Friedrich Merz, MdB,
Rechtsanwalt, Vorsitzender der
CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Berlin

Das Chaos im Steuerrecht muß dringend beseitigt werden!

Gleichgewichtiges Vorgehen bei Steuerpolitik

Um die Bilanz der Steuerpolitik der letzten vier Jahre verdeutlichen zu können, soll ein Blick in die Vergangenheit helfen. Die dreistufige große Steuerreform von 1986/88/90 entsprach in ihrem Grundprinzip dem, was man später als symmetrische Finanzpolitik bezeichnet hat: Die staatlichen Ausgaben zurückführen, Schulden abbauen, aber auch gleichgewichtig und im selben Maße die Steuerbelastung der Bürger und der Unternehmen senken. Diese Politik hat es überhaupt erst ermöglicht, die Wiedervereinigung zu bewältigen. Sie war erfolgreich und sollte als gute Vorarbeit für die heutige Steuerpolitik dienen. Aber genau das ist es, was wir bei der Finanz- und Haushaltspolitik in der 14. Legislaturperiode vermißt haben: Bundesfinanzminister Hans Eichel hatte nur sein Sparziel der Investitionskürzung vor Augen, ohne Rücksicht und auf Kosten der Wachstumskräfte, die sich bei einer weiter steigenden Steuer- und Abgabenbelastung nicht zu entfalten vermochten.

Der Grundsatz gleichgewichtigen Vorgehens hätte insbesondere bei der Unternehmenssteuerreform Berücksichtigung finden müssen -- die Regierung Schröder hat sich dagegen entschieden.

Unverständlichkeit des geltenden Steuerrechts

Das heute geltende Steuerrecht, geprägt vom Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 v. 24.3.1999 (BGBl. I 1999, 402) und dem Steuersenkungsgesetz 2000 v. 23.10.2000 (BGBl. I 2000, 1433), ist aus sich heraus nicht mehr verständlich. Die Bundesregierung hat in den letzten vier Jahren über 40 Steuergesetze und über 60 Rechtsverordnungen bzw. Richtlinien auf den Weg gebracht. Bei letzteren handelte es sich um zahlreiche Nachbesserungsgesetze und Klarstellungen, ohne die manche Vorschrift nicht umsetzbar bzw. mißverständlich gewesen wäre. So nutzte die Bundesregierung z.B. das 5. Gesetz zur Änderung des Steuerbeamten-Ausbildungsgesetzes (BGBl. I 2002, 2715) im Februar 2002 für Korrekturen in neun Steuergesetzen und zwei Durchführungsverordnungen. Unternehmer sehen sich außerstande, den umfassenden Pflichten und Belastungen, die sich für sie aus dieser staatlichen "Regulierungswut" ergeben, zu erfüllen. Einige Vorschriften, wie die Mindestbesteuerung nach § 2 Abs.3 EStG, sind von einer solchen Komplexität, daß sie vom Rechtsanwender nicht mehr verstanden werden und daher auch nicht vollzogen werden können. Ein Blick in die steuerrechtliche Kommentarliteratur bestätigt dies. Die Meinungsvielfalt ist hoch (vgl. nur Kirchhof in Kirchhof, EStG Kompakt Kommentar, § 2 Rz. 81 ff., Rz. 95; Seeger in Schmidt, EStG, § 2 Rz. 57 ff.). Die steuerliche Beratung wird zum Pokerspiel. Viele Vorschriften führen dazu, daß ökonomisch sinnvolle Investitionen steuerlich schädlich sind und deshalb unterbleiben. Umgekehrt kann was steuerlich sinnvoll ist, ökonomisch unsinnig sein.

Der Verwaltung geht es nicht besser. Sie ist den ständigen Änderungen des Steuerrechts ebenso wenig gewachsen. Einzelne Vorschriften werden nur noch von wenigen Ministerialexperten beherrscht. Erschwerend wirkt die Unsitte, daß zahlreiche steuerliche Änderungen rückwirkenden Charakter haben. Diese unechte Rückwirkung ist zwar nach derzeitiger verfassungsrechtlicher Rechtsprechung zulässig, für den Einzelnen ist das Steuerrecht damit aber überhaupt nicht mehr planbar.

