Gerd Biebinger,   
Rechtsanwalt, Frankfurt a. M.*

 

MoMiG und Gesellschafterforderungen in der Insolvenz

 

Korrekturbedarf bei § 19 Abs. 2 und § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO n.F.

 

Nach einem zweieinhalbjährigen Gesetzgebungsverfahren wird das MoMiG voraussichtlich am 1.11.2008 in Kraft treten (s. Gesetzesbeschluss des Deutschen Bundestages, BR-Drucks. 615/08 v. 29.8.2008; der Bundesrat hat das Gesetz am 19.9.2008 passieren lassen, BT-Drucks. 615/08 [Beschluss] v. 19.9.2008). Schon jetzt zeigt sich jedoch erster Korrekturbedarfbedarf. Denn in dem langwierigen Verfahren sind dem Gesetzgeber bei offensichtlich überstürzten Änderungen handwerkliche Fehler unterlaufen.

 

I. Notwendige Änderung des § 19 Abs. 2 S. 3 InsO n.F.

1. MoMiG in der Fassung vom 23.5.2007

Der Regierungsentwurf des MoMiG (BT-Drucks. 354/07) ergänzte § 19 Abs. 2 InsO um folgenden Satz 3:

Forderungen auf Rückgewähr von Gesellschafterdarlehen, die in einem Insolvenzverfahren über das Vermögen einer Gesellschaft nach § 39 Abs. 1 Nr. 5 berichtigt werden, sind nicht bei den Verbindlichkeiten nach Satz 1 zu berücksichtigen.

Im Regierungsentwurf lag die Systematik zur Überschuldung darin, sämtliche Darlehen von Gesellschaftern, die sich nicht auf das Minderheiten- oder Sanierungsprivileg berufen konnten, im Insolvenzverfahren gem. § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO nachrangig zu behandeln. Wegen dieses Nachrangs im Insolvenzverfahren seien die Forderungen der übrigen Insolvenzgläubiger, denen die Insolvenzmasse vorrangig als Haftungsmasse zur Verfügung steht, ausreichend geschützt. Deshalb sollten solche Darlehen auch ohne qualifizierten Rangrücktritt bei der Aufstellung eines Überschuldungsstatus unberücksichtigt bleiben.

 

2. MoMiG in der Fassung vom 24.6.2008

Der Wortlaut des § 19 Abs. 2 S. 3 ist durch die Empfehlung des Rechtsauschusses (BT-Drucks. 16/9737-vorab v. 24.6.2008) folgendermaßen geändert worden:

Forderungen auf Rückgewähr von Gesellschafterdarlehen oder aus Rechtshandlungen, die einem solchen Darlehen wirtschaftlich entsprechen [i], für die gemäß § 39 Abs. 2 [ii] zwischen Gläubiger und Schuldner der Nachrang im Insolvenzverfahren hinter den in § 39 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 [iii] bezeichneten Forderungen vereinbart worden ist, sind nicht bei den Verbindlichkeiten nach Satz 1 zu berücksichtigen [kursive Hervorhebungen und Einschübe des Autors].

Das Regelungskonzept des MoMiG i.d.F. v. 24.6.2008 bestimmt nunmehr, dass an dem Erfordernis eines ausdrücklich vereinbarten Rangrücktritts für eine bestimmte Forderung zu deren Ausblendung im Überschuldungsstatus festgehalten werden soll. Gemäß der Gesetzesbegründung soll die Warnfunktion des Rangrücktritts sowohl gegenüber dem Geschäftsführer als auch gegenüber dem Gläubiger gewahrt werden. Nach der expliziten Vereinbarung eines Rangrücktritts sei die Hemmschwelle zur Leistung auf eine solche Forderung erhöht. Durch diese Gesetzessystematik werde die Abgrenzung der zu berücksichtigenden Verbindlichkeiten eindeutig.

 

3. Irreführender Wortlaut in § 19 Abs. 2 S. 3 InsO n.F.

Der Gesetzeswortlaut des MoMiG i.d.F. v. 24.6.2008 widerspricht der Intention des Gesetzgebers und schränkt die Wirkungsmöglichkeiten eines Rangrücktritts über Gebühr ein. Nach Auffassung des Autors sollte folgendes gestrichen werden:

a) Die Passage [i] muss gestrichen werden, denn es ist kein Grund ersichtlich, warum Gesellschafterforderungen gegenüber Forderungen von Dritten privilegiert werden sollten. Eine Privilegierung ist darin zu sehen, dass man gemäß der aktuellen Fassung des MoMiG mit Gesellschafterforderungen mehr gestalten kann, als mit Drittforderungen. Der Wortlaut intendiert, dass nur Darlehensforderungen von Gesellschaftern, die mit einem Rangrücktritt belegt sind, in einem Überschuldungsstatus unberücksichtigt bleiben können. Richtig ist aber, dass alle Forderungen, für die ein Rangrücktritt hinter die in § 39 Abs. 1 InsO genannten Forderungen vereinbart wurde, im Überschuldungsstatus unberücksichtigt bleiben können.

