Kapitalerhöhung: Europarechtswidrigkeit der Gebühren beamteter Notare für Beurkundung der Übertragung von GmbH-Geschäftsanteilen als Sacheinlage

RL 69/335/EWG v. 17.7.1969 (ABl. L 249, S. 25) i.d.F. der RL 85/303/EWG v. 10.6.1985 (ABl. L 156, S. 23) Art.10 Buchst. c

Art. 10 Buchst. c RL 69/335/EWG des Rates v. 17.7.1969 betreffend die indirekten Steuern auf die Ansammlung von Kapital in der durch die RL 85/303/EWG des Rates vom 10.6.1985 geänderten Fassung steht der Erhebung von Notargebühren für die Beurkundung der Übertragung von Geschäftsanteilen an einer Gesellschaft entgegen, die als Einlage im Rahmen einer Erhöhung des Gesellschaftskapitals einer Kapitalgesellschaft erfolgt ist, und dies in einem Rechtssystem, das dadurch gekennzeichnet ist, dass die Notare Beamte sind und die Gebühren zumindest teilweise dem Staat für die Bestreitung öffentlicher Kosten zufließen.

EuGH, Urt. v. 28.6.2007 -- Rs. C-466/03          
"Albert Reiss Beteiligungsgesellschaft mbH"             

Urteil

[1] Das Vorabentscheidungsersuchen und seine Ergänzung betreffen die Auslegung der Art. 10 und 12 der Richtlinie 69/335/EWG des Rates v. 17.7.1969 betreffend die indirekten Steuern auf die Ansammlung von Kapital (ABl. L 249, S. 25) in der durch die Richtlinie 85/303/EWG des Rates v. 10.6.1985 (ABl. L 156, S. 23) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 69/335).

[2] Diese Ersuchen ergehen im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Albert Reiss Beteiligungsgesellschaft mbH (im Folgenden: Reiss) und dem Land Baden-Württemberg über die Zahlung von Notargebühren für die Beurkundung der Übertragung von Geschäftsanteilen an einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung auf Reiss, wobei diese Übertragung als Einlage im Rahmen einer Erhöhung des Stammkapitals von Reiss erfolgte.

 

Rechtlicher Rahmen

Gemeinschaftsrecht

[3] Mit der Richtlinie 69/335 soll, wie sich aus ihren ersten beiden Erwägungsgründen ergibt, der freie Kapitalverkehr, eine der für die Schaffung eines Binnenmarkts wesentlichen Grundfreiheiten, gefördert werden. Die Richtlinie soll steuerrechtliche Hindernisse beseitigen, die auf dem Gebiet der Ansammlung von Kapital bestehen, insbesondere was Kapitalzuführungen, d.h. Kapitalzufuhren von Gesellschaftern oder Aktionären an ihre Kapitalgesellschaften, anbelangt.

[4] Zu diesem Zweck sehen die Art. 1 bis 9 der Richtlinie die Erhebung einer harmonisierten Abgabe auf Kapitalzuführungen (im Folgenden: Gesellschaftsteuer) vor.

[5] In Art. 4 der Richtlinie sind die Vorgänge aufgeführt, die die Mitgliedstaaten einer solchen Gesellschaftsteuer unterwerfen können oder müssen.

[6] So bestimmt Art. 4 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie, dass die Mitgliedstaaten Gesellschaftsteuer auf "die Erhöhung des Kapitals einer Kapitalgesellschaft durch Einlagen jeder Art" erheben.

[7] Außerdem sieht Art. 10 der Richtlinie im Licht ihres letzten Erwägungsgrundes die Aufhebung von Steuern oder Abgaben mit den gleichen Merkmalen wie die Gesellschaftsteuer (im Folgenden: gesellschaftsteuerähnliche Abgaben) vor.

