Oliver Habighorst / Dr. Bernd Nelißen, LL.M.*

Behinderung des Rechtsverkehrs durch § 15 HGB (?!)

I. Einleitung

"Solange eine in das Handelsregister einzutragende Tatsache nicht eingetragen und bekannt gemacht ist, kann sie von demjenigen, in dessen Angelegenheiten sie einzutragen war, einem Dritten nicht entgegengesetzt werden, es sei denn, daß sie diesem bekannt war." (§ 15 Abs. 1 HGB).

Inhalt und Bedeutung dieser zentralen Vorschrift des HGB -- Canaris, Handelsrecht, 23. Aufl. 2000, § 5, bezeichnet sie zu Recht als eine der wichtigsten des gesamten Handelsgesetzbuchs -- dürften jedem Juristen seit seinem Grundstudium bekannt sein. Als Teil der handelsrechtlichen Publizitätsvorschriften besteht ihr Zweck anerkanntermaßen in der Sicherung des gutgläubigen Verkehrs, d.h. der Schaffung von Rechtssicherheit, und damit (auch) der Beschleunigung des Rechtsverkehrs; die Teilnehmer am Handelsverkehr sollen ohne Kontrolle der zugrunde liegenden rechtlichen Verhältnisse (abstrakt) darauf vertrauen können, daß die Rechtslage den im Handelsregister eingetragenen und entsprechend bekannt gemachten Tatsachen entspricht (vgl. statt aller Baumbach/Hopt/Hopt, HGB, 31. Aufl. 2003, § 15 Rz. 1).

II. Probleme in der praktischen Anwendung

Umso bemerkenswerter ist, daß § 15 HGB -- von der rechtswissenschaftlichen Diskussion weithin unbemerkt -- in der praktischen Rechtsanwendung bisweilen zu erheblicher Rechtsunsicherheit, ja sogar zu einer Behinderung des Rechtsverkehrs führen kann. Dies sei am Beispiel der Bestellung bzw. Abberufung der Geschäftsführer einer GmbH exemplarisch erläutert. Entsprechende Probleme können sich letztlich jedoch bei allen eintragungspflichtigen Vorgängen ergeben. Zu nennen sind hier aufgrund ihrer praktischen Bedeutung insbesondere die Bestellung von Prokuristen, Änderungen in der Vertretungsbefugnis (z.B. Wechsel von Gesamt- zu Einzelvertretungsmacht, Befreiung von den Beschränkungen des § 181 BGB etc.), daneben aber auch die erstmalige Eintragung eines Kaufmanns oder einer Handelsgesellschaft. In der zuletzt genannten Konstellation gewinnt diese Problematik wegen der erst nach Eintragung geltenden Beschränkung der Haftung auf das Gesellschaftsvermögen (§ 13 Abs. 2 GmbHG) besonders an Schärfe.

Der Beschluß über die Bestellung oder Abberufung des Geschäftsführers einer GmbH ist gemäß § 39 Abs. 1 GmbHG zur Eintragung in das Handelsregister anzumelden. Nach der Eintragung hat das Gericht diese gemäß § 10 HGB (von Amts wegen) durch den Bundesanzeiger und durch mindestens ein weiteres Blatt bekannt zu machen (vgl. hierzu Ziff. 32 ff. HRV; die entsprechenden Blätter sind bis zum 6.12. eines jeden Jahres zu bezeichnen und werden durch Aushang an der Gerichtstafel des Registergerichts bekannt gemacht [Ziff. 11 HRV]). Zwar haben Eintragung und Bekanntmachung lediglich deklaratorische Bedeutung, so daß die Bestellung bzw. Abberufung gegenüber dem betroffenen Geschäftsführer und gegenüber der Gesellschaft bereits mit Wirksamkeit des entsprechenden Beschlusses wirksam werden (vgl. etwa Baumbach/Hueck/Zöllner, GmbHG, 17. Aufl. 2000, § 39 Rz. 15). Solange die Bestellung bzw. Abberufung nicht eingetragen und bekannt gemacht sind, kann sich die Gesellschaft -- § 15 HGB -- hierauf gegenüber Dritten jedoch nicht berufen, es sei denn (was von der Gesellschaft in aller Regel kaum sichergestellt oder bewiesen werden kann), der Dritte hatte zum Zeitpunkt der Transaktion von der betreffenden Tatsache, hier also der Bestellung bzw. Abberufung, positive Kenntnis.

Wie erfährt die Gesellschaft als diejenige, in deren Angelegenheiten die Eintragung und Bekanntmachung erfolgen, wann diese beiden Voraussetzungen -- Eintragung und Bekanntmachung -- erfolgt sind? Die gleichen Fragen stellen sich Notar und anwaltlichem Berater, von denen die Beteiligten die entscheidenden Hinweise erwarten. Während eine Mitteilung über die Handelsregistereintragung dem Anmeldenden regelmäßig unverzüglich nach Eintragung übersandt wird oder der direkte Kontakt zum Handelsregister über den Zeitpunkt der Eintragung informiert (vgl. Ziff. 36, 38a HRV), geschieht dies im Hinblick auf die Bekanntmachungen im Bundesanzeiger und den weiteren Veröffentlichungsblättern gerade nicht. Lediglich durch die, einer Bekanntmachung einige Wochen später nachfolgende Rechnung erfahren die betreffenden Personen, daß zu einem nicht näher bestimmten Zeitpunkt die Bekanntmachung (offenbar) erfolgt ist.

Diese Zeit der Unsicherheit zwischen Bestellung bzw. Abberufung und Eintragung und Bekanntmachung kann für die betroffene Gesellschaft indes mit erheblichen Risiken behaftet sein: So kann z.B. ein neu bestelltes Mitglied der Geschäftsführung in dieser Zeit gegenüber einem gutgläubigen Dritten nicht ohne weiteres Geschäfte tätigen, ohne Gefahr zu laufen, daß sich der Dritte hiervon, sollte sich das Geschäft für ihn später als unvorteilhaft erweisen, unter Berufung auf § 15 Abs. 1 HGB wieder zu lösen versucht. Die Gesellschaft ist aufgrund der Unsicherheit, ob und wann die letzte Bekanntmachung tatsächlich erfolgt ist, in der Freiheit ihrer Betätigung daher jedenfalls aus Vorsichtsgründen erheblich gehemmt. Ebenso schwer wiegen die Folgen auch im umgekehrten Fall der Abberufung eines Geschäftsführers: Dieser kann die Gesellschaft bis zur letzten Bekanntmachung de facto weiterhin wirksam verpflichten und mag dies tun, etwa, wenn er seine Abberufung für unwirksam hält. Inwieweit die Gesellschaft sich aufgrund solcher Rechtshandlungen durchsetzbaren Verpflichtungen gegenübersieht, wird sich im Nachhinein, wenn überhaupt, oft nur schwer feststellen lassen.

Dem beratenden Notar bzw. Anwalt ist es mithin ohne die tägliche Lektüre sämtlicher einschlägiger Veröffentlichungsblätter -- und wer unterzieht sich schon dieser Mühe? -- nicht möglich, dem Mandanten zuverlässig mitzuteilen, wann genau Dritten der Einwand des § 15 Abs. 1 HGB nicht mehr zur Verfügung steht, oder, positiv gewendet, ab wann er sich auf § 15 Abs. 2 HGB berufen kann -- ein in Hinblick auf die eingangs dargestellte Funktion des § 15 Abs. 1 HGB nur schwer erträgliches Ergebnis!

III. Lösungsmöglichkeiten de lege ferenda

Abhilfe könnte zum einen dadurch geschaffen werden, daß das Registergericht von dem (nur) ihm zur Verfügung gestellten Belegexemplaren jeweils auszugsweise Kopien mit an den Anmeldenden übermittelt. Dies dürfte angesichts der bereits gegenwärtig festzustellenden Überlastung der Registergerichte und der Finanznot der Länder indes nicht praktikabel sein.

Eine Lösung könnte zum anderen darin bestehen, in § 15 HGB ausschließlich auf die Registereintragung abzustellen. Dies entspräche auch der Handhabung in der Praxis, in der die entsprechenden Nachweise über Vertretungsbefugnisse in der Regel ausschließlich durch die Vorlage von Handelsregisterauszügen, und nicht etwa durch die ergänzende Beibringung von Ausschnitten aus (sämtlichen relevanten) Tageszeitungen, erbracht werden. Als positiver Nebeneffekt entfiele mit dem alleinigen Abstellen auf die Registereintragung zugleich die Problematik eines Auseinanderfallens von Eintragung und Bekanntmachung im Rahmen des § 15 Abs. 3 HGB. Angesichts der EG-rechtlichen Grundlage des § 15 Abs. 3 HGB (zur Entstehungsgeschichte vgl. etwa Canaris, aaO, § 5 III.1.b) dürfte aber auch diese Lösung eher theoretischer Natur sein.

IV. Lösungsmöglichkeiten de lege lata

Will man sich nicht der Mühe unterziehen, alle denkbaren Veröffentlichungsblätter täglich durchzusehen, so bleibt für die Praxis nur der Ratschlag, bis zum Erhalt der Rechung über die Eintragung und Anmeldung jedenfalls bei bedeutenden Rechtsgeschäften eine Abschrift des Bestellungs- bzw. Abberufungsbeschlusses beizufügen und damit eine positive Kenntnis des Vertragspartners i.S.d. § 15 Abs. 1, Halbs. 2 HGB zu schaffen. Dies ist zwar ganz sicher nicht die Vorgehensweise, die der Gesetzgeber bei Erlaß des § 15 HGB vor Augen hatte (Stichwort: Sicherheit, Vereinfachung und Beschleunigung des Rechtsverkehrs); angesichts der dargestellten Unzulänglichkeit des Informationsflusses zwischen Registergericht bzw. Veröffentlichungsmedium einerseits und Anmeldepflichtigem andererseits dürfte dies bis zu einer praktisch befriedigenden Lösung durch den Gesetzgeber indes der einzig gangbare Weg sein. Im Fall der Kompetenzanmaßung abberufener Geschäftsführer hilft er allerdings gleichwohl nicht weiter.

Was bleibt, ist das Erstaunen, daß unser scheinbar so ausgefeiltes, in weiten Teilen überreguliertes Rechtssystem selbst bei einem so alltäglichen Vorgang wie der Bestellung oder Abberufung von Geschäftsleitungsorganen in der praktischen Anwendung Lücken aufweist, die den, von einer seiner zentralen Regelungen verfolgten Zweck in erheblichem Maße konterkarieren.

* Oliver Habighors,t Fachanwalt für Steuerrecht, und Dr. Bernd Nelißen, LL.M., sind Rechtsanwälte der internationalen Rechtsanwaltssozietät White & Case LLP in Frankfurt a. M.

 

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