Dr. Wolfgang Lingemann,
Rechtsanwalt, Köln*

Die Änderungswut setzt sich fort -- der Regierungsentwurf zum "Jahressteuergesetz 2007"

Nachdem schon im Juni über das umfangreiche "Steueränderungsgesetz 2007" zu berichten war (Lingemann, GmbHR 2006, R 221), hat der Steuergesetzgeber im Schatten der FIFA-WM ein noch größeres Paket durch seine Referenten aus dem Bundesfinanzministerium vorbereitet, das das Bundeskabinett unter dem vielsagenden Namen "Jahressteuergesetz 2007" am 23.8.2006 beschlossen hat (BR-Drucks. 622/06 v. 1.9.2006). Da es ohnehin nicht mehr möglich scheint, mit einem einzigen Änderungsgesetz pro Jahr alle notwendigen Änderungen des Steuerrechts zu erfassen, sollte der Gesetzgeber erwägen, es mit den Änderungsgesetzen so zu handhaben, wie die Musikindustrie mit den "Kuschelrock"-CDs. Deren Nummerierung hat nun schon -- wenn ich recht sehe -- mindestens legendäre 19 erreicht! Wie leicht ließen sich die klangvollen Titel von Steuergesetzen zum Jahr 2006 -- Mittelstandsentlastungsgesetz, Haushaltsbegleitgesetz 2006, Gesetz zur Eindämmung missbräuchlicher Steuergestaltungen, Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetz, Gesetz zum Einstieg in ein steuerliches Sofortprogramm und Erbschaftsteuerreformgesetz -- schlicht einsparen. Die stolzen 160 Seiten des Kabinettsbeschlusses verlangen dem Leser höchste Konzentration ab. Neben einer Fülle von technischen und redaktionellen Details wird mit dem Gesetzentwurf "eine Vielzahl fachlich zwingend erforderlicher steuerrechtlicher Maßnahmen umgesetzt, die auf Grund des vorzeitigen Endes der 15. Legislaturperiode im letzten Jahr nicht mehr verwirklicht werden konnten." Geradezu in weltmännischem Understatement stellt der Gesetzgeber weiter fest: "Die Mehrzahl der Regelungen hat lediglich klarstellenden Charakter ohne bezifferbare Auswirkungen auf die öffentlichen Haushalte. Von den Maßnahmen mit finanziellen Auswirkungen führen einzelne Maßnahmen tendenziell zu nicht bezifferbaren Mindereinnahmen, andere tendenziell zu nicht bezifferbaren Mehreinnahmen. [...]" Wenn das 'mal stimmt! Die wichtigsten Änderungen mit sehr wohl finanziellen Auswirkungen sind folgende:

I. Neues von vGA und verdeckten Einlagen

1. Bei den Leistungsbeziehungen zwischen Körperschaft und Gesellschaft schaut das Gesetz mit zwei neuen Sätzen hinter § 8 Abs. 3 S. 2 KStG jetzt genauer hin, um kein Steuersubstrat zu verlieren: "Das Einkommen erhöht sich, soweit eine verdeckte Einlage das Einkommen des Gesellschafters gemindert hat. Das Einkommen erhöht sich nicht, soweit eine verdeckte Einlage auf einer verdeckten Gewinnausschüttung einer dem Gesellschafter nahe stehenden Person beruht und bei der Besteuerung des Gesellschafters nicht berücksichtigt wurde. In den Fällen des [hier als 2. Satz genannten] Satzes 4 erhöht die verdeckte Einlage nicht die Anschaffungskosten der Beteiligung." Wenn eine verdeckte Einlage den Steuerbilanzgewinn erhöht hat, wird sie bei der Ermittlung des Einkommens regelmäßig wieder abgezogen. Eine solche Korrektur unterbleibt aber künftig, soweit die verdeckte Einlage das Einkommen des Gesellschafters gemindert hat, z.B. als Betriebsausgaben oder Werbungskosten. In Dreieckskonstellationen, in denen die verdeckte Einlage auf der vGA einer nahe stehenden Person beruht, findet auch keine Korrektur bei der Gesellschaft statt, solange im Rahmen der Veranlagung des Gesellschafters keine verdeckte Einlage berücksichtigt worden ist, etwa weil die vGA nicht bekannt war.

