Dr. Harald Kallmeyer,
Rechtsanwalt, Düsseldorf*
Bericht der Regierungskommission "Corporate
Governance"
Am 10.7.2001 hat die Regierungskommission "Corporate
Governance" unter der Leitung von Prof. Dr. Theodor Baums, Ordinarius
der Juristischen Fakultät der Universität Frankfurt am Main, ihren
Bericht mit einer Fülle von Empfehlungen für den Gesetzgeber vorgelegt
(abzurufen unter "http://www.otto-schmidt.de/ovs_reformvorhaben/9794_9811.html";
der Bericht erscheint auch in Buchform im Verlag Dr. Otto Schmidt KG).
Der ausführliche Titel der Kommission lautet: "Corporate Governance
– Unternehmensführung – Unternehmenskontrolle – Modernisierung des Aktienrechts",
also ein sehr umfassendes Programm. In dem Auftragsschreiben des Bundeskanzleramts,
personifiziert durch den Staatsminister Hans Martin Bury, finden sich
solche schönen Sätze wie: "Das deutsche System der Unternehmensführung
und Unternehmenskontrolle soll in seinen Stärken ausgebaut und mögliche
Defizite behoben werden, um im Wettbewerb der Corporate Governance Systeme eine
führende Rolle zu behaupten." Es tut angesichts aller Globalisierungskampagnen
und Stimmungsmache gegen die Deutschland AG wohl zu vernehmen, daß das
deutsche System der Unternehmensführung und Unternehmenskontrolle auch
Stärken hat. Wie sollten denn sonst die deutschen Unternehmen wirtschaftlich
so erfolgreich sein?
Zusammensetzung und Vorgehen der Kommission
Die Kommission hat sich in einer bunten Mischung
aus Unternehmensleitern (vor allem Finanzvorständen), Parlamentariern,
Gewerkschaftlern, Spitzenbeamten aus den Bundesministerien, Vertretern der Investoren,
Wirtschaftsprüfern, Unternehmensberatern und nicht zu vergessen Rechtsprofessoren
aus 23 prominenten Personen zusammen gesetzt. Man kann sich vorstellen, daß
ein solchermaßen heterogen zusammen gesetztes Gremium kaum als solches
arbeitsfähig und zu einheitlicher Willensbildung fähig ist. Deshalb
konnte sich die Arbeit nur so vollziehen, daß einzelne Mitglieder auf
ihren Spezialgebieten Vorschläge erarbeiten, die dann von den anderen Kommissionsmitgliedern
aufgrund lediglich einer Plausibilitätskontrolle abgenickt werden. Im Bericht
des Vorsitzenden wird dies so ausgedrückt, die Empfehlungen und der Bericht
seien zwar in Arbeitssitzungen (Anmerkung: an denen die Kommissionsmitglieder
gar nicht teilgenommen haben) unter Heranziehung von Mitarbeitern vorbereitet,
aber in allen Teilen von allen Mitgliedern überprüft und beschlossen
und demzufolge mitgetragen worden. Die Kommission habe bewußt, um zu gemeinsamen
Standpunkten zu finden, von Mehrheitsentscheidungen ebenso wie von abweichenden
Voten einzelner Mitglieder abgesehen.
Dieses Verfahren hat zu einer Fülle von Empfehlungen
geführt, denen man "an der Nasenspitze ansieht", von welchen
Kommissionsmitgliedern sie stammen. Es handelt sich auch nicht um ein geschlossenes
Konzept, sondern eine Sammlung von vielen Einzelpunkten, die natürlich
jeweils zu einem einheitlichen Themenbereich gehören, die aber nur in Ausnahmefällen
miteinander verzahnt sind. Dennoch schließt der Vorsitzende seinen Bericht
mit der Feststellung, das Ziel des Auftrages könne nur erreicht werden,
wenn die unterbreiteten Vorschläge als Teile eines Gesamtkonzepts verstanden
und behandelt werden.
Die Regierungskommission empfiehlt der Bundesregierung,
die im Bericht im einzelnen entwickelten und begründeten Vorschläge
möglichst umgehend umzusetzen. Entsprechend hat der Staatsminister Bury
angekündigt, die Bundesregierung werde in Kürze den Entwurf eines
"Transparenz- und Publizitätsgesetzes" vorlegen. Das geht also
wie das Bretzelbacken. Um so mehr ist jeder, der sich für die Rechtsentwicklung
in Deutschland verantwortlich fühlt, verpflichtet, die einzelnen Empfehlungen
der Kommission zur Kenntnis zu nehmen und sie auf ihre Praxistauglichkeit abzuklopfen.
