Dr. Volker Römermann,
Rechtsanwalt, Hamburg/Hannover*

MoMiG: Regierungsentwurf mit "Überraschungs-Coups"

Der am 23.5.2007 vom Bundeskabinett verabschiedete Regierungsentwurf des MoMiG (Volltext - PDF) birgt einige Überraschungen. Themen wie die Neuregelung des bislang sog. "Eigenkapitalersatzrechts" oder der gutgläubige Erwerb von Geschäftsanteilen sind dogmatisch spannend und standen daher im Fokus der Diskussion über den Referentenentwurf. Der Regierungsentwurf bringt nun einige weitere grundlegende Neuerungen -- zu nennen sind insbesondere:

1. Die Unternehmergesellschaft (UG);

2. "Gründungs-Set" inkl. beurkundungsfreier Mustersatzung;

3. Die Neufassung der Insolvenzantragspflichten;

4. Die Einführung einer Differenzhaftung bei der verdeckten Sacheinlage.

Die Unternehmergesellschaft (haftugnsbeschränkt) als "deutsche Limited"

Die "UG (haftungsbeschränkt)" macht alle wortreichen Beteuerungen, an dem Mindestkapitalerfordernis als "Seriositätsindiz" festhalten zu wollen, zu Makulatur. Für das UG -- lediglich eine Variante der GmbH, keine abweichende Rechtsform -- gibt es bei wirtschaftlicher Betrachtung kein Mindeststammkapital, das bei der Gründung aufzubringen wäre. Zwar heißt es in § 5a GmbHGE "mit einem Stammkapital", dessen Höhe ist aber nur nach oben hin begrenzt (10.000 Euro), während es nach unten hin bei der einzigen allgemeinen Voraussetzung bleibt, dass der Nennbetrag jedes Geschäftsanteils auf volle Euro lauten muss (§ 5 Abs. 2 S. 1 GmbHGE). Ein Euro ist somit zukünftig das "Mindeststammkapital" der UG. Seibert relativiert diese "kleine Revolution" in diesem Heft (GmbHR 2007, 673 ff. -- in diesem Heft) durch den Hinweis auf eine denkbare Überschuldung bei Gründung, wenn die Gründungskosten -- wie üblich -- von der Gesellschaft getragen werden und dieser Verbindlichkeit kein Eigenkapital gegenübersteht. Selbst wenn man diese Verbindlichkeiten unterstellt -- Seibert nennt eine Größenordnung von insgesamt 250 Euro, und angesichts der beurkundungsfreien Gründungsmöglichkeit dürfte dies eher selten überschritten werden --, selbst wenn man weiter unterstellt, dass Gründer in der Konsequenz im Regelfall 250 Euro aufbringen: Was ändert ein solcher Betrag an dem Verzicht auf ein substanzielles Mindestkapital? Die Aufbringung von 250 Euro bringt für Gläubiger offensichtlich keine Haftungsmasse -- von dieser Idee hatte man sich bei realistischer Betrachtung allerdings auch schon bei einem Mindestkapital von 25.000 Euro nach heutigen Wertverhältnissen verabschiedet -- und stellt auch kein "Seriositätsindiz" dar. Fast liest es sich wie ein verzweifelter Stoßseufzer, wenn Seibert seine Betrachtungen zum Mindestkapital mit den Worten schließt: "Hoffen wir auf die Vernunft der Leute". Gesetzliche Mindestvorschriften durch die Hoffnung auf Vernunft zu ersetzen, klingt wie eine späte Blüte aufklärerischen Gedankenkenguts voller Idealismus, unverdorben durch die harte Realität des 21. Jahrhunderts. Wenigstens verspricht das eine gewisse Beständigkeit, denn: Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.

