Dr. Wolfgang Lingemann,                
Rechtsanwalt, Köln*

 

EuGH vor, noch ein Tor! -- Der Regierungsentwurf eines Jahressteuergesetzes 2009

 

I. Neuer Stoff für Habilitationsschriften: Zeitliche Anwendung von EuGH-Rechtsprechung

Jetzt ist es also heraus: Der EuGH wurde Meister im Turnier "Jahressteuergesetz 2009 (JStG 2009)". Allein die Zahl der Gesetzesänderungen, die auf den Befehl aus Luxemburg zurückgehen, ist rekordverdächtig. § 2a EStG muss nun den Vorgaben der Sache "Rewe-Zentralfinanz" (EuGH v. 29.3.2007 -- C-347/04, GmbHR 2007, 494 m. Komm. Rehm/Nagler) folgen, § 3 Nr. 26 EStG dem Urteil "Jundt" (EuGH v. 28.12.2007 -- C-281/06). § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG beugt sich den Rechtssachen "Kommission gegen Deutschland" (EuGH v. 11.9.2007 -- C-318/05) und "Schwarz" (EuGH v. 11.9.2007 -- C-76/05). § 22 EStG wird aufgrund "europarechtlicher Bedenken" geändert, und § 32b EStG muss angepasst werden, weil die §§ 2a, 50 EStG europarechtlich motiviert verbogen werden. Es ist auch § 39d EStG davon betroffen. Schließlich hat das vor langer Zeit ergangene Urteil "Gerritse" (EuGH v. 12.6.2003 -- C-234/01, FR 2003, 779) eine umfangreiche Neukonzeption des § 50 EStG zur Folge. Ferner zwingt die EuGH-Sache "Kommission gegen Belgien" (EuGH v. 9.11.2006 -- C-433/04) den Gesetzgeber bei § 50a EStG zum Handeln, in dessen Abs. 3 die Sache "FKP Scorpio Konzertproduktionen" (EuGH v. 3.10.2006 -- C-290/04). Schließlich müssen § 5 Abs. 2 Nr. 2 KStG und § 51 AO den Anforderungen des Urteils "Stauffer" (EuGH v. 14.9.2006 -- C-386/04, FR 2007, 242) genügen, von den weiteren Änderungen im Umsatzsteuerrecht ganz zu schweigen.

Dabei trifft das JStG 2009 im Einzelfall ganz bestimmte zeitliche Anwendungsbestimmungen für die Gesetzesänderungen, jedoch nicht immer so, dass den Vorgaben des EuGH zum frühest möglichen Zeitpunkt gefolgt wird, z.B. nach dem in 2003 ergangenen Urteil "Gerritse". Und wir ahnen schon: Das muss durch weitere Habilitationsschriften erforscht werden, ob denn der nationale Gesetzgeber entscheiden darf, dass die günstigere EuGH-Rechtsprechung nicht sofort, sondern erst in weiter Zukunft anzuwenden ist.

Dirk Ehlers/Anke Eggert, Juristenzeitung 2008, 585 (593), zwei Wirtschaftsrechtler aus Münster, meinen in ihrem kürzlich erschienenen Aufsatz, eine vorläufige Weiteranwendung gemeinschaftsrechtswidrigen nationalen Rechts komme nur dann in Betracht, wenn durch eine sofortige Unanwendbarkeit ein Zustand geschaffen würde, welcher der Gemeinschaftsrechtsordnung noch ferner stünde als eine befristete weitere Anwendung des nationalen Rechts. Die nationalen Gerichte seien nicht befugt, gemeinschaftsrechtswidriges Recht von sich aus übergangsweise hinzunehmen. Aber trifft das auch für die Finanzverwaltung zu, oder sollte sie missliebige EuGH-Entscheidungen kurzerhand mit einem Nichtanwendungserlass belegen dürfen (vgl. W. Mitschke, FR 2008, 165)? Oder lässt der Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts z.B. einen Steuerabzugsbefehl bei beschränkt Steuerpflichtigen einfach vollumfänglich entfallen? Und wie ist denn zu beurteilen, ob durch die Nichtanwendung einer Norm, die dem Fiskalinteresse des Mitgliedstaats dient, ein Zustand geschaffen wird, der der Gemeinschaftsrechtsordnung noch ferner steht? Aber: Kann gar Staatsbankrott des nationalen Fiskus der Gemeinschaft dienlich sein?, würde Peer Steinbrück entgegen halten. Genug der mitgliedstaatsphilosophischen Fragen!