b) § 19 Abs. 2 S. 3 InsO verweist auf § 39 Abs. 2 InsO, obwohl der Wortlaut aus § 39 Abs. 2 InsO bereits in § 19 Abs. 2 S. 3 InsO enthalten ist. Der Verweis ist daher überflüssig, und die Passage [ii] kann gestrichen werden.

c) Künftig wird zur Nichtberücksichtigung einer Forderung im Überschuldungsstatus deren Nachrang nach den in § 39 Abs. 1 InsO n.F. genannten Forderungen notwendig sein. Da § 39 Abs. 1 Nr. 1 -- 5 InsO gleichbedeutend mit § 39 Abs. 1 InsO ist, kann man Passage [iii] streichen.

d) § 19 Abs. 2 S. 3 InsO sollte demnach wie folgt lauten:

Forderungen, für die zwischen Gläubiger und Schuldner der Nachrang im Insolvenzverfahren hinter den in § 39 Abs. 1 bezeichneten Forderungen vereinbart worden ist, sind nicht bei den Verbindlichkeiten nach Satz 1 zu berücksichtigen.

 

II. Anregung weiterer Korrekturen an den durch das MoMiG betroffenen Normen der InsO

1. Präzisierung der nachrangigen Forderungen in § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO n.F.

§ 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO n.F. verwendet den unpräzisen, von der Rechtsprechung auszufüllenden Begriff "Forderungen aus Rechtshandlungen, die einem solchen (Gesellschafter-)Darlehen wirtschaftlich entsprechen". Die Gesetzesbegründung lässt den Leser zu diesem Begriff im Dunkeln, indem sie ausführt, dass es

"hinsichtlich der Forderungen aus Rechtshandlungen, die einem Gesellschafterdarlehen wirtschaftlich entsprechen, demgegenüber bei der bisherigen Rechtslage bleibt, da eine entsprechende Qualifizierung trotz der von der Rechtsprechung bereits herausgebildeten Fallgruppen im Einzelfall noch mit Unsicherheiten verbunden sein kann."

Hier hätte der Gesetzgeber konkret bestimmen sollen, welche Forderungen er nachrangig behandelt wissen möchte. Nach Ansicht des Autors möchte der Gesetzgeber folgendes regeln: Dem Schuldner muss stets die Teilnahme am Rechtsverkehr gem. § 142 InsO (Bargeschäft) -- auch mit Gesellschaftern "at arms length" -- möglich bleiben. In Bezug auf § 142 InsO ist insbesondere auf die zeitliche Komponente abzustellen, so dass alle Gesellschafterforderungen, die vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens bereits länger als vier Wochen bestanden, nachrangig zu behandeln sind. Andererseits sollen Gesellschafter, die sich nicht auf das Minderheiten- oder Sanierungsprivileg berufen können, mit ihren Forderungen nur dann nachrangig behandelt werden, wenn sie diese Forderungen seit Entstehung nicht ernsthaft eingefordert haben. Daher könnte die Regelung in § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO n.F. durch folgende [Streichungen] und Einfügungen präzisiert werden:

(1) Im Rang nach den übrigen Forderungen der Insolvenzgläubiger werden in folgender Rangfolge, bei gleichem Rang nach dem Verhältnis ihrer Beträge, berichtigt: ...

5. nach Maßgabe der Absätze 4 und 5 Forderungen [auf Rückgewähr] eines Gesellschafters[darlehens oder Forderungen aus Rechtshandlungen, die einem solchen Darlehen wirtschaftlich entsprechen], deren gedachte Erfüllung zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht mehr dem Anwendungsbereich des § 142 InsO unterläge, es sei denn, sie sind seit ihrer Entstehung stets ernsthaft eingefordert worden.

Mit dieser Regelung unterfallen Darlehensrückgewähransprüche genauso dem Nachrang wie ein Vermieter- oder Lieferantenkredit.

Es bleibt dann nur noch der personelle Anwendungsbereich zu definieren. Dies kann aufgrund der Vielfalt an Einzelfallgestaltungen im Rahmen der analogen Rechtsanwendung der Rechtsprechung überlassen werden. Zumindest ist die analoge Anwendung einer konkreten Rechtsnorm der (auch analog möglichen) Anwendung einer unbestimmten Rechtsnorm vorzuziehen.