[8] Abgesehen von der Gesellschaftsteuer erheben die Mitgliedstaaten daher nach Art. 10 Buchst. c der Richtlinie von Gesellschaften, Personenvereinigungen oder juristischen Personen mit Erwerbszweck keinerlei andere Steuern oder Abgaben auf die der Ausübung einer Tätigkeit vorangehende Eintragung oder sonstige Formalität, der eine Gesellschaft, Personenvereinigung oder juristische Person mit Erwerbszweck aufgrund ihrer Rechtsform unterworfen werden kann.

[9] Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie bestimmt jedoch:

"In Abweichung von den Artikeln 10 und 11 können die Mitgliedstaaten Folgendes erheben:

a) pauschal oder nicht pauschal erhobene Börsenumsatzsteuern; …

e) Abgaben mit Gebührencharakter; …"

[10] Zu den Börsenumsatzsteuern wird in der Begründung des Vorschlags einer Richtlinie der Kommission vom 14.12.1964 (KOM[64] 526 endg.), der zum Erlass der Richtlinie 69/335 geführt hat, erläuternd ausgeführt:

"Bei [den indirekten] Steuern [auf den Kapitalverkehr] kann man zwischen Steuern auf die Ansammlung von Kapital und Steuern auf den Wertpapierhandel unterscheiden. Der nachstehende Richtlinienentwurf bezieht sich auf die indirekten Steuern auf die Ansammlung von Kapital; hierzu gehören: die Gesellschaftsteuer auf das Eigenkapital der Gesellschaften, die Wertpapiersteuer auf inländische Wertpapiere, die bei der Einführung oder Emission von Wertpapieren ausländischer Herkunft auf dem Binnenmarkt erhobene Wertpapiersteuer sowie andere indirekte Steuern, die die gleichen Merkmale aufweisen. Die indirekten Steuern, die auf den Wertpapierhandel erhoben werden, wie beispielsweise die Börsenumsatzsteuern, werden in einer späteren Richtlinie gesondert behandelt werden. Die vorliegende Richtlinie lässt diese Steuern somit unberührt."

 

Nationales Recht

[11] § 15 Abs. 3 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung v. 20.4.1892 (RGBl. S. 477) in seiner für das Ausgangsverfahren maßgebenden Fassung (im Folgenden: GmbHG) sieht vor: "Zur Abtretung von Geschäftsanteilen durch Gesellschafter bedarf es eines in notarieller Form geschlossenen Vertrags."

[12] Die Höhe der Gebühren, die von den Notaren erhoben werden können, ist im Gesetz über die Kosten in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (Kostenordnung) v. 26.7.1957 (BGBl. I S. 960) in seiner für das Ausgangsverfahren maßgebenden Fassung (im Folgenden: KostO) festgelegt.

[13] Nach § 32 Abs. 1 KostO beträgt die volle Gebühr bei einem Geschäftswert bis 1 000 Euro 10 Euro. Die Gebühr erhöht sich bei einem Geschäftswert

--    bis 5.000 Euro für jeden angefangenen Betrag von weiteren 1.000 Euro um 8 Euro,

--    bis 50.000 Euro für jeden angefangenen Betrag von weiteren 3 .000 Euro um 6 Euro,

--    bis 5.000.000 Euro für jeden angefangenen Betrag von weiteren 10.000 Euro um 15 Euro,

--    bis 25.000.000 Euro für jeden angefangenen Betrag von weiteren 25.000 Euro um 16 Euro,

--    bis 50.000.000 Euro für jeden angefangenen Betrag von weiteren 50.000 Euro um 11 Euro,

--    über 50.000.000 Euro für jeden angefangenen Betrag von weiteren 250.000 Euro um 7 Euro.

[14] Nach § 36 Abs. 2 KostO wird für die Beurkundung von Verträgen das Doppelte der vollen Gebühr erhoben.

[15] Im Land Baden-Württemberg ist das Innenverhältnis zwischen den Notaren im Landesdienst und der Staatskasse u.a. im Landesjustizkostengesetz v. 15.1.1993 (GBl. S. 110, im Folgenden: LJKG) geregelt.