 

II. Das JStG 2009 nach augenblicklichem Entwicklungsstand

Mit Rücksicht auf die Wahlen in Bayern liegt vorläufig nur eine gegenüber dem Referentenentwurf abgespeckte Variante aller Steuerrechtsänderungen vor. Bis zur abschließenden Zustimmung des Bundesrates am 19.12.2008 können auf der Klaviatur der Kunstgriffe im laufenden Gesetzgebungsverfahren noch weitere Neuigkeiten eingeschleust werden. Die wichtigsten Änderungen lauten bis jetzt (die Gesetzeszitate beziehen sich auf die Regelungen nach neuer Fassung):

 

1. Negative Einkünfte aus Drittstaaten (§ 2a EStG), Progressionsvorbehalt (§ 32b EStG)

Zunächst wird das St.-Florians-Prinzip für alle noch offenen Fälle bei der Verrechenbarkeit von Auslandsverlusten in § 2a EStG eingeführt: Was in Bezug auf mitgliedstaatliche Auslandsverluste an Beschränkung wegen "Rewe Zentralfinanz" nun nicht mehr geht, wird nur noch für Drittlandsverluste aufrecht erhalten. Und der positive wie auch negative Progressionsvorbehalt für Einkünfte aus EU/EWR-Staaten, die in Deutschland durch ein DBA steuerfrei sind, wird schon im VZ 2008 ausgeschlossen.

 

2. Verschärfung des § 15a EStG

Kommanditisten mit negativem Kapitalkonto können mit Hilfe von Einlagen nur noch insoweit ein Verlustausgleichsvolumen schaffen, als es sich um Verluste des Wirtschaftsjahrs der Einlage handelt. § 15a Abs. 1a n.F. ist auf Einlagen anzuwenden, die nach dem Tag der Gesetzesverkündung getätigt werden. Verrechenbare Verluste der Vorjahre können durch nachträgliche Einlagen nicht mehr in ausgleichsfähige Verluste umqualifiziert werden.

 

3. Beschränkt Steuerpflichtige (§§ 50, 50a EStG)

Bei der Veranlagung beschränkt Steuerpflichtiger wird für alle diese mit Rücksicht auf das EuGH-Urteil "Gerritse" der Mindeststeuersatz von 25 % ab dem VZ 2009 abgeschafft und durch eine Veranlagung nach den allgemeinen Tarifvorschriften für unbeschränkt Steuerpflichtige ersetzt. § 10d EStG ist in Zukunft -- anders als bisher -- auch dann anwendbar, wenn sich Verluste aus Unterlagen ergeben, die nicht im Inland aufbewahrt werden. Auch hier lässt das EU-Recht grüßen. Ferner sollen die Steuerbefreiungen im Zusammenhang mit außerordentlichen Einkünften (§ 34 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 EStG), der Werbungskostenpauschbetrag (§ 9a EStG) sowie der Altersentlastungsbetrag (§ 24a EStG) anwendbar werden. Das gilt jedoch nicht für die Vergünstigungen bei haushaltsnahen Beschäftigungsverhältnissen und die Inanspruchnahme haushaltsnaher Dienstleistungen (§ 35a EStG). Ferner gibt es Änderungen für die Fälle des unterjährigen Zu- und Wegzugs.

Der Steuerabzug bei beschränkt Steuerpflichtigen nach § 50a EStG wird neu strukturiert, die Trennung der "Aufsichtsratssteuer" von den übrigen Fallgruppen des § 50a Abs. 4 EStG aufgehoben. Dann wird der Quellensteuerabzug auf Einkünfte beschränkt Steuerpflichtiger nach § 50a Abs. 1 Nr. 1 bis 3 EStG einheitlich ab VZ 2009 auf nur noch 15 % abgesenkt, bei der Aufsichtsratssteuer bleibt es bei 30 %. Künftig werden nachgewiesene und in unmittelbarem Zusammenhang mit den Einnahmen stehende Betriebsausgaben und Werbungskosten abziehbar, sofern der Vergütungsempfänger EU/EWR-Staatsangehöriger bzw. dort ansässige Körperschaft ist. Der Quellensteuersatz beträgt 30 % der Nettoeinkünfte, wenn Vergütungsschuldner eine natürliche Person ist, bei Körperschaften dagegen nur 15 %.