Einzelne Vorschläge aus dem Bericht
Einzelne Vorschläge sollen hier vorgestellt
und kommentiert werden:
- Im Vordergrund steht die Schaffung eines deutschen Corporate
Governance-Kodex, ein Instrument, das mangels ausreichender Gesetzgebung
in den angelsächsischen Ländern entwickelt wurde und das nach den
Vorstellungen der Kommission bei uns ebenfalls eingeführt werden soll.
Wesentlich ist, daß es sich um ein einheitliches Regelwerk für
alle börsennotierten Unternehmen handelt, während von anderer Seite
noch kürzlich vorgeschlagen wurde, daß ein solcher Kodex nur Modellcharakter
haben solle, auf dessen Grundlage jedes Unternehmen seinen eigenen Kodex enwickelt.
Die Unternehmen sollen öffentlich erklären, daß sie den Kodex
beachten oder warum sie es – ganz oder teilweise – nicht tun. Der
Kodex soll inhaltlich von einer zu berufenden weiteren Regierungskommission
entwickelt und weiterentwickelt werden. Die jetzige Regierungskommission hat
aber bereits zahlreiche inhaltliche Vorschläge dazu unterbreitet.
- Ein erster Block von Empfehlungen betrifft die Leitungsorgane,
also Vorstand und Aufsichtsrat.
- Bezüglich Aufsichtsrat ist eine Empfehlung hervorzuheben,
die einer alten Forderung der Gewerkschaften im Zusammenhang mit der Mitbestimmung
entspricht: Während der geltende § 111 Abs. 4 S. 2 AktG
vorsieht, daß die Satzung oder der Aufsichtsrat bestimmen kann, daß
bestimmte Arten von Geschäften des Vorstands nur mit seiner Zustimmung
vorgenommen werden dürfen, empfiehlt die Kommission, die Worte "bestimmen
kann" durch "zu bestimmen hat" zu ersetzen -- eine kleine Änderung
mit großer Wirkung. Um diesen Vorschlag im Hinblick auf die Verbesserung
der Corporate Governance plausibel zu machen, wird hinzugefügt, daß
dazu Maßnahmen zählen sollten, die die Ertragsaussichten der Gesellschaft
oder ihre Risikoexposition grundlegend verändern. Zu erwähnen ist
auch, daß die Zahl der zulässigen Aufsichtsratsmandate per Corporate
Governance Kodex von bisher 10 auf nunmehr höchstens 5 verringert werden
soll. Alles dies sind Forderungen, die sich beim Gesetz zur Kontrolle und
Transparenz im Unternehmensbereich (KonTraG) v. 27.4.1998 nicht durchsetzen
konnten und deshalb erneut eingebracht wurden.
- Bezüglich des Vorstands wird empfohlen, die
sog. Business Judgement Rule in das Gesetz aufzunehmen. Das entspricht einer
Empfehlung des Deutschen Juristentages 2000 in Leipzig. Es bedeutet, daß
das unternehmerische Ermessen des Vorstands festgeschrieben wird. Andererseits
soll die Durchsetzung der Haftung des Vorstands durch Aktionäre erleichtert
werden. Es wird insoweit endgültig dem Aufsichtsrat das Vertrauen entzogen.
Auch insoweit handelt es sich um eine Korrektur des KonTraG, die auf die Beschlüsse
des Deutschen Juristentages 2000 zurückgeht. Bemerkenswert ist in diesem
Zusammenhang, daß künftig eine D&O-Versicherung für Vorstands-
und Aufsichtsratsmitglieder im Anhang des Jahresabschlusses offen gelegt werden
muß.
- Ein weiterer Block von Empfehlungen betrifft Aktionäre
und Anleger. Wichtigstes Thema ist die Hauptversammlung, bei der bekanntermaßen
erhebliche Mißstände festzustellen sind. Leider wird hier nur an
den Symptomen kuriert. Ein besonderes Anliegen ist auftragsgemäß
die sog. virtuelle Hauptversammlung. Insoweit wird eine Öffnung für
die Satzung empfohlen. Die Satzung soll vorsehen können, daß die
Aktionäre unmittelbar an der Hauptversammlung auch ohne eigene Präsenz
an deren Ort und ohne Zwischenschaltung eines Vertreters teilnehmen und sämtliche
oder einzelne Rechte im Wege elektronischer Kommunikation ausüben können.
Eine praktisch bedeutsame und allerdings zu Mißbrauch einladende Neuregelung
ist, daß die Gesellschaft Anträge von einzelnen Aktionären
mit Begründung und der Aufforderung an andere Aktionäre, sich dem
Antrag zur Geltendmachung eines Minderheitenrechts anzuschließen, unter
denselben Voraussetzungen wie bei Gegenanträgen auf ihrer Internetseite
veröffentlichen muß. Begrüßenswert ist, daß dem
Gesetzgeber empfohlen wird, die jüngste Rechtsprechung des BGH (BGH v.
18.12.2000 – II ZR 1/99, GmbHR 2001, 200 mit Komm. Kallmeyer)
zur Einschränkung der Anfechtungsklage wegen unzureichender Information
über Bewertungsfragen im Gesetz klarzustellen. Dies entspricht der im
GmbHR-Kommentar (GmbHR 2001, 204) geäußerten Meinung des Verfassers.
Auch im übrigen wird empfohlen, die Anfechtung wegen Informationsmängeln
einzuschränken. Ganz wesentlich ist, daß die Regelung des § 16
UmwG über die Registersperre bei Anfechtungen auf alle zu ihrer Wirksamkeit
eintragungsbedürftigen Beschlüsse mit Ausnahme einfacher Satzungsänderungen,
insbesondere Kapitalmaßnahmen, erstreckt werden soll. Auch sollen für
Anfechtungsklagen satzungsmäßige Schiedsklauseln zulässig
sein. Die Kommission macht sich hier weitgehend die Empfehlungen des Deutschen
Juristentages zu eigen.
- Ein weiterer Block betrifft die Unternehmensfinanzierung,
insbesondere die Deregulierung in diesem Bereich. Die Vorschläge zur
Deregulierung muten eher bescheiden an. Die Einführung von Penny-Stocks
ist nichts Bahnbrechendes. En passant wird eine Verbesserung des UmwG vorgeschlagen:
§ 141 UmwG, der die Spaltung von Aktiengesellschaften verbietet, die
noch nicht zwei Jahre im Register eingetragen sind, soll gestrichen werden.
Dies ist eine Nachbesserung zum Namensaktiengesetz, das bereits das
Nachgründungsrecht liberalisiert hat. Die Vorschriften über das
Bezugsrecht werden geringfügig den Bedürfnissen der Praxis angepaßt,
andererseits aber durch das Erfordernis eines Vorstandsberichts über
die Ausnutzung eines genehmigten Kapitals unter Bezugsrechtsausschluß
verschärft.
- Ein weiterer Block betrifft den Einsatz der Informationstechnologie
für die Publizität der Unternehmen. Soweit es um den Ersatz
der Papierform durch elektronische Übermittlung und die Einrichtung eines
Unternehmensregisters im Internet geht, sind die Empfehlungen unmittelbar
einsichtig. Soweit es jedoch um Erweiterungen der Publizitätspflicht
– auch durch den Corporate Governance Kodex – geht, besteht sicherlich
Diskussionsbedarf. Die Publizitätspflichten zur Vermeidung von Interessenkollisionen
sind sicherlich zu begrüßen.
- Ein letzter Block von Empfehlungen betrifft Rechnungslegung
und Prüfung. Die Pflicht zur Zwischenberichterstattung bei börsennotierten
Gesellschaften wird erheblich erweitert. Eine Fülle von Empfehlungen
sollen die Arbeit des Abschlußprüfers und seine Zusammenarbeit
mit dem Aufsichtsrat verbessern.
Ausblick
Abschließend kann man feststellen, daß
die Einsetzung dieser Regierungskommission vielfältig genutzt wurde, um
alle vorhandenen Vorschläge für Gesetzesänderungen zu sammeln
und an den Gesetzgeber heranzutragen. Eine Umsetzung aller dieser Empfehlungen
im Wege des Schnellschusses wird nicht möglich sein, wollte man nicht mitunter
erheblich über das Ziel hinausschießen.
* Raupach & Wollert-Elmendorff Rechtsanwaltsgesellschaft
mbH.
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