Marcel Grobys, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht, München

Das Ei ist gelegt! -- Anti-Diskriminierung 2006 im Arbeitsrecht

Das Anti-Diskriminierungsgesetz, das jetzt "Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz" (AGG) heißt, wurde am 7.7.2006 endgültig vom Bundesrat gebilligt; es tritt ohne Übergangsfristen mit seiner Verkündung im Bundesgesetzblatt in Kraft (BT-Drucks. 16/1780 und 16/2022; BGBl.-Fundstelle lag bei Redaktionsschluß noch nicht vor). Die Diskussionen um das Gesetz sind Legende und jedermann aus den Medien bekannt. Hierzu haben nicht nur die vorzeitige Bundestagswahl und die dadurch eintretende Diskontinuität der früheren Rot-Grünen Gesetzentwürfe beigetragen; auch die Standfestigkeit der Großen Koalition wurde bei der vereinbarten Umsetzung europäischer Richtlinien "eins zu eins" einer Belastungsprobe unterzogen. Nun ist das Ei gelegt und der eigentliche Teil der Arbeit beginnt -- nämlich die Anwendung der neuen Diskriminierungsvorschriften in der Praxis.

Gesetzesinhalte

Bekanntlich setzt sich das AGG aus einem arbeitsrechtlichen und einem allgemeinen zivilrechtlichen Teil zusammen. Im Arbeitsrecht werden damit unmittelbare und mittelbare Diskriminierungen verboten, die an die Rasse oder ethnische Herkunft, das Geschlecht, die Religion oder Weltanschauung, eine Behinderung, das Alter oder die sexuelle Identität der Beschäftigten anknüpfen. Sanktionen für den Arbeitgeber reichen von der Unwirksamkeit getroffener Maßnahmen über das Recht der Arbeitnehmervertretungen zur gerichtlichen Klage bis hin zu individuellen Ansprüchen der Diskriminierten auf Schadensersatz und Schmerzensgeld. Erleichtert wird die Anspruchsdurchsetzung durch eine gesetzliche Beweislastumkehr, die bereits beim Vortrag geeigneter Diskriminierungs-Indizien eingreift und die im Ergebnis den Arbeitgeber zur Rechtfertigung seines Handelns zwingt. Wer bestimmte gesetzliche Standards (wie etwa die geforderte Aufklärung und Schulung der Mitarbeiter) nicht einhält, macht sich wahrscheinlich bereits für potentielle Ansprüche angreifbar.

Gesetzestechnik

Auch wenn man sich fragen kann, ob der Einbezug bestimmter Diskriminierungsmerkmale wie etwa des Lebensalters tatsächlich notwendig für die Herstellung "gerechter" Verhältnisse am Arbeitsplatz ist, ist die Ausweitung des Diskriminierungsschutzes durch das AGG zumindest als zwangsläufige Konsequenz der auf europäischer Ebene durch die Bundesrepublik eingegangenen Verpflichtungen hinzunehmen. Insoweit ist das neue Recht nicht zu beanstanden. Protest verlangt allerdings die konkrete Form der Richtlinien-Umsetzung. Herausgekommen ist dabei nämlich handwerklicher "Pfusch"; das wird jeder juristisch Kundige unabhängig von seinem politischen Standpunkt nach einer gründlichen Lektüre des Gesetzes bestätigen. Die vom Rechtsausschuss in "letzter Minute" bewirkten Änderungen am Regierungsentwurf (vgl. BT-Drucks. 16/2022) ändern an diesem Befund nichts.

Besonders hervorzuheben ist die unzureichende Abgrenzung zu anderen Vorschriften. Nach § 2 Abs. 2 gilt das AGG nicht für die betriebliche Altersversorgung. Darf also bei der Gewährung von Betriebsrenten ungeniert diskriminiert werden? Noch problematischer ist die Abgrenzung zum Kündigungsschutz. Bekanntlich sieht § 1 Abs. 3 KSchG bei der Sozialauswahl die Berücksichtigung des Lebensalters vor. Hier bietet das AGG gleich zwei (freilich widersprüchliche) Lösungen: Für Kündigungen sollen einerseits "ausschließlich" die Bestimmungen des KSchG gelten (§ 2 Abs. 4 AGG). Andererseits soll das Lebensalter bei der Sozialauswahl berücksichtigungsfähig sein, sofern ihm kein "genereller Vorrang" (was, bitteschön, ist das?) vor den anderen Kriterien eingeräumt wird (§ 10 Nr. 6 AGG). Aber auch bei der Formulierung an sich geklärter Rechtsbegriffe tut sich der Gesetzgeber schwer. So findet man den (inhaltlich gemeinten) Begriff der "Verhältnismäßigkeit" gleich in vier (!) verschiedenen Umschreibungen (vgl. § 3 Abs. 2, § 5, § 8 Abs. 1, § 10 S. 1 u. 2 AGG), ohne dass für die unterschiedliche Wortwahl irgendeine Notwendigkeit bestünde. Schließlich verwendet der Gesetzgeber ohne Not arbeitsrechts-untypische Begriffe wie den des "Beschäftigten" (§ 6 Abs. 1 AGG). Warum nicht -- wie in anderen Gesetzen auch (vgl. nur § 5 BetrVG) -- auf den bewährten Arbeitnehmerbegriff zurückgegriffen wird, bleibt offen, zumal für selbstständige Personen in § 6 Abs. 3 AGG ohnehin eine Sonderregelung besteht. Auf einige der angesprochenen Unstimmigkeiten haben Fachleute bereits frühzeitig hingewiesen (zuletzt etwa Preis, NZA 2006, 406 [408 ff.]). Die Berliner Beratungsresistenz ist schon enorm.

Gesetzgeber

Beängstigend ist nicht nur der beschriebene Zustand. Man muss sich auch fragen, welche Vorteile ein Regierungswechsel überhaupt bringt, wenn sich der gesetzgeberische "Output" dadurch nicht nachhaltig ändert. Entscheidend ist doch nicht, ob die Frist für Diskriminierungsklagen am Ende drei oder zwei Monate beträgt. Dies kann man lange diskutieren. Für die betroffenen Unternehmen kommt es vielmehr darauf an, dass sie das Gesetz in der Praxis (rechts-)sicher handhaben können; und zwar ohne ständig auf einen Anwalt angewiesen zu sein. Dazu bedarf es eindeutiger Regelungen, die wenig Spielraum für Interpretationen lassen und die weder Arbeitnehmern noch Beratern neue Spielfelder eröffnen. In dieser Hinsicht haben die zuständigen "Texter" eindeutig versagt. Die Konsequenz kann eigentlich nur die Rote Karte sein!

 



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