Tobias Freudenberg,         
Rechtsanwalt, Köln*

 

Veränderte Machtverhältnisse in Aktiengesellschaften

Neue Gesetze sollen Einfluss von Investoren und Berufsklägern bremsen

Vorstände und Aufsichtsräte deutscher Aktiengesellschaften stehen vor einer neuen Herausforderung: Ihre Aktionäre mischen sich zunehmend in die Geschäftspolitik ein -- massiv und unabhängig von der Höhe ihrer Beteiligung. Neben den sog. Berufsaktionären machen auch die institutionellen Investoren den Firmen schwer zu schaffen. Die mitunter aggressiven Anteilseigner nutzen sämtliche Aktionärsrechte, die das Aktiengesetz ihnen bietet. Damit setzen sie Manager und deren Aufseher unter Druck, um eigene wirtschaftliche Ziele durchzusetzen. Reagiert die Chefetage nicht wie gewünscht, werden wichtige Maßnahmen blockiert oder gar Mitglieder der Konzernleitung gestürzt.

 

Alte Rollenverteilung

Früher war das undenkbar. In der alten Deutschland AG hatte nur der Mehrheitseigner Einfluss auf die Unternehmensführung. Die Minderheitsaktionäre hielten still ihre Anteile und erschienen allenfalls zur jährlichen Hauptversammlung. Dort gab die Verwaltung den Ton an. Die Anteilseigner nickten nur kurz deren Beschlussvorlagen ab und stürmten anschließend das Buffet.

Von dieser Rollenverteilung gingen bislang auch die Gerichte und der Gesetzgeber aus. So wertet etwa das Bundesverfassungsgericht die Aktien von Kleinanlegern in ständiger Rechtsprechung nicht als Firmenbeteiligung, sondern als rein vermögensrechtliche Anlage. Schließlich hätten die Minderheitsaktionäre keinen relevanten Einfluss auf die Unternehmenspolitik, so die Begründung der Karlsruher Richter. Und auch das Aktiengesetz sieht den Kleinaktionär eher als hilflosen Miteigentümer, der vor einem Machtmissbrauch der Konzernoberen besonders zu schützen sei.

Für den durchschnittlichen Anleger mag das noch immer zutreffen. Doch seitdem sich institutionelle Investoren und gewerbliche Anfechtungskläger an deutschen Aktiengesellschaften beteiligen, haben sich die Kräfteverhältnisse verschoben. Der Einfluss der Anteilseigner auf die Unternehmenspolitik wächst rapide. Dabei nutzen die Aktionäre ausgerechnet die Rechte, die der Gesetzgeber eigentlich zur Verteidigung der Kleinanleger-Interessen vorgesehen hat, gezielte für ihre Zwecke.

 

Showdown in der HV

Die Attacken der Anleger finden meist in der Hauptversammlung statt. Die einst friedlichen Aktionärstreffen sind zu ungemütlichen Zusammenkünften geworden, in denen Vorstand und Aufsichtsrat mit zwei unterschiedlich agierenden Gegnern konfrontiert sind. Die sog. Berufsaktionäre zielen darauf ab, von der Hauptversammlung beschlossene Maßnahmen mit Klagen zu blockieren und sich anschließend ihren Lästigkeitswert in teuren Vergleichen abkaufen zu lassen. Dazu provozieren sie Fehler der Versammlungsleitung, mit denen die spätere Anfechtung begründet werden kann. Abgesehen davon sind sie am Unternehmen und seinen Geschäften meist wenig interessiert. Die institutionellen Anleger hingegen wollen schnelle Rendite. Sie setzen auf die Ausschüttung üppiger Sonderdividenden oder auf Restrukturierungsmaßnahmen, die einen raschen Weiterverkauf der Firmenbeteiligung zu einem deutlich höheren Preis ermöglichen.

Im Umgang mit den aktiven Aktionären haben die Gesellschaften ihre liebe Not. Viele Abwehrmaßnahmen bleiben wirkungslos. Die Anleger agieren äußerst professionell und nutzen die aktuelle Rechtslage zu ihren Gunsten. Doch jetzt kommt der Gesetzgeber den Unternehmen zur Hilfe. Gleich drei aktuelle Vorhaben dienen vor allem dem Zweck, den Einfluss der aktiven Aktionäre zu bremsen.

