Dr. Andreas Rohde,
Rechtsanwalt und Steuerberater, Bonn

Das (steuerliche) Gesetzgebungsverfahren -- komplex, aber für Unternehmen und Berater bedeutsam

Der Berater ist zunehmend gefordert, sich schon vor Inkrafttreten eines Gesetzes mit ihm auseinanderzusetzen, um auf die mögliche neue Rechtslage reagieren zu können. Zuletzt hat die Fachwelt das "Steuervergünstigungsabbaugesetz" und die stückweise Korrektur desselben beschäftigt, nunmehr hat sich die Fachwelt mit dem "Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Protokollerklärung der Bundesregierung zur Vermittlungsempfehlung zum Steuervergünstigungsabbaugesetz" zu befassen (dazu Lingemann, GmbHR 2003, 333 sowie Wiese/Klass, GmbHR 2003, 1029 -- in diesem Heft).

Seit die Bundesregierung nach der Wahl ihre Koalitionsvereinbarung bekannt gegeben hat, haben umfangreiche Beratungen stattgefunden, um ggf. noch vor der Umsetzung der in Aussicht gestellten Änderungen Gestaltungen vorzunehmen, obwohl von Beginn an unsicher war, ob und welche Teile des Vorhabens letztendlich Gesetz werden. Die gefundenen Kompromisse haben dazu geführt, daß große Teile des Vorhabens wieder in der Schublade versunken sind und durchgeführte Gestaltungen ins Leere laufen oder sogar schädlich waren.

Dem Steueranwender mag das Prozedere des Gesetzgebungsverfahrens in mancher Hinsicht unklar erscheinen. Im folgenden soll daher ein kurzer Überblick über die verschiedenen Stationen verschafft werden, die ein Gesetz bis zu seinem Inkrafttreten durchlaufen muß.

Am Anfang jedes Gesetzgebungsverfahrens steht die Frage der Gesetzgebungskompetenz. Das GG geht grundsätzlich von der Zuständigkeit der Länder aus. Der Bund kann danach nur tätig werden, wenn dies durch das GG vorgesehen ist. Im Rahmen der ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz ist der Bund alleine befugt, Gesetze zu erlassen. Bei der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz können die Länder so lange tätig werden wie keine gesetzliche Regelung durch den Bund getroffen wurde. Zudem kann der Bund seine Kompetenz in diesen Bereichen nur ausüben, wenn eine bundeseinheitliche Regelung erforderlich ist. Die Rahmengesetzgebungskompetenz befugt den Bundesgesetzgeber dagegen ausschließlich zur Ausfertigung allgemeiner Grundsätze, innerhalb derer den Ländern die detaillierte Ausgestaltung des Bereichs verbleiben soll. In Ausnahmefällen kann der Bund eine Zuständigkeit darüber hinaus z.B. herleiten, auch wenn er nicht durch das GG ermächtigt ist, wenn eine Materie bereits begriffsnotwendig vom Bund geregelt werden muß, wie z.B. die Bestimmung der Bundeshauptstadt.

Im Bereich der Steuergesetzgebung hat nach der Aufgabenverteilung des GG der Bund eine ausschließliche Kompetenz in Bezug auf die Regelung von Zöllen und Finanzmonopolen. Alle übrigen Steuergesetze können vom Bundesgesetzgeber nur im Rahmen einer konkurrierenden Gesetzgebung erlassen werden. Voraussetzung hierfür ist, daß dem Bund entweder ein Teil des Steueraufkommens zusteht oder aber eine bundeseinheitliche Regelung erforderlich ist.

Das Gesetzgebungsverfahren auf Bundesebene läßt sich grundsätzlich in 5 Phasen aufteilen: Die Gesetzentwurfsphase (1), das Einbringen in den Bundestag (2), die Beratungs- und Beschlußphase (3), die Beteiligung des Bundesrates (4) und letztendlich die Ausfertigung durch den Bundespräsidenten (5).

