Dr. Ulrich Prinz,
Wirtschaftsprüfer und Steuerberater, Bonn*

Veräußerungsgewinnbefreiung für Körperschaften nach § 8 b Abs. 2 KStG: Gerade eingeführt, schon wieder abgeschafft?

Oder: Hände weg von Systemverzerrungen bei der neuen Körperschaftsteuer!

Mit Wirkung ab 1.1.2001 wurde ein neues definitives Körperschaftsteuersystem in Deutschland eingeführt mit einem auf 25 % abgesenkten Steuersatz (zzgl. hebesatzabhängiger Gewerbesteuer und Solidaritätszuschlag). Das "alte" Anrechnungsverfahren mit der Steuersatzspaltung für einbehaltene und ausgeschüttete Gewinne sowie punktgenauer Anrechnung der Körperschaftsteuer beim inländischen Gesellschafter wurde wegen Komplexität, Mißbrauchsanfälligkeit und (nicht zuletzt) Europarechtsproblematik abgeschafft (zu Details s. Raupach in HHR, Einführung in die Steuerreform, Anm. R 1, April 2001). Man mag über die Sinnhaftigkeit des Systemwechsels und die Vertiefung der rechtsformabhängigen Belastungsunterschiede verschiedener Meinung sein. Aber: Der System- und Paradigmenwechsel bei der Körperschaftsbesteuerung (mit Lock-in-Effekt) ist erfolgt und wird insgesamt -- trotz auch weiterhin, teils aber in veränderter Form möglicher Stripping-Maßnahmen (s. S. Wagner, NWB v. 6.5.2002, Fach 3, S. 11965) -- zu einer Steuervereinfachung und Stärkung des Industriestandorts Deutschlands führen. Er liegt in einem auch international zu beobachtenden Trend (s. Hinweise in Federal Ministry of Economics and Technology, Corporate Taxes in Germany, November 2001, S. 65). Schließlich ist das momentane Wegbrechen des Körperschaftsteueraufkommens auch aus fiskalischer Sicht kein "Grund zur Panik", sondern (im wesentlichen) Folge der Übergangsbestimmungen vom Anrechnungs- zum Halbeinkünfteverfahren mit dem dadurch geprägten Ausschüttungsverhalten der körperschaftlich organisierten Unternehmen. Halbeinkünfteverfahren für natürliche Personen und Personengesellschaften mit entsprechendem Gesellschafterkreis auf der einen Seite (§ 3 Nr. 40 EStG), laufende und einmalige Beteiligungsertragsbefreiung für Körperschaften auf der anderen Seite (§ 8 b KStG) sind Systembestandteile des neuen Körperschaftsteuerrechts und sollen steuerliche Doppel- bzw. Mehrfachbelastungen verhindern. Es sind -- jedenfalls im Grundsatz -- Fiskalzweck-, nicht Sozialzwecknormen; denn nur die Einmalbelastung der Gewinne soll sichergestellt werden. Aber Vorsicht: Das System "erodiert", der Gesetzgeber ist bereits jetzt -- jedenfalls in Randbereichen -- emsig mit "Auflösungsmaßnahmen" befaßt: Gewerbesteuerliche Sonderhinzurechnung für in- und ausländische Streubesitzdividenden gem. § 8 Nr. 5 GewStG (im einzelnen Rödder, WPg. 2002, 625); Erweiterung der gewerbesteuerlichen Bemessungsgrundlage durch § 7 S. 2 GewStG (Füger/Rieger, DStR 2002, 933); Diskussion um die gewerbesteuerliche Bedeutung des § 8 b Abs. 6 KStG bei zwischengeschalteter Personengesellschaft, falls Anteile an einer Kapitalgesellschaft durch die Personengesellschaft veräußert werden und deren Mitunternehmer ganz oder teilweise Körperschaften sind.

