Volker Teigelkötter, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht, Düsseldorf*

 

Das Schicksal von Sondervergütungen bei unterjährigem Ausscheiden

 

Zum bevorstehenden Jahresende gelangen in vielen Unternehmen Sondervergütungen zur Auszahlung. Deren häufigste Erscheinungsform ist immer noch das Weihnachtsgeld. Insbesondere bei Führungskräften haben sich daneben leistungs- und erfolgsabhängige Jahresboni nach individuell zugeschnittenen Zielvereinbarungen etabliert.

Sondervergütungen werden regelmäßig nicht zweckfrei gewährt, sondern sind mit Erwartungen an das zukünftige Verhalten des Empfängers verknüpft. Für den Fall, dass diese Erwartungen enttäuscht werden, haben Arbeitgeber ein Interesse, die Sondervergütung nicht zu gewähren oder zurückzufordern. Da das Gesetz diesem Interesse nicht Rechnung trägt, muss bei der Vertragsgestaltung durch entsprechende Klauseln Vorsorge getroffen werden.

 

I. Zulässigkeit von Rückzahlungsklauseln

Arbeitgeber und Arbeitnehmer können vereinbaren, dass der Arbeitnehmer die Sondervergütung nach Ende des Bezugszeitraums alsbald erhält, sie jedoch bei allzu frühem, selbst veranlasstem Ausscheiden zurückzahlen muss(eine Rückzahlungsklausel, die ein Ausscheiden durch betriebs- oder personenbedingte Kündigung nicht aus ihrem Anwendungsbereich ausklammert, dürfte bereits deshalb unwirksam sein