Prof. Dr. Jörg Rodewald / Nina Seider, LL.M.

Anwendung der Gründungsvorschriften auf die "Vorrats-GmbH" -- hier: verdeckte Sachgründung

I. Problemstellung

Mit seinen Entscheidungen v. 9.12.2002 -- II ZB 12/02, GmbHR 2003, 227 und v. 7.7.2003 -- II ZB 4/02, GmbHR 2003, 1125 (beide mit Komm. Peetz; s. auch Peetz, GmbHR 2004, 1429 -- in diesem Heft) hat der BGH den Anwendungsbereich der Gründungsvorschriften auch auf die sog. Vorrats-GmbH und die Mantel-GmbH ausgedehnt. Mit dieser Erweiterung des Anwendungsbereichs der Gründungsvorschriften gehen verschiedene Pflichten der Geschäftsführung bei der erstmaligen oder neuerlichen Aktivierung der GmbH einher (BGH, GmbHR 2003, 227 [229]). Aus dem auf die Mantel- und Vorratssituation anwendbaren Grundsatz der realen Kapitalaufbringung folgt ferner die Notwendigkeit, die Gesellschaft im Zeitpunkt der Aktivierung durch Anmeldung zum Handelsregister die statutarisch vorgesehene Kapitalausstattung zur Verfügung zu stellen. Ist der insoweit vorgesehene Haftungsfonds der Gesellschaft im Zeitpunkt der Handelsregisteranmeldung nicht oder nicht vollständig vorhanden, hat dies eine dem Modell der Unterbilanzhaftung folgende Einstandspflicht der Gesellschafter (GmbHR 2003, 1125 [1127]) und ggf. eine Handelndenhaftung des Geschäftsführers analog § 11 Abs. 2 GmbHG (GmbHR 2003, 1125 [1127 f.]; abl. Peetz, GmbHR 2004, 1429 [1434 f.] ) zur Folge. Die Vorratsgesellschaft hat infolge dieses Befunds einen Teil ihrer Attraktivität als flexibles und kurzfristig verfügbares Gestaltungsmittel etwa zur Darstellung eines Akquisitionsvehikels eingebüßt. Anbieter von Vorratsgesellschaften verweisen allerdings darauf, daß die Vorratsgesellschaft auch unter Berücksichtigung der jüngeren BGH-Rechtsprechung zur Anwendbarkeit der Gründungsvorschriften noch eine Reihe von Vorteilen gegenüber der Neugründung bietet. Etwa wird vertreten, daß die Grundsätze der verdeckten Sachgründung auf die Vorratsgesellschaften nicht anwendbar sind und folglich z.B. Gehälter eines Gesellschafter-Geschäftsführers ohne Risiko auch unmittelbar nach Erwerb der Vorratsgesellschaft aus Stammkapitalmitteln gezahlt werden können. Ob diese Aussage so haltbar ist, soll nachstehend untersucht werden.

