Dr. Volker Jahr,
Rechtsanwalt, Hagen*

Ab 1.1.2002 neues BGB? – Tiefgreifende strukturelle Änderungen geplant

Bis 2002 müssen drei EG-Richtlinien in deutsches Recht umgesetzt werden: die "Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie" (1999/44/EG, ABl. EG Nr. L 71, S. 12), die "e-commerce-Richtlinie (2000/31/EG, ABl. EG Nr. L 178, S. 1) und die "Zahlungsverzugsrichtlinie" (2000/35/EG, ABl. EG Nr. L 200, S. 35). Darüber hinaus möchte die Bundesregierung zum 1.1.2002 auch wesentliche Teile des Bürgerlichen Gesetzbuches vollständig neu fassen (BT-Drucks. 14/6040 v. 14.5.2001): Verjährung, Leistungsstörungen, Kauf- und Werkvertrag sowie Aufnahme der Verbraucherschutzgesetze (AGB-Gesetz, Haustürwiderrufsgesetz, Fernabsatzgesetz, Teilzeit-Wohnrechtegesetz, Verbraucherkreditgesetz) in das BGB. Dagegen richtet sich erheblicher Widerstand von 259 Zivilrechtsprofessoren sowie der unionsgeführten Bundesländer.

In einer gemeinsamen Erklärung von 259 Zivilrechtsprofessoren (http://www.uni-passau.de/altmeppen) warnen diese dringend vor einer übereilten und unausgereiften grundlegenden Neugestaltung des BGB. Gerade die grundlegende Umgestaltung des Leistungsstörungsrechts und die als sehr problematisch angesehene Inkorporierung der Verbrauchergesetze in das BGB bedürften einer gründlichen Überprüfung, insbesondere auf noch unerkannte Mängel. Es wird darauf hingewiesen, daß die umfassende Neuordnung erhebliche Rechtsunsicherheit mit sich bringe und auf Wirtschaft, Anwaltschaft und Justiz enorme Umstellungslasten und Kosten zukämen. Demgegenüber bestehe für die Neuordnung kein rechts-, sozial- oder wirtschaftspolitischer Reformdruck. Die umfassende BGB-Reform müsse deshalb von der Verbindung mit der aktuellen EU-Richtlinienumsetzung gelöst werden, um sie vom Zeitdruck zu befreien.

Ebenfalls vehement gegen die von der Bundesregierung zum 1.1.2002 geplante umfassende Umgestaltung des BGB sprechen sich die unionsgeführten Länder Bayern, Thüringen, Sachsen, Baden-Württemberg und Hessen aus. Die Bundesländer Thüringen und Sachsen haben am 27.6.2001 einen Gegenentwurf im Bundesrat eingebracht. Grundlage des Entwurfs ist eine Alternative zum Regierungsentwurf, die mehrere Zivilrechtswissenschaftler entsprechend der gemeinsamen Erklärung der 259 Zivilrechtsprofessoren entwickelt haben. Der Gegenentwurf koppelt die umfassende Neugestaltung des Schuldrechts von der Umsetzung der EU-Richtlinien ab und setzt nur die Verbrauchsgüterkaufrichtlinie und die beiden anderen Richtlinien in deutsches Recht im BGB um, ohne jedoch das BGB insgesamt im Schuldrecht und Verjährungsrecht neu zu fassen.

Der 286 Seiten starke Gesetzentwurf (BT-Drucks. 14/6040 v. 14.5.2001) hingegen sieht u.a. folgende in Stichpunkten dargestellte wesentliche Veränderungen vor:

I. Völlige Neufassung des allgemeinen Leistungsstörungsrechts

Die bisherigen Rechtsinstitute "Unmöglichkeit", "Verzug" und "Schlechterfüllung" sollen zu einem einzigen Tatbestand "Schadenersatz wg. Pflichtverletzung" zusammengefaßt werden (§ 280 BGB-E).