2. Das Halbeinkünfteverfahren (§ 3 Nr. 40 EStG) für natürliche Personen und die Beteiligungsertragsbefreiung für Körperschaften (§ 8b Abs. 1 KStG) werden künftig nur noch dann gewährt, wenn die Bezüge oder die vGA das Einkommen der leistenden Körperschaft nicht gemindert haben. In diesem Fall entsteht die volle Steuerpflicht. Hierzu hat das Institut der Wirtschaftsprüfer in seiner Stellungnahme vom 2.8.2006 (http://www.idw.de/idw/generator/property=Inhalt/id=410234.pdf) schon bemängelt, dass nicht klar ist, ob die Regelung auch für grenzüberschreitende Fälle gilt und wie eine "vGA" einer ausländischen Körperschaft zu behandeln sein soll, ohne dass europarechtliche Haltesignale überfahren werden. Niemand sollte darüber hinaus genötigt sein, die steuerliche Behandlung von Vorgängen bei anderen Steuerpflichtigen nachweisen zu müssen. Schließlich darf man in der Praxis darauf sehr gespannt bleiben, wie der Steuerpflichtige darlegen soll, dass ein Bezug das Einkommen einer ausländischen Kapitalgesellschaft nicht gemindert hat! Und als diplomatisches "Bonbon" nimmt der deutsche Steuerfiskus "ungeachtet des Wortlauts des Abkommens" über eine etwaige DBA-Freistellung auf dieses bei der Betrachtung künftig keinerlei Rücksichten mehr. In der Gesetzesbegründung wird dazu darauf hingewiesen, den DBA läge die Zwecksetzung zugrunde, dass keine weißen Einkünfte entstehen dürften, weshalb hier eine "begrenzte Durchbrechung" des Methodenartikels 23 OECD-MA vorzunehmen sei. Es gelte zudem der Grundsatz, dass jeder Staat selbst über die Methode zur Vermeidung der Doppelbesteuerung entscheidet.

3. Verfahrensmäßige Koppelung der Steuerbescheide von Gesellschaft und Gesellschafter bei vGA und verdeckter Einlage: Im neuen § 32a KStG wird die Bestandskraft eines Steuerbescheids wechselseitig durchbrochen, sofern bei einem der Steuersubjekte Korrekturen aufgrund dieser beiden Sachverhalte vorgenommen werden (dazu Harle/Kulemann, GmbHR 2006, 976 -- in diesem Heft).

II. "Lex Hilversum II": Verschärfung bei der Zwischenschaltung ausländischer Kapitalgesellschaften

1. Die Bedingungen, unter denen ausländischen Körperschaften die Entlastung von deutscher Kapitalertragsteuer gewährt wird, werden angesichts missliebiger Rechtsprechung des BFH (BFH v. 31.5.2005 -- I R 74, 88/04, FR 2005, 1094 = GmbHR 2005, 1373 m. Komm. Breuninger/Schade) und einiger Finanzgerichte (z.B. FG Köln v. 16.3.2006 -- 2 K 1139/02, FR 2006, 697) im neuen § 50d Abs. 3 EStG deutlich verschärft und mit einigen weiteren unbestimmten Rechtsbegriffen zur "Missbrauchsbegriffsdogmatik" angereichert. Zweifelhaft ist, was unter "Bruttoerträgen" der zwischengeschalteten Gesellschaft zu verstehen sein soll und wann ein Geschäftsbetrieb "für den Geschäftszweck angemessen eingerichtet" ist. Anerkennenswerte Gründe für die Zwischenschaltung einer ausländischen Kapitalgesellschaft sollen nach der Gesetzesbegründung in Zukunft nicht mehr das Gros der bislang vorgebrachten, sondern stattdessen "rechtliche, politische oder auch religiöse (!) Gründe" sein. Gegen die "Religion" und andere Delikatessen bei der Zwischenschaltung ausländischer Zwischengesellschaften s. den Beitrag von Wiese/Süß, GmbHR 2006, 972 -- in diesem Heft und den Aufsatz von Ritzer/Stangl, FR 2006, 757.