[16] Dieses Gesetz sah ursprünglich vor, dass die im Bezirk des OLG Karlsruhe tätigen beamteten Notare nicht die unmittelbaren Gläubiger der Gebühren für die notarielle Beurkundung sind, sondern dass diese Gebühren unmittelbar dem Land zufließen. Die beamteten Notare erhielten ihre Dienstbezüge, zu denen ein veränderlicher Betrag in Form eines Anteils an den erhobenen Gebühren kam. So stand ihnen z.B. für die Beurkundung der in § 15 Abs. 3 GmbHG genannten Verträge ein Gebührenanteil von 50 % zu.

[17] Diese Regelung wurde – rückwirkend zum 1.6.2002 – durch Gesetz v. 28.7.2005 (GBl. Nr. 12 v. 5.8.2005, S. 580) geändert.

[18] § 10 LJKG in der geänderten Fassung bestimmt:

"(1) Die Gebühren und Auslagen für die Tätigkeit der Notare werden zur Staatskasse erhoben.

(2) Die Notare sind Gläubiger der Gebühren und Auslagen für ihre Tätigkeit nach § 3 Abs. 1 des Landesgesetzes über die freiwillige Gerichtsbarkeit sowie etwaiger Zinsen nach § 154a der Kostenordnung. …

(3) Die Notare beziehen die Gebühren, Auslagen und Zinsen nach Abs. 2 Satz 1 … neben den ihnen nach dem Landesbesoldungsgesetz zustehenden Bezügen."

[19] Nach § 11 Abs. 1 LJKG in der geänderten Fassung erhält die Staatskasse grundsätzlich nicht mehr als 15 % der Gebühren, die die Notare im Landesdienst aufgrund zwingender gesellschaftsrechtlicher Vorgaben für Beurkundungen in gesellschaftsrechtlichen Angelegenheiten erheben.

 

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

[20] Reiss beschloss am 30.7.2002, ihr Stammkapital im Wege der Sacheinlage auf 100.000 Euro zu erhöhen. Der alleinige Gesellschafter dieser Gesellschaft, Albert Reiss, übertrug hierzu mit (von einem beamteten Notar im Bezirk des OLG Karlsruhe) notariell beurkundetem Vertrag v. 30.7.2002 den von ihm gehaltenen einzigen Geschäftsanteil an einer anderen Gesellschaft mit beschränkter Haftung, der Arku Maschinenbau GmbH (im Folgenden: Arku), auf die Reiss Beteiligungsgesellschaft.

[21] Die Erhöhung des Stammkapitals von Reiss wurde am 4.11.2002 in das Handelsregister beim AmtsG Baden-Baden eingetragen. Neben anderen Gebühren setzte der Kostenbeamte für die Beurkundung der Übertragung des einzigen Geschäftsanteils an Arku Notargebühren i.H.v. 11 424 Euro gegen Reiss fest. Dieser Betrag wurde unter Zugrundelegung eines Geschäftswerts von 3 763 443,90 Euro ermittelt.

[22] Reiss legte gegen diese Festsetzung Erinnerung ein, mit der sie einen Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht rügte.

[23] Nach Zurückweisung der Erinnerung durch das AmtsG Baden-Baden legte Reiss Beschwerde beim vorlegenden Gericht ein.

[24] Das LG Baden-Baden hat das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt [LG Baden-Baden v. 20.10.2003]:

Erfasst Art. 10 Buchst. c der Richtlinie 69/335 auch die Gebühren für die notariell beurkundete Abtretung von GmbH-Anteilen?

[25] Im Rahmen der Prüfung dieser Rechtssache hat der Gerichtshof zunächst beschlossen, gemäß Art. 104 § 3 seiner Verfahrensordnung durch Beschluss zu entscheiden. Auf Einwände des Landes Baden-Württemberg, dass bestimmte Aspekte der Antwort auf die Vorlagefrage nicht klar aus der Rechtsprechung abgeleitet werden könnten, hat er die Frage jedoch noch einmal geprüft und beschlossen, über das Vorabentscheidungsersuchen durch Urteil zu entscheiden.

