Thomas Wachter,
Notar, München

Die neue Drei-Klassengesellschaft im deutschen GmbH-Recht

Ungeahnter Sinneswandel des Gesetzgebers

Seitdem das Bundesministerium der Justiz den Referentenentwurf für ein Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG) vorgelegt hat (Stand: 29.5.2006, Volltext (PDF-Dokument) ), ist schon wieder über ein Jahr vergangen. Die seinerzeitigen Reformvorschläge sind überwiegend auf breite Zustimmung gestoßen. Die vorgeschlagenen Änderungen des deutschen GmbH-Rechts wurden insbesondere auch vom 66. Deutschen Juristentag im September 2006 mit großer Mehrheit befürwortet (s. im einzelnen www.djt.de). Danach hat man von der GmbH-Reform lange nichts mehr gehört. Doch die Ruhe war -- wie so oft -- trügerisch. Hinter den Kulissen wurde offenbar an einer grundlegenden Überarbeitung des bisherigen Gesetzesentwurfs gearbeitet. Das Ergebnis der mehrmonatigen "Geheimdiplomatie" hat die Bundesregierung schließlich am 23.5.2007 vorgestellt. Der Regierungsentwurf für ein MoMiG (Volltext (PDF-Dokument); inzwischen liegt auch die BR-Drucks. 354/07 v. 25.5.2007 vor) unterscheidet sich nicht nur vom Umfang (141 Seiten statt bislang 88 Seiten), sondern auch inhaltlich deutlich von dem bisherigen Referentenentwurf (s. dazu schon Römermann, GmbHR 2007, R 193; Seibert, GmbHR 2007, 673 ff.). Dies zeigt sich besonders deutlich bei dem Ziel, die Rechtsform der GmbH für Unternehmensgründer attraktiver zu machen. Der Gesetzgeber konnte (oder wollte) sich offenbar zwischen den zahlreichen Reformvorschlägen nicht entscheiden und will den Unternehmensgründern daher künftig die Auswahl zwischen verschiedenen GmbH Formen überlassen.

Der Maßanzug

Die "gute alte" GmbH wird es auch in Zukunft noch geben. Allerdings soll die Gründung der GmbH vereinfacht werden, um ihre Wettbewerbsfähigkeit -- auch und gerade gegenüber ausländischen Rechtsformen -- zu stärken. Das Stammkapital soll dementsprechend von derzeit noch 25.000 Euro auf 10.000 Euro gesenkt werden, wovon -- auch bei der Einpersonen-GmbH -- nur die Hälfte einbezahlt werden muss (§ 5 Abs. 1, § 7 Abs. 2 und § 8 Abs. 2 GmbHG-E). Die GmbH kann auch künftig sowohl im Wege der Bar- als auch der Sachgründung errichtet werden. Bei der Bargründung kann das Registergericht künftig nur noch "bei erheblichen Zweifeln" an der Richtigkeit der Versicherung der Geschäftsführer Nachweise (z.B. Einzahlungsbelege) verlangen (§ 8 Abs. 2 S. 3 GmbHG-E). Bei der Sachgründung kann die Eintragung nur dann abgelehnt werden, wenn die Sacheinlagen "nicht unwesentlich" überbewertet sind (§ 9c Abs. 1 S. 2 GmbHG-E). Bereits bei Gründung der GmbH kann ein Gesellschafter künftig mehrere Geschäftsanteile übernehmen (§ 5 Abs. 2 GmbHG-E). Positiv hervorzuheben ist, dass die Registereintragung vollständig von der verwaltungsrechtlichen Genehmigungsbedürftigkeit der unternehmerischen Tätigkeit abgekoppelt werden soll (§ 8 Abs. 1 GmbHG-E). Der Unternehmensgegenstand kann auch in Zukunft frei gewählt werden, muss in der Satzung aber hinreichend konkret angegeben werden. Hinsichtlich der Anzahl der Gesellschafter und Geschäftsführer bestehen keinerlei Beschränkungen. Die Satzung der GmbH kann entsprechend der individuellen Bedürfnisse und Vorstellungen der Unternehmensgründer ausgestaltet werden.

Der Gesetzgeber möchte die Auswirkungen seiner eigenen Änderungsvorschläge auf die Praxis der Unternehmensgründungen offensichtlich gar nicht erst abwarten. Vielmehr geht er von vornherein davon aus, dass diese Maßnahmen nicht ausreichen werden, um die schnelle, einfache und kostengünstige Gründung einer GmbH zu ermöglichen. Belastbare -- und vor allem aktuelle -- empirische Untersuchungen zu dem mit der Gründung einer GmbH verbundenen Aufwand liegen bislang allerdings nicht vor. Bereits das zum 1.1.2007 in Kraft getretene Gesetz über elektronische Handelsregister (BGBl. I 2006, 2553) hat dazu geführt, dass die Errichtung einer GmbH heute innerhalb weniger Tage, teilweise sogar Stunden möglich ist. Die im Rahmen des MoMiG geplanten Änderungen werden das Gründungsverfahren sicherlich noch weiter vereinfachen und beschleunigen.