II. Gesetzliche Kodifizierung bzw. Neuregelung wichtiger Institute

Die bisher außergesetzlichen Rechtsinstitute "Wegfall der Geschäftsgrundlage", "culpa in contrahendo" und "positive Forderungsverletzung" werden gesetzlich normiert. Die Kündigung aus wichtigem Grund wird allgemein gefaßt und jetzt im allgemeinen Schuldrecht geregelt (§ 314 BGB-E). Teilweise wird sie in ihren Anforderungen verschärft: Der Gesetzentwurf sieht bei Pflichtverletzungen eine fristlose Kündigung ausdrücklich nur nach vorheriger erfolgloser Abmahnung vor.

III. Aufhebung der klaren Trennung zwischen positivem und negativem Interesse im Schadensersatzrecht

Beim Schadensersatz wegen Nichterfüllung soll "wahlweise Anspruch auf Ersatz vergeblicher Aufwendungen" eingeführt (§ 284 BGB-E), bei der künftig in § 311 BGB-E geplanten gesetzlichen Kodifizierung von "culpa in contrahendo" dieselbe Rechtsfolge wie bei Schadenersatz wegen Unmöglichkeit oder Schlechterfüllung normiert werden (vgl. Gesetzesbegründung zu § 311 Abs. 2 Nr. 2 BGB-E, BT-Drucks. 14/6040, S. 163).

IV. Völlig neues Verjährungsrecht

Die regelmäßige Verjährung soll nur noch drei Jahre statt dreißig Jahre betragen – auch bei Arglist; bei Ansprüchen auf Übertragung eines Grundstücks zehn Jahre, bei Ansprüchen aus Titeln und Herausgabeansprüchen dreißig Jahre, ferner sollen neue Mechanismen hinsichtlich des Verjährungsbeginns sowie neue Begriffe im Verjährungsrecht u.v.m. eingeführt werden.

V. Neufassung des Kaufrechts und des Werkvertragsrechts

Es erfolgt eine grundlegende Neugestaltung der Sachmängelhaftung, ein völlig neuer Aufbau der Paragraphen zur Sachmängelhaftung (Wiederkauf, Vorkauf, Verbrauchsgüterkauf an Stelle der bisherigen Vorschriften zur Sachmängelhaftung) sowie eine Neuregelung der Gewährleistungsrechte beim Werkvertrag.

VI. Weitere Änderungen im Schuldrecht

Hier erfolgt eine Neufassung und erstmalige Aufnahme von Vorschriften zu Darlehensvertrag, "Finanzierungshilfen- und Ratenlieferungsverträgen" sowie "Sachdarlehensvertrag" (§§ 488 – 515, §§ 607 – 610 BGB-E, ferner eine Aufnahme des Vertragstypus "Teilzeit-Wohnrechteverträge (§§ 481 – 487 BGB-E).

VII. Umsetzung von EU-Richtlinien

Unabhängig von den vorstehend skizzierten, grundlegenden Neuerungen im BGB durch die von der Regierung geplante "große Schuldrechtsreform" ist die in jedem Falle gebotene Umsetzung der drei EU-Richtlinien mit folgenden Änderungen im BGB verbunden:

1. Verbrauchsgüterkaufrichtlinie

a) Der in der Richtlinie festgelegte Sachmängelbegriff deckt sich im wesentlichen mit dem bisher in Deutschland von der Rechtsprechung entwickelten subjektiven Fehlerbegriff (Abweichung "Soll – Ist"). Er bedeutet daher keine Änderung gegenüber dem bisherigen Recht. Neu ist allerdings eine Sachmängelhaftung für Abweichungen von Herstelleraussagen, die sich zu konkreten Aussagen des Produkts äußern, z.B. dem Kraftstoffverbrauch. Hier war die bisherige Rechtsprechung eher zurückhaltend. Größere Bedeutung wird künftig die Regelung haben, daß sich der Verbraucher nicht auf Mängel berufen kann, die er vor Vertragsschluß kannte oder kennen mußte, weil die Gewährleistung gegenüber Verbrauchern jetzt nicht mehr ausgeschlossen werden kann.

