Vorschlag der Kommission für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Anwendung internationaler Rechnungslegungsgrundsätze

Bezug: Mein Schreiben vom 25.7.2000 – III A 3 - 9522/1 - 3 - 1a SH 36 - 32 1106/2000 
(GmbHR 2000, 978 – Volltext auch unter http//www.gmbhr.de/volltext.htm)

BMJ, Schr. v. 17.4.2001 – III A 3 - 9522/1 - 3 - 1a SH 37 - 32 0/2001

Sehr geehrte Damen und Herren,

die Europäische Kommission hat am 13.2.2001 einen Verordnungsvorschlag vorgelegt, mit dem wichtige Änderungen auf dem Gebiet des europäischen Bilanzrechts vorgeschlagen werden. Das betreffende Dokument trägt die Bezeichnung "Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates betreffend die Anwendung internationaler Rechnungslegungsgrundsätze" und ist im Internet unter folgender Adresse veröffentlicht: http://europa.eu.int/eur-lex/de/com/pdf/2001/de_501PC0080.pdf.

1. Ziel des Kommissionsvorschlags

Wesentliches Ziel des Kommissionsvorschlags ist es vom Jahre 2005 an die Konzernrechnungslegung kapitalmarktorientierter Unternehmen in der EU an international anerkannte Grundsätze anzupassen, um so einen Beitrag zur weiteren Integration der europäischen Wertpapiermärkte zu leisten und die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Unternehmen auf den in hohem Maße globalisierten Kapitalmärkten zu stärken.

2. Inhalt

Der Verordnungsvorschlag der Kommission hat folgendes zum Inhalt:

a) Unternehmen, die an einem organisierten Kapitalmarkt tätig sind oder einen Börsenprospekt zur Zulassung an diesem Markt erstellen, sollen verpflichtet werden, ab 2005 in ihren Konzernabschlüssen zwingend die International Accounting Standards (IAS) anzuwenden.

b) Für die Konzernabschlüsse der übrigen, nicht am organisierten Kapitalmarkt tätigen Unternehmen und die Einzelabschlüsse aller Kapitalgesellschaften soll die Anwendung der IAS als Option vorgesehen werden. Die Mitgliedstaaten sollen hierzu die Möglichkeit erhalten, die Anwendung dieser Bilanzgrundsätze vorzuschreiben oder als Unternehmenswahlrecht zuzulassen.

c) Über die Anwendung der IAS im einzelnen soll die Kommission unter Beteiligung der Mitgliedstaaten in einem besonderen Verfahren (Komitologieverfahren) entscheiden, das der Konkretisierung und Aktualisierung der Verordnung als Basisrechtsakt dient. Hierzu wird ein mit Vertretern der Mitgliedstaaten besetzter Regelungsausschuß eingesetzt, in dem die Kommission den Vorsitz führt. Für das Verfahren des Ausschusses gilt Art. 5 des sog. Komitologiebeschlusses vom 28.6.1999 (1999/468/EG).

Neben dem Regelungsausschuß soll ein – im verfügenden Teil des Verordnungstextes allerdings nicht verankerter, lediglich in den Erwägungsgründen erwähnter – Technischer Ausschuß unter Hinzuziehung interessierter Kreise (insbesondere Standardsetter, Wirtschaftsprüfer, Rechnungsleger aus dem Unternehmensbereich und Finanzenalysten) eingesetzt werden, der die Kommission berät und engen Kontakt mit dem IASC hält, um auf den Prozeß der Erarbeitung neuer oder der Änderung bestehender IAS bereits im Frühstadium Einfluß nehmen zu können. Eine Reihe von europäischen Verbänden hat bereits angekündigt, daß sie sich an der Errichtung des betreffenden Gremiums mit dem Namen EFRAG – European Financial Reporting Advisory Group – aktiv beteiligen wollen.

3. Umsetzung neuer Rechnungslegungs-Strategien

Der Vorschlag stellt den ersten Schritt zur Umsetzung der "Neuen Strategie auf dem Gebiet der Rechnungslegung" dar, die die Kommission im Juni vergangenen Jahres vorgestellt und über die ich Sie mit meinem Bezugsschreiben unterrichtet hatte.