[26] Das LG Baden-Baden hat dem Gerichtshof mit Beschl. v. 10.10.2005 eine ergänzende Frage vorgelegt, um der mit dem Gesetz vom 28.7.2005 erfolgten Gesetzesänderung Rechnung zu tragen:

Entfällt die Eigenschaft der Notargebühr als Steuer im Sinne der Richtlinie 69/335 dann, wenn zwar der Staat auf die Geltendmachung seines Anteils aus dem Rechtsgeschäft verzichtet, die Gebühr – abzüglich einer pauschalen Aufwandsentschädigung von 15 % für den Staat – also dem beamteten Notar selbst belässt, der Notar aber im Übrigen in die Verwaltungsorganisation eingegliedert bleibt und vom Staat für die Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben entlohnt wird?

[27] Mit Schriftsatz, der am 16.3.2007 bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingegangen ist, hat Reiss nach Art. 61 der Verfahrensordnung beantragt, die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung anzuordnen, um eine Beweisaufnahme nach den Art. 45 ff. der Verfahrensordnung zu den Tatsachenbehauptungen in Nr. 50 der Schlussanträge der Generalanwältin Trstenjak durchzuführen.

 

Zu den Anträgen auf Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung und Durchführung einer Beweisaufnahme

[28] Reiss wünscht eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung, damit die Feststellungen, die Generalanwältin Trstenjak in ihren Schlussanträgen zum wirtschaftlichen Risiko und zur Haftung der beamteten Notare getroffen hat, überprüft werden können.

[29] Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof nach Art. 61 seiner Verfahrensordnung die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung von Amts wegen, auf Vorschlag des Generalanwalts oder auch auf Antrag der Parteien anordnen kann, wenn er sich für unzureichend unterrichtet hält oder ein zwischen den Parteien nicht erörtertes Vorbringen als entscheidungserheblich ansieht (vgl. EuGH v. 19.2.2002, Wouters u.a., C-309/99, Slg. 2002, I-1577, Rz. 42; v. 14.12.2004, Swedish Match, C-210/03, Slg. 2004, I-11893, Rz. 25).

[30] Im vorliegenden Fall ist der Gerichtshof jedoch nach Anhörung der Generalanwältin der Auffassung, dass er über sämtliche Angaben verfügt, die für die Beantwortung der Vorlagefragen erforderlich sind. Der Antrag auf Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung ist daher zurückzuweisen.

[31] Unter diesen Umständen ist auch der Antrag auf Durchführung einer Beweisaufnahme zurückzuweisen.

 

Zu den Vorlagefragen

[32] Mit seinen Fragen, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Richtlinie 69/335 der Erhebung von Notargebühren für die Beurkundung der Übertragung von Geschäftsanteilen an einer Gesellschaft entgegensteht, die als Einlage im Rahmen einer Erhöhung des Gesellschaftskapitals einer Kapitalgesellschaft erfolgt ist, und dies in einem Rechtssystem, das dadurch gekennzeichnet ist, dass die Notare Beamte sind und die Gebühren zumindest teilweise dem Staat für die Bestreitung öffentlicher Kosten zufließen.

 

Zur Zulässigkeit

[33] Die Regierung des Landes Baden-Württemberg, die die Auffassung vertritt, dass die erste Frage verneint werden sollte, d.h., dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Gebühren nicht unter die Richtlinie 69/335, insbesondere Art. 10 Buchst. c, fallen, ist der Ansicht, dass das vorlegende Gericht in Wirklichkeit keiner Antwort auf die Ergänzungsfrage bedürfe und diese daher unzulässig sei.

[34] Insoweit ist daran zu erinnern, dass das Ersuchen eines vorlegenden Gerichts nur dann abgelehnt werden kann, wenn die erbetene Auslegung des Gemeinschaftsrechts offensichtlich in keinem Zusammenhang mit der Realität oder dem Gegenstand des Ausgangsverfahrens steht, wenn das Problem hypothetischer Natur ist oder wenn der Gerichtshof nicht über die tatsächlichen oder rechtlichen Angaben verfügt, die für eine sachdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind (vgl. u.a. EuGH v. 10.1.2006, IATA und ELFAA, C-344/04, Slg. 2006, I-403, Rz. 24 und die dort angeführte Rechtsprechung).