b) Nach BGB sind die klassischen Gewährleistungsrechte beim Kauf Wandelung und Minderung. Beim Gattungskauf tritt auch nach bislang geltendem Recht die Ersatzlieferung hinzu (§ 480 BGB). Die Verbrauchsgüterkaufrichtlinie sieht nunmehr vier Gewährleistungsrechte vor, die gestuft ausgeübt werden können: Zunächst kann der Käufer Nachbesserung oder Ersatzlieferung verlangen. Dabei ist das wirtschaftlich Vernünftige zu verlangen, also bei hochwertigen Gütern Nachbesserung und bei Massenware Ersatzlieferung. Nur wenn Ersatzlieferung oder Nachbesserung scheitern, kommt der Käufer zu Wandlung oder Minderung.

c) Die Gewährleistungsfrist wird (von bisher sechs Monaten) auf zwei Jahre verlängert. Der Mangel der Kaufsache muß also innerhalb von zwei Jahren ab Übergabe der Kaufsache auftreten und innerhalb dieser zwei Jahre auch gerichtlich geltend gemacht werden. Diese Gewährleistungsfrist kann nur bei gebrauchten Gütern verkürzt werden. Wie bisher auch, ist allerdings zu beachten, daß entgegen landläufiger Meinung die gesetzlichen Gewährleistungsfristen und -rechte keine Garantie darstellen. Laien sind häufig der Ansicht, wenn innerhalb der Gewährleistungsfrist – also bisher sechs Monate, nunmehr zwei Jahre – ein Mangel auftrete, so hafte der Verkäufer in jedem Falle dafür. Das ist falsch. Denn der Mangel muß bereits bei Übergabe der Kaufsache vorgelegen haben, so daß sich viele Verkäufer bisher darauf zurückgezogen haben, der Mangel habe bei Lieferung noch nicht vorgelegen. Für den Verbraucher schafft hier die Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie jedoch nunmehr Abhilfe durch die nachstehend genannte Regelung zur Beweislastumkehr.

d) Bei Mängeln der Kaufsache, die innerhalb von sechs Monaten nach Lieferung auftreten, kommt es nunmehr – erstmalig im deutschen Recht – zu einer Beweislastumkehr für Verbraucher: Weist ein Verbraucher als Käufer (vgl. § 13, § 14 BGB in der derzeit gültigen Fassung) nach, daß die Sache einen Fehler hat und daß dieser innerhalb von sechs Monaten nach Lieferung aufgetreten ist, wird widerleglich vermutet, daß der Mangel bereits bei Lieferung der Kaufsache vorhanden war. Dies gilt nicht, wenn die Beweislastumkehr mit der Natur der Kaufsache oder der Art des Fehlers im Widerspruch steht.

e) Weitere Regelungen: Nunmehr gilt auch beim Viehkauf allgemeine Gewährleistung: Damit sind bislang nicht in der Viehmängelhauptverordnung enthaltene Krankheiten, wie z.B. BSE nunmehr anerkannte Mängel. Ferner ist ein Rückgriff des vom Verbraucher in Anspruch genommenen Händlers auf den Hersteller möglich (Händlerrückgriff). Schließlich müssen Herstellergarantien künftig vor dem Kauf einsehbar, einfach, klar und verständlich sein und einen Hinweis auf gesetzliche Gewährleistungsrechte enthalten.

