Dr. Alexander Schall, MJur (Oxford) / André Westhoff, lic oec. (St. Gallen)*

Warum Deutschland eine neue Kapitalgesellschaftsform braucht

Die klassische Arbeitswelt befindet sich in einem tiefgreifenden Umbruch. Anstelle fester Arbeitsverhältnisse treten immer mehr Positionen mit unternehmerischem Risiko. Der angestellte Werkmeister wird zum Serviceunternehmer. Diese Entwicklung ist nicht grundsätzlich zu beklagen. Das weiß, wer zuerst im Fachgeschäft vom Inhaber und dann im Kaufhaus vom Angestellten bedient worden ist. Auch der Gesetzgeber hat im Kleinstunternehmertum einen möglichen Ausweg aus der Arbeitsmartmisere erblickt ("Ich-AG"). Doch wurde bislang übersehen, daß mit dem gesteigerten Risiko ein natürliches Bedürfnis zur Haftungsbeschränkung korrespondiert. Diese kann der Kleinstunternehmer wegen des Mindestkapitalerfordernisses für eine GmbH häufig schwerlich erreichen. Er hat auch wenig Verständnis für hohe Gründungskosten und -formalien.

Zur gleichen Zeit erleben wir, wie das überkommene deutsche Gläubigerschutzsystem von außen unter Druck gerät. Durch die Rechtsprechung des EuGH in Centros, Überseering und Inspire Art können EU-ausländische Gesellschaften ohne Mindestkapital ungehindert am deutschen Markt auftreten. "Abwehrgesetze" gegen Scheinauslandsgesellschaften kommen nicht mehr in Betracht. Infolgedessen sind seit Ende 2002 bereits nahezu 20.000 englische Private companies limiterd by shares (Ltd.) mit deutschem Verwaltungssitz gegründet worden. Mit ihnen kam allerdings erhebliche Rechtsunsicherheit nach Deutschland, etwa in Bezug auf die Geltung von Insolvenzantragspflicht, Durchgriffshaftung oder Kapitalersatzrecht. Es stellt sich die Frage, ob und in welcher Weise der Gesetzgeber auf diese Entwicklung reagieren soll.

Die Optionen

Nicht in Betracht kommt ein schlichtes "Weiter so". Denn das gegenwärtige Mindestkapitalsystem bewirkt gerade im Hinblick auf Kleinstunternehmer eine Gerechtigkeitslücke. Wer 25.000 Euro aufzubringen vermag, kann sich damit vor Haftungsrisiken in Millionenhöhe schützen. Wer nicht, verliert womöglich seine Existenz. Man denke nur an Einzelanwälte, denen bei Insolvenz der Verlust ihrer Zulassung droht. Hat man wie der EuGH erkannt, daß es andere, aber nicht minder wirksame Gläubigerschutzsysteme ohne Mindestkapital gibt, gerät dieses Erfordernis in den Verdacht einer unverhältnismäßigen Beschränkung der wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit nach Art. 12 GG -- ganz abgesehen von der Inländerdiskriminierung gegenüber den mindestkapitalfrei agierenden Auslandsgesellschaften.

Doch auch die Abschaffung der Mindestkapitalziffer für die deutsche GmbH, woran gegenwärtig viel gedacht wird, ist kein empfehlenswerter Weg. Denn so müßte ein bekanntes und in sich bewährtes System des Gläubigerschutzes unter erheblichen Übergangskomplikationen für bestehende Kapitalgesellschaften durch ein völlig neuartiges Schutzsystem ersetzt werden. Mindestkapitalloser Gläubigerschutz läßt sich nämlich nicht mit punktuellen Eingriffen bewerkstelligen. Er funktioniert nur mit einer wohlausgewogenen Kombination unterschiedlicher Instrumente, wie z.B. der Blick auf England zeigt. Im Grundsatz gilt dort, daß bei umfassender Offenlegung der externen Rechnungslegung die Gläubiger selbst entscheiden sollen, ob und wie sie sich vertraglich sichern. Dies wird aber durch strenge Verhaltensregeln für Geschäftsführer in der Krise flankiert, die einerseits durch die -- gegenüber der Insolvenzverschleppung sicherlich nicht berechenbare -- Haftung aus "wrongful trading", andererseits durch hoheitliches Einschreiten nach dem Companies Directors Disqualification Act sanktioniert wird. Eine wichtige Rolle spielt auch, daß Gläubiger einer englischen Gesellschaft wesentlich leichter die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens beantragen können.

Die Lösung

Aus diesem Dilemma zwischen Handlungsbedarf und Überreaktion führt die Schaffung einer neuen Gesellschaftsform: der flexiblen Kapitalgesellschaft ("FlexCap"). Sie bietet erstaunliche Vorteile in einer Zeit, in der "Reform" gemeinhin zum Schreckenswort verkommen ist.

Fazit

Mit der flexiblen Kapitalgesellschaft kann es Deutschland gelingen, eine insbesondere an den Bedürfnissen von Kleinstunternehmern orientierte Gesellschaftsform mit hoher Rechtssicherheit zu schaffen. Das bedeutet nicht nur mehr Gerechtigkeit, sondern auch einen psychologisch wertvollen Innovationsimpuls für Wirtschaft und Arbeitsmarkt sowie eine Stärkung im europäischen Wettbewerb. Dies zeigt exemplarisch die jüngste Entwicklung in Frankreich seit Einführung der Blitz-s.a.r.l. Darum braucht Deutschland eine neue Kapitalgesellschaftsform.

* Dr. Alexander Schall, MJur (Oxford) und André Westhoff, lic oec. (St. Gallen) sind wissenschaftliche Mitarbeiter am Seminar für Handels-, Schiffahrts- und Wirtschaftsrecht der Universität Hamburg.


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