Claudia Kothe-Heggemann,             
Rechtsanwältin und Fachanwältin für Arbeitsrecht, Köln*

Praxistauglichkeit des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) -- erste arbeitsgerichtliche Rechtsprechung

Eine Große Anfrage von Mitgliedern der FDP-Bundestagsfraktion zu der Praxistauglichkeit des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) und die Antwort der Bundesregierung darauf (BT-Drucks. 16/6316) sowie eine aktuelle Kleine Anfrage von Mitgliedern der FDP-Fraktion zu der Kostenbelastung für Unternehmen durch das AGG (BT-Drucks. 16/6684) zeigen, wie umstritten das AGG auch mehr als ein Jahr nach seiner Einführung ist. Dabei stellt sich die Frage, ob das AGG in den Betrieben und in der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung "angekommen" ist und welche Entwicklung das AGG seit seiner Einführung genommen hat.

 

Erste Praxiserfahrungen -- keine Klagewelle

Am 18.8.2006 ist das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) in Kraft getreten (dazu Grobys, GmbHR 2007, R 277), das der Umsetzung von vier europäischen Richtlinien zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung im Bereich der Beschäftigung und Beruf dient. Dieses Gesetz hat schon vor seinem Inkrafttreten sowohl in der Presse und als auch in den Fachkreisen für erhebliches Aufsehen gesorgt. Viele Experten befürchteten eine Klagewelle und mahnten nicht absehbare Belastungen der Arbeitgeber durch die Regelungen des AGG an.

Das AGG hat zum Ziel, Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, wegen des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen. Es beinhaltet eine Reihe von Möglichkeiten, mit denen sich der Betroffene gegen Benachteiligungen am Arbeitsplatz zur Wehr setzen kann. Obwohl das AGG den Beschäftigten z.B. nach § 15 AGG einen Anspruch auf Entschädigung und Schadensersatz gegen den Arbeitgeber wegen eines Verstoßes gegen das Benachteiligungsverbot einräumt, ist in es in den vergangenen ca. 1 1/2 Jahren nicht zu der im Vorfeld befürchteten Klagewelle gekommen.

Dies geht u.a. aus einer Pressemitteilung des LAG Baden-Württemberg v. 27.6.2007, in der die erste Praxiserfahrungen mit dem AGG ausgewertet wurden, hervor. Danach lässt sich für die Arbeitsgerichtsbarkeit in Baden-Württemberg feststellen, dass seit Inkrafttreten des AGG bis Mitte April 2007 bei lediglich 0,3 % der erstinstanzlichen Verfahren Normen des AGG zur Anwendung gekommen sind. Häufigster Diskriminierungsgrund im Rahmen dieser Verfahren war das Alter (36 %) gefolgt vom Geschlecht (28 %), der Behinderung (18 %) und der ethnischen Herkunft (11 %). In 75 % der Verfahren bestanden die gewünschten Rechtsfolgen in der Geltendmachung einer Entschädigung oder Schadensersatz.

 

Individualrechtliche Streitigkeiten

Trotz der eher geringen Anzahl an gerichtlichen Verfahren sind seit dem Inkrafttreten des AGG interessante und praxisrelevante Entscheidungen ergangen. So hat das LAG Niedersachsen mit mehreren Urteilen v. 13.7.2007 (u.a. 16 Sa 269/07) entschieden, dass in der Bildung von Altersgruppen bei der Sozialauswahl keine Altersdiskriminierung und damit kein Verstoß gegen das AGG liege. Es erachtete -- anders als das ArbG Osnabrück in der ersten Instanz -- die auf den Interessenausgleich basierenden betriebsbedingten Kündigungen für sozial gerechtfertigt. Da das LAG die Revision zugelassen hat, ist noch nicht das letzte Wort gesprochen. Dabei wird sich das BAG im Rahmen des Revisionsverfahrens insbesondere mit der in Fachkreisen viel diskutierten Frage auseinandersetzen müssen, ob § 2 Abs. 4 AGG, der die Anwendung des AGG auf Kündigungen ausschließt, gegen die europäische Richtlinie verstößt und damit europarechtswidrig ist.

Das LAG Baden-Württemberg hat sich mit Beschl. v. 13.8.2007 -- 3 Ta 119/07 im Rahmen der sofortigen Beschwerde gegen die Zurückweisung eines Prozesskostenhilfeantrags mit der Frage auseinandergesetzt, ob dem Kläger ein Anspruch auf Schadensersatz in Höhe von sechs Bruttomonatsgehältern wegen des Verdachts einer Diskriminierung in einem Bewerbungsverfahren zusteht. Der Kläger hatte sich erfolglos auf eine Stelle beworben und anschließend eine Diskriminierung wegen seines Alters und seines Geschlechts vorgebracht. Das LAG hat diesen Entschädigungsanspruch abgelehnt und ausdrücklich klargestellt, dass eine Benachteiligung im Sinne der Antidiskriminierungsvorschriften und ein Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG nur dann möglich sei, wenn der Bewerber objektiv für die zu besetzende Stelle in Betracht komme und eine subjektiv ernsthafte Bewerbung vorliege. Mangele es im Einzelfall an der Ernsthaftigkeit einer Bewerbung, könne dies nicht zu einem Entschädigungsanspruch führen. Diese Ausführungen zu einem möglichen Entschädigungsanspruch eines abgelehnten Bewerbers dürften im Sinne vieler Arbeitgeber sein, die solchen Ansprüchen ausgesetzt sind (sog. AGG-Hopping).