[35] Dies ist im Ausgangsverfahren jedoch nicht der Fall. Es ist nämlich nicht offensichtlich, dass die fraglichen Gebühren vom Geltungsbereich der Richtlinie 69/335 ausgenommen sind und die ergänzende Frage deshalb in keinem Zusammenhang mit dem Gegenstand des Ausgangsverfahrens steht.

[36] Ob die Gebühren in den Geltungsbereich der Richtlinie 69/335 fallen, ist außerdem keine Frage der Zulässigkeit, sondern eine materiellrechtliche Frage, die im Rahmen der Sachprüfung zu untersuchen ist.

[37] Die ergänzende Frage ist daher zu beantworten.

 

Zu den Fragen

[38] Zunächst ist zu prüfen, ob Gebühren, wie sie im Ausgangsverfahren in Rede stehen, "Steuern oder Abgaben" im Sinne der Richtlinie 69/335 sind, sodann, ob diese Gebühren unter das Verbot des Art. 10 der Richtlinie 69/335 fallen, und schließlich gegebenenfalls, ob sie unter eine der in Art. 12 der Richtlinie vorgesehenen Bestimmungen fallen.

 

Zur Einordnung als "Steuer" im Sinne der Richtlinie 69/335

[39] Aus der Rechtsprechung ergibt sich, dass der Begriff der "Steuer" im Sinne der Richtlinie 69/335 im Hinblick auf die mit dieser Richtlinie verfolgten Ziele grundsätzlich weit auszulegen ist (vgl. in diesem Sinne EuGH v. 19.3.2002, Kommission/Griechenland, C-426/98, Slg. 2002, I-2793, Rz. 25; v. 10.3.2005, Optiver u.a., C-22/03, Slg. 2005, I-1839, Rz. 30 u. 31).

[40] Nach der Rechtsprechung sind Notargebühren als "Steuer" im Sinne der Richtlinie 69/335 zu qualifizieren, wenn sie für einen unter diese Richtlinie fallenden Vorgang von Notaren erhoben werden, die Beamte sind, und zumindest teilweise dem Staat für die Bestreitung öffentlicher Kosten zufließen (vgl. in diesem Sinne EuGH v. 21.3.2002, Gründerzentrum, C-264/00, Slg. 2002, I-3333 = GmbHR 2002, 486, Rz. 27; v. 30.6.2005, Längst, C-165/03, Slg. 2005, I-5637, Rz. 37, und v. 7.9.2006, Organon Portuguesa, C-193/04, Slg. 2006, I-7271, Rz. 17).

[41] Was die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Gebühren betrifft, so hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass diese Voraussetzungen bei dem im Bezirk des OLG Karlsruhe (zu dem das AmtsG Baden-Baden gehört) zuvor geltenden System erfüllt waren, in dem die Notare Beamte waren und ein Teil der für die Beurkundung vereinnahmten Gebühren dem Staat für die Finanzierung seiner Aufgaben zufloss (vgl. in diesem Sinne Beschl. Gründerzentrum, Rz. 28).

[42] Die durch das Gesetz v. 28.7.2005 herbeigeführten Änderungen dieses Systems sind nicht derart, dass sie für das Ausgangsverfahren ein anderes Ergebnis rechtfertigen würden.

[43] Die Notare sind zum einen nach wie vor Beamte im Landesdienst und zum anderen weiterhin verpflichtet, einen Teil der Gebühren an den Staat abzuführen. Darüber hinaus heißt es im Gesetz ausdrücklich, dass die Gebühren und Auslagen für die Tätigkeit der Notare zur Staatskasse erhoben werden.

[44] Gegen diese Feststellung spricht auch nicht, dass die im Bezirk des OLG Karlsruhe tätigen beamteten Notare mit dem Gesetz v. 28.7.2005 selbst Gläubiger der Gebühren geworden sind und der Anteil, den sie an den Staat abführen müssen, mit 15 % des Gebührenbetrags relativ gering ist.

