Marcel Grobys,
Rechtsanwalt, München

Das Arbeitsvertragsrecht der neuen Gewerbeordnung -- Verwirrung statt Deregulierung

Rechtssuchende leiden schon immer unter der Zersplitterung des Arbeitsrechts. Ein gutes Beispiel hierfür sind die arbeitsrechtlichen Vorschriften des VII. Titels der Gewerbeordnung. Sie entstanden vor Inkrafttreten des BGB, haben bis heute Geltung und gehen innerhalb ihres Anwendungsbereichs als Spezialgesetze den Vorschriften des BGB vor (Winterfeld in Münch.Hdb. zum ArbR, 2. Aufl., § 184 Rz. 13). Im Rahmen der Novellierung der GewO standen nun auch diese -- inzwischen weitgehend bedeutungslos gewordenen und als Relikt und Fremdkörper erscheinenden -- Bestimmungen auf dem Prüfstand. Dem Gesetzgeber bot sich dadurch eine gute Gelegenheit, mit ihrer Aufhebung einen wertvollen Beitrag zur Deregulierung und Rechtsbereinigung zu leisten. Diese Chance wurde jedoch nicht genutzt. Vielmehr hat der Gesetzgeber einige dieser Vorschriften kurzer Hand für unverzichtbar erklärt: Sie sollen in moderner sprachlicher Fassung beibehalten werden (BR-Drucks. 112/02, S. 52). Doch damit nicht genug. Der Anwendungsbereich des VII. Titels der Gewerbeordnung wurde sogar noch erweitert. Praktisch finden §§ 105 -- 110 GewO n.F. nun auf alle Arbeitsverhältnisse -- auch die der leitenden Angestellten -- Anwendung. Das Reformgesetz tritt zum 1.1.2003 in Kraft (vgl. auch Wisskirchen, DB 2002, 1886).

Ein Blick auf die neuen -- angeblich dringend regelungsbedürftigen -- Grundsätze des Arbeitsrechts kann nur Unverständnis hervorrufen.

Vertragsfreiheit

§ 105 GewO n.F. legt den Grundsatz der Privatautonomie nieder, weist auf Möglichkeiten der Beschränkung derselben hin und verweist auf die Regelung über den Nachweis wesentlicher Vertragsbedingungen durch das Nachweisgesetz. Daß der Grundsatz der Vertragsfreiheit bereits sowohl verfassungsrechtlich (Art. 2 Abs. 1 GG) als auch zivilrechtlich (§ 241, § 311 BGB) verankert ist, reicht dem Gesetzgeber offensichtlich nicht (vgl. BR-Drucks. 112/02). Völlig überflüssig ist der Hinweis auf das Nachweisgesetz: Gesetze sollten eine regelnde Funktion erfüllen und nicht der Information über bereits bestehende Rechtsgrundsätze dienen.

Weisungsrecht

§ 106 GewO n.F. normiert und konkretisiert das Weisungsrecht des Arbeitgebers unter Hinweis auf die aus den Rechtsquellen des Arbeitsrechts folgenden Grenzen. Es ist als Bestandteil des Arbeitsverhältnisses in Rechtsprechung und Literatur schon immer anerkannt. Dies ist dem Gesetzgeber nicht entgangen. Der Standpunkt, daß eine Kodifizierung dennoch aus Gründen der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit geboten sei (BR-Drucks. 112/02, S. 35), überzeugt dagegen nicht, da sich in der Praxis über § 315 BGB schon bisher angemessene Ergebnisse erzielen ließen. Unklar ist auch, welche Funktion § 106 S. 3 GewO n.F. erfüllen soll, wonach der Arbeitgeber bei der Ausübung seines Weisungsrechts auf eine Behinderung des Arbeitnehmers Rücksicht zu nehmen hat. Die Pflicht zur Rücksichtnahme folgt bereits hinlänglich aus § 81 Abs. 4 SGB IX. Darin ist allerdings von "Schwerbehinderungen" die Rede. Chaos bei der Auslegung der kollidierenden Vorschriften ist vorprogrammiert.