Worin sollen eigentlich die Nachteile liegen, die einen typischen GmbH-Gründer davon abhalten sollten, künftig gleich die UG zu wählen anstelle der "klassischen" GmbH? Die Bezeichnung "UG (haftungsbeschränkt)" allein dürfte kaum jemanden abschrecken. Bei Inkrafttreten des MoMiG wird diese Bezeichnung zwar noch ungewohnt sein, aber rasch setzt sie sich durch -- und ist nicht mit dem haut goût der Limited behaftet. Im Gegenteil, mancher wird die Modernität der "UG" sogar als Vorteil verkaufen und Marketing damit betreiben. Die Pflicht, jeweils ein Viertel des Jahresgewinns zu thesaurieren, bis 10.000 Euro erreicht sind, ist aus mehreren Gründen kein echter Nachteil gegenüber der "klassischen" GmbH. Zum einen bleibt jedenfalls ein Stundungseffekt, zumal dieser Betrag nicht zu Beginn der Gesellschaft aufgebracht werden muss. Zum anderen gibt es viele Gestaltungs- und Steuerungsmöglichkeiten, um auf den "Gewinn" Einfluss zu nehmen -- und damit indirekt auch auf das in der Gesellschaft verhaftete Vermögen. Die in der Begründung zum Regierungsentwurf definierte Zielgruppe "junge Existenzgründer" findet sich im Gesetzestext nicht wieder. Der erste, der sich in meiner anwaltlichen Praxis nach der UG erkundigte, war etwa 2000 Jahre alt -- eine Untergliederung einer der christlichen Kirchen -- und kommt ohne weiteres als UG-Gründer in Betracht. Wenn es aber so ist, dass in Zukunft eine beachtliche, womöglich sogar die überwiegende Zahl der Gründer in die UG ausweicht -- ist dann nicht in Wahrheit das Mindestkapital der GmbH dahin, aufgegeben worden? Und wenn das so sein sollte -- wie verhält es sich mit dem Postulat eines finanziellen Engagements als Widerpart zum Privileg der persönlichen Haftungsbeschränkung? Einem Postulat immerhin, das über 100 Jahre GmbHG-Rechtsprechung wie ein roter Faden durchzieht und zuletzt seinen Niederschlag in der Haftungsfigur des "existenzvernichtenden Eingriffs" gefunden hat. Welche Folgewirkungen die Einführung einer haftungsbeschränkten Unternehmergesellschaft zeitigen würde, scheint mir bislang noch nicht ansatzweise durchdacht -- auch die Entwurfsbegründung verhält sich auffällig knapp zum Thema UG -- und schon gar nicht hinreichend in der Fachöffentlichkeit diskutiert worden zu sein. Natürlich übt der Gedanke der umfassendsten Reform seit Bestehen der GmbH auf die Mütter und Väter des MoMiG-Entwurfs eine gewisse Faszination aus. Viele Reformmaßnahmen sind auch schon ausdrücklich gelobt worden (vgl. Römermann, GmbHR 2006, 673). An dieser Stelle muss jedoch davor gewarnt werden, sich jetzt vom reformatorischen Fieber ergriffen dazu hinreißen zu lassen, zum gesellschaftsrechtlichen Blindflug in unbekanntes Terrain abzuheben.

Gründungs-Set mit Mustersatzung

Das Gründungs-Set enthält mehrere Formulare, die eine UG/GmbH-Gründung "im Ankreuzverfahren" ermöglichen. Notare dürfen noch die Identität der Gründer feststellen, deren Unterschrift beglaubigen und damit ihren kostengünstigen Beitrag zur staatlichen Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismus leisten. Inhalte gehen sie nichts an und wenn der Geschäftsführer im Anmeldungsmuster erklärt, über die Strafbarkeit einer falschen Angabe "belehrt worden" zu sein, so fragt man sich, von wem wohl. Richtig: Die Beschäftigung deutscher Notare ist kein Selbstzweck, die bloße Funktion der Satzungsbeurkundung als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme zu ihren Gunsten wäre nicht überzeugend. Ist aber nicht gerade das Gründungsstadium eines Unternehmens regelmäßig mit einer Vielzahl von Rechtsfragen behaftet, die eine gewisse rechtliche Begleitung zum Selbstschutz der neuen Gesellschafter, die als Laien viele juristische Probleme gar nicht erkennen können, sinnvoll erscheinen lassen? Der Hinweis darauf, dass "irgendeine" Mitwirkung deutscher Notare bei der GmbH-Gründung immer noch besser sei als "gar keine" bei der Ltd. -- in diese Richtung geht Seibert --, verfängt m.E. nicht. Die Limited ist geradezu ein Paradebeispiel dafür, welche Palette überraschender rechtlicher Aspekte den nichtsahnenden, nicht beratenen Existenzgründer treffen kann. Das beginnt bei der angeblich unbegrenzten Freiheit der Namenswahl, die zwar manches im englischen Registerverfahren ermöglicht, was in Deutschland sofort am Registergericht scheitern müsste -- sich aber bei geschäftlichen Aktivitäten in Deutschland hart am Recht des unlauteren Wettbewerbs stoßen kann, und endet bei dem in England -- und eben nur dort! -- fehlenden Meisterzwang, wenn sich etwa ein paar Malergesellen unter der Bezeichnung "Die Malermeister Ltd." zusammenfinden und in Berlin ihrem Handwerk nachgehen wollen.

Verlagerung der Insolvenzantragspflicht

Die Insolvenzantragspflicht wird aus dem GmbH-Gesetz heraus- und in die Insolvenzordnung hineinverlagert. Bislang konnte man trefflich darüber streiten, ob Normen, die zwar im GmbH-Gesetz stehen, aber in irgendeiner Form eng an eine Insolvenzlage anknüpfen, nun zum einen oder eher zum anderen Rechtsgebiet gehören. Die formalen Argumente des "Standorts" GmbH-Gesetz sprachen für Gesellschaftsrecht, die inhaltlichen -- m.E. stärkeren -- häufig eher für Insolvenzrecht. Das alles wäre noch vor zehn Jahren als dogmatisches Glasperlenspiel abgetan und auf den wissenschaftlichen Elfenbeinturm verwiesen worden. Erst durch das vermehrte Auftreten ausländischer Gesellschaftsformen in Deutschland kommt es zum Schwur: Zurechnung zum Gesellschaftsrecht bedeutet gleichzeitig Unanwendbarkeit der deutschen Normen, etwa auf die englische Limited.

