Dr. Jobst-Joachim Neuss,
Luxemburg*

Nici’s hosenloser Fall -- oder das Rätsel um Goleos Beinkleid

Mezzanin für Mittelstand: Leichtsinn oder Innovation?

Gerade rechtzeitig, bevor Deutschland im Fußballtaumel versank, wurde der Nation das Geheimnis um die Hosenlosigkeit des viel geschmähten WM-Maskottchens Goleo endlich offenbart: am 16.5.2006 stellte die Herstellerfirma des Goleo, Nici AG beim AmtsG Coburg Insolvenzantrag.

Was zunächst unter der Rubrik "unternehmerisches Pech" angesichts der fehlgeschlagenen Erwartungen an den Absatzerfolg von Goleo abgelegt wurde, enthüllte sich bald als Fall für den Staatsanwalt: wenige Tage nach dem Insolvenzantrag fand sich Ottmar Pfaff, der Gründer der Nici AG wegen fortgesetzter Bilanzfälschung in Untersuchungshaft.

Der breiten Öffentlichkeit weitgehend verborgen blieb die Erschütterung der Finanzwelt durch die Nici-Insolvenz. Für diese wurde der Fall Nici zur Flammenschrift an der Wand der Kapitalmarktinnovationen, ein Menetekel für die dynamische Entwicklung der Kreditverbriefung im Bereich der Finanzierung kleiner und mittlerer Unternehmen ("KMU").

Was war geschehen?

Hausbank ade ...

Kreditverbriefung hat seit einigen Jahren in Deutschland zunehmend an Popularität gewonnen. Veränderte Anforderungen an die Eigenkapitalstruktur der Kreditinstitute, die eine zunehmend differenzierte Risikoanalyse der Kreditportefeuilles erfordert, haben einen Mentalitätswandel in der deutschen Finanzbranche bewirkt. Das Hausbankprinzip scheint Geschichte, die ihren letzten Höhepunkt in der Insolvenz des Medienhändlers Leo Kirch erlebte, als dessen Zelluloidimperium dem gesenkten Daumen seiner Hausbanken zum Opfer fiel. Die Tendenz heute geht dahin, dass die Kreditvergabe nicht länger in den Rahmen individuell geprägter Geschäftsverbindungen gestellt, sondern vornehmlich an einer umfassenden Risikoanalyse ausgerichtet wird.

Ausgelöst wurde diese Entwicklung wesentlich durch die geänderten Richtlinien zur Eigenkapitalstruktur, die 2007 in Kraft treten sollen, ursprünglich initiiert von der Bank für Internationalen Zahlungsverkehr BIZ in Basel, der "Bank der Zentralbanken". Dort entwickeln Zentralbanken gemeinsame Vorstellungen zu einer internationalen Koordinierung der Finanzmärkte, die in Empfehlungen gefasst werden. Auch wenn die BIZ keine legislative Kompetenz besitzt, haben ihre Empfehlungen doch durchaus Überzeugungskraft: so können Banken Aktien oder Schuldverschreibungen kaum auf den U.S.-Märkten platzieren, wenn sie den Empfehlungen aus Basel nicht entsprechen. Zudem passen europäische sowohl als auch nationale Aufsichtsbehörden ihre Anforderungen regelmäßig an die Empfehlungen der BIZ an.

Die Objektivierung der Risikoanalyse ermöglicht deren Standardisierung. Standardisiertes Risiko ist der Beurteilung durch internationale Rating-Agenturen zugänglich. "Geratetes" Risiko kann auf den internationalen Finanzmärkten platziert, mit anderen Worten, an Dritte verkauft werden.

