuzuordnen sind. Mitbestimmungsfrei sind regelmäßig Vorgaben zur Bearbeitung von Vorgängen im Bereich des Rechnungslegungs- oder Buchführungswesens, während Beschränkungen im Wertpapierhandel von Mitarbeitern jedenfalls dann der Mitbestimmung unterliegen, wenn allgemeine Meldeverfahren vorgesehen sind. Die Verpflichtung des Mitarbeiters, das Unternehmen über Konkurrenztätigkeiten von Familienangehörigen zu informieren, besteht zwar zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer und betrifft deshalb nicht das Zusammenwirken der Arbeitnehmer im Betrieb. Gleichwohl ist hier kein unmittelbarer Zusammenhang zur geschuldeten Arbeitsleistung des Arbeitnehmers selbst gegeben, so dass ein Mitbestimmungsrecht bestehen dürfte. Der Einsatz von technischen Einrichtungen (z.B. Telefon, E-Mail und Internet), die dazu geeignet sind, das Verhalten oder die Leistung des Arbeitnehmers zu kontrollieren, unterliegt zudem der Mitbestimmung gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG.

 

Zulässigkeit von Sanktionen

Effektiv sind Ethikrichtlinien nur, wenn Verstöße sanktioniert werden. Aber selbst wenn die Ethikrichtlinien Sanktionen bis hin zur fristlosen Kündigung vorsehen: In Deutschland richtet sich das Recht zur Abmahnung oder verhaltensbedingten Kündigung bei Verstößen nach den Vorgaben des KSchG. Danach können zwar Verstöße gegen Verpflichtungen aus Ethikrichtlinien bei besonderer Schwere Gegenstand einer außerordentlichen Kündigung sein. Regelmäßig rechtfertigen sie aber nur eine Abmahnung oder eine fristgemäße Kündigung.

 

Datenschutz

Insbesondere Whistleblowing-Systeme sind auch datenschutzrechtlich relevant. Eine europäische Datenschutzgruppe, nach Art. 29 der RL 95/46/EG genannt "Art. 29-Gruppe", hat (unverbindliche) Empfehlungen zur erleichterten Einführung von Whistleblowing-Systemen unter SOX abgegeben. Danach dürfen jedoch Hotlines nur verwendet werden, wenn dies unmittelbar dem Schutz der Anleger dient, also etwa Mitarbeiter der Rechnungslegung oder Wirtschaftsprüfung zur Bekämpfung von Korruption zur Meldung verpflichtet werden, die Meldung nicht anonym erfolgt und allgemeine Datenschutzgrundsätze eingehalten werden, wie die begrenzte Dauer der Datenspeicherung, Einsichtnahmerechte etc. Ob diese Beschränkungen von der Rechtsprechung anerkannt werden, bleibt allerdings abzuwarten.

Die Übermittlung von persönlichen Daten aus dem anstellenden Unternehmen heraus ist besonders kritisch, wenn sie in einen unsicheren Drittstaat erfolgt, der nicht an die europäischen Datenschutzstandards gebunden ist, z.B. an eine Hotline in den USA. Dann müssen Vorkehrungen getroffen werden, nach denen die europäischen Datenschutzstandards eingehalten werden, etwa durch Anwendung der europäischen Standardvertragsklauseln. Im Übrigen bedarf es der schriftlichen Einwilligung des Arbeitnehmers in die Erhebung, Verarbeitung und Nutzung seiner persönlichen Daten einschließlich der Übermittlung, wenn die persönlichen Daten bei einem anderen als dem anstellenden Unternehmen verarbeitet werden, und zwar auch, wenn es sich um Konzernunternehmen handelt. Die Einwilligung ist nur wirksam, wenn die Art der persönlichen Daten und der Grund für sowie der Umgang mit den persönlichen Daten sehr genau beschrieben werden. Wird die Einwilligung im Zusammenhang mit anderen Erklärungen abgegeben, z.B. der Bestätigung der Kenntnisnahme des Verhaltenskodexes, ist sie zudem besonders hervorzuheben (§ 4a Abs. 1 S. 4 BDSG).

 

 

 

*              Latham & Watkins LLP.



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