Die Zeit ist reif für eine große Steuerreform, die den Vorgaben "einfacher, niedriger und gerechter" entspricht. Ziel muß die Schaffung eines Steuerrechts sein, das zu Investitionen und Leistungsbereitschaft motiviert und international wieder wettbewerbsfähig ist. Mir ist durchaus bewußt, daß sich die Union damit für die nächste Legislaturperiode ein hohes Ziel gesteckt hat. Dennoch bin ich der festen Überzeugung, daß eine solche Reform unausweichlich ist. Prämisse muß sein, daß diese Reform gut vorbereitet ist und nicht zu solchen Verwerfungen führt, wie wir sie heute nach der Unternehmenssteuerreform erleben.

Negative Auswirkungen des Systemwechsels bei der Körperschaftsteuer

Heute zeigt sich mehr denn je, daß der Übergang vom Anrechnungsverfahren auf das Halbeinkünfteverfahren nicht ausreichend vorbereitet war. Die Entwicklung bei den Körperschaftsteuereinnahmen macht dies deutlich: Während die Körperschaftsteuer im Jahr 2000 noch mit 23,6 Mrd. Euro zur Finanzierung des Staatshaushalts beigetragen hatte, war das Aufkommen im Jahr 2001 negativ. Die Finanzämter mußten rund 425 Mio. Euro mehr Körperschaftsteuer an die Unternehmen zurückerstatten, als sie eingenommen haben. Erste Zahlen über die Steuereinnahmen dieses Jahres (Monatsbericht für den Monat Juli 2002, aus dem Hause von Bundesfinanzminister Eichel) weisen ein negatives Körperschaftsteueraufkommen i.H.v. ca. 1,3 Mrd. Euro aus. Für die öffentlichen Haushalte werden diese ungeahnten Ausfälle bei den Körperschaftsteuereinnahmen dramatische Konsequenzen haben.

Ursache des Einbruchs bei den Steuereinnahmen ist nach Angaben der Bundesregierung (BT-Drucks. 14/9811, Antwort der Bundesregierung v. 17.7.2002 auf eine Kleine Anfrage der CDU/CSU- Bundestagsfraktion) das von ihr falsch eingeschätzte Ausschüttungsverhalten der Unternehmen. Viele Unternehmen versuchen nach wie vor in den Genuß ihrer noch unter dem früheren Anrechnungsverfahren angesammelten Körperschaftsteuerguthaben zu gelangen. Diese Situation wird sich voraussichtlich nicht wesentlich entspannen. Der wiederholt geäußerte Hinweis der Regierungsvertreter, es handele sich um Einmaleffekte, greift nicht. Auf die Kleine Anfrage der CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat die Bundesregierung offenbart, daß noch Steuergutschriften i.H.v. 25,5 Mrd. Euro ausstehen. Bei Verabschiedung der Unternehmenssteuerreform ist die Bundesregierung von einem bestehenden Körperschaftsteuerguthaben aller Unternehmen von 30,8 Mrd. Euro ausgegangen. Bislang wurden also lediglich 1/6 des Körperschaftsteuerguthabens vom Fiskus an die Unternehmen ausgekehrt. Sollte sich die konjunkturelle Lage nicht rasch erholen und das Ausschüttungsverhalten der Unternehmen gleich bleiben, wird auch in den kommenden Jahren mit keinem nennenswerten Körperschaftsteueraufkommen zu rechnen sein.