2. Ein neuer Absatz 9 zu § 50d Abs. 9 EStG überspielt dann etwaig bestehende Doppelbesteuerungsabkommen auf das Kühnste: Die Freistellung eines unbeschränkt Steuerpflichtigen nach einem DBA wird nicht gewährt, wenn der andere Staat

"1. die Bestimmungen des Abkommens so anwendet, dass die Einkünfte in diesem Staat von der Besteuerung auszunehmen sind oder nur zu einem durch das Abkommen begrenzten Steuersatz besteuert werden können, oder

2. die Einkünfte nur deshalb nicht besteuert, weil sie von einer Person bezogen werden, die in diesem Staat nicht auf Grund ihres Wohnsitzes, ständigen Aufenthalts, des Orts der Geschäftsleitung, des Sitzes oder eines ähnlichen Merkmals unbeschränkt steuerpflichtig ist."

III. Überwälzung von Finanzverwaltungskosten auf die Unternehmen bei den Vorabzusagen bei Verrechnungspreisen (Advance Pricing Agreements)

Eine neue Belästigungsgebühr hält § 178a AO "zum Schutz der Finanzbehörden gegenüber nicht relevanten oder schlecht vorbereiteten Anträgen" auf Durchführung von Vorabverständigungsverfahren bei Verrechnungspreisen bereit. Die Grundgebühr beträgt 20.000 €. Das Institut der Wirtschaftsprüfer weist mit Recht darauf hin, dass damit neben den neuen Dokumentationspflichten auch noch erhebliche Steuerverwaltungskosten auf die Unternehmen verlagert werden. Abgeschlossene Advance Pricing Agreements reduzieren nach Meinung des IDW den Prüfungsaufwand der Finanzverwaltung, was doch auch zu veranschlagen wäre.

IV. Rechtsprechungsbrechende Gesetzesänderungen

Dem Leser der Gesetzesbegründung begegnen auffällig viele Gesetzesänderungen, durch die eine Rechtsprechungslinie des BFH durchbrochen oder wieder zurück auf die Verwaltungsauffassung korrigiert wird. Neben der schon genannten "Lex Hilversum II" zu den zwischengeschalteten ausländischen Kapitalgesellschaften gibt es z.B. eine Korrektur beim gewerbesteuerlichen Kürzungsbetrag für Schachtelbeteiligungen nach § 9 Nr. 2a, 7 und 8 GewStG, dem das Urt. des BFH v. 25.1.2006 -- I R 104/04, FR 2006, 519 = GmbHR 2006, 500 eine niedrigere Gewerbesteuerbelastung angedeihen lassen wollte. Ferner hebelt der Gesetzgeber das Urt. des BFH v. 6.10.2004 -- IX R 53/01, BStBl. II 2005, 383 = FR 2005, 144 aus, mit dem die Abfärbung des § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG bei einer vermögensverwaltenden Personengesellschaft (Obergesellschaft) mit Einkünften aus Vermietung und Verpachtung wegen Beteiligung an einer gewerblich tätigen anderen Personengesellschaft (Untergesellschaft) nicht eintreten sollte. Schließlich walzt das Jahressteuergesetz 2007 die vier Entscheidungen des BFH v. 14.9.2005 -- VI R 32/02, FR 2005, 1207, v. 14.9.2005 -- VI R 148/98, FR 2005, 1250 sowie BFH v. 15.2.2006 -- VI R 92/04, BStBl. II 2006, 528 = FR 2006, 509; v. 15.2.2006 -- IV R 64/05 nieder, nach denen Sonderzahlungen des Arbeitgebers auf Altersversorgungskassen für seine Mitarbeiter nicht als Arbeitslohn steuerpflichtig sein sollten. Und -- entgegen BFH v. 14.10.2004 -- VI R 46/99, BStBl. II 2005, 289 = FR 2005, 24 -- müssen mehrjährige Tätigkeiten i.S.v. § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG jetzt nach dem Dictum des Gesetzgebers mindestens 12 Monate umfassen, auch wenn kürzere Tätigkeiten durchaus über mehrere Veranlagungszeiträume reichen können. Die jeweiligen Gesetzesbegründungstexte hierzu lesen sich schon fast so, als müsse man sich gegen den BFH mit dem Kammerjäger erwehren.

V. Fazit

Bei weitem nicht alle Punkte konnten hier genannt werden; immerhin wird das Steuerrecht durch Ersetzung der Begriffe "v.H." durch "%" und "Kraftdroschke" durch "Taxi" nachhaltig modernisiert und verbessert!

* Schriftleiter der Finanz-Rundschau.



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