Der Gesetzgeber reagiert auf die bestehende Rechtsunsicherheit mit einer systematischen Klarstellung. Zum einen überführt er das, was bislang "Eigenkapitalersatzrecht" hieß, unter tiefgreifenden Modifikationen in die InsO -- ob das zu einer "gerechteren" Lösung führt, ist seit dem Referentenentwurf umstritten. Einfacher wäre die Neuregelung schon, aber Simplizität ist kein Selbstzweck und Vereinfachungen wären durchaus auch denkbar, ohne das System komplett zu ändern. Ein weiterer "Ortswechsel" wird durch den Regierungsentwurf eingeführt: Für die Insolvenzantragspflicht. Das ist nur eine konsequente Weiterführung des zum Eigenkapitalersatzthema gefundenen Ansatzes. Der bisherige § 64 GmbHG wird gekürzt, ein neuer § 15a InsO verankert die Antragspflicht für alle insolventen Kapitalgesellschaften zukünftig sichtbar im Insolvenzrecht. "Alle" ist dabei wörtlich zu nehmen. Neben den deutschen erstreckt sich die Insolvenzantragspflicht dann nämlich auch "sicher" auf ausländische Gesellschaftsformen, insbesondere auf die Ltd. Das war bislang umstritten. Auch die Strafbarkeit von Verstößen gegen die Antragspflicht findet sich nun für alle Kapitalgesellschaften -- bislang wird die Anwendung von § 84 GmbHG auf eine Ltd. nur von einer extremen Mindermeinung bejaht.

Erleichterung der verdeckten Sacheinlage

Das Kapitalaufbringungsrecht soll insgesamt einer "bilanziellen Betrachtung" unterworfen werden. Das gilt dann für die Gründungsphase gleichermaßen wie für spätere Einlagen. Hin- und Herzahlungen sollen insgesamt erleichtert werden, die GmbH soll Zahlungen an Gesellschafter etwa in Form von Darlehen leisten können, soweit der Rückzahlungsanspruch der GmbH werthaltig ist. Das soll in der Gründungsphase insbesondere dem Fortbestand der bisherigen Cash-Pooling-Praxis bei Konzernen dienen. Diese Praxis war durch den BGH im Jahre 2003 jäh gestoppt worden, als er erkannte, dass die Zahlung von Beträgen, die eigentlich dem Stammkapital zuzurechnen sind, von einer Tochtergesellschaft an ihre Mutter, also ihre Gesellschafterin, als verbotene Einlagenrückgewähr einzuordnen sind (BGH v. 24.11.2003 -- II ZR 171/01, GmbHR 2004, 302 m. Komm. Bähr/Hoos). Diese im Grunde banale Feststellung hatte seitdem in der Konzernpraxis für helle Aufregung gesorgt. Die Tochtergesellschaft soll derartige Zahlungen zukünftig vornehmen dürfen, wenn einige wenige Voraussetzungen eingehalten werden. Goette, der Vorsitzende des II. Zivilsenats des BGH, hat dies im Handelsblatt v. 8.6.2007 treffend als "Nichtanwendungsgesetz zugunsten von Konzernen" charakterisiert. In diesem Zusammenhang ist auch die Neuregelung der "verdeckten Sacheinlage" zu sehen. Der einlegende Gesellschafter soll nur noch auf die Differenz zwischen dem Nennbetrag der Einlage und dem tatsächlichen Wert der Sache in Anspruch genommen werden können. Das lädt zu Umgehungen geradezu ein. Prävention soll lediglich durch eine Aufbürdung der Beweislast für die Werthaltigkeit auf den Gesellschafter bewirkt werden. Bei einem gut beratenen Gesellschafter ist das wenig effektiv.

Viele der aufgrund der zwischenzeitlichen Diskussion vorgenommenen Anpassungen des MoMiG-Entwurfs sind zu begrüßen. Bei der verdeckten Sacheinlage und vor allem bei der UG ergeben sich aber noch zu viele Fragen, als dass solche Einschnitte in das GmbH-Gesetz ohne weitergehende Überlegung überstürzt vorgenommen werden sollten. Aber solche Bedenken haben ja bekanntlich den Tatendrang eines Gesetzgebers noch nie bremsen können.

 

 

* Partner der Sozietät Römermann Rechtsanwälte, Hamburg/Hannover/Berlin, und Lehrbeauftragter der Humboldt-Universität zu Berlin.

 




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