Der Systemwechsel bei der Körperschaftsteuer hat ferner dazu geführt, daß die Rechtsformneutralität bei der Unternehmensbesteuerung aufgegeben wurde. Das Halbeinkünfteverfahren ist auf den ersten Blick ein einfaches Verfahren. Hinsichtlich der Wechselwirkung mit dem übrigen Steuersystem steckt jedoch der Teufel, wie so oft, im Detail. Die Definitivbesteuerung bei Kapitalgesellschaften hat dazu geführt, daß Personenunternehmen gegenüber Kapitalgesellschaften bei der Besteuerung des "einbehaltenen Gewinns" schlechter gestellt sind. So unterliegen Kapitalgesellschaften dort bei einem Gewerbesteuerhebesatz von 390 % (durchschnittlicher Gewerbesteuerhebesatz in Deutschland) lediglich einem Steuersatz von 38,4 % (KSt., GewSt., SolZ), bei einem alleinstehenden Personenunternehmer beträgt die Grenzsteuerbelastung in der Spitze hingegen 55,2 % (ESt., GewSt., SolZ). Die seit 1.1.2001 bestehende Möglichkeit der Anrechnung der Gewerbesteuer bei der Einkommensteuer ist bei dieser Berechnung bereits berücksichtigt.

Verbesserung der Eigenkapitalbildung

Die Frage der Besteuerungshöhe des "einbehaltenen Gewinns" wird in den kommenden Jahren an Aktualität gewinnen. Vor dem Hintergrund der zunehmend restriktiven Kreditvergabepraxis der Banken und der Neuordnung der Bankenaufsicht unter Basel II wird die eigene Ausstattung der Unternehmen mit Eigenkapital (EK-Quote) zukünftig wesentlich darüber entscheiden, ob und zu welchen Konditionen ein Unternehmen Kredite erhält. Die rot-grüne Unternehmenssteuerreform hat dazu geführt, daß Personenunternehmen im Vergleich zu Kapitalgesellschaften aber ungleich schwieriger Eigenkapital bilden können. Im internationalen Vergleich sind insbesondere kleine und mittlere Unternehmen mit zu wenig Eigenkapital ausgestattet. Die Union hat sich deshalb dafür ausgesprochen, die Bildung von steuerlichen Rücklagen zu verbessern. Ziel muß sein, daß sich die Eigenkapitalquote deutscher Unternehmen verbessert.

Weitere Absenkung der Steuerbelastung

Parallel zur Steuervereinfachung bedarf es auch einer weiteren Absenkung der Steuerbelastung insgesamt. Mittelfristig und schrittweise muß der Einkommensteuerspitzensatz auf unter 40 % und der Eingangsteuersatz auf unter 15 % abgesenkt werden.

In der von uns geplanten großen Steuerreform müssen wir uns auch über die Besteuerung von Veräußerungsgewinnen Gedanken machen. Es werden immer mehr Einzelfälle bekannt, in denen es Unternehmen gelingt, Milliardengewinne aus Beteiligungsverkäufen endgültig der inländischen Besteuerung zu entziehen. Dies ist eine Entwicklung, die weder unter dem Gesichtspunkt der Lastengleichheit noch unter haushaltswirtschaftlichen Gesichtspunkten hinnehmbar erscheint. Bereits mehrfach habe ich daher die Absicht erklärt, die seitens der Bundesregierung durchgesetzte Körperschaftsteuerbefreiung von Veräußerungsgewinnen einer Überprüfung zu unterziehen. Es existieren in diesem Zusammenhang bereits Änderungsvorschläge (sehr interessant in diesem Zusammenhang ist z.B. der Beitrag des Kollegen Pöllath, Veräußerungsgewinn-Besteuerung 2002 -- was nun?, DB 2002, 1342), die im Rahmen unserer Überprüfung sicherlich berücksichtigt werden. Welches Ergebnis am Ende dieser Überprüfung stehen wird, läßt sich wegen der Komplexität des Themas nicht voraussagen. Sorgfalt und Gründlichkeit müssen auch in der Steuergesetzgebung wieder den Vorrang vor Schnelligkeit und Aktionismus bekommen.

Auch die zukünftige Besteuerung von Kapitaleinkünften wird in unseren Überlegungen eine wichtige Rolle spielen. Eine Abgeltungssteuer für Kapitaleinkünfte i.H.v. bis zu 25 % wäre m.E. eine gerechtere und effizientere Art der Steuererhebung. Selbstverständlich müßte ein solches Modell sozial ausgestaltet werden.