Auf der Standardisierung von Kreditrisiken beruht im Wesentlichen der Erfolg der Kreditverbriefung. Banken strukturieren ihre Kreditportefeuilles anhand objektivierter, weitgehend standardisierter Risikokriterien und verkaufen im Normalfall diese Portefeuilles an eine sog. Zweckgesellschaft, im finanziellen Neudeutsch "special purpose vehicle" oder, etwas liebevoller "SPV" genannt. Möglich ist dabei ein Verkauf mit Forderungsübertragung oder lediglich der Verkauf des Risikos; in letzterer Variante bleibt die ursprüngliche Rechtsbeziehung zwischen kreditvergebender Bank und Kunde bestehen. Das SPV emittiert nach Risiken differenzierte (strukturierte) Schuldverschreibungen auf den internationalen Finanzmärkten, deren Erlös dem SPV den Kaufpreis für das zedierte Kreditrisiko finanziert. Zinsen und Hauptforderung aus Schuldverschreibungen werden entsprechend des Zahlungsfortschritts auf Zins- und Hauptforderung der zugrunde liegenden Kredite bezahlt; die Inhaber der Schuldverschreibungen haben darüber hinaus keinen Zahlungsanspruch aus ihren Schuldverschreibungen. Mit dieser Technik erreicht die Bank, die ursprünglich für die Kreditvergabe verantwortlich zeichnete, einerseits eine Diversifizierung ihres Kreditrisikos durch Gruppierung verschiedener Kredite nach objektivierbaren Merkmalen, wobei werthaltigere Engagements problematischere Finanzierungen stützen können. Andererseits findet die Verlagerung eines wesentlichen Teils des Kreditrisikos des strukturierten Portefeuilles auf die Schuldverschreibungsinhaber statt. Die durch diese Risikoverlagerung bewirkte Aussonderung des übertragenen Kreditrisikos aus der Bankbilanz setzt bis dahin gebundenes aufsichtsrechtliches Kapital zur zusätzlichen Neukreditvergabe frei.

Die emittierten Schuldverschreibungen tragen einen unterschiedlichen Anteil an dem gesamten verbrieften Kreditrisiko; dies findet in dem sog. "Rating" internationaler Rating-Agenturen seinen Ausdruck. Ratings qualifizieren das Ausfallrisiko für die einzelnen Tranchen der ausgegebenen Schuldverschreibungen, wobei die Renditeaussicht -- wenn alles gut geht -- abnimmt, je besser das Rating ist: Risiko kostet. Die Risikoverteilung unter den einzelnen Tranchen entspricht einem sog. "Wasserfall": schlechter geratete Tranchen leiden zunächst unter der Realisierung des Ausfallrisikos, besser geratete Tranchen erst später. Komplizierte Berechnungen anhand historischer Verlustdaten sollen eine halbwegs genaue Aussage darüber ermöglichen, wie hoch die Zahlungsausfälle im Portefeuille sein müssen, damit eine bestimmte Tranche der Schuldverschreibungsemission Verluste tragen muss.

... und willkommen Mezzanine?

Die anfänglichen Programme zur Kreditverbriefung in Deutschland stützten sich zwar noch auf das traditionelle Hausbankprinzip: innerhalb einer weitgehend standardisierten Verbriefungsstruktur (z.B. in von der KfW im Rahmen der Mittelstandsförderung entwickelten "Verbriefungsplattformen") verbriefte eine Geschäftsbank ein spezifisch strukturiertes Portefeuille klassischer langfristiger Finanzierungskredite.

Die Charakteristika der Kreditverbriefung in Deutschland haben sich indessen in jüngster Zeit gewandelt: der Mut zum Risiko wuchs, in der Finanzbranche nennt man dies Innovation. Es wird nunmehr nicht mehr nur der klassische langfristige Unternehmenskredit verbrieft, sondern risikoreichere Finanzierungsformen, die Kapital- und vergleichbare Risiken finanzieren, sog. "Mezzaninfinanzierungen". Dabei handelt es sich um Finanzierungen, die bilanziell zwischen Krediten und Kapital stehen -- ein typisches Beispiel ist der Genuss-Schein, aber auch Vorzugsaktien können sich in Verbriefungsportefeuilles finden. Gläubiger solcher Mezzaninfinanzierungen tragen typischerweise Aktionären vergleichbare finanzielle Risiken, ohne indessen deren Rechte zu besitzen. Dafür rechnen sie sich erhöhte Renditen im Vergleich zur einfachen Kreditfinanzierung aus -- Risiko kostet.

