Sebastian Barta,
Rechtsanwalt, Berlin

Organhaftung wegen sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung durch falsche "Ad-hoc-Mitteilungen"

Mit dem Platzen der Spekulationsblase an den deutschen Aktienmärkten, insbesondere am Neuen Markt, versuchten viele Anleger, ihre Verluste auszugleichen, indem sie unter Berufung auf fehlerhafte Kapitalmarktinformationen Schadensersatzansprüche gegen die jeweiligen Emittenten geltend machten. Das Vorgehen richtete sich aber nicht nur gegen die Gesellschaften selbst, sondern auch gegen deren Organmitglieder, die auch als Gründungsmitglieder mit ihren Unternehmungen zum Teil erhebliche Einkünfte erzielt hatten. Nachdem die Anleger mit ihren Begehren vor den Instanzgerichten scheiterten (dazu nur Rützel, AG 2003, 67), hat der BGH im Fall der Infomatec AG nunmehr in drei Entscheidungen zur Frage der Organhaftung bei falschen Ad-hoc-Mitteilungen Stellung genommen (BGH v. 19.7.2004 -- ZR II 402/02, 217/02, 218/02, AG 2004, 546 und 543).

I. Die Entscheidungen des BGH

In den drei Verfahren wandten sich die Kläger jeweils mit Schadensersatzbegehren gegen den früheren Vorstandsvorsitzenden der Infomatec AG und dessen Stellvertreter. Die Aktien des Unternehmens waren im Juli 1998 zum geregelten Markt mit dem Handel im Neuen Markt zugelassen worden. Im folgenden veröffentlichte die Infomatec AG weitere falsche Ad-hoc-Mitteilungen über angebliche Großaufträge, die jeweils zu erheblichen Kursanstiegen der Aktie führten. Beide Meldungen wurden erst später durch weitere Ad-hoc-Mitteilungen korrigiert. In der Zwischenzeit hatten die klagenden Anleger in unterschiedlicher zeitlicher Nähe zu den ersten beiden falschen Ad-hoc-Mitteilungen Aktien an der Infomatec AG erworben, die später mit den Korrekturmeldungen wertlos wurden. Sie begehrten mit ihren Klagen Rückzahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Abtretung der Aktien.

1. Prospekthaftung und Haftung wegen Schutzgesetzverletzung

Der BGH verneint einen Anspruch aus allgemeiner zivilrechtlicher Prospekthaftung mit dem Argument, daß es sich bei einer Ad-hoc-Mitteilung nicht um einen Prospekt handle. Auch eine deliktische Haftung aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. einer Schutzgesetzverletzung komme nicht in Betracht. Den beiden kapitalmarktrechtlichen Vorschriften § 15 WpHG a.F. und § 88 BörsG a.F. komme schon kein Schutzgesetzcharakter zu, da sie nur allgemein die Zuverlässigkeit und Wahrheit der Preisbildung an Börsen und Märkten gewährleisten sollen, was sich für § 15 WpHG a.F. schon eindeutig aus § 15 Abs. 6 S. 1 WpHG a.F ergebe. Auch die zwar grundsätzlich den Schutz des Einzelanlegers bezweckenden strafrechtlichen Vorschriften § 400 AktG sowie § 263 und § 264a StGB führen bei falschen Ad-hoc-Mitteilungen nicht zum Ziel. Denn § 264a StGB verlange eine fehlerhafte Information in einem Prospekt oder wie § 400 AktG in Übersichten über den Vermögensstand der Gesellschaft. Die Ad-hoc-Mitteilung biete jedoch weder einen Prospekt noch eine Übersicht bzw. Darstellung über den Vermögendstand, da dies eine Zusammenstellung erfordere, die einen Gesamtüberblick über die wirtschaftliche Situation des Unternehmens ermögliche. § 263 Abs. 1 StGB greife nicht ein, da hier die Beklagten keinen Vermögensvorteil erstrebten, der als Kehrseite des Schadens der Geschädigten anzusehen sei. Eine lediglich mittelbare Begünstigung der Gesellschaft oder der Beklagten selbst durch einen steigenden Aktienkurs reiche hierfür nicht aus, und eine Bereicherungsabsicht hinsichtlich der an den Aktienkäufen beteiligten unbekannten Verkäufer liege den Beklagten fern (BGH v. 19.7.2002 -- II ZR 218/02, AG 2004, 543 ff.).