Das ArbG Frankfurt a. M. hat einer Klägerin mit Urt. v. 25.6.2007 -- 11 Ca 8952/06 einen Entschädigungsanspruch wegen Altersdiskriminierung gem. § 15 Abs. 2 AGG in Höhe von drei Bruttomonatsvergütungen zugesprochen. Die Klägerin war bei der Beklagten befristet als Flugbegleiterin angestellt und bewarb sich auf eine unbefristete Stelle. Die Bewerbung der Klägerin, die fachlich für diese Stelle geeignet war, wurde mit dem Hinweis auf ihr Alter, einem möglichen Risiko auf höhere Flugdienstuntauglichkeitszeiten und die daraus möglicherweise resultierende Übergangsversorgung abgelehnt. Das ArbG Frankfurt a. M. hat in diesem Verhalten der Arbeitgeberin eine Diskriminierung wegen des Alters im Sinne des AGG angenommen und der Klägerin eine angemessene Entschädigung zugesprochen. Auch das mögliche wirtschaftliche Risiko, auf das sich die Arbeitgeberin bei einer Flugdienstuntauglichkeit beruft, stelle kein legitimes Ziel dar, welches eine unterschiedliche Behandlung wegen des Alters zulasse.

 

Betriebsverfassungsrechtliche Streitigkeiten

Seit Inkrafttreten des AGG haben sich die Arbeitsgerichte nicht nur mit individualrechtlichen, sondern auch mit betriebsverfassungsrechtlichen Streitigkeiten beschäftigt. Die Problemstellung dieser Beschlussverfahren war dabei identisch: Viele Arbeitgeber waren nach Inkrafttreten des AGG der Ansicht, dass die Einrichtung einer betrieblichen Beschwerdestelle nach § 13 AGG kein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats auslöse und richteten solche Beschwerdestellen ohne vorherige Beteiligung des Betriebsrats ein. Einige Betriebsräte nahmen dieses Vorgehen des Arbeitgebers zum Anlass, ein Beschlussverfahren auf die gerichtliche Einsetzung bzw. Besetzung einer Einigungsstelle, die sich mit der Einrichtung der Beschwerdestelle nach § 13 Abs. 1 AGG befassen soll, einzuleiten. Sowohl das LAG Hamburg mit Beschl. v. 17.4.2007 -- 3 TaBV 6/07 als auch das LAG Saarbrücken mit Beschl. v. 6.6.2007 -- 2 TaBV 2/07 gaben den Betriebsräten Recht und haben einen solchen Mitbestimmungstatbestand des Betriebsrats für nicht offensichtlich ausgeschlossen erachtet. Bei der Errichtung der Beschwerdestelle käme ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG in Betracht, da zumindest das Ordnungsverhalten der Arbeitnehmer betroffen sein könnte. Sie haben den Anträgen der Betriebsräte auf Einsetzung einer Einigungsstelle stattgegeben.

 

Sensibilisierung von Beschäftigten und Arbeitgebern

Obwohl es nach dem Inkrafttreten des AGG nicht zu der im Vorfeld befürchteten Klagewelle gekommen ist, zeigen die exemplarisch ausgewählten Entscheidungen auf, dass sich die Rechtsprechung zum AGG noch in der Entwicklung befindet. Viele Fragen rund um die Thematik AGG werden erst in den kommenden Jahren gerichtlich geklärt werden. Von der relativ geringen Anzahl arbeitsgerichtlicher Verfahren auf eine geringe Praxisrelevanz zu schließen, dürfte jedoch falsch sein. Das AGG sieht neben der gerichtlichen Durchsetzung der Ansprüche noch andere Möglichkeiten auf der betrieblichen Ebene vor, Diskriminierungen zu beseitigen. So lässt sich feststellen, dass die Einführung des AGG zu einer Sensibilisierung der Beschäftigten und der Arbeitgeber geführt hat. Viele Arbeitgeber haben durch interne Schulungen zum AGG dazu beigetragen, dass eine Auseinandersetzung mit dem AGG und des dahinter stehenden Gedankens stattfindet. Das AGG wird sich in den kommenden Jahren auch mit der Hilfe der Rechtsprechung weiterentwickeln und Bestandteil der betrieblichen Praxis werden.

 

*   Ulrich Weber & Partner GbR.