 

4. Dauerdefizitäre Betriebe gewerblicher Art (§ 8 Abs. 1 S. 2; Abs. 7 KStG); Dauerverlusttätigkeiten (§ 8c KStG)

Betriebe gewerblicher Art (BgA) liegen nach Neuregelung der Vorschriften in § 8 KStG auch bei Einrichtungen vor, die ohne Gewinnermittlungsabsicht betrieben werden. Eigengesellschaften in Form von Kapitalgesellschaften und BgA dürfen auch künftig Dauerverlustgeschäfte tätigen, die von der Trägerkörperschaft durch Einlagen ausgeglichen werden, ohne dass eine verdeckte Gewinnausschüttung eintritt. Bei § 8c KStG wird eine Ergänzung vorgenommen, dass Verluste aus Tätigkeiten, die die Zusammenfassungsvoraussetzungen des § 4 Abs. 6 KStG nicht erfüllen, nicht über den Umweg des Verlustabzugs verrechnet werden können.

 

5. Wertpapierleihe (§ 8b Abs. 10 S. 9 KStG)

Eine Neuregelung verhindert, dass die Wertpapierleihe genutzt wird, um aus der unterschiedlichen Behandlung von Beteiligungserträgen (Steuerfreiheit gem. § 8b Abs. 1 u. 2 KStG versus Steuerpflicht gem. § 8b Abs. 7 u. 8 KStG oder ausländischen Besteuerungsregeln) Vorteile zu ziehen. Die Neuregelung erstreckt sich auch auf Investmentanteile.

 

6. Erweiterte Kürzung bei der Gewerbesteuer (§ 9 Nr. 1 S. 5 Nr. 1a GewStG)

Durch Neuregelung bei § 9 Nr. 1 GewStG wird die erweiterte Grundstückskürzung bei Grundbesitz verwaltenden Personengesellschaften in Bezug auf an Mitunternehmer geleisteten Sondervergütungen ab Erhebungszeitraum 2009 eingeschränkt.

 

7. Einbringung von Unternehmensteilen in eine Körperschaft (§ 22 Abs. 2 S. 1 UmwStG)

Durch eine Änderung von § 22 Abs. 2 S. 1 UmwStG wird bestimmt, dass soweit bei der einbringenden natürlichen oder juristischen Person auf die eingebrachten Anteile § 8b Abs. 2 KStG im Zeitpunkt der Einbringung keine Anwendung findet, eine Besteuerung des Einbringungsgewinns II stattfindet, wenn die eingebrachten Anteile von der übernehmenden Gesellschaft innerhalb der 7jährigen Sperrfrist veräußert werden.

 

8. Hinzurechnung von Verlusten aus ausländischen Betriebstätten (§ 8 Abs. 5 S. 2 AuslInvG)

Bisher war eine Hinzurechnung von Gewinnen für in der Vergangenheit geltend gemachte Verluste letztmalig für den VZ 2008 möglich. Die zeitliche Begrenzung wird aufgehoben. Damit wird die Hinzurechnung auch dann eröffnet, wenn die ausländische Betriebstätte erst nach dem VZ 2008 wieder Gewinne erzielt bzw. sie in eine Kapitalgesellschaft umgewandelt wird.

 

9. Elektronische Buchführung im EU-Ausland (§ 146 Abs. 2a u. 2b AO)

Schließlich darf jetzt ein weltweit verflochtenes Unternehmen die elektronische Buchführung im EU-Ausland ansiedeln, wenn es sich denselben Zugriffsmöglichkeiten der Finanzverwaltung unterwirft wie in Deutschland und es auch im Übrigen durch Kooperation mit den Finanzbehörden hervorgetreten ist. Outsourcing auch bei der Selbstorganisation ist nun erlaubt.

 

III. Fazit

Der Regierungsentwurf des JStG 2009 enthält (noch) keine Sensationen, er erledigt schon lange anstehende Hausaufgaben. Nebenkriegsschauplätze, z.B. das jetzt wieder in Fahrt gekommene "Gesetz zur Modernisierung der Rahmenbedingungen für Kapitalbeteiligungen -- MoRaKG" (dazu Lingemann, GmbHR 2007, R 225 f., unter II.3.) und der soeben bekannt gewordene Entwurf eines "Gesetzes zur Modernisierung und Entbürokratisierung des Steuerverfahrens", gehören außerdem zum Änderungspaket für 2009 dazu.

 

*              Schriftleiter der Finanz-Rundschau.



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