I. Gesetzentwurf

Am Anfang steht ein Entwurf, der in dieser Form durch das Plenum des Bundestages beschlossen werden könnte und auch der gerichtlichen Überprüfung standhalten würde. Dabei können tätig werden der Bundesrat durch Mehrheitsbeschluß, der Bundestag selbst, wobei sich die hierfür jeweils einzuhaltenden Verfahrensvorschriften in den entsprechenden Geschäftsordnungen finden, sowie die Bundesregierung durch Kabinettsbeschluß, dem regelmäßig ein Referentenentwurf aus dem zuständigen Bundesministerium zugrunde liegt. Die betroffenen Interessensgruppen können hier schon in den Prozeß mit einbezogen werden. Der Entwurf wird vom Fachminister an diejenigen Ministerien weitergeleitet, deren Ressorts durch das Gesetzesvorhaben tangiert werden. Das Justizministerium überprüft, ob der Entwurf den Rechtsförmlichkeiten genügt. Erst dann wird das Vorhaben dem Kabinett zum Beschluß vorgelegt.

II. Einbringung in den Bundestag

Es folgt die Einbringung der Gesetzesvorlage. Handelt es sich um einem Entwurf "aus der Mitte des Bundestages", der von einer Fraktion oder mindestens 5% der Bundestagsabgeordneten unterzeichnet sein muß, wird diese direkt dem Bundestagspräsidenten zugeleitet.

Ein Regierungsentwurf, der o.g. Kabinettsbeschluß, durchläuft zunächst einen "ersten Durchgang" beim Bundesrat, der ein Recht zur Stellungnahme hat. Dies hat den Vorteil, daß vorab bereits ein erster Eindruck hinsichtlich der Haltung des Bundesrat im weiteren Verfahrensverlauf gewonnen wird. Der Bundesrat hat für die Stellungnahme grundsätzlich sechs Wochen Zeit. Nach der Stellungnahme ist der Gesetzesentwurf dem Bundestag zuzuleiten. Die Bundesregierung hat die Möglichkeit einer Gegenäußerung.

Im Bundesrat entstehen Gesetzesvorlagen durch Mehrheitsbeschluß. Auch dieser Entwurf muß zunächst der Bundesregierung vorlegt werden, welche ihn dann nach Stellungnahme an den Bundestag weiterleitet.

Praktisch haben die oben dargelegten Verfahrensvorschriften zur Folge, daß von der Bundesregierung entworfene Gesetzesvorlagen durch die Regierungsfraktion im Bundestag eingebracht werden, um das Verfahren der Stellungnahme zu umgehen. Im Fall des Steuervergünstigungsabbaugesetzes wurde eine Beschleunigung des Verfahrens dadurch erreicht, daß textidentische Vorlagen zum einen durch die Regierungsfraktion und zum anderen durch die Bundesregierung eingebracht wurden.

Mit Eingang des Gesetzesentwurfs beim Bundestagspräsidenten ist ein gewisser Grad an Bindung erreicht. Der Initiant kann dann nur noch das Vorhaben als solches zurücknehmen, jedoch keine Änderungen mehr vornehmen.

III. Beratungen und Beschlußfassung

Nach ordnungsgemäßer Einbringung beginnt die Arbeit des parlamentarischen Gesetzgebers. Der Bundestag ist verpflichtet, sich im Plenum mit jedem Gesetzesentwurf materiell zu befassen, um auf einen Beschluß hinzuarbeiten. Zu diesem Zweck werden mindestens 2, meist aber 3 Lesungen abgehalten. In der ersten Lesung wird der Gesetzesentwurf regelmäßig an einen oder mehrere Ausschüsse des Bundestages überwiesen. Der federführende Ausschuß legt einen schriftlichen Bericht vor und spricht eine Beschlußempfehlung aus. Vorlagen, die mit nicht unerheblichen Kostenkonsequenzen verbunden sind, müssen zusätzlich dem Haushaltsausschuß vorgelegt werden, der dem Plenum einen unabhängigen Bericht zur zweiten Lesung zuleitet.

Nach der dritten Lesung findet die Schlußabstimmung über das Gesetzesvorhaben statt. Für die Annahme eines Gesetzesentwurfes reicht die Mehrheit der Stimmen aller anwesenden Bundestagsabgeordneten aus. Ist das Gesetz in der ursprünglichen oder abgeänderten Form beschlossen worden, so entfaltet auch dieser Beschluß eine relative Bindungswirkung, d.h. er kann nicht mehr abgeändert werden.