[45] In den Rechtssachen, in denen die Urt. des EuGH v. 29.9.1999, Modelo, "Modelo I" (C-56/98, Slg. 1999, I-6427 = GmbHR 1999, 1205, Rz. 19 u. 23), und v. 21.9.2000, Modelo, "Modelo II" (C-19/99, Slg. 2000, I-7213, Rz. 19 und 23), sowie Längst (Rz. 41 bis 43) und Organon Portuguesa (Rz. 11 u. 17) ergangen sind, wurden die Gebühren ebenfalls zunächst von beamteten Notaren erhoben, die dann einen Teil an den Staat abführten.

[46] Außerdem wurden die Gebühren in diesen Rechtssachen und in der Rechtssache, in der der Beschl. Gründerzentrum ergangen ist, unabhängig von der Höhe des an den Staat abgeführten Anteils als "Steuer" im Sinne der Richtlinie 69/335 eingestuft. Der Sachverhaltsschilderung im Urt. Längst lässt sich zwar entnehmen, dass der Staat ungefähr 66 % der Gebühren erhielt; der Gerichtshof hat jedoch nicht darauf hingewiesen, dass dieser Umstand für die Einstufung relevant wäre. Auch in keinem der anderen genannten Urteile wird näher auf die Höhe des an den Staat abgeführten Anteils eingegangen. Die Frage, wie groß der von einem beamteten Notar an den Staat abzuführende Anteil konkret ist, hat daher a priori keine Bedeutung für die Einstufung der Gebühren als "Steuer".

[47] In Anbetracht der angeführten Rechtsprechung sind Gebühren wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden daher eine "Steuer" im Sinne der Richtlinie 69/335.

 

Zum Verbot gesellschaftsteuerähnlicher Abgaben (Art. 10 Buchst. c der Richtlinie 69/335)

[48] Art. 10 der Richtlinie 69/335 verbietet nach deren letztem Erwägungsgrund Steuern, die die gleichen Merkmale aufweisen wie die Gesellschaftsteuer (vgl. u. a. EuGH v. 20.4.1993, Ponente Carni und Cispadana Costruzioni, C-71/91 und C-178/91, Slg. 1993, I-1915, Rz. 29, und v. 11.6.1996, Denkavit Internationaal u.a., C-2/94, Slg. 1996, I-2827, Rz. 23).

[49] So erfasst Art. 10 Buchst. c der Richtlinie 69/335 u.a. jene Abgaben, die ungeachtet ihrer Form auf die Eintragung oder jedwede andere der Ausübung einer Tätigkeit vorangehende Formalität, der eine Gesellschaft aufgrund ihrer Rechtsform unterworfen werden kann, erhoben werden.

[50] Dieses Verbot, das neben die in Art. 10 Buchst. a und b der Richtlinie genannten Verbote, die sich auf die in Art. 4 der Richtlinie beschriebenen Fallgestaltungen beziehen, tritt, ist dadurch gerechtfertigt, dass diese Steuern oder Abgaben zwar nicht auf die Kapitalzuführungen als solche, wohl aber wegen der wesentlichen Formalitäten im Zusammenhang mit der Rechtsform der Gesellschaft, also des Instruments zur Kapitalansammlung, erhoben werden, so dass die Beibehaltung dieser Steuern und Abgaben auch die Erreichung der mit der Richtlinie verfolgten Ziele gefährden würde (vgl. in diesem Sinne EuGH v. 15.6.2006, Badischer Winzerkeller, C-264/04, Slg. 2006, I-5275 = GmbHR 2006, 819 [LS], Rz. 19 und die dort angeführte Rechtsprechung).

