Dr. Christoph Schärtl, LL.M., Regensburg*

Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt) -- innovatives Konzept oder "typischer Kompromiss"?

Der Regierungsentwurf des Gesetzes zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG) v. 23.5.2007 (BT-Drucks. 16/6140 [bisher liegt nur die 'elektronische Vorab-Fassung' v. 25.7.2007 vor], im Folgenden: RegE-MoMiG) sieht -- für viele unerwartet (vgl. Seibert, GmbHR 2007, 674 ["Überraschungs-Coup"]) -- in Art. 1 Nr. 6 RegE-MoMiG die Einführung einer "Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt) / UG (haftungsbeschränkt)" (im Folgenden: UG) vor (s. dazu schon Wachter, GmbHR 2007, R 210; ausführlich Veil, GmbHR 2007, 1080 ff. -- in diesem Heft). Bewusst als Alternative zur englischen Limited konzipiert, soll diese als "Einstiegsvariante" zur GmbH mit einem unter dem Mindeststammkapitalerfordernis des § 5 Abs. 1 GmbHG-E liegenden Stammkapital gegründet werden können (§ 5a Abs. 1 GmbHG-E). Als Ausgleich hierfür sollen -- neben dem Gebot der Volleinzahlung und dem Ausschluss von Sacheinlagen (§ 5a Abs. 2 GmbHG-E, vgl. Wilhelm, DB 2007, 1510) -- solange gesetzliche Rücklagen in Höhe eines Viertels "des um einen Verlustvortrag aus dem Vorjahr geminderten Jahresüberschusses" gebildet werden (§ 5a Abs. 3 GmbHG-E), bis die Gesellschaft ihr Stammkapital dergestalt erhöht hat, dass es den "Betrag des Mindeststammkapitals nach § 5 Abs. 1 erreicht oder übersteigt" (§ 5a Abs. 5 GmbHG-E).

 

Kapitalaufholung als Kompensation für Mindeststammkapitalunterschreitung bei der UG -- ein wegweisendes Zukunftskonzept

Die im Gesetzgebungsverfahren maßgeblich vom Abgeordneten Dr. Gehb, MdB (s. auch Gehb/Heckelmann, GmbHR 2006, R 349 f.) propagierte UG beruht auf der Überlegung, einerseits die Gründungsbelastungen durch Verzicht auf ein Mindeststammkapitalerfordernis zu verringern, um ein Abwandern in ausländische Rechtsformen zu verhindern und das deutsche Gesellschaftsrecht international konkurrenzfähig zu machen. Andererseits soll auch bei der UG ein effektiver Gläubigerschutz sichergestellt werden. Nach dem RegE-MoMiG soll dies durch eine "Kapitalaufholung" (RegE-MoMiG, S. 76) in Form einer jahresüberschussabhängigen Zwangsthesaurierung geschehen, wie sie bereits in der Literatur vorgeschlagen wurde (vgl. Schärtl, Die Doppelfunktion des Stammkapitals im europäischen Wettbewerb, 2006, 185 ff.). Die hierdurch bewirkte zeitliche Streckung der Stammkapitalaufbringung erscheint aus mehreren Gründen vorteilhaft: Einerseits wird die durch ein Mindeststammkapitalerfordernis ausgelöste Vorleistungspflicht der Gesellschaftsgründer ("Realfunktion" des Stammkapitals) in der Anfangsphase abgemildert, da der Gesellschaft zunächst weniger Mittel zur Verfügung gestellt werden müssen und lediglich die Gewinnausschüttung in Folgejahren aufgrund der "Bilanzfunktion" des Stammkapitals beschränkt wird (vgl. Schärtl, GmbHR 2007, 346 ff.). Dies führt angesichts der beträchtlichen Folgekosten der englischen Limited (statt vieler Melchior, GmbHR 2005, 690 f.) zu einer erheblichen Attraktivitätssteigerung des deutschen GmbH-Rechts. Andererseits wird hierdurch -- jedenfalls nach der in der Literatur entwickelten Konzeption, hierzu sogleich -- sichergestellt, dass die an die Bilanzgröße des Eigenkapitals anknüpfenden Gläubigerschutzregeln (etwa das Auszahlungsverbot nach § 30 f. GmbHG; vgl. hierzu auch Karsten Schmidt, GmbHR 2007, 1072 -- (1073 f.), in diesem Heft) ihre Wirksamkeit behalten. Die Höhe des Stammkapitals bestimmt nämlich die Dimension der "Sicherheitszone" (statt vieler Kleindiek, BB 2007 Beil. 5, S. 4), in welcher sich die grundsätzlich rein rechnerische Vermögensbindung der GmbH zu tatsächlichen Auszahlungsverboten verdichtet. Die vorgeschlagene "Zwangsthesaurierung" führt daher bei einer erfolgreich am Markt agierenden Gesellschaft zu einer kontinuierlichen Verbesserung des Gläubigerschutzniveaus, wobei die wirtschaftliche Handlungsfreiheit der Gesellschaft dadurch gesichert wird, dass die GmbH grundsätzlich keiner vermögensgegenständlichen Bindung unterliegt und folglich im Regelfall im Wege des Aktivtauschs über ihr Vermögen disponieren kann (vgl. auch Karsten Schmidt, GmbHR 2007, -- 1072 (1074 f.) in diesem Heft). Zudem wird sichergestellt, dass die Gesellschafter mit nennenswertem Vermögen in der Gesellschaft investiert bleiben müssen, was zumindest partiell zu einer Synchronisation von Eigen- und Fremdkapitalgeberinteressen führt und damit das "principal-agent-Problem" entschärft (vgl. etwa Eidenmüller/Engert, GmbHR 2005, 435, m.w.N.). Schließlich wird auf diese Weise die Eigenkapitalausstattung der Gesellschaft verbessert, was gerade vor dem Hintergrund von Basel-II zu erheblichen Vorteilen auch für die Gesellschaft selbst führt. Insgesamt betrachtet erscheint daher das vom RegE-MoMiG verfolgte Konzept auf den ersten Blick durchaus als erfolgsversprechende und richtungsweisende Innovation, um die Wettbewerbsfähigkeit des deutschen GmbH-Rechts im europäischen Vergleich zu stärken (RegE-MoMiG, S. 58).