IV. Beteiligung des Bundesrates

Hat das Gesetz den Bundestag passiert, so erhalten die Länder über die Institution des Bundesrates Gelegenheit, auf das Gesetzgebungsverfahren Einfluß zu nehmen, und zwar abhängig davon, ob es sich um ein Einspruchsgesetz oder ein Zustimmungsgesetz handelt, bei dem der Bundesrat als "zweites Gesetzgebungsorgan" das Inkrafttreten des Gesetzes verhindern kann.

Ein Zustimmungsgesetz liegt nur dann vor, wenn das GG dies ausdrücklich vorsieht. Allerdings ist dieses Regel-Ausnahme-Prinzip in der Praxis gerade ins Gegenteil verkehrt worden, da der Bundesrat bereits dann zuzustimmen hat, wenn der Gesetzesentwurf den Bereich der Verwaltung tangiert. Die Tatsache, daß jedes Gesetz in irgendeiner Form ausgeführt werden muß, hat zur Folge, daß ein Entwurf in der Regel auch das Verwaltungsverfahren zumindest in Grundzügen berücksichtigen muß. Somit handelt es sich bei der Mehrzahl der Gesetze um Zustimmungsgesetze. Im Bereich der Steuergesetzgebung ist die Zustimmung des Bundesrates zudem immer dann erforderlich, wenn das Steueraufkommen zum Teil auch den Ländern und Kommunen zufließen soll.

Ein Zustimmungsgesetz kann nur mit Zustimmung des Bundesrates zur Entstehung gelangen. Damit korrespondiert die Pflicht des Bundesrates, innerhalb einer angemessenen Frist einen ausdrücklichen Beschluß bezüglich Zustimmung oder Ablehnung zu fassen. Die Stimmabgabe im Bundesrat muß einheitlich erfolgen. Diese Bestimmung wurde erst in den letzten Monaten durch die Debatte um das Zuwanderungsgesetz wieder ins Rampenlicht gerückt.

In Konstellationen, in denen die Regierungsparteien nicht auch die Mehrheit im Bundesrat stellen, hat der Vermittlungsausschuß besondere Bedeutung. Das Recht zur Einberufung des Vermittlungsausschusses steht zunächst dem Bundesrat zu. Allerdings können, falls der Bundesrat das Gesetz ausdrücklich ablehnt oder nicht innerhalb einer dreiwöchigen Frist tätig wird, auch Bundestag und Bundesregierung die Einberufung verlangen.

Der Vermittlungsausschuß wird jeweils zur Hälfte von Bundestag und Bundesrat beschickt, wobei die Entsendung durch den Bundestag im Plenum beschlossen wird und entsprechend den jeweiligen Fraktionsstärken zu erfolgen hat. Derzeit befinden sich im Vermittlungsausschuß 32 Mitglieder. Die letzten Landtagswahlen haben dazu geführt, daß nun sowohl von den Regierungsparteien als auch von der Opposition 16 Mitglieder bestellt sind, so daß eine "Patt-Situation" entstanden ist. Ein schlichtes Überstimmen der oppositionellen Minderheit im Vermittlungsverfahren ("unechter Beschluß") ist somit nicht mehr möglich.

Um Meinungsverschiedenheiten zwischen Bundestag und Bundesrat hinsichtlich eines Gesetzesbeschlusses zu beseitigen, spricht der Vermittlungsausschuß nach Beurteilung der Vorlage eine Empfehlung aus. Hierbei besteht kein unbegrenzter Gestaltungsspielraum; er muß sich im Rahmen des Vermittlungsgegenstandes bewegen und darf nicht über seine Rolle als Vermittlungsorgan zwischen den unterschiedlichen Ansätzen hinausgehen. Der Vermittlungsgegenstand wird bestimmt durch den Inhalt des Gesetzesbeschlusses im Bundestag, durch die im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens gestellten Anträge und Stellungnahmen, durch den Inhalt des Anrufungsbegehrens und Stellungnahmen des Bundesrates.

