GMBH-AKTUELL

BGH versetzt der "Sitztheorie" einen harten Schlag !

Jetzt hat der II. Zivilsenat des BGH nach dem Schlußantrag des EuGH des Generalanwalts Ruiz-Jarabo Colomer (GmbHR 2002, 29 [LS] -- Volltext; dazu Stieb, GmbHR 2002, R 5) zu dem Vorabentscheidungsersuchen des VII. Zilvilsenats in der Rechtssache C-208/00 und im Vorgriff auf das in Kürze und mit Spannung zu erwartende Urteil des EuGH die in Rechtsprechung und Lehre herrschende Sitztheorie zumindestens insofern eingeschränkt, als daß ausländische Gesellschaften unabhängig davon, ob sie ihren tatsächlichen Verwaltungssitz nach Deutschland verlegt haben, vor deutschen Gerichten klageberechtigt sind. Denn durch Urt. v. 1.7.2002 -- II ZR 380/00 -- Volltext hat der BGH entschieden, daß die Verlegung des Verwaltungssitzes einer ausländischen Gesellschaft nach Deutschland, die entsprechend ihrem Statut nach dem Recht des Gründungsstaats als rechtsfähige Gesellschaft ähnlich einer GmbH deutschen Rechts zu behandeln wäre, dazu führt, daß sie nach deutschem Recht jedenfalls eine rechtsfähige Personengesellschaft und damit vor den deutschen Gerichten aktiv und passiv parteifähig ist. Das Urteil bezieht sich auf eine Gesellschaft mit Sitz auf einer englischen Kanalinsel, die Ansprüche aus einer Bürgschaftserklärung gegen den Beklagten herleitet. Das LG München I hat die Klage unter Hinweis auf die fehlende Rechts- und Parteifähigkeit, weil die Gesellschaft ihren tatsächlichen Verwaltungssitz in Deutschland oder Portugal habe, als unzulässig abgewiesen. Die gegen das Urteil eingelegte Berufung hat das OLG München im März 2000 unter Hinweis auf die herrschende Sitztheorie zurückgewiesen. Da zeitgleich der BGH das Vorabentscheidungsersuchen dem EuGH vorgelegt hat (BGH v. 30.3.2000 -- VII R 370/98, GmbHR 2000, 715 -- Volltext) bestand für die ausländische Gesellschaft die Hoffnung, daß die Revisionsinstanz diesmal eine aus dem Vorwand der Sitztheorie resultierende Entrechtung nicht aufrechterhält. Der Hoffnung wurde nun durch das erstaunlich knappe, aber inhaltlich überdeutliche Urteil des BGH entsprochen. Das Urteil verweist ohne weiteres Eingehen auf die Sitz- oder Gründungstheorie auf die neue Rechtsprechung des BGH zu der Parteifähigkeit der BGB-Gesellschaft (BGH v. 29.1.2001 -- II ZR 331/00, GmbHR 2001, R 67 -- Volltext) und sieht in der Behandlung einer ausländischen Gesellschaft als GbR eine "Alternative" zu der Sitz- und Gründungstheorie. Der BGH macht deutlich, daß es keine "zwingenden Gründe des Allgemeinwohls" gibt, ausländischen Gesellschaften mit tatsächlichem Verwaltungssitz in Deutschland ihre Klagemöglichkeit zu nehmen und sie dadurch in "unverhältnismäßigen Umfang" in Deutschland zu entrechten. Die Revisionsinstanz folgt damit der Argumentation des Generalanwalts des EuGH, ohne jedoch auf den weiterhin von ihm angebrachten offensichtlichen schweren Eingriff in den nach Art.6 Abs.1 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten geschützten Anspruch auf gerichtlichen Rechtsschutz einzugehen. Wenn der BGH auch nicht die Sitztheorie ausdrücklich ablehnt, so weist er selbst auf ihre Schwachstelle im konkreten Fall hin. Von der klagenden Gesellschaft zur Abwehr der Vollstreckung und zur Stellung der Prozeßkostensicherheit beigebrachte Bankbürgschaften seien im Widerspruch zur angewendeten Sitztheorie von dem Beklagten und den Gerichten der Vorinstanzen ohne Zögern akzeptiert worden, obwohl die in Deutschland abgeschlossenen Bürgschaftsverträge bei fehlender Rechtsfähigkeit nichtig gewesen seien.

Dem jetzigen Urteil des BGH wird mit Sicherheit in der nächsten Zeit seitens des Schrifttums hohe Beachtung gezollt werden. Es wird sich die Frage stellen, ob die alternative Anwendung der Grundsätze einer parteifähigen GbR die dauernde Diskussion um die Sitz- oder Gründungstheorie obsolet macht. Ebenso ist zu prüfen, ob die Grundsätze der parteifähigen GbR oder OHG auch dann auf ausländische Gesellschaften mit tatsächlichem Verwaltungssitz in Deutschland oder anderswo dann angewendet werden können, wenn die ausländische Gesellschaft gar keine Gesellschaft im eigentlichen Sinne ist, sondern nur ein Gesellschafter die ausländische Gesellschaft ausmacht. Auch ist abzuwägen, ob das Gericht nicht aus rein dogmatischen Gesichtspunkten in der konkreten Fallkonstellation ausdrücklich zu dem Schluß hätte kommen müssen, daß die Sitztheorie zumindest dann, wenn sie rechtsabschneidende Wirkung hat, aufgegeben werden muß, um dann der in dieser Hinsicht konsequenten Gründungstheorie den Vorzug zu geben. Für die klagende Auslandsgesellschaft spielen derartige Fragen keine Rolle; für sie ist wesentlich, daß sie in fast aussichtsloser Situation nun endlich ihre Ansprüche in Deutschland geltend machen darf. Dank des BGH, der der Sitztheorie einen harten Schlag versetzt hat.

Das Urteil des BGH sorgt für Rechtssicherheit in Deutschland und dafür, daß Deutschland im internationalen Wirtschaftsgeschehen keinen Schaden erleidet. Es sei noch einmal an dieser Stelle erinnert, daß Deutschland ausländisches Kapital für Investitionen, Forschung und Entwicklung benötigt und zwar unabhängig, ob es aus Delaware oder von den Kanalinseln kommt (vgl. Stieb, GmbHR 2000, R 213 f. -- Volltext; Stieb, GmbHR 1999, R 257 f. -- Volltext).

Abzuwarten bliebt nun noch das Urteil des EuGH, das nach dem Schlußantrag des Generalanwalts im Dezember 2001 ungewöhnlich lange auf sich warten läßt. Voraussichtlich wird der EuGH anläßlich der jetzigen Rechtsprechung des BGH das Ergebnis, daß ausländische Gesellschaften mit tatsächlichem Verwaltungssitz in Deutschland nicht mehr unzulässigerweise ihrer Klagefähigkeit beraubt werden, mit Zufriedenheit zur Kenntnis nehmen und die Bewertung der Sitz- oder Gründungstheorie ad acta legen.

Stephan Stieb, Rechtsanwalt, Bonn/Estoril

Anm. der Redaktion: Der vollständige Text dieser Entscheidung wird in GmbHR Heft 20/2002 erscheinen und kann aber bereits hier abgerufen werden.

 

 


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