II. Inhalt und Reichweite des Verbots der verdeckten Sachgründung

Den Gesellschaftern steht es frei zwischen Bar- und Sachgründung zu wählen. Eine Sachgründung liegt vor, wenn die Leistung auf die Stammeinlage wenigstens eines Gesellschafters ganz oder zum Teil nicht durch Barzahlung sondern durch Sachwerte (Sacheinlagen) bewirkt wird (Raiser, Recht der Kapitalgesellschaften, 3. Aufl. 2001, § 26 Rz. 2). Für die Sachgründung stellt das Gesetz Sondervorschriften auf. Der Gegenstand der Sacheinlage und der Betrag der Stammeinlage, auf die sie geleistet wird, müssen gem. § 5 Abs. 4 S. 1 GmbHG im Gesellschaftsvertrag festgesetzt werden. Sachleistungen, die nicht im Gesellschaftsvertrag vereinbart sind, befreien den Gesellschafter nicht von seiner Verpflichtung zur Leistung der Einlage (§ 19 Abs. 5 GmbHG). Zudem haben die Gesellschafter in einem Sachgründungsbericht die für die angemessene Bewertung der Sacheinlage wesentlichen Umstände darzulegen (§ 5 Abs. 4 S. 2 GmbHG). § 7 Abs. 3 GmbHG schreibt vor, daß jede Sacheinlage vor der Anmeldung voll bewirkt sein muß. Weiter bezieht sich die Gründungsprüfung durch das Registergericht auch darauf, ob die Sacheinlagen nicht überbewertet worden sind (§ 9c Abs. 1 S. 2 GmbHG). Schließlich haftet der Gesellschafter gem. § 9 Abs. 1 GmbHG für die Differenz zwischen dem Wert der Sacheinlage und dem Betrag der dafür übernommenen Stammeinlage. Diese strengen Vorschriften des Sachgründungsrechts werden in der Praxis als hinderlich angesehen und veranlassen daher zur Umgehung. Diese ist leicht möglich, indem der Gesamtvorgang Sachgründung formal in eine Bareinlage und ein dazu parallel laufendes außergesellschaftsrechtliches Umsatzgeschäft aufgespalten wird, bei dem die Gesellschaft den Gegenwert aus Mitteln der Bareinlage bezahlt (Wegmann, BB 1991, 1006). Diese sog. verdeckten Sachgründungen setzten einen zeitlichen und sachlichen Zusammenhang zwischen der Erfüllung der Bareinlagepflicht und dem außergesellschaftsrechtlichen Umsatzgeschäft voraus (BGH v. 15.1.1990 -- II ZR 164/88, NJW 1990, 982 [985 f.]). Die praktizierten Konstellationen reichen dabei vom einfachen Hin- und Herzahlen über Aufrechnungen mit Ansprüchen aus Gegengeschäften bis hin zur geschickt inszenierten Einschaltung Dritter (Schwaiger in Beck’sches Hdb. der GmbH, 3. Aufl. 2002, § 2 Rz. 110). Die solchermaßen verdeckte Sachgründung ist wegen Verstoßes gegen § 5 Abs. 4 GmbHG unwirksam. Im Falle einer verdeckten Sachgründung bleibt -- in entsprechender Anwendung des § 19 Abs. 5 GmbHG -- die Bareinlagepflicht in Höhe des Umgehungsgeschäfts bestehen (Baumbach/Hueck, GmbHG, 17. Aufl. 2000, § 19 Rz. 30c.). Dem Gesellschafter steht ein Rückgabeanspruch des eingebrachten Vermögensgegenstands zu, der aber im Falle einer Insolvenz meist wertlos ist (zu Möglichkeiten der Heilung einer verdeckten Sacheinlage grundlegend BGH v. 4.3.1996 -- II ZB 8/95, GmbHR 1996, 351; der BGH hat nunmehr auch klargestellt, daß im Rahmen der Heilung der Sachwert einzubringen ist).

Soweit Gesellschafter an die GmbH Dienstleistungen erbringen, ergeben sich -- mit Abweichungen -- vergleichbare Schwierigkeiten, wenn die Dienstleistungen aus Mitteln des Stammkapitals zeitnah nach Gründung der GmbH vergütet werden. Dienstleistungen können von vornherein (analog § 27 Abs. 2 AktG) nicht Gegenstand von Sacheinlagen bei der GmbH sein. Im Falle der Bezahlung von Dienstleistungen der Gesellschafter aus Mitteln des Stammkapitals kann ein Fall des unerlaubten Hin- und Herzahlens (vgl. dazu Michalski, GmbHG, 2002, § 19 Rz. 143 f. m.w.N.) gegeben sein. Im Ergebnis gilt die Bareinlage als nicht erbracht (gewöhnliche Umsatzgeschäfte zwischen GmbH und Gesellschaftern sollen unproblematisch sein; Baumbach/Hueck, GmbHG, 17. Aufl. 2000, § 19 Rz. 30b. Ob hierzu auch die Zahlung eines Geschäftsführergehalts an einen Gesellschafter zählt, hat die Rechtsprechung bislang, soweit ersichtlich, nicht entschieden).