Schließlich ist die Systematik noch erwähnenswert, dass die Nachrangverhaftung einer Forderung immer erst ex post nach Insolvenzeröffnung beurteilt werden kann. Vor der Insolvenzeröffnung gibt es -- wegen des Wegfalls der Eigenkapitalersatzqualifikation -- keinen Nachrang, sondern nur unter der gedachten sofortigen Insolvenzeröffnung eine hypothetische Nachrangverhaftung. Der Gesetzeswortlaut nimmt nicht dazu Stellung, welchen Rang eine Forderung im Insolvenzverfahren hat, die vor der Eröffnung des Verfahrens von einem Gesellschafter an einen Nicht-Gesellschafter verkauft wurde. Um die Nachrangsystematik nicht umgehen zu können und damit auszuhöhlen, ist es denknotwendig, dass eine einmal hypothetisch im Nachrang verhaftete Forderung nicht durch den Verkauf an einen Nichtgesellschafter von dem Nachrang befreit werden kann. Dies gilt auch für den Gesellschafter, der zur Sanierung zusammen mit dem Gesellschaftsanteil auch Forderungen von anderen Gesellschaftern erwirbt.

 

2. Kosmetische Folgekorrekturen nach Änderung des § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO n.F.

Durch die unter II.1. erfolgte Präzisierung der in § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO n.F. genannten Forderungen und durch die Systematik, dass § 39 Abs. 1 Nr. 5 gemäß § 39 Abs. 4 u. 5 InsO n.F. rechtsformneutral gilt, aber beim Minderheiten- und Sanierungsprivileg keine Anwendung findet, könnten nachfolgende Normen des MoMiG durch folgende [Streichungen] und Einfügungen geändert werden:

 

a) § 39 Abs. 4 S. 2 InsO n.F. -- Sanierungsprivileg

(4) ... Erwirbt ein Gläubiger bei drohender oder eingetretener Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft oder bei Überschuldung Anteile zum Zweck ihrer Sanierung, führt dies bis zur nachhaltigen Sanierung nicht zur Anwendung von Absatz 1 Nr. 5 auf seine Forderungen [aus bestehenden oder neu gewährten Darlehen oder auf Forderungen aus Rechtshandlungen, die einem solchen Darlehen wirtschaftlich entsprechen].

 

b) § 44a InsO n.F. -- Gesicherte Darlehen

In dem Insolvenzverfahren über das Vermögen einer Gesellschaft kann ein Gläubiger [nach Maßgabe des § 39 Abs. 1 Nr. 5] für seine Forderung i.S.v. § 39 Abs. 1 Nr. 5 [auf Rückgewähr eines Darlehens oder für eine gleichgestellte Forderung], für die ein Gesellschafter eine Sicherheit bestellt oder für die er sich verbürgt hat, nur anteilsmäßige Befriedigung aus der Insolvenzmasse verlangen, soweit er bei der Inanspruchnahme der Sicherheit oder des Bürgen ausgefallen ist.

 

c) § 135 InsO n.F. -- Gesellschafterdarlehen

(1) Anfechtbar ist eine Rechtshandlung, die für die Forderung eines Gesellschafters [auf Rückgewähr eines Darlehens] im Sinne des § 39 Abs. 1 Nr. 5 [oder für eine gleichgestellte Forderung]...

(2) Anfechtbar ist eine Rechtshandlung, mit der [eine Gesellschaft] der Schuldner einem Dritten für [eine] dessen Forderung im Sinne von § 39 Abs. 1 Nr. 5 [auf Rückgewähr eines Darlehens] innerhalb der in Absatz 1 Nr. 2 genannten Fristen Befriedigung gewährt hat, wenn ein Gesellschafter für die Forderung eine Sicherheit bestellt hatte oder als Bürge haftete[; dies gilt sinngemäß für Leistungen auf Forderungen, die einem Darlehen wirtschaftlich entsprechen].

 

d) § 143 Abs. 3 S. 2 InsO n.F. -- Rechtsfolgen

(3) ... Die Verpflichtung besteht nur bis zur Höhe des Betrags, mit dem der Gesellschafter als Bürge haftete oder der dem Wert der von ihm bestellten Sicherheit im Zeitpunkt [der Rückgewähr des Darlehens oder] der Leistung auf die [gleichgestellte] Forderung im Sinne von § 139 Abs. 1 Nr. 5 entspricht. ...

 

 

 

*              White & Case LLP.

 

 

 



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