 

Keine Notwendigkeit zum vollständigen Verzicht auf "Seriositätsschwelle" bei der GmbH

Wie so oft liegen jedoch auch hier die Tücken im Detail: Mit der vollständigen Preisgabe eines Mindeststammkapitalerfordernisses verzichtet der Gesetzgeber -- unnötigerweise -- auf ein wichtiges Präventivinstrument ("Seriositätsschwelle"; ausführlich Büchel, GmbHR 2007, 1065 ff. -- in diesem Heft), da nach dem RegE-MoMiG in Zukunft auch 1-Euro-Gründungen zulässig sein werden (§ 5a Abs. 1 i.V.m. § 5 Abs. 2 S. 1 GmbHG-E, statt vieler Freitag/Riemenschneider, ZIP 2007, 1486). Auch die von vielen als "Angstgegner" ins Feld geführte englische Limited ist nicht zum "Nulltarif" zu haben, viele sprechen von Gründungskosten i.H v. 3.000 € und mehr (vgl. etwa Melchior, GmbHR 2005, 690 f., m.w.N.). Dementsprechend könnte der Gesetzgeber auch für die UG ein Mindeststammkapital in entsprechender Höhe vorsehen, ohne dass hierdurch die Attraktivität der UG als GmbH-Variante geschmälert würde. Gleichzeitig würde zumindest ein Stück weit der Gefahr begegnet, dass die neugegründete UG bereits kurz nach ihrer Gründung überschuldet ist und daher Insolvenz anmelden muss (statt vieler Drygala, NZG 2007, 561 f.; Kleindiek, BB 2007, 1).

 

Keine Verbesserung der Gläubigerstellung durch auf "gesetzliche Rücklage" bezogene Zwangsthesaurierung bei der UG

Zum anderen ist nach dem RegE-MoMiG fraglich, welche Bedeutung der "gesetzlichen Rücklage" nach § 5a Abs. 3 GmbHG-E zukommen soll: Sofern diese -- wie vorgesehen -- als eigene Position neben dem Stammkapital bilanziert werden soll und unter der Voraussetzung, dass die "gesetzliche Rücklage" -- wie von Stimmen in der Literatur unterstellt -- trotz des Wortlauts von § 5a Abs. 3 S. 2 GmbHG-E ("Die Rücklage darf nur für Zwecke des § 57c verwandt werden.") "selbstverständlich" für die Deckung operativer Verluste der UG eingesetzt werden kann (vgl. etwa Freitag/Riemenschneider, ZIP 2007, 1488; einschränkend wohl Seibert, GmbHR 2007, 676), führt die neugeschaffene Zwangsthesaurierung zu keiner dauerhaften Verbesserung der Gläubigerstellung: Zwar würde hierdurch ein dem Stammkapital vorgelagerter "Reservefonds" geschaffen (so für § 150 AktG Hüffer, AktG, 7. Aufl. 2006, § 140 Rz. 1), dessen Größe würde jedoch in Abhängigkeit vom wirtschaftlichen Erfolg der UG variieren (so zu Recht auch Veil, GmbHR 2007, 1080 (1083) -- in diesem Heft). Eine dauerhafte Vorverlagerung der Ausschüttungssperre des auch in der Neufassung an das Stammkapital anknüpfenden § 30 GmbHG (und damit eine Stärkung der "Bilanzfunktion" im Sinne eines "akkumulierenden Stammkapitalkonzepts", s. oben) unterbliebe. Erst die in § 5a Abs. 5 GmbHG-E vorgesehene (fakultative) Stammkapitalerhöhung hätte folglich eine endgültige Verbesserung des Gläubigerschutzniveaus zur Folge, sodass der vom RegE-MoMiG verfolgte Ansatz ein erhebliches Schutzpotential verschenkt. Dieses sollte der endgültige Gesetzesvorschlag daher nutzen, indem er entweder die vorgesehene Zwangsthesaurierung zur kontinuierlichen Erhöhung der Stammkapitalziffer einsetzt oder zumindest klarstellt, dass die einmal nach § 5a Abs. 3 GmbHG-E gebildete gesetzliche Rücklage nicht durch spätere Verluste der Gesellschaft aufgezehrt werden darf bzw. zunächst vollständig bis zu ihrem ursprünglichen Höchststand wiederaufgefüllt werden muss, bevor Ausschüttungen an die Gesellschafter erfolgen dürfen.