§ 8 b Abs. 2 KStG als Systembestandteil des neuen Körperschaftsteuerrechts

Besonders mißlich ist die derzeit stattfindende Diskussion um die Steuerfreiheit für Veräußerungsgewinne bei Körperschaften gem. § 8 b Abs. 2 KStG, die beim Abzugsverbot für Verlustsituationen ja auch ihre "Schattenseite" hat (§ 8 b Abs. 3 KStG). Das Thema ist Gegenstand des bundespolitischen Wahlkampfs. Man kann die Rechtsnorm des § 8 b Abs. 2 KStG als "ermutigend" (so Kanzler, FR 2000, 1252) oder (wegen der Steuerfreistellung auch stiller Reserven) deutlich zu weitgehend ansehen (s. Dötsch/Pung, KStG, § 8 b n.F. Tz. 17). Auf jeden Fall stellt sie einen Systembestandteil des neuen Körperschaftsteuerrechts dar, ist politisch gewollt zur Strukturbereinigung in Deutschland und greift für Inlandsbeteiligungen (mit kalenderjahrgleichem Wirtschaftsjahr) gerade erst seit 1.1.2002; die Rechtserfahrungen in der Praxis sind insoweit also noch sehr begrenzt. Die Diskussion und die damit einhergehende Verunsicherung der Unternehmen ist unter verschiedenen Aspekten äußerst schädlich; fehlende Verläßlichkeit und mangelnde Planungssicherheit sind die Folge. Der für ausländische Investoren gegenüber früheren Jahren deutlich verbesserte Holdingstandort Deutschland verliert an Attraktivkraft; ausländische Unternehmen, ausländische Wirtschaftspresse und ausländische Berater reagieren "entsetzt" auf die Diskussion in Deutschland (s. exemplarisch Daniel Bogler, At risk of Losing Gains, Financial Times v. 13.6.2002). Gerade eingeführt, schon wieder abgeschafft? Wer soll das verstehen? Konkret nachgedacht wird daher momentan in der Praxis über die (vielleicht letztmalige und vorgezogene) Nutzung der Veräußerungsgewinnbefreiung: Durchführung interner asset deals an Kapitalgesellschaftsanteilen unter Fremdvergleichsgrundsätzen; gewinnrealisierende Einbringungen, ggf. unter Nutzung ausländischer Zwischenholdings -- all dies wird diskutiert. Im übrigen müßte sich eine Abschaffung systementsprechend und diskriminierungsfrei gleichermaßen auf inländische und ausländische Kapitalgesellschaftsbeteiligungen erstrecken; dies würde dann sogar hinter den Rechtszustand des "alten" § 8 b Abs. 2 KStG für qualifizierte Auslandsbeteiligungen zurückgehen. Steuerfreier Veräußerungsgewinn jetzt, steuerpflichtiger Veräußerungsverlust später, soll das die Perspektive sein?

Fort-, nicht Rückentwicklung des neuen Systems der Unternehmensbesteuerung ist das "Gebot der Stunde"

Die Bestandsaufnahme zeigt: Für eine radikale Trendumkehr bei § 8 b Abs. 2 KStG oder eine abgemilderte Capital Gains Besteuerung ist (jedenfalls zur Zeit) kein Raum; reinen Mißbrauchsgestaltungen kann man auch anders begegnen. Das für Deutschland neue Körperschaftsteuersystem mit einer Vielzahl "frischer" rechtspraktischer Erfahrungen muß weiterentwickelt, nicht "zurückgedreht" werden. Diese Fortentwicklung muß sich insbesondere auf die "Abzugsseite" des neuen Systems erstrecken, denn dort geht mit § 3 c Abs. 1 u. 2 EStG, § 8 b Abs. 5 KStG für Auslandsbeteiligungen und dem Gewinnminderungsverbot des § 8 b Abs. 3 KStG vieles "durcheinander". Auch das Organschaftsrecht, die internationale Öffnung des Umwandlungssteuerrechts und das Außensteuergesetz stehen auf der "Fortentwicklungs-Agenda", ganz zu schweigen von der Modernisierung, ggf. auch Neustrukturierung der Gewerbesteuer als wirtschaftskraftbezogener Finanzierungsquelle der Gemeinden.

Also: Hände weg von Systemverzerrungen bei der Körperschaftsteuer (einschließlich der Veräußerungsgewinnbefreiung gem. § 8 b Abs. 2 KStG). Eine Rückkehr zum "alten" Anrechnungsverfahren ist weder gewollt noch möglich.

* Sozietät Flick Gocke Schaumburg.

 


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