2. Anspruch wegen sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung gemäß § 826 BGB

Dagegen bejaht der BGH einen Anspruch aus § 826 BGB. Die hierfür zunächst erforderliche Sittenwidrigkeit indiziere bereits die unlautere Beeinflussung des Publikums des Sekundärmarkts durch grob falsche Ad-hoc-Mitteilungen. Die vom OLG vertretene Relativierung, daß gerade in der "euphorischen Phase" am Neuen Markt Ad-hoc-Mitteilungen von den Unternehmen zu Werbezwecken veröffentlicht worden sein, erklärt der BGH eine eindeutige Absage. Ein solcher Fall stelle bereits selbst einen Mißbrauch des Rechtsinstituts der Ad-hoc-Mitteilung dar (BGH v. 19.7.2002 -- II ZR 402/02, AG 2004, 546 [547]).

Den für § 826 BGB ausreichenden Eventualvorsatz sah der BGH bereits in der bewußt veröffentlichten falschen Ad-hoc-Mitteilung. Denn auch bei einer Parallelwertung in der Laiensphäre war den Beklagten bewußt, daß die Falschmeldung als fehlerhafte Tatsachengrundlage dienen konnte, auf deren Basis Anleger Kaufentscheidungen treffen würden, die sie bei richtiger Information entweder überhaupt nicht oder nur zu anderen Konditionen getroffen hätten (BGH v. 19.7.2002 -- II ZR 402/02, AG 2004, 546 [547]).

Für die Bestimmung des Schadens requiriert der BGH auf die allgemeine Ansicht, § 826 BGB erfasse bereits jede Belastung mit einer ungewollten Verpflichtung, so daß sich der Ersatz des Schadens nach §§ 249 ff. BGB bemesse, mithin hier grundsätzlich eine Naturalrestitution in Form der Erstattung des gezahlten Kaufpreises gegen Übertragung der erworbenen Aktien verlangt werden könne (BGH v. 19.7.2002 -- II ZR 402/02, AG 2004, 546 f.).

Etwas unscharf bleiben die Anforderungen die der BGH an den Nachweis der Kausalität einer Ad-hoc-Mitteilung für den Kauf eines Anlegers stellt. Im Ergebnis konstatiert das Gericht, daß auch für eine Ad-hoc-Mitteilung die aus dem Recht der Emissionsprospekthaftung bekannte Rechtsfigur der "Anlagestimmung" in Betracht komme, die eine tatsächliche Vermutung für den Kausalzusammenhang erzeugt. Ob und wie lange eine solche Bestand hat, muß sich jedoch aus vom Kläger vorzutragenden konkreten Umständen ergeben. Eine Übertragung der jetzt in § 44 Abs. 1 S. 1 BörsG i.d.F. des 4. FMFG v. 21.6.2002 für Emissionsprospekte geregelten Sechs-Monats-Frist komme aufgrund der unterschiedlichen Charaktere der Regelungen nicht in Betracht, vielmehr sei hier eine eigenständige gesetzliche Normierung für Ad-hoc-Mitteilungen erforderlich (BGH v. 19.7.2002 -- II ZR 218/02, AG 2004, 543 [545]).

II. Folgen für die Praxis

Mit seinen Entscheidungen zeichnet der BGH eine klar konturierte Linie für eine deliktische Organhaftung bei sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung durch falsche Ad-hoc-Mitteilungen. Hiernach läßt sich auch beantworten, unter welchen Gesichtspunkten eine Haftung bei Unterlassen der Mitteilungspflicht einer Ad-hoc-pflichtigen Tatsache in Betracht kommt. Daneben stellt sich aber auch die Frage, wie sich das Verhältnis der sämtlich zur alten Rechtslage ergangenen Entscheidungen zum geltenden Recht gestaltet.

1. Unterlassen einer Mitteilung einer Ad-hoc-pflichtigen Tatsache

Von erheblicher Bedeutung für die Rechtspraxis sind die Fälle, in denen ein Unternehmen seiner Pflicht aus § 15 WpHG, eine Ad-hoc-pflichtige Tatsache mitzuteilen, nicht nachkommt. So hat die BAFin bestätigt, daß zahlreiche ausländische Unternehmen, die im amtlichen Handel oder im geregelten Markt notiert sind, noch nie eine Ad-hoc-Mitteilung veröffentlicht haben (s. FAZ v. 2.9.2004, S. 21). In Betracht kommen zum einen das Unterlassen einer primären Ad-hoc-Mitteilung, was dazu führt, daß der Markt sich auf die bisher verfügbaren Informationen verläßt und damit zu einem unzutreffenden Bild kommt (Sethe in Assmann/Schneider, WpHG, 3. Aufl. 2003, §§ 37b, 37c Rz. 68). Zum anderen ist der Fall denkbar, daß ein Organmitglied nachträglich Kenntnis von einer Falschmeldung oder nachträglichen Änderung erlangt und eine Korrekturmeldung unterläßt, die die ursprüngliche Falschmeldung oder die zwischenzeitliche Veränderung mitteilt (vgl. hierzu auch Leisch, ZIP 2004, 1573 [1576]).

