Marcel Grobys,
Rechtsanwalt, München*

Besteht beim Thema "Mobbing" arbeitsrechtlicher Handlungsbedarf?

Diskussionen in der Öffentlichkeit und unter Juristen sowie Empörung in den Medien (Der Spiegel 20/2001, S. 66) – Auslöser ist eine fünfzigseitige Entscheidung des LAG Thüringen v. 10.4.2001 – 5 Sa 403/2000, BB 2001, 1358 (s. auch die Kurzbesprechung von Weber, GmbHR 2001, R 233; Volltext unter "http://www.gmbhr.de/volltext.htm"), die sich ausführlich mit dem Thema "Mobbing" befaßt. Sie folgt damit einem juristischen Trend, der in jüngerer Zeit in Literatur (vgl. Wolmerath, Mobbing im Betrieb, 2001) und Rechtsprechung (zuletzt LAG Niedersachsen v. 3.5.2000 – 16a Sa 1391/99, NZA-RR 2000, 517) um sich greift. In der Öffentlichkeit hat jedoch bislang kein Urteil zu der Thematik derartiges Aufsehen erregt. Hierzu trägt nicht nur der Umstand bei, daß sich der Vorsitzende Richter im Spiegel (Heft 20/2001, S. 66) photographieren läßt.

Sachverhalt

Der Entscheidung liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Der Kläger, Geschäftsstellenleiter einer städtischen Sparkasse, war zunächst anerkannt und erfolgreich für seinen Arbeitgeber tätig. Aufgrund plötzlicher Beschwerden aus dem Mitarbeiterkreis entband man ihn kurzfristig von seinen Führungsaufgaben und bot ihm den Abschluß eines Aufhebungsvertrags an. Der Kläger lehnte ab; in der Folgezeit traten bei ihm mit kurzen Unterbrechungen andauernde Arbeitsunfähigkeiten infolge psychosomatischer Erkrankungen auf. Die Beklagte faßte ihre Vorwürfe in dieser Zeit in verschiedenen Abmahnungen zusammen und sprach schließlich im Juli 2000 mit Zustimmung des Personalrats eine Änderungskündigung zum Ende des Jahres aus. Darin wurde dem Kläger mit Wirkung ab 1.1.2001 eine Position als Sachbearbeiter in der Rechtsabteilung zugewiesen. Gleichzeitig versetzte die Beklagte (wiederum mit Zustimmung des Personalrats) den Kläger mit sofortiger Wirkung auf den neuen Posten. Hiergegen wandte sich der Kläger mit einer Einstweiligen Verfügung. Das LAG Thüringen gab seinem Begehren, die Versetzung bis zum Wirksamwerden der Änderungskündigung auszusetzen, als letzte Instanz im einstweiligen Rechtsschutzverfahren statt.

Entscheidungsgründe

Das Gericht geht von der Unwirksamkeit der ausgesprochenen Versetzung aus, da die Maßnahme als systematischer Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Klägers zu qualifizieren sei. Der Sachverhalt weise unverkennbar Merkmale eines unzulässigen "Mobbing" auf, auch wenn es sich hierbei nicht um einen allgemeinen Rechtsbegriff handele. Eine summarische Betrachtung des arbeitgeberseitigen Handelns ergebe, daß der Kläger in menschenunwürdiger Weise aus dem Arbeitsverhältnis gedrängt werden sollte. Dieser Umstand führe letztlich zur Unwirksamkeit der getroffenen Maßnahme vor dem Hintergrund des grundrechtlich geschützten Rechts auf Achtung der allgemeinen Persönlichkeit.

In seinem 50 (!) Seiten umfassenden Urteil spart das Gericht nicht mit markigen Worten. Es bescheinigt dem Arbeitgeber "vorauseilende Schadenfreude", "Psychofolter", "Feuern aus allen Rohren", "reine Quälerei" und "kaum noch zu steigernde Verwerflichkeit des Handelns".

Kritik

Die für eine Urteilsbegründung ungewöhnlich scharfen Attacken auf das Handeln des Arbeitgebers zeigen offen die Grenzen richterlicher Entscheidungsfindung. Das LAG hätte sein Ergebnis indes auch gefühlsbetonte Argumente finden können, da die Zuweisung einer Tätigkeit (hier: Sachbearbeiter), die mehrere Stufen unter der vertraglichen Vergütungsgruppe (Geschäftsstellenleiter) liegt, nach allgemeiner Auffassung vom Direktionsrecht des Arbeitgebers nicht mehr gedeckt ist. Das Urteil ist daher im Ergebnis zweifellos richtig. Es entspricht auch betrieblicher Realität, daß häufig arbeitsrechtliche Maßnahmen allein mit dem Ziel veranlaßt werden, einen Arbeitnehmer aus dem Arbeitsverhältnis zu drängen. Der vom LAG gewählte Begründungsansatz, das Verhalten des Arbeitgebers als ein Sammelsurium von Maßnahmen mit Tendenz zum "Mobbing" zu qualifizieren, ist demgegenüber gefährlich, da er den Sachverhalt ohne Not dramatisiert und in arbeitsrechtlich unsicheres Fahrwasser lenkt. Die Schaffung von Rechtskategorien, die jenseits der allgemeinen Treue- und Fürsorgepflicht des Arbeitgebers liegen, ist aus mehreren Gründen abzulehnen:

Zum einen ist beim sog. Thema "Mobbing" in erster Linie der zwischenmenschliche Bereich betroffen, der einer rechtlichen Einordnung, wenn überhaupt, nur schwer zugänglich ist. Andererseits kann es nicht Aufgabe der Arbeitsgerichte sein, einem bestimmten Verhalten von Arbeitgebern oder Arbeitnehmern den Stempel der sozialen Inadäquanz aufzudrücken.

Aufgrund der individuell ganz unterschiedlich empfundenen Erfahrungen am Arbeitsplatz fehlt es möglichen "Mobbing-Kategorien" in jeder Hinsicht an Objektivität. Die individuelle Psyche und Belastbarkeit sowie das Konfliktmanagement des einzelnen lassen die justiziable Definition solcher Kategorien schlechthin nicht zu. Die in Krankheit ausartende Überforderung muß nicht zwangsläufig Ergebnis einer unsozialen Behandlung, sondern kann auch Resultat der eigenen, zu hoch geschraubten Anforderung an die berufliche Leistungsfähigkeit sein. Daneben erleben manche Menschen Streß am Arbeitsplatz nicht nur destruktiv, sondern auch als Ansporn zu beruflichen Höchstleistungen. Zudem besteht die Gefahr einer Entmündigung, wenn Beschäftigte nicht versuchen, zwischenmenschliche Konflikte am Arbeitsplatz selbst zu lösen, sondern auf eine Steuerung dieses Bereichs durch Arbeitsgerichte vertrauen.

Es ist auch nur in Ausnahme- und Extremfällen geboten, Rechtsfolgen wie die Unwirksamkeit einer bestimmten Maßnahme oder die Verpflichtung zum Schadensersatz allein an die innere Motivation der zugrundeliegenden Handlung zu knüpfen (vgl. § 138, § 826 BGB). Das LAG Thüringen überschreitet daher die Grenzen des geschriebenen Rechts, wenn es die Unwirksamkeit der Versetzung (auch) damit begründet, daß man den Kläger aus seinem Arbeitsverhältnis "herausdrängen" wollte.

Fazit

Instrumente und Verfahrensregelungen zum Schutz der Persönlichkeit des Arbeitnehmers im Betrieb sieht das geltende Arbeitsrecht bereits heute an vielen Stellen vor (vgl. § 75, § 85, § 104 BetrVG). Das allgemeine Persönlichkeitsrecht wird dabei,
ebenso wie andere Grundrechte, im Rahmen der Generalklauseln gemäß § 242, § 315 BGB ausreichend vor rechtswidrigen Angriffen geschützt. Auch Ansprüche auf Schadensersatz wegen Persönlichkeitsverletzungen sind dem geltenden Recht nicht fremd. Einer besonderen Rechtsfigur zur Erfassung von Sachverhalten, die gemeinhin unter dem Begriff "Mobbing" zusammengefaßt werden, bedarf es daneben nicht. Es besteht vielmehr die Gefahr, daß Unternehmen unter diesem Begriff bedingungslos für Atmosphäre und (nicht justiziables) Miteinander im Betrieb verantwortlich gemacht werden und Gewerkschaften sowie Betriebsräte ein neues Allzweckmittel zur Einengung arbeitgeberseitiger Handlungsspielräume erhalten – insbesondere dort, wo das herkömmliche Recht nicht zum gewünschten Erfolg verhilft. Wenn diese Entwicklung eintritt, ist künftig als Rettungsanker neben jeder Kündigungsschutzklage nicht nur ein "Allgemeiner Feststellungsantrag" (vgl. dazu Bitter, DB 1997, 1407), sondern auch eine Klage auf Schadensersatz wegen Mobbings zu erwarten.

Die Begründung der – im Ergebnis zutreffenden – Entscheidung des LAG Thüringen ist daher abzulehnen, da sie an falscher Stelle Begehrlichkeiten weckt.

 

* Lovells Boesebeck Droste.

 

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