Der Anzug von der Stange

Neben der "klassischen" GmbH sollen Unternehmensgründer künftig auch die Möglichkeit haben, eine GmbH mit einer vom Gesetzgeber vorgegebenen Mustersatzung zu errichten (§ 2 Abs. 1a GmbHG-E). Eine notarielle Beurkundung des Mustergesellschaftsvertrags ist nicht erforderlich, doch müssen die Unterschriften der Gesellschafter öffentlich beglaubigt werden. Das Stammkapital der "Standard-GmbH" beträgt gleichfalls 10.000 Euro, wovon mindestens die Hälfte einbezahlt werden muss. Die Gesellschafter müssen ihre Einlagen einheitlich entweder vollständig oder zu Hälfte einbringen. Die Einzahlung nur eines Viertels einer Einlage (s. § 7 Abs. 2 S. 1 GmbHG) ist nicht ausreichend. Die Verwendung der Mustersatzung ist nicht auf die Fälle der Einpersonen-Gründung beschränkt. Die "Standard-GmbH" kann vielmehr durch einen, zwei oder drei Gründer errichtet werden. Allerdings finden sich in der Mustersatzung keinerlei Regelungen, die das Verhältnis der Gesellschafter untereinander regeln. Nach der Mustersatzung kann die Gesellschaft auch dann nur einen Geschäftsführer haben, wenn sie von mehreren Gesellschaftern gegründet worden ist. Der Geschäftsführer ist stets einzelvertretungsberechtigt und von den Beschränkungen des § 181 BGB befreit. Der Unternehmensgegenstand kann von den Gesellschaftern nicht frei gewählt werden. Vielmehr müssen sie zwischen einer der drei folgenden Alternativen wählen: Handel mit Waren, Produktion von Waren und Dienstleistungen. Eine nähere Konkretisierung ist weder möglich noch erforderlich. Soll die Gesellschaft eine andere Tätigkeit ausüben (z.B. Beteiligung als Komplementärin an einer GmbH & Co. KG, Verwaltung eigenen Vermögens oder Verfolgung gemeinnütziger Zwecke) kann die Mustersatzung nicht verwendet werden.

Der Gesetzgeber geht davon aus, dass die Gründung einer "Standard-GmbH" dann "sehr kostengünstig, unbürokratisch und schnell erfolgen kann" (S. 57). Dies mag durchaus zutreffen, doch bietet die "Standard-GmbH" im Vergleich zur "klassischen" GmbH insoweit kaum Vorteile. Der Hauptteil der Gründungskosten entfällt derzeit regelmäßig auf die Kosten der Bekanntmachung in den Tageszeitungen (Art. 61 Abs. 4 EGHGB), die bei beiden GmbH-Formen gleichermaßen anfallen und zum 1.1.2009 ohnehin entfallen. Die Kosten für die bloße Beglaubigung der Unterschriften der Gründer sind sicherlich nochmals niedriger als die Kosten für die Beurkundung des Gesellschaftsvertrags (derzeit 84 Euro bei einer Einpersonen-GmbH). Allerdings dürfte die geringfügige Kostenersparnis in vielen Fällen durch anderweitig anfallende Beratungskosten mehr als kompensiert werden. Nicht ganz nachvollziehbar erscheint, warum die Gründung einer "klassischen" GmbH "bürokratisch" und die Gründung einer "Standard-GmbH" dagegen "unbürokratisch" sein soll. Die Mitwirkung des Registergerichts ist in beiden Fällen in gleicher Weise gegeben. Es ist auch nicht zu erwarten, dass die Gründung einer "Standard-GmbH" schneller sein wird als die Gründung einer "klassischen GmbH". Der Prüfungsaufwand des Registergerichts unterscheidet sich faktisch nicht. Die Verwendung der Mustersatzung könnte sogar zu einer Mehrbelastung der Registergerichte führen, nachdem die Gründer im Vorfeld nicht unbedingt rechtlich beraten worden sind. Beispielsweise wird nicht jeder Unternehmensgründer die in der Mustersatzung enthaltene Kurzeinführung in das deutsche Firmenrecht richtig verstehen (s. dort Fn. 2), so dass Verzögerungen keineswegs ausgeschlossen sind. Ein echter Mehrwert ist mit der Mustersatzung somit nicht verbunden. Ihre Einführung führt allenfalls zu einer faktischen Einschränkung der Satzungsautonomie und wirft zahlreiche neue Rechtsfragen auf (z.B. Gilt die Regelung zur Vertretung der Geschäftsführer auch für die Liquidatoren?, Ist die Konkretisierung des Unternehmensgegenstands nur bei Verwendung der Mustersatzung verzichtbar?, Ist der von der Gesellschaft zu tragende Gründungsaufwand unabhängig von der Höhe des Stammkapitals auf 400 Euro beschränkt?). Im übrigen ist auch ein praktisches Bedürfnis für die Schaffung einer Mustersatzung nicht zu erkennen, da es bereits heute jedem Gründer frei steht sich auf die gesetzlichen Mindestangaben zu beschränken und ansonsten das GmbH-Recht für anwendbar zu erklären.

