Prof. Dr. Heribert Hirte, LL.M.
(Berkeley), Hamburg*

Wettbewerb der Rechtsordnungen nach "Inspire Art": Auch das Beurkundungserfordernis für GmbH-Anteilsübertragungen steht zur Disposition

Den "Anfang vom Ende der deutschen GmbH" hatte der Verfasser dieser Zeilen -- sicher etwas provokant -- vor einigen Monaten nach der "Überseering"-Entscheidung des EuGH prognostiziert (EuGH v. 5.11.2002 -- Rs. C-208/00, GmbHR 2002, 1137 = EWiR Art. 43 EG 1/02, 1003 [Neye] = EWS 2002, 573 [Hirte]; dazu Hirte, FAZ v. 22.1.2003, Nr.18, S.19 und Stieb, GmbHR 2003, R$$473). Denn schon seit dieser Entscheidung stellt die ausländische Kapitalgesellschaft auch im Inland eine echte Alternative zu den inländischen Rechtsformen dar. Nunmehr hat der EuGH diese Linie in "Inspire Art" (EuGH v. 30.9.2003 -- Rs. C-167/01, GmbHR 2003, 1260 mit Komm. W.$$Meilicke -- in diesem Heft) bestätigt, und fast möchte man sagen, nun ist der Damm endgültig gebrochen: was zunächst nur ein "Rinnsal" war, hat sich schon in den letzten Monaten zu einem Fluß entwickelt, und der wird sich jetzt sicher zu einem Strom verbreitern: Die Gründungszahlen englischer Limiteds sind schon im unmittelbaren Anschluß an die Überseering-Entscheidung des EuGH von zweiwöchentlichen ca. 5.500 Neugründungen auf ca. 7.000 hochgeschnellt -- und auf diesem Niveau verblieben. Auf europäische Rechtsformen wie die "Europäische Aktiengesellschaft (SE)" (verfügbar ab Herbst 2004) oder die -- als Alternative zur nationalen GmbH gedachte -- Europäische Privatgesellschaft (EPG), die sich erst in Planung befindet, wird man daher nicht warten müssen, wenn man im Gesellschaftsrecht vom europäischen Markt profitieren will.

Ausländische Rechtsformen als Alternative zur GmbH?

Was macht vor allem die englische Limited so attraktiv? Sicher gehören dazu die fehlenden Kapitalanforderungen bei der Gründung, wobei hier häufig übersehen wird, daß das englische Recht dies durch deutlich höhere Anforderungen an die Geschäftsleiter in der Krise und bei der Abwicklung der Gesellschaften kompensiert (dazu Mock/Schildt, NZI 2003, 442). Ein weiterer Gesichtspunkt ist das fehlende Erfordernis notarieller Beurkundung bei der Anteilsübertragung (§15 Abs.3 und 4 GmbHG); nur davon soll hier die Rede sein (zu weiterem Deregulierungsbedarf Koegel, GmbHR 2003, 1225 -- in diesem Heft).

Denn der Verfasser hatte auch vorgeschlagen, den durch die Rechtsprechung des EuGH eingeleiteten "Wettbewerb der Rechtsordnungen" aktiv aufzunehmen und die deutsche GmbH so ausgestalten, daß sie gegenüber den "inländischen Auslandsgesellschaften" wettbewerbsfähig bleibt. Das sollte auch eine Streichung des Beurkundungserfordernisses für die Übertragung von Geschäftsanteilen beinhalten (was einer satzungsmäßigen Einführung/Beibehaltung der Beurkundungspflicht natürlich nicht entgegensteht). Kritik ließ nicht auf sich warten. Im Rahmen einer vom Bundesministerium der Justiz durchgeführten Anhörung sprachen sich mehrere Landesjustizverwaltungen sogar für eine Verschärfung von §15 GmbHG aus: Das Verpflichtungsgeschäft zu einer Anteilsübertragung (§15 Abs.4 S.1 GmbHG) solle auch zum Handelsregister eingereicht werden müssen, um zu verhindern, daß die Gründe für die Anteilsübertragung Dritten verborgen blieben. Auch an eine Streichung der Heilungsvorschrift des §15 Abs.4 S.2 GmbHG müsse man denken. Von notarieller Seite war zu hören, Vorschläge zur Abschaffung des Beurkundungserfordernisses seien "berufsschädigend".

Auswirkungen auf deutsche Gesetzgebung

Wer so argumentiert, verkennt die wirtschaftliche Realität. Die oben vorgestellten Zahlen deuten im Recht der geschlossenen Kapitalgesellschaft auf eine "Abstimmung mit den Füßen" hin. Und der Gesetzgeber wird im Anschluß an "Inspire Art" kaum mehr eine Erstreckung des Beurkundungserfordernisses auf "Scheinauslandsgesellschaften" erzwingen können. Denn wo läge der europarechtlich erforderliche zwingende Grund des Allgemeininteresses, der eine solche Regelung rechtfertigen könnte, wo doch auch das deutsche Aktienrecht keine zwingenden Formvorschriften für die Übertragung der Mitgliedschaft kennt? Andererseits: nicht beurkundete Anteilsübertragungen werfen (natürlich) Nachweisprobleme auf; ist nicht der Notar der geborene Partner für die Durchführung der dann erforderlichen Due-diligence-Prüfungen -- und dies auf der Basis eines Stundenhonorars?

Im übrigen: die Entwicklung macht natürlich vor der Hochschule nicht halt. Bundesländer, die -- wie Hamburg -- ausschließlich das deutsche Personen- und Kapitalgesellschaftsrecht als Lehrstoff vorschreiben und als Prüfungsgegenstand zulassen, werden sich bald dem Vorwurf ausgesetzt sehen, statt des geltenden Wirtschaftsrechts in unangemessenem Umfang die "Wirtschaftsrechtsgeschichte des letzten Jahrhunderts" zu lehren und zu prüfen.

Entfallen von Beurkungserfordernissen durch Satzungsgestaltung?

Schützenhilfe bekam der Verfasser jetzt vom BGH: Denn dieser akzeptierte, daß bereits in der ursprünglichen Satzung bestimmte Übertragungsvorgänge sozusagen vorab gestattet werden können -- womit das Beurkundungserfordernis für die konkrete Abtretung entfällt (BGH v. 30.6.2003 -- II ZR 326/01, GmbHR 2003, 1062 mit Komm. Blöse/Kleinert). Das lädt zu geschickten Vertragsgestaltungen, wie von Kleinert/Blöse/v.$$Xylander, GmbHR 2003, 1230 -- in diesem Heft vorgeschlagen, geradezu ein.

 

 

* Geschäftsführender Direktor des Seminars für Handels-, Schiffahrts- und Wirtschaftsrecht der Universität Hamburg, Professeur am Centre universitaire de Luxembourg.