Nicht jedes Unterlassen einer Ad-hoc-Mitteilung verletzt bereits die guten Sitten i.S.d. § 826 BGB. Vielmehr ist hier entsprechend den Ausführungen des BGH eine unlautere Beeinflussung des Publikums des Sekundärmarkts durch ein grob leichtfertiges, gewissenloses Verhalten erforderlich (allg. Palandt/Thomas, BGB, 63. Aufl. 2004, § 826 Rz. 7, 8). Eine deliktische Haftung eines Organmitglieds wegen sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung wird so wohl nur bei einer für ihn evidenten Ad-hoc-Mitteilungspflicht in Betracht kommen. Für den Fall der Korrekturmeldung bedeutet dies, daß das Organmitglied zur Verhinderung von Wertpapierkäufen aufgrund der ursprünglichen Falschmeldung diese unverzüglich durch eine weitere Ad-hoc-Mitteilung richtigzustellen hat (Leisch, ZIP 2004, 1573 [1576]).

Dies ist auch für den diskutierten und kürzlich vom OLG Frankfurt a. M. v. 6.7.2004 -- 5 U 122/03-- EM.TV AG, AG 2004, 510 entschiedenen Fall zu beachten, daß ein Emissionsprospekt zunächst richtig und vollständig war, nach der Veröffentlichung jedoch ergänzungsbedürftig wird. Unabhängig von der Frage, inwieweit hier eine Aktualisierungspflicht des Börsenprospekts de lege lata besteht oder de lege ferenda wünschenswert ist (dazu Assmann, FS Ulmer, 2003, S. 757 [768 ff.]), besteht eine Mitteilungspflicht bei Änderung Ad-hoc-pflichtiger Tatsachen oder nachfolgender einschlägiger Directors’ Dealings nach § 15 bzw. § 15a WpHG, deren Verletzung zu Schadensersatzansprüchen nach § 826 BGB führen kann (Lenenbach, Kapitalmarkt- u. Börsenrecht, 2002, § 8 Rz. 8.98; zur Haftung bei Verstoß gegen die Pflicht nach § 15a WpHG Schwark/Zimmer, KMRK, 3. Aufl. 2004, § 15a WpHG Rz. 47).

2. Verhältnis zu § 37b, § 37c WpHG

Die deliktische Organhaftung wird auch nicht gesperrt durch die zum 1.7.2002 in Kraft getretenen Regelungen in § 37b, § 37c WpHG zur Emittentenhaftung bei schuldhaften Verstoß gegen die Ad-hoc-Publizität. Mit der Einfügung dieser neuen Haftungstatbestände wollte der Gesetzgeber den als unzureichend empfundenen Schutz der Anleger verbessern und auf das Verhalten der Emittenten einwirken, sich aber nicht gegen eine eigenständige Haftung der Organmitglieder wenden, mit der er sich zu diesem Zeitpunkt noch nicht beschäftigt hat (Sethe in Assmann/Schneider, WpHG, 3. Aufl. 2003, §§ 37b, 37c Rz. 78 f.).

Mit den Entscheidungen des BGH entsteht so eine Dichotomie der deliktischen Organhaftung und der Emittentenhaftung, für die das Unternehmen jedoch die Organe im Innenverhältnis nach § 116, § 93 AktG in Regreß nehmen kann (Horn, FS Ulmer, 2003, S.817 [826]). Der lange Zeit festgestellte Befund, ein solcher Regreß finde nur sehr selten statt (resignierend Binz, FAZ v. 6.5.2004, S. 12), scheint sich langsam zu wenden (s. z.B. den Fall EM.TV, vgl. FAZ v. 3.6.2004, S. 14).

Die Entwicklung bleibt jedoch weiter im Fluß. Nachdem bereits aus der Wissenschaft einige Vorschläge für eine Neuregelung der Haftung für fehlerhafte Kapitalmarktinformationen vorliegen (etwa Zimmer, WM 2004, 9 [20 f.]), hat das Bundesfinanzministerium nunmehr einen Entwurf für ein Kapitalmarktinformationsgesetz vorgelegt, der eine erweiterte persönliche Außenhaftung der Organmitglieder vorsieht (dazu Kollmann, AG 2004, R 391 f.).

 


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