Die baldige Anwendung international anerkannter Rechnungslegungsgrundsätze in Form der International Accounting Standards (IAS) entspricht daneben auch einer Empfehlung des "Ausschusses der Weisen" (Lamfalussy-Gruppe), der auf Grund der Beschlüsse des Europäischen Rates von Lissabon im Jahre 2000 einberufen wurde und einen – vom Europäischen Rat in Stockholm am 23./24.3.2001 gebilligten – Bericht über die Regulierung der europäischen Wertpapiermärkte erarbeitet hat.

4. Vorläufige Bewertung

Zur vorläufigen Bewertung des Vorschlags darf ich anmerken:

a) Für den Kommissionsvorschlag spricht, daß das Zusammenwachsen der europäischen Kapitalmärkte einheitliche Bilanzregeln erfordert. Die IAS sind in ihrer Ausgestaltung zwar anglo-amerikanisch ausgerichtet und unterscheiden sich erheblich von den herkömmlichen deutschen HGB-Bilanzrechts Vorschriften. International ist diese Bilanzierung aber üblich. Auch in Deutschland sind jedenfalls die kapitalmarktorientierten Unternehmen zunehmend bereit, eine Bilanzierung nach international üblichen Grundsätzen im Konzernabschluß anzuwenden. § 292 a HGB ermöglicht dies als Wahlrecht schon jetzt: Hiernach können alle Unternehmen, die einen organisierten Kapitalmarkt durch Ausgabe von Wertpapieren in Anspruch nehmen, ihren Konzernabschluß nach international anerkannten Rechnungslegungsstandards aufstellen. In der Praxis sind dies die IAS und daneben derzeit auch noch die US-amerikanischen Regeln (US-GAAP).

b) Für den Konzernabschluß der übrigen Unternehmen und insbesondere den Einzelabschluß, der in Deutschland Grundlage für die Gewinnausschüttung und im wesentlichen auch für die steuerliche Gewinnermittlung ist, sieht der Vorschlag die Anwendung der IAS nicht zwingend vor, sondern läßt den Mitgliedstaaten hier eine Option. Ob Deutschland diese Option aufgreifen sollte, kann erst nach gründlicher Prüfung und nach eingehender Erörterung entschieden werden. Denn dies würde grundsätzliche Probleme aufwerfen. Für die Kapitalerhaltung müßten in einem solchen Fall voraussichtlich zusätzliche und für die Steuerbilanz voraussichtlich andere, den herkömmlichen HGB-Regeln entsprechende Vorschriften gefunden werden. Für Beiträge zu der Grundsatzdiskussion, die in diesem Zusammenhang erforderlich werden wird, wäre ich Ihnen schon jetzt verbunden.

Vor dem gerade aufgezeigten Hintergrund ist es unverzichtbar, daß die Verordnung die MS jedenfalls nicht zur Anwendung internationaler Rechnungslegungsgrundsätze auf den Einzelabschluß zwingt. Das im Verordnungsentwurf vorgesehene MS-Wahlrecht erscheint insoweit – auch bezüglich der Konzernabschlüsse nicht-kapitalmarktorientierter Unternehmen – als die am ehesten konsensfähige Lösung.

c) Von einer Reihe großer deutscher Unternehmen, die in den USA börsennotiert sind, wird wegen der dort gestellten Anforderungen geltend gemacht, daß sie auch nach dem 1.1.2005 noch Konzernabschlüsse nach den US-amerikanischen Regeln (US-GAAP) aufstellen müssen. Eine Pflicht zur Anwendung der IAS in Europa benachteilige sie daher. Für die von diesen Unternehmen erhobene Forderung, auch nach 2005 nicht die IAS, sondern die US-GAAP auch in Europa anwenden zu dürfen, gibt es im Kreis der übrigen EU-Mitgliedstaaten bisher kaum Resonanz. In Brüssel wird darauf verwiesen, daß nur die IAS, nicht die US-GAAP, als ein genuin internationales Regelwerk angesehen werden können.

d) Auf jeden Fall muß den Unternehmen ein hinreichender zeitlicher Vorlauf verbleiben, um ihre Konzernrechnungslegung auf die IAS-Regeln umzustellen. Das gilt sowohl für die bislang nach US-GAAP als auch für die ausschließlich nach HGB bilanzierenden Unternehmen. Das von der Kommission vorgeschlagene In-Kraft-Treten der obligatorischen IAS Konzernbilanzierung erst ab 2005 erscheint daher sinnvoll. ...