III. Die verdeckte Sachgründung im Kontext der Gründungsvorschriften der GmbH

Das Ziel der gesetzlichen Gründungsvorschriften der GmbH ist, für Rechtsklarheit zu sorgen, unseriöse Gründungen möglichst zu verhindern, die Einzahlung des Stammkapitals zu sichern und den Gläubigern auch vor der Eintragung der Gesellschaft in das Handelsregister ausreichenden Schutz zu gewähren (Raiser, Recht der Kapitalgesellschaften, 3. Aufl. 2001, § 26 Rz. 1). Bei Sachgründungen besteht die erhöhte Gefahr unseriöser Gründungen, indem mangelhafte oder wertlose Gegenstände eingebracht werden, und damit der Anschein eines solventen Unternehmens geweckt wird, obwohl die reale Aufbringung des Stammkapitals nicht gesichert ist (Baumbach/Hueck, GmbHG, 17. Aufl. 2000, § 5 Rz. 15). Um derartige Täuschungen des Rechtsverkehrs und damit eine Gefährdung der Gläubiger zu verhindern, enthält das GmbHG die oben dargestellten besonderen Vorschriften über die Sachgründung. Diese Vorschriften bezwecken vor allem durch Publizität der Kapitalgrundlage der Gesellschaft und Überprüfung durch das Registergericht, Überbewertungen zu verhindern und damit die reale Kapitalaufbringung zu gewährleisten. Das Verbot der verdeckten Sachgründung sanktioniert die Umgehung der gesetzlichen Sachgründungsvorschriften und dient mithin dazu, die Kapitalausstattung der Gesellschaft zu sichern und damit die Gläubiger der Gesellschaft zu schützen (Gärtner, GmbHR 2003, 1417).

Ob das deutsche Kapitalausstattungssystem im Lichte der zunehmenden Bedeutung anderer Besicherungskonzepte für deutsche Gesellschaften (z.B. Gesellschafterbürgschaften) und ausländischer Kapitalgesellschaftsformen (vgl. zuletzt EuGH v. 30.9.2003 -- Rs. C-107/01 -- Inspire Art, GmbHR 2003, 1260 mit Komm. W. Meilicke) -- bei denen ein Haftkapital für die Gläubigersicherung keine Bedeutung hat -- noch zeitgemäß ist, soll hier nicht weiter erörtert werden.

IV. Anwendbarkeit der Grundsätze zur verdeckten Sachgründung auf die Vorrats-GmbH

Fraglich ist, ob im Lichte der Entscheidungen des BGH v. 9.12.2002 und v. 7.7.2003 die Ansicht, daß die Grundsätze der verdeckten Sachgründung auf die Vorratsgesellschaften nicht anwendbar sind, haltbar ist. Der BGH hat entschieden, daß die Verwendung des Mantels einer "auf Vorrat" gegründeten GmbH ebenso wie die Verwendung eines "alten" Mantels einer existenten, derzeit unternehmenslosen GmbH wirtschaftlich eine Neugründung darstellt (Zum Begriff der Mantelverwendung ausführlich Peetz, GmbHR 2004, 1429 [1430 ff.], der sich gegen das Kriterium der Unternehmenslosigkeit ausspricht und stattdessen auf eine -- wirtschaftlich betrachtet -- neue unternehmerische Tätigkeit der GmbH abstellen möchte). Auf diese wirtschaftliche Neugründung durch Ausstattung der Vorratsgesellschaft bzw. der Mantelgesellschaft mit einem Unternehmen und erstmalige Aufnahme ihres Geschäftsbetriebs sind die der Gewährleistung der Kapitalausstattung dienenden Gründungsvorschriften des GmbHG entsprechend anwendbar (BGH, GmbHR 2003, 227 u. GmbHR 2003, 1125 [1127]). Begründet wird die Gebotenheit der sinngemäßen Anwendung der Gründungsvorschriften damit, daß die Umgehung derselben zur Folge haben könne, daß die Kapitalausstattung bei Aufnahme der wirtschaftlichen Tätigkeit nicht gewährleistet sei und damit kein wirksamer Gläubigerschutz erfolgen könne (BGH, GmbHR 2003, 227 [228]). Zwar nimmt der BGH nicht ausdrücklich Stellung zu der Frage, ob die Vorschriften über die verdeckte Sachgründung zu den zu beachtenden Gründungsvorschriften gehören, jedoch ergibt sich das Gebot einer Anwendung des Verbots der verdeckten Sachgründung unter Berücksichtigung des Zwecks, den der BGH mit der entsprechenden Anwendung der Gründungsvorschriften verfolgt. Denn auch die Grundsätze der verdeckten Sachgründung -- wie oben unter III. dargestellt -- verfolgen das Ziel, die reale Kapitalausstattung der Gesellschaft zu gewährleisten und damit dem Bedürfnis des Gläubigerschutzes Rechnung zu tragen (im Sinne der hier vertretenen Auffassung auch Peetz, GmbHR 2004, 1429 [1433 f.], soweit er den Anwendungsbereich der BGH-Analogie auch auf das Aufrechnungsverbot des § 19 Abs. 2 S. 2 GmbHG erstrecken will).