2. Zahlungsverzugsrichtline

Im wesentlichen ergibt sich aus der Zahlungsverzugsrichtlinie kein Anpassungsbedarf des derzeitigen deutschen Verzugsrechts an EU-Recht. Lediglich die Höhe der Verzugszinsen bei Rechtsgeschäften zwischen Unternehmern ist anzupassen auf acht Prozentpunkte über dem Basiszinssatz (Refinanzierungszins der EZB). Für Verbraucherverzug gilt wie bisher fünf Prozentpunkte über dem Basiszins. Im übrigen wird die Zahlungsverzugsrichtlinie zum Anlaß genommen, den Fehler zu beseitigen, der sich bei der letzten Änderung der Verzugsvorschriften des BGB im Rahmen des Gesetzes zur Beschleunigung fälliger Zahlungen v. 30.3.2000 (BGBl. I 2000, 330) in das Gesetz eingeschlichen hatte: Der Gesetzgeber wollte den Druck auf die Zahlungsmoral bei säumigen Schuldnern erhöhen. Die Umsetzung dieses Gedankens durch eine Änderung von § 284 Abs. 3 BGB führte jedoch aufgrund des mißglückten, dabei aber eindeutigen Wortlauts des neuen § 284 Abs. 3 BGB dazu, daß das Gesetz den vertragsbrüchigen Schuldner begünstigt und dieser auch nach Fälligkeit ohne Sondervereinbarung stets 30 Tage Zeit zur Zahlung hatte, ohne daß ihn der Gläubiger dafür rechtlich belangen konnte. Dieser Fehler des Gesetzgebers wird nun unter der Überschrift "Umsetzung der Zahlungsverzugsrichtlinie" korrigiert.

3. e-commerce-Richtlinie

Die e-commerce-Richtlinie findet nicht nur auf den Verbraucherschutz, sondern auch auf reine Unternehmerbeziehungen Anwendung. Sie schafft die wesentlichen wirtschafts- und zivilrechtlichen Rahmenbedingungen für den elektronischen Geschäftsverkehr, insb. im Internet. Gemäß der Richtlinie, die im übrigen durch das "Gesetz über rechtliche Rahmenbedingungen für den elektronischen Geschäftsverkehr" (BR-Drucks. 136/01) umgesetzt wird, wird jetzt u.a. geregelt, daß die Vertragsbedingungen und die Allgemeinen Geschäftsbedingungen so zur Verfügung gestellt werden müssen, daß sie für den Vertragspartner dauerhaft abrufbar und speicherbar sind. Eine elektronische Bestellung muß unverzüglich bestätigt werden; der Besteller muß vor der Bestellung technische Mittel zur Eingabefehlererkennung und -beseitigung erhalten. Ferner wird aus Klarstellungsgründen auch für den elektronischen Geschäftsverkehr die Möglichkeit von Unterlassungsklagen durch Verbände im Kollektivinteresse der Verbraucher ausdrücklich gesetzlich abgesichert.

VIII. Ausblick

Die Bundesjustizministerin schreibt selbst, daß durch die von ihr geplante "Große Lösung" über die gebotene Umsetzung der drei EU-Richtlinien hinaus "Rechtsanwender und Praxis gefordert werden" und "erheblicher Umstellungsbedarf abzusehen ist" (Däubler-Gmelin, NJW 2001, 2281 [2288]).

Vor diesem Hintergrund erscheint es wichtig, eine ausgereifte und dauerhafte Lösung zu schaffen. Um etwaige Nachbesserungen oder Ergänzungen zu vermeiden, sollten deshalb die vorgebrachte Kritik sowie Verbesserungsvorschläge, die auch Befürworter einer großen Lösung immer noch anregen (vgl. Canaris, ZRP 2001, 329 [334 ff.]), noch vor endgültiger Verabschiedung einer großen BGB-Reform berücksichtigt werden. Nicht zuletzt aufgrund der besonderen Bedeutung des BGB für das gesamte Rechts- und Wirtschaftsleben sollte eine grundlegende Neuregelung nur in einem breiten Konsens von Wissenschaft, Richtern, Rechtsanwälten, Wirtschaft und Politik erfolgen.

 

* Sozietät DR. WEHBERG UND PARTNER GBR, Wirtschaftsprüfer, Rechtsanwälte, Steuerberater.


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