Falls der Vermittlungsausschuß Vorschläge einbringt, die über den oben skizzierten Umfang hinausgehen, liegt ein Verstoß gegen das im GG abschließend geregelten Initiativrecht und die Grundsätze der parlamentarischen Demokratie vor, da der Bundestag sich nur Gesetzesinitiativen zu eigen machen soll, die auch zuvor inhaltlich im Plenum zur Beratung standen.

Die Grenzziehung zwischen zulässigem Änderungsvorschlag und unzulässiger Empfehlung fällt den Beteiligten gerade in der Steuergesetzgebungspraxis zunehmend schwer. Der BFH hat zuletzt einen Vorlagebeschluß bezüglich der Verfassungsmäßigkeit des 1997 in Kraft getretenen Gesetzes zur Fortsetzung der Unternehmenssteuerreform gefaßt. Inhalt dieses Gesetzes war u.a. die ersatzlose Streichung des § 12 Abs. 2 S. 4 UmwStG, die aber erst im Vermittlungsausschuß überhaupt in die Diskussion eingebracht wurde. Der BFH sieht hierin eine Überschreitung der Kompetenzen des Vermittlungsausschusses. In diesem Zusammenhang wird ebenso diskutiert, ob bei dem Beschluß der § 8 Abs. 4 KStG und § 320a AO n.F. die Grenzen der Kompetenz des Vermittlungsausschusses beachtet wurden.

Endet das Vermittlungsverfahren mit einer zulässigen Empfehlung, die auf eine Ablehnung oder Änderung des Gesetzesvorhabens gerichtet ist, so hat der Bundestag nochmals über diese Empfehlung zu beschließen.

In rechtlicher Hinsicht entfaltet der Beschluß des Vermittlungsausschusses keinerlei Bindungswirkung. Auch der Bundesrat kann die Zustimmung zu dem Gesetzesvorhaben immer noch verweigern und dadurch das Zustandekommen verhindern.

In der derzeitigen politischen Konstellation, in der die Opposition neun der sechzehn Landesregierungen stellt, hat der Vermittlungsausschuß eine bedeutende Stellung. Regelmäßig werden hier die Gesetzesvorhaben nun entweder in einen Kompromiß münden oder endgültig scheitern.

Bei Einspruchsgesetzen hat der Bundesrat zwar die Möglichkeit den Vermittlungsausschuß anzurufen und anschließend innerhalb von zwei Wochen Einspruch einzulegen; diese Alternativen gewähren ihm jedoch meist nicht mehr als ein aufschiebendes Vetorecht, denn die Empfehlung des Vermittlungsausschusses hat für den Bundestag keine bindende Wirkung. Das Plenum des Bundestages kann einen Einspruch des Bundesrates überstimmen.

V. Ausfertigung durch den Bundespräsidenten

Hat das Gesetz nun die oben genannten Phasen durchlaufen, wird es nach Gegenzeichnung des Bundeskanzlers bzw. des zuständigen Ministers durch den Bundespräsidenten durch Unterzeichnung der Urschrift des Gesetzes ausgefertigt und verkündet. Ein Prüfungsrecht hat der Bundespräsidenten zumindest hinsichtlich der Einhaltung der formellen Voraussetzungen des Gesetzgebungsverfahrens. Allerdings zeigt die politische Praxis, daß von dieser Prüfungsbefugnis nicht konsequent Gebrauch gemacht wird. So hat die Ausfertigung des Zuwanderungsgesetzes durch Bundespräsident Rau, der die Überprüfung dem BVerfG überlassen wollte, gezeigt, daß der Bundespräsident in der Praxis keine Hürde für ein Gesetzesvorhaben darstellt. Mit Bekanntgabe im Bundesgesetzblatt tritt das Gesetz in Kraft, es sei denn, der Gesetzgeber hat einen abweichenden Termin festgelegt.

Wegen der Rückwirkungsproblematik, die entsteht, weil der Bürger nicht mehr auf die bestehende Rechtslage vertrauen darf, wenn ein Gesetzgebungsverfahren läuft, ist der Berater aufgerufen, sich trotz der Hektik des Gesetzgebers auch über laufende Gesetzgebungsverfahren zu informieren und die Bedeutung von z.B. Initiativrecht und Vermittlungsausschuß zu kennen und hinreichend in Gestaltungsüberlegungen miteinzubeziehen.