 

Risikobegrenzungsgesetz

Mit dem Risikobegrenzungsgesetz, das am 19.8.2008 im Bundesgesetzblatt verkündet wurde (BGBl. I 2008, 1666) und einen Tag später in wesentlichen Teilen in Kraft trat, will die Bundesregierung Unternehmen besser vor Finanzinvestoren schützen. Dazu sieht das Regelwerk für Beteiligungen an börsennotierten Unternehmen ab zehn Prozent neue Mitteilungspflichten vor. Anzugeben sind u.a. die mit der Anlage verfolgten Ziele, etwa ob sie aus strategischen Gründen oder zur Erzielung von Handelsgewinnen erfolgt. Die Großaktionäre müssen auch Auskunft darüber geben, ob sie Einfluss auf die Unternehmensleitung nehmen wollen und welche Dividendenpolitik ihnen in Zukunft vorschwebt. Offen zu legen ist außerdem die Herkunft der finanziellen Mittel für den Beteiligungserwerb. Damit nicht genug der Transparenz: Auch ihre wahre Identität müssen die öffentlichkeitsscheuen Finanzinvestoren nennen. Ansonsten drohen empfindliche Sanktionen, etwa ein mehrmonatiges Stimmrechtsverbot.

Erschwert wird den institutionellen Anlegern künftig auch eine gemeinsame Einflussnahme auf die Geschäftspolitik des Unternehmens. Das Risikobegrenzungsgesetz konkretisiert und erweitert die bestehenden gesetzlichen Regeln, die ein abgestimmtes Verhalten von Investoren (sog. "acting in concert") verhindern sollen. So wird jetzt auch ein verabredetes Zusammenwirken im Vorfeld der Hauptversammlung erfasst.

Doch bleiben Zweifel, ob das Gesetz die Geschäftspraktiken der Finanzinvestoren tatsächlich durchkreuzt. Denn die Mitteilungspflichten allein dürften bspw. den Abzug von Eigenkapital oder die Finanzierung üppiger Dividenden mit Darlehen kaum verhindern. Außerdem gelten die Neuregelungen wegen der Beschränkung auf Beteiligungen an börsennotierten Unternehmen nicht für die vielen ungelisteten Unternehmen, etwa die GmbH oder alle Personengesellschaften. Auch die stehen aber längst im Fokus der Investoren.

 

ARUG

Die Berufsaktionäre hingegen sollen mit dem Gesetz zur Umsetzung der Aktionärsrechte-Richtlinie (ARUG) bekämpft werden. Das Paragrafenwerk, das bisher nur als Referentenentwurf vorliegt, knüpft vor allem an die Sperrwirkung der Anfechtungsklage als wesentliches Druckmittel der gewerblichen Anfechtungskläger an. Der Entwurf präzisiert daher die Ausgestaltung des Freigabeverfahrens, etwa bei der Interessenabwägung, die die Gerichte bei der Freigabeentscheidung treffen müssen. Hier sollen die Gerichte nach dem Willen des Gesetzgebers eine klare Entscheidungslinie erhalten, um legitime von missbräuchlichen Anfechtungsklagen trennen zu können. Außerdem ist vorgesehen, dass Aktionäre mit geringem Aktienbesitz (unter 100 € Nennbetrag), die weniger gravierende Gesetzes- oder Satzungsverstöße geltend machen, gegen die überwiegende Mehrheit der anderen Aktionäre Hauptversammlungsbeschlüsse nicht mehr aufhalten können. Sie können nur Schadensersatz beanspruchen.

Zudem soll Versuchen, das als Eilverfahren konzipierte Freigabeverfahren zu verzögern, ein Riegel vorgeschoben werden. Künftig erstreckt sich die Vollmacht des Vertreters für den Anfechtungsprozess auch auf das Freigabeverfahren. So können gerichtliche Dokumente im Freigabeverfahren an denjenigen zugestellt werden, der den Kläger im Anfechtungsprozess vertritt. Zeitaufwändige Zustellungen an den Kläger selbst, der mitunter ausländische Wohnsitze etwa in China oder Dubai angibt, werden entbehrlich. Die Arbeit der Gerichte im Freigabeverfahren wird dadurch erheblich erleichtert und beschleunigt.

Auch beim ARUG bleiben Zweifel am Erfolg der Maßnahmen. Missbräuchliche Klagen werden sich auch nach dem ARUG lohnen. Das Risiko bleibt gering, die Gewinnmöglichkeiten und damit der Anreiz zu missbräuchlichen Klagen bleiben hingegen weiterhin hoch.