Im Rahmen eines solchen Systemwechsels sollte man auch den Mut haben, offen und ehrlich darüber zu diskutieren, wie man Steuerpflichtige, die ihre Zinseinkünfte bislang nicht nach deutschem Recht versteuert haben, dazu bewegen kann, ihre Kapitaleinkünfte wieder bei der Steuer anzugeben. Der Einzelne wird sich meiner Ansicht nach nur dann wieder einem neuen System unterwerfen, wenn mit der Nachversteuerung nicht gleich sein ganzes Vermögen aufgefressen wird. Italien und Österreich haben es uns vorgemacht. Wenn mit einer begrenzten Nachversteuerung die Steuerlast für alle gesenkt werden kann, dann werden die Ehrlichen am Ende auch nicht die Dummen sein.

Ein wichtiges Anliegen erscheint mir auch die Förderung des Generationenwechsels, der in den kommenden Jahren bei über 400.000 Betrieben ansteht. Zahlreiche Arbeitsplätze stehen hier auf dem Spiel. Ein wichtiger Ansatz kann dabei die Erbschaftsteuer sein. Der neuerliche Vorlagebeschluß des BFH an das BVerfG zum Erbschaftsteuer- und Bewertungsgesetz (BFH v. 22.5.2002, GmbHR 2002, 917 -- Volltext) hat bei vielen Betroffenen zu Rechtsunsicherheit geführt. Entgegen allen Bestrebungen der SPD wird es mit CDU und CSU keine Erhöhung bei der Erbschaftsteuer geben. Ganz im Gegenteil: gerade wegen des anstehenden Generationenwechsels muß über weitere Erleichterungen bei der Erbschaftsteuer nachgedacht werden, wie z.B. an eine zinslose Stundung der Steuer, die später erlassen wird, wenn das Unternehmen mindestens 10 Jahre durch die nächste Generation fortgeführt wird.

Umfassende Reform der Gemeindefinanzen

Ein weiteres wichtiges Projekt wird in den nächsten Jahren die umfassende Reform der Gemeindefinanzen sein.

Im Zusammenhang mit der angestrebten finanziellen Besserstellung der Kommunen setzen wir auf einen 2-Stufen-Plan. In einer ersten Stufe wird, quasi als Sofortmaßnahme, die Gewerbesteuerumlage auf das Niveau vor der Schröder-"Steuerreform" zurückgeführt. Im Anschluß daran muß schnellstens, in der 2. Stufe, eine umfassende Gemeindefinanzreform auf den Weg gebracht werden mit dem Ziel einer berechenbaren und wachstumsfähigen Steuerquelle für die Kommunen. Im Rahmen dieser Reform muß auch über die Zukunft der Gewerbesteuer nachgedacht werden. Denn die Kommunen müssen wieder über eine sichere Einnahmequelle verfügen. Zuvor müßte im föderalen Staat der Bundesrepublik Deutschland eine Neuverteilung und Neuabgrenzung der Aufgaben zwischen Bund, Ländern und Gemeinden vorgenommen werden. Ein wichtiges Element einer Gemeindefinanzreform könnte dann ein eigenständiges Hebesatzrecht der Kommunen im Ertragsteuerbereich sein.

Fazit

Nach meinem Dafürhalten sind gerade nicht die mehr oder weniger kunstvollen Korrekturen an den Steuersätzen notwendig, um die Zustimmung der Steuerpflichtigen zu einer als gerecht und angemessen empfundenen Steuerlast zurückzugewinnen. Es geht vielmehr um eine konsequente Vereinfachung unseres Steuerrechts. Das Verhältnis zwischen Steuerstaat und Steuerbürger kann nur wieder in Ordnung gebracht werden, wenn sich der Staat in seinen Aufgaben beschränkt und die dazu notwendigen Steuereinnahmen auf der Basis eines durchschaubaren und allgemein akzeptierten Steuerrechts erhebt.

 


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