Der Trainingsanzug

Schließlich will der Gesetzgeber auch noch eine GmbH schaffen, die ohne bestimmtes Mindestkapital gegründet werden kann (§ 5a GmbHG-E). Bei der "Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt)" soll es sich nicht um eine neue Rechtsform, sondern um eine "Einstiegsvariante der GmbH" handeln, die sich (angeblich) nahtlos in das bestehende GmbH-Recht einfügt. Faktisch wird damit die "1-Euro-GmbH" eingeführt, obwohl sich das bestehende Haftkapitalsystem "bewährt" hat (so S. 56). Die Gründung einer haftungsbeschränkten Unternehmergesellschaft (UG) wird insbesondere dann in Betracht kommen, wenn das sonst erforderliche Mindeststammkapital von 10.000 Euro nicht einmal zur Hälfte im Wege der Bar- oder Sachgründung aufgebracht werden kann. Für die Gründung einer Unternehmergesellschaft ist ein Stammkapital von 1 Euro ausreichend, dass vor Eintragung der Gesellschaft in voller Höhe in bar aufgebracht werden muss. Zum Schutz des Rechtsverkehrs muss die Gesellschaft stets den Rechtsformzusatz "Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt)" oder "UG (haftungsbeschränkt)" führen. Allein diese Bezeichnung dürfte die neue Rechtsform weder für Gründer noch für Geschäftspartner als besonders attraktiv erscheinen lassen. Der Gesetzgeber weist zu Recht darauf hin, dass dem Mindeststammkapital die "Funktion einer Seriositätsschwelle" zukommt, das für das "Prestige der GmbH" von entscheidender Bedeutung ist (s. S. 66 u. 70). Unter diesen Umständen ist nicht auszuschließen, dass Gesellschaften, die diese Hürde nicht überspringen können oder wollen, von vornherein als "unseriös" angesehen werden könnten. Eine Unternehmergesellschaft kann sowohl mit einer individuellen Satzung als auch mit der vom Gesetzgeber vorgesehenen Mustersatzung gegründet werden. Nach der Mustersatzung hat die Gesellschaft die Gründungskosten stets bis zu einem Gesamtbetrag von 400 Euro zu bezahlen (z.B. für Beratungskosten). Bei einer Unternehmergesellschaft mit einem Kapital von beispielsweise 1 Euro wird sich die Frage stellen, ob diese überhaupt in das Handelsregister eingetragen werden kann oder die Geschäftsführer nicht vielmehr unverzüglich einen Insolvenzantrag stellen müssten. Der Gesetzgeber geht davon aus, dass alle Vorschriften des deutschen GmbH-Rechts "ohne weiteres" auch für die Unternehmergesellschaft gelten (s. S. 71). Damit werden aber auch alle Streitfragen, die sich bei der GmbH stellen, bei der Unternehmergesellschaft wieder auftauchen. Im Übrigen erscheint es ohnehin fraglich, ob die Vorschriften des GmbH-Rechts vollständig auf die Unternehmergesellschaft angewandt werden können. Die Möglichkeit der Umwandlung wird der Unternehmergesellschaft z.B. nicht in gleicher Weise offen stehen wie einer "klassischen" GmbH (z.B. keine Verschmelzung zur Neugründung, wenn die Sachgründung bei der Unternehmergesellschaft ausgeschlossen ist, keine Abspaltung oder Ausgliederung, wenn dazu eine Kapitalherabsetzung erforderlich ist). Schließlich bleibt abzuwarten, ob die Rechtsprechung eine persönliche Haftung der Gründer einer Unternehmergesellschaft nur unter denselben Voraussetzungen annimmt wie bei einer "klassischen" GmbH. Angesichts der geringen Kapitalaufbringung bei Gründung erscheint eine strengere persönliche Haftung bei einer Unternehmergesellschaft keineswegs fernliegend.

Insgesamt erscheint das neue MoMiG als ein typischer Kompromiss der großen Koalition. Die Bundesregierung will es offensichtlich allen recht machen, wird am Ende aber möglicherweise niemanden gerecht. In der Gesetzesbegründung wird zutreffend darauf hingewiesen, dass der "allgemeine und internationale Rechtsverkehr (...) die GmbH als standardisierte und gleichmäßig ausgestaltete Rechtsform für den Mittelstand" erwartet (S. 59). Die neue Dreiklassengesellschaft im deutschen GmbH-Recht ("klassische" GmbH, GmbH mit Mustersatzung und haftungsbeschränkte Unternehmergesellschaft) wird diesem Ziel nicht gerecht. Das deutsche GmbH-Recht wird sein hohes Ansehen nur dann bewahren können, wenn sich auch der Gesetzgeber klar und widerspruchsfrei zu seinen Vorzügen bekennt.




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