 

Bundesratsinitiative

Beinahe etwas unter geht derweil ein Entwurf, den der Bundesrat auf Initiative der Länder Baden-Württemberg und Sachsen eingebracht hat (BT-Drucks. 16/9020 v. 30.4.2008). Dieser hat ebenfalls die Bekämpfung der Berufskläger zum Ziel und verfolgt einen verfahrensrechtlichen Ansatz. Durch Änderungen in der ZPO soll die Zuständigkeit in aktienrechtlichen Streitigkeiten auf die Oberlandesgerichte übertragen werden. Das soll die Dauer von Beschlussmängelklagen und Spruchverfahren deutlich verkürzen und somit das Drohpotential der Berufsaktionäre schwächen.

Die Bundesregierung hat bereits mitgeteilt, dass sie von diesem Entwurf wenig hält (BT-Drucks. 16/9020, 47 f.). Sie verweist auf ihren Vorschlag, das ARUG. Dessen Schlagkraft im Kampf gegen die räuberischen Aktionäre wird jedoch als wesentlich geringer eingeschätzt als die des Gesetzentwurfs aus der Länderkammer. Insgesamt seien jedoch beide Vorhaben nicht ausreichend, so die einhellige Auffassung. Die Maßnahmen werden verpuffen wie einst beim UMAG, lautet eine häufig geäußerte Befürchtung der Praxis (vgl. auch Paschos/Goslar, AG 2008, 605).

 

Weitere Vorschläge

Einen anderen Weg geht daher ein Vorschlag, den der hochkarätig besetzte Arbeitskreis Beschlussmängelrecht jetzt vorgelegt hat (AG 2008, 617). Die mit renommierten Wissenschaftlern und Praktikern besetzte Gruppe will -- wie der Name bereits vermuten lässt -- die Vorschriften des Aktiengesetzes über Beschlussmängel grundlegend reformieren.

Der Arbeitskreis schlägt u.a. vor, die verfahrensbezogenen Nichtigkeitsgründe klarer zu fassen und die inhaltliche Nichtigkeit auf gravierende Fälle zu beschränken. Die Anfechtbarkeit im bisherigen Sinne (rückwirkende Vernichtung durch Möglichkeit zur kassatorischen Klage für jeden Aktionär) soll auf besonders schwere Beschlussmängel beschränkt werden. Sonstige Beschlussmängel sollen durch andere wirksame Maßnahmen sanktioniert werden.

Wie der Gesetzentwurf des Bundesrats sieht auch der Vorschlag des Arbeitskreises eine Verfahrensbeschleunigung durch Begründung der Zuständigkeit der Oberlandesgerichte als Eingangsinstanz für Beschlussmängelklagen vor. Eine Entscheidung in der Hauptsache innerhalb von drei Monaten soll der Regelfall sein. Falls ausnahmsweise nicht innerhalb dieses Zeitraums entschieden werden kann, soll das Freigabeverfahren in seiner gegenwärtigen Form durch eine nach drei Monaten ergehende Zwischenentscheidung des Prozessgerichts über die Eintragung des Beschlusses im Handelsregister ersetzt werden.

Neue Impulse dürfte die Diskussion zudem auf dem 67. Deutschen Juristentag bekommen. Sowohl der Hauptgutachter der wirtschaftsrechtlichen Abteilung, Walter Bayer (Universität Jena), als auch die beiden Referenten Peter O. Mülbert (Universität Mainz) und Gerd Krieger (Hengeler Mueller, Düsseldorf) werden auf der Tagung, die vom 23. bis zum 26.9.2008 in Erfurt stattfindet, Vorschläge unterbreiten, mit denen missbräuchliche Anfechtungsklagen erschwert werden sollen.

Bayer will zwischen sog. Anleger-Aktionären und Unternehmer-Aktionären unterscheiden, um ihren unterschiedlichen Interessen und Schutzbedürfnissen besser gerecht zu werden. Beim Anleger-Aktionär soll sich der Schutz auf die Vermögensinteressen fokussieren. Das rechtfertigt laut Bayers Gutachten, die bislang umfassende Anfechtungsbefugnis einzuschränken (Bayer, Verhandlungen des 67. Deutschen Juristentages, Bd. I: Gutachten Teil E, 2008).

Krieger fordert hingegen die Einführung eines Mindestquorums von einem Prozent des Grundkapitals oder einen Aktienbesitz im Nennwert von 100.000 €. Mülbert schließlich verfolgt vermutlich die Linie des Arbeitskreises Beschlussmängelrecht -- er ist Mitglied der Expertengruppe.

 

*AG- und GmbHR-Redaktion.

 



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