Im Rahmen von Mezzaninverbriefungen refinanzieren die Schuldverschreibungen, die durch ein SPV begeben werden, typischerweise nachgeordnete, eigenkapitalähnliche Kredite, Wandelschuldverschreibungen, Genuss-Scheine oder Vorzugsaktien. Wesentliches Merkmal der zugrunde liegenden Wertpapiere ist der regelmäßige Ertrag, der zu den Inhabern der Schuldverschreibungen in Form von Zinszahlungen durchgeleitet werden kann. Ziel der Mezzaninfinanzierungsprogramme ist nicht mehr die "aufsichtsrechtliche Entlastung" des Eigenkapitals kreditgebender Finanzinstitute, sondern die Eröffnung eines neuen Zugangs zu Eigenkapital- und eigenkapitalähnlichen Finanzierungsformen für Mittelstandsunternehmen.

Um Mezzaninverbriefungen "marktgängig" zu machen, d.h. eine Ratingstruktur zu ermöglichen, die ein möglichst breites Spektrum von Investoren eröffnet, muss der Anteil an "schlechten" Risiko im Vergleich zu den bisherigen Kreditverbriefungen erhöht werden. Niemand weiß indessen genau, um wie viel: je höher das verbriefte Risiko ist, umso erfolgreicher entzieht es sich einer Szenarioanalyse, die aus historischen Verlustdaten Schlussfolgerungen auf Ausfallwahrscheinlichkeiten ziehen könnte. Zusätzliche Rücklagenbildung aus den Zahlungsflüssen aus dem verbrieften Portefeuille soll deshalb eine weitere Absicherung gewährleisten.

Eine weitere Entwicklung wird durch die Abstraktion des verbrieften Risikos vom individuellen Kreditverhältnis begünstigt: die verbrieften Portefeuilles sind nicht mehr an ein ursprünglich kreditvergebendes Finanzinstitut gebunden, das in einer "klassischen" Kreditverbriefung durch die Kontrolle der Verbriefungsstruktur und der Bedienung der Kredite oder auch durch Übernahme des Erstrisikos noch ein gewisses Eigeninteresse an der Risikostruktur behält. Vielmehr werden die verbrieften Risiken zu einer reinen Investmentkategorie, die nach den spezifischen Profiterwartungen professioneller Investmentmanager verwaltet werden.

Nicht auszuschließen endlich, dass die erweiterte Verfügbarkeit von Kapital und kapitalähnlichen, nachgeordneten Finanzierungsmitteln die "klassische" Kreditfähigkeit begünstigt und damit zu einer Schuldenspirale beitragen kann.

Die Abstrahierung dieser Finanzierungsform vom Kreditkonzept und die Konzentration auf weitgehend standardisierte Risikokriterien fördert nicht zuletzt auch die Marktgängigkeit der verbrieften Risiken und eröffnet damit Schuldnern die Möglichkeit, ihre Risiken verschiedenen Finanzierungsinstituten anzubieten ohne dass die einzelnen Institute notwendigerweise den vollen Überblick über die wirtschaftliche Gesamtsituation eines Unternehmens erhalten.

Niki und die Mezzanine

So fanden sich denn auch Mezzaninrisiken der Nici AG in vier unterschiedlichen Verbriefungsplattformen wieder, und genau dieser Umstand hat die Besorgnis der Finanzindustrie geweckt. Denn Forderungsverbriefungen lassen sich nur so lange auf dem Markt platzieren wie die in ihnen begründete Verbreiterung der Gläubigerbasis, Risikostrukturierung und Risikodiversifikation die verbrieften Risiken so weit ausgleicht, dass die Ratingstruktur der Schuldverschreibungen unberührt bleibt. Der Zusammenbruch einer der vier Mezzaninplattformen durch die Nici-Pleite könnte das Ende der innovativen Mittelstandsfinanzierung bedeuten.

Es scheint allerdings, dass Klinsmanns Recken Goleo die notwendige Steilvorlage geliefert haben: die nationale Begeisterung für die Nationalmannschaft hat auch den Absatz des hosenlosen Löwen beflügelt. Und deshalb mag es dann doch noch für ein Beinkleid reichen, bis der Winter wieder kommt ...

 

* Compliance, Europäischer Investitionsfonds.



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