[51] Der Gerichtshof hat daraus geschlossen, dass Art. 10 Buchst. c der Richtlinie 69/335 grundsätzlich weit auszulegen ist, und zwar dahin, dass er nicht nur die formalen, der Ausübung der Tätigkeit einer Kapitalgesellschaft vorangehenden Verfahren erfasst, sondern auch die Formalitäten, die eine Bedingung für die Ausübung und Fortführung der Tätigkeit einer solchen Gesellschaft darstellen (vgl. in diesem Sinne EuGH v. 2.12.1997, Fantask u.a., C-188/95, Slg. 1997, I-6783, Rz. 22; v. 5.3.1998, Solred, C-347/96, Slg. 1998, I-937, Rz. 22, und Badischer Winzerkeller, Rz. 25).

[52] Dazu hat der Gerichtshof bereits mehrfach festgestellt, dass, wenn ein von einer Kapitalgesellschaft durchgeführter Vorgang, wie z. B. die Erhöhung ihres Gesellschaftskapitals, die Änderung ihrer Satzung oder der Erwerb von Immobilien aufgrund eines Zusammenschlusses, nach nationalem Recht zwingend eine rechtliche Formalität erfordert, diese Formalität eine Bedingung für die Ausübung und Fortführung der Tätigkeit dieser Gesellschaft darstellt (vgl. in diesem Sinne Urt. Badischer Winzerkeller, Rz. 26 u. 27 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

[53] Für rechtswidrig i.S.d. Art. 10 Buchst. c der Richtlinie 69/335 gehalten hat der Gerichtshof z.B. Abgaben auf die Eintragung einer neuen Gesellschaft (Urt. Ponente Carni und Cispadana Costruzioni, Rz. 30 u. 31, sowie Fantask u.a., Rz. 22), die Beurkundung eines Vertrags über die Gründung einer Gesellschaft (Beschl. Gründerzentrum, Rz. 30), die Eintragung der Erhöhung des Gesellschaftskapitals (Urt. Fantask u.a., Rz. 22; v. 26.9.2000, IGI, C-134/99, Slg. 2000, I-7717 = GmbHR 2000, 1154, Rz. 25; v. 21.6.2001, SONAE, C-206/99, Slg. 2001, I-4679 = GmbHR 2001, 983 [LS], Rz. 31), die Beurkundung einer Erhöhung des Gesellschaftskapitals (Urt. Modelo I, Rz. 26) sowie die Beurkundung der Zahlung des noch nicht eingezahlten Gesellschaftskapitals (Urt. Solred, Rz. 23).

[54] Die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Gebühren wurden, wie auch Generalanwalt Geelhoed in den Nr. 20 bis 23 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, für die Beurkundung der Übertragung von Geschäftsanteilen an einer Gesellschaft (Arku) erhoben, die als Sacheinlage im Rahmen einer Erhöhung des Stammkapitals einer Kapitalgesellschaft (Reiss) erfolgte. Mit dieser Beurkundung wird somit ein Vorgang bescheinigt, von dem die Erhöhung des Gesellschaftskapitals einer Kapitalgesellschaft abhängt. Da solche Übertragungen von Geschäftsanteilen nach deutschem Recht beurkundet werden müssen, ist die Beurkundung als eine Formalität anzusehen, die eine Bedingung für die Ausübung und Fortführung der Tätigkeit der betreffenden Kapitalgesellschaft (Reiss) darstellt. Die Beurkundung ist daher eine vorangehende Formalität, der eine Kapitalgesellschaft aufgrund ihrer Rechtsform unterworfen wird.

[55] Gebühren wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden fallen demnach unter Art. 10 Buchst. c der Richtlinie 69/335 und dürfen somit grundsätzlich nicht erhoben werden.

[56] Es ist jedoch weiter zu prüfen, ob solche Gebühren nicht unter eine der in Art. 12 der Richtlinie 69/335 vorgesehenen Bestimmungen fallen.

 

Zu der Bestimmung, nach der Börsenumsatzsteuern erhoben werden können (Art. 12 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 69/335)

[57] Art. 12 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 69/335 stellt klar, dass es den Mitgliedstaaten freisteht, Börsenumsatzsteuern zu erheben.

[58] Da Art. 12 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 69/335 den Anwendungsbereich der in den Art. 10 und 11 der Richtlinie vorgesehenen Verbote beschränkt, ist er eng auszulegen und kann nicht dahin verstanden werden, dass er sich auf andere Steuern als "Börsenumsatzsteuern" im eigentlichen Wortsinn erstreckt.

[59] Da die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Gebühren keine Börsenumsatzsteuer, sondern von Art. 10 Buchst. c der Richtlinie 69/335 erfasste Notargebühren darstellen, fallen sie nicht unter Art. 12 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 69/335.

 

Zur Ausnahmeregelung für Abgaben mit Gebührencharakter (Art. 12 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie 69/335)

[60] Nach Art. 12 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie 69/335 können die Mitgliedstaaten Abgaben mit Gebührencharakter erheben.

[61] "Abgaben mit Gebührencharakter" sind Abgaben, die als Entgelt für eine erbrachte Leistung erhoben werden (vgl. in diesem Sinne EuGH v. 19.3.2002, Kommission/Griechenland, C-426/98, Slg. 2002, I-2793, Rz. 36).

[62] Daher können, wie Generalanwalt Geelhoed in Nr. 32 seiner Schlussanträge festgestellt hat, nur Entgelte, deren Höhe sich nach den Kosten der erbrachten Leistung richtet, als "Abgaben mit Gebührencharakter" i.S.v. Art. 12 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie 69/335 qualifiziert werden. Dagegen ist ein Entgelt, dessen Höhe keinen Zusammenhang mit den tatsächlichen Aufwendungen für diese konkrete Leistung aufweist oder sich nicht nach den Kosten des Vorgangs, für den sie die Gegenleistung darstellt, sondern nach den gesamten Betriebs- und Investitionskosten der Verwaltung richtet, als eine nach den Art. 10 und 11 der Richtlinie 69/335 verbotene Abgabe anzusehen (vgl. in diesem Sinne Urt. Ponente Carni und Cispadana Costruzioni, Rz. 41 u. 42, und Beschl. Gründerzentrum, Rz. 31).

[63] Demnach kann eine Abgabe, die sich nach dem Wert des zugrunde liegenden wirtschaftlichen Vorgangs bestimmt und ohne Obergrenze proportional zu diesem Wert steigt, schon ihrem Wesen nach keine Abgabe mit Gebührencharakter i.S.v. Art. 12 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie 69/335 sein. Auch wenn in bestimmten Fällen ein Zusammenhang zwischen der Komplexität der von der Verwaltung erbrachten Leistung und dem Wert des zugrunde liegenden wirtschaftlichen Vorgangs bestehen mag, steht doch die Höhe einer solchen Abgabe in der Regel in keinem Verhältnis zu den konkreten Aufwendungen der Verwaltung (vgl. in diesem Sinne Urt. Modelo I, Rz. 30, und IGI, Rz. 31).

[64] Im Ausgangsverfahren steigen die betreffenden Gebühren proportional zum Wert der übertragenen Geschäftsanteile, also des zugrunde liegenden wirtschaftlichen Vorgangs. Da für die Gebühren außerdem keine Obergrenze festgelegt worden ist, können sie sich auf einen beträchtlichen Betrag belaufen, der von der deutschen Regierung noch nicht einmal damit verteidigt worden ist, dass er den Kosten der erbrachten Leistung entspreche.

[65] Diese Gebühren haben daher keinen Gebührencharakter i.S.v. Art. 12 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie 69/335.

[66] Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 10 Buchst. c der Richtlinie 69/335 der Erhebung von Notargebühren für die Beurkundung der Übertragung von Geschäftsanteilen an einer Gesellschaft entgegensteht, die als Einlage im Rahmen einer Erhöhung des Gesellschaftskapitals einer Kapitalgesellschaft erfolgt ist, und dies in einem Rechtssystem, das dadurch gekennzeichnet ist, dass die Notare Beamte sind und die Gebühren zumindest teilweise dem Staat für die Bestreitung öffentlicher Kosten zufließen. ...




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