 

Keine überzeugende "Arbeitsteilung" zwischen GmbH und UG

Schließlich überzeugt auch die vom RegE-MoMiG vorgesehene "Arbeitsteilung" zwischen der "GmbH" im klassischen Sinne und der UG als Einstiegsvariante nicht: Durch die Absenkung des Mindeststammkapitalerfordernisses in Art. 1 Nr. 5a RegE-MoMiG auf 10.000 €, von denen gemäß § 7 Abs. 2 S. 2 GmbHG zudem nur 5.000 € tatsächlich bei Gründung eingezahlt werden müssen, wird der Einstieg in die GmbH derart erleichtert (insoweit i.E. zustimmend Wilhelm, DB 2007, 1512 f. ["bagatellhafte Größe"]), dass unter Berücksichtigung der auch bei der UG notwendigen Ausstattung mit Startkapital kaum mehr Unterschiede bestehen. Ohne echten Vorteil wird daher eine seit mehr als 100 Jahren bewährte und für viele ausländische Gesetzgeber als Vorbild dienende Rechtsform (statt vieler Lutter, FS GmbH-Gesetz, 1992, S. 49 ff.) geschwächt. Vorzugswürdig erscheint es demgegenüber, die in der durchaus wünschenswerten Zweispurigkeit des RegE-MoMiG liegenden Chancen zu nützen und eine genauere Differenzierung der beiden GmbH-Varianten anzustreben: So könnte die "klassische GmbH" im Hinblick auf das Mindeststammkapitalerfordernis unverändert beibehalten werden (statt vieler Handelsrechtsausschuss DAV, NZG 2007, 212) und dieser eine UG mit einem nur geringen Mindeststammkapital, dafür aber einer nach den o.g. Vorschlägen modifizierten Zwangsthesaurierung zur Seite gestellt werden (ähnlich auch Büchel, GmbHR 2007, 1065 (1066) -- in diesem Heft; ablehnend Veil, GmbHR 2007, 1080 (1086) -- in diesem Heft). Zudem sollte überlegt werden, ob diese Zwangsthesaurierung nicht bis zu einer deutlich über dem bisherigen Mindeststammkapitalerfordernis von 25.000 € liegenden "Deckungsgrenze" beibehalten werden kann. Sofern -- wie von § 5a Abs. 5 GmbHG-E vorgesehen -- der Weg zur "klassischen GmbH" offensteht, die Gesellschafter also jederzeit die Möglichkeit besitzen, zum bewährten GmbH-Modell überzugehen, könnte auf diese Weise ein echter Wettbewerb der konkurrierenden Modelle geschaffen werden. Letztendlich könnte dann der Markt darüber entscheiden, welcher Variante der Vorzug zu geben ist. Gerade im Hinblick auf Basel-II erscheint es nämlich durchaus denkbar, dass sich die UG aufgrund der Stärkung der Eigenkapitalseite vielleicht sogar als attraktivere Variante für den Mittelstand entpuppt, zumal die gesetzliche Zwangsthesaurierung von vielen Autoren als "kein echter Nachteil" empfunden wird (Römermann, GmbHR 2007, R 193). Der Gesetzgeber sollte daher die in der Einführung der UG liegende Chance nutzen, um dem Markt zwei echte Alternativmodelle anbieten zu können. Auf diese Weise könnten auch Erfahrungen für die auf europäischer Ebene anstehenden Beratungen zur Schaffung einer "Europäischen Privatgesellschaft" gewonnen werden, zumal mit einer so konzipierten UG vielleicht auch ein dem anglo-amerikanischen Rechtskreis vermittelbares Modell geschaffen würde.

 

 

*      Habilitand am Lehrstuhl von Prof. Dr. Herbert Roth, Universität Regensburg.

 




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