Nicht überzeugen kann die in der Literatur vertretene Ansicht, daß grundsätzlich keine verdeckte Sachgründung gegeben ist, wenn der Erwerber einer Vorratsgesellschaft das Stammkapital für Transaktionen verwendet, welche im Falle einer Neugründung eine verdeckte Sachgründung darstellen würden (Meilicke, BB 2003, 859; vgl. auch Ulrich, WM 2004, 918). Begründet wird diese Auffassung damit, daß es an einer zeitnahen Hin- und Herzahlung des Stammkapitals fehlt, sofern das Stammkapital von dem Gründer der Vorratsgesellschaft zu einem Zeitpunkt eingezahlt wurde, als der Erwerber der Vorratsgesellschaft und dessen Intentionen noch gar nicht bekannt waren und das Stammkapital in der Zwischenzeit auf einem Bankkonto belassen wurde (W. Meilicke, BB 2003, 859). Nach dieser Ansicht wäre es etwa möglich, die Versicherung nach § 8 Abs. 2 GmbHG abzugeben und kurze Zeit später nach Ingangsetzung der Vorratsgesellschaft durch Vereinbarung und Durchführung entsprechender Leistungsbeziehungen mit Gesellschaftern der GmbH die das Stammkapital bildenden Finanzmittel zu entziehen. Die vorangegangene Versicherung der Geschäftsführung wäre dann aber ihres Zwecks beraubt. Nach der Rechtsprechung des BGH finden die Gründungsvorschriften wie auch die Grundsätze der verdeckten Sachgründung nach hier vertretener Auffassung auf den Zeitpunkt der Aktivierung der Vorrats-GmbH entsprechend Anwendung. Dann aber muß das für die Bewertung, ob eine verdeckte Sacheinlage vorliegt, entscheidende Kriterium des zeitlichen Zusammenhangs dahingehend verstanden werden, daß es im Hinblick auf fragliche Transaktionen auf die Zeitspanne zwischen der wirtschaftlichen Neugründung der Gesellschaft und der jeweiligen Transaktion ankommt. Es kann nicht auf die zwischen Gründung der Vorrats-GmbH und der jeweiligen Transaktion vergangene Zeit abgestellt werden, wenn der vom BGH bezweckten Sicherung der Kapitalaufbringung und damit dem Schutz der Gläubiger wirksam Rechnung getragen werden soll.

V. Ergebnis

Die Aussage, wonach im Falle der Verwendung einer Vorrats-GmbH die Gesellschafter nicht durch die Regeln und Grundsätze der verdeckten Sachgründung beschränkt sind, ist risikoreich. Zu empfehlen ist vielmehr, daß die Gesellschafter bei der Durchführung von Leistungsaustauschbeziehungen mit der GmbH, sofern die Vergütung an die Gesellschafter aus im Stammkapital gebundenen Mitteln erfolgen soll, einen angemessenen Zeitraum von wenigstens 6 Monaten seit Anmeldung der Ingangsetzung der Vorratsgesellschaft verstreichen lassen. Entsprechendes dürfte im Falle der Verwendung einer Mantelgesellschaft ratsam sein. Vor diesem Hintergrund bietet die Verwendung einer Vorrats-GmbH immer noch eine Reihe von Vorteilen oder zumindest Annehmlichkeiten. Die Vermeidung der Regeln zur verdeckten Sachgründung gehört allerdings nicht dazu.

 


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