Abrechnung

§ 107 und § 108 GewO n.F. enthalten Bestimmungen über die Berechnung, Zahlung und Abrechnung des Arbeitsentgelts. Soweit § 107 Abs. 1 GewO bestimmt, daß das Arbeitsentgelt in Euro zu berechnen und auszuzahlen ist, wurde offensichtlich übersehen, daß in der Praxis, insbesondere bei höherwertigen Tätigkeiten, oft eine Vergütung in ausländischer Währung (etwa der der Muttergesellschaft) erfolgt. Daß der Gesetzgeber derartige Vereinbarungen verhindern wollte, ist kaum anzunehmen. Sollte § 107 Abs. 1 GewO aber als dispositiv zu verstehen sein, stellt sich wiederum die Frage, ob die betreffende Regelung wirklich erforderlich ist.

§ 107 Abs. 2 und Abs. 3 GewO n.F. bestimmen, unter welchen Bedingungen Sachbezüge und Trinkgelder als Arbeitsentgelt vereinbart werden können und enthalten das an den Arbeitgeber gerichtete Verbot, dem Arbeitnehmer Waren auf Kredit zu überlassen. § 108 Abs. 1 GewO n.F. regelt den Anspruch des Arbeitnehmers auf eine schriftliche Lohnabrechnung und legt bestimmte Anforderungen an die Abrechnung fest.

Zeugnis und Wettbewerbsverbot

§ 109 Abs. 1 GewO enthält den Anspruch des Arbeitnehmers auf Zeugniserteilung und Legaldefinitionen des einfachen und qualifizierten Zeugnisses. Nach Abs.2 der Bestimmung muß das Zeugnis klar und verständlich formuliert sein und darf keine Merkmale oder Formulierungen enthalten, die den Zweck haben, eine andere als aus der äußeren Form oder aus dem Wortlaut ersichtliche Aussage über den Arbeitnehmer zu treffen. Mit dieser nebulösen Anweisung werden Zeugnisklagen künftig noch leichter möglich sein. Die Erteilung des Zeugnisses in elektronischer Form wird durch § 109 Abs. 3 GewO ausgeschlossen. Dies alles ist aber praktisch schon hinreichend in § 630 BGB, der künftig nur noch für Selbständige gilt, normiert. Ein wirkliches Bedürfnis nach einer Neuregelung besteht daher nicht.

§ 110 GewO n.F. erklärt §§ 74 -- 75 f. HGB für Wettbewerbsverbote mit Arbeitnehmern für entsprechend anwendbar. Auch diese Klarstellung ist überflüssig, da das BAG §§ 74 ff. HGB bereits seit 1969 in ständiger Rechtsprechung auf Arbeitsverhältnisse anwendet (vgl. BAG v. 12.11.1971 -- 3 AZR 116/71, AP Nr. 28 zu § 74 HGB).

Fazit

Insgesamt kann nur festgestellt werden, daß die Reform aus arbeitsrechtlicher Sicht verunglückt ist. Konsequent wäre allein die vollständige Aufhebung der arbeitsrechtlichen Regelungen in der GewO gewesen, wie dies auch schon im Schrifttum gefordert worden ist (Winterfeld in Münch.Hdb. zum ArbR, 2. Aufl., § 184 Rz. 6). Darüber hinaus muß man zur Kenntnis nehmen, daß alle Versuche, eine Gesamtkodifikation des Arbeitsrechts zu schaffen, bisher gescheitert sind (s. z.B. die Entwürfe zu einem Arbeitsvertragsgesetz des Freistaats Sachsen und des Landes Brandenburg BR-Drucks. 293/95 und 671/96). Als ersten Schritt zu einer solchen Gesamtkodifikation kann man §§ 105 -- 110 GewO n.F. aber sicher nicht begreifen: hierzu fehlt es ihnen an Substanz; zudem ist die GewO als Kodifikation mit öffentlich-rechtlichem Charakter hierfür der falsche Standort. Ihre Neufassung hat die Übersichtlichkeit des Arbeitsrechts nicht verbessert. Die Novelle ist wieder einmal nur Flickwerk, das Anwälten neue Arbeit beschert.

 

* Lovells Boesebeck Droste.

 


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