Prof. Dr. Ulrich Prinz,
Wirtschaftsprüfer und Steuerberater,
Bonn*

Komplex und unübersichtlich: Die neue Zinsschranke und ihre IFRS-Bezüge

Die auf kapitalmarktorientierte Unternehmen ausgerichtete IFRS-Rechnungslegung mit ihren für den deutschen prinzipienorientierten Rechtsanwender höchst gewöhnungsbedürftigen Case-Law-Strukturen hält langsam Einzug in klassische Bereiche deutschen Ertragsteuerrechts. Die auf IFRS (= International Financial Reporting Standards) basierende Starting Point-Diskussion um die Entwicklung einer einheitlichen europäischen Bemessungsgrundlage (CCCTB-Projekt, Common Consolidated Corporate Tax Base), zumindest eines eigenständigen steuerlichen Gewinnermittlungsgesetzes bei Aufgabe des Maßgeblichkeitsgrundsatzes, hat schon vor einigen Jahren begonnen. Das deutsche REIT-Gesetz für die börsennotierte Immobilien AG weist ebenfalls neuartige Bezüge zur IFRS-Rechnungslegung auf (§ 12 REITG). Mit hochbrisanter Aktualität nimmt nunmehr auch das kürzlich verabschiedete "Unternehmensteuerreformgesetz 2008" (BGBl. I 2007, 1912) mit der sog. Zinsschranke (§ 4h EStG, § 8a KStG) unter verschiedenen Aspekten auf die IFRS mit dynamischem Rechtsverweis Bezug. Das neue, abzugsbegrenzende Finanzierungsregime gilt ab 1.1.2008, kann aber auch bereits rückwirkend für Unternehmen mit abweichendem Geschäftsjahr wirken (§ 52 Abs. 12d EStG). Welche IFRS konkret gemeint sind -- die vom IASB als privatem Standardsetzer in London originär entwickelten oder die durch das sog. Endorsement-Verfahren europäisierten -- sagt das Gesetz nicht. Man wird wohl direkte und indirekte IFRS-Bezüge unterscheiden müssen; zumindest vier Beziehungsstränge lassen sich erkennen.

Zum ersten und ausdrücklich im Gesetzestext angelegt ist die IFRS-Bezugnahme bei der auf einen Eigenkapitalquotenvergleich ausgerichteten Escape-Regelung für konzerngebundene Betriebe (§ 4h Abs. 2 Buchst. c EStG). Konzernabschluss und betriebliche Einzelabschluss sind unter Berücksichtigung bestimmter Modifikationen mit ihrer Eigenkapital-/Fremdkapital-Quote zu vergleichen, wobei eine einheitliche Wahlrechtsausübung erfolgen muss; besonders problematisch dürfte hier die Kürzung des Eigenkapitals um die Buchwerte gehaltener Beteiligungen sein (fehlende Holdingklausel). Die für den Eigenkapitalvergleich maßgeblichen Abschlüsse sind vorrangig nach den IFRS zu erstellen; nach der Begründung des Regierungsentwurfs und dem Rechtsverweis auf §§ 291, 292 HGB sind hier vermutlich die IFRS endorsed gemeint. Nur wenn es daran im laufenden und in den letzten fünf Wirtschaftsjahren durchgängig fehlt, können Abschlüsse nach EU-Handelsrecht (also einschließlich der HGB-Rechnungslegung) und -- weiter nachrangig -- der US-GAAP erstellt werden. Ggf. sind Überleitungsrechnungen anzufertigen, einer prüferischen Durchsicht zu unterziehen und auf Verlangen der Finanzbehörde (aber wohl nicht auf deren Kosten) durch einen legitimierten Abschlussprüfer (§ 319 HGB) zu prüfen. Nur bei Betrieben, in denen die Gesellschafter über gesellschaftsrechtliche Kündigungsrechte verfügen, ist mindestens das Eigenkapital nach HGB anzusetzen; dies zielt auf die IAS 32-Eigenkapital-Problematik vor allem für deutsche Personengesellschaften. Was im Anwendungsbereich des § 8a KStG bei Kapitalmarktbezug durchaus Sinn machen kann, mutet bei mehr mittelständischen Anwendungsfragen des § 4h EStG -- trotz der Freigrenze von 1 Mio. € -- eher befremdlich an, zumal IFRS auf rein kapitalmarktbezogene Informationsinteressen ausgerichtet sind und nicht als Ausschüttungsgrundlage dienen.

Die zweite direkte IFRS-Bezugnahme erfolgt bei der Frage, ob der für die Anwendung der Zinsschranke zu beurteilende Betrieb "konzernzugehörig" ist. Die Anwendung der Zinsschranke entfällt bei fehlender Konzernzugehörigkeit. Insoweit wird zum einen auf die beim Eigenkapital-Quotenvergleich anzuwendenden Rechnungslegungsstandards -- also vorrangig die IFRS -- verwiesen. Zum anderen liegt eine Konzernzugehörigkeit auch bereits dann vor, wenn die Finanz- und Geschäftspolitik des zu beurteilenden Betriebs mit einem oder mehreren anderen Betrieben einheitlich bestimmt werden kann (§ 4h Abs. 3 EStG). Bei diesem erweiterten Konzernbegriff nimmt der Gesetzgeber Anleihen im Control-Konzept von IAS 27; die Möglichkeit zur Einflussnahme sowie indirekt bestehende Rechte können daher zur Konzernierung im Einzelfall bereits genügen.

Aber damit nicht genug der Bezüge zur internationalen Rechnungslegung, allerdings nun mehr indirekter Art. Die Zinsschranke begrenzt nämlich den finanzierungsbezogenen Betriebsausgabenabzug auf 30 % des sog. steuerlichen EBITDA (Earnings Before Interest, Taxes, Depreciation and Amortization); insoweit wird die klassische Orientierung am steuerlichen Gewinn oder Einkommen in Richtung internationaler kapitalmarktüblicher strategischer Kenngrößen modifiziert. Dieser internationalisierte Wirkungsmechanismus der Zinsschranke ist neu. Dies gilt auch für die Rechtsfolgen der in einem Wirtschaftsjahr nicht abziehbaren Zinsaufwendungen, die nicht gänzlich für den steuerlichen Abzug verloren sind, sondern in den folgenden Wirtschaftsjahren unbegrenzt -- wie ein Verlustabzug nach § 10d EStG -- vorgetragen werden. Dadurch soll letztlich wohl auch verfassungsrechtlichen Einwendungen aus dem objektiven Nettoprinzip begegnet werden. Bei Umstrukturierungen, Gesellschafterwechseln usw. kann der Zinsvortrag allerdings ganz oder teilweise untergehen. Die Idee zum Zinsvortrag stammt aus dem internationalen Tax Accounting -- also vor allem IAS 12 --, wonach unter bestimmten eng gefassten Voraussetzungen latente Steuern auf Zinsvorträge im Konzernabschluss aktiviert werden können. Damit soll die Konzernsteuer-Quote von der Zinsschranke weitgehend unberührt bleiben. Praktisch wird dieser Mechanismus aber häufig wegen geplanter Umstrukturierungen nicht zum Zuge kommen. Damit wird der Sinn des Zinsvortrags in Teilen torpediert.

Kreativität wird man dem "Zinsschranken-Gesetzgeber" sicher nicht absprechen können. Ob die vermeintliche Modernität der IFRS-Bezüge -- manche sprechen schon von einer abgeschwächten IFRS-Maßgeblichkeit -- wirklich zukunftsweisend ist, mag man bezweifeln, bleibt aber letztlich abzuwarten. Bei den direkten Bezügen könnte zukünftig eine wechselweise Beeinflussung von Zinsschranke und IFRS-Rechnungslegung erfolgen. Unschärfen, Wahlrechte und Ermessensspielräume der IFRS erlangen dadurch steuerliche Relevanz. Umgekehrt dürften bei internationalen Rechnungslegungsfragen auch steuerliche Zinsschrankenaspekte Beachtung finden. Hat der Steuergesetzgeber dies wirklich alles "zu Ende gedacht"?

 

* Partner der Kanzlei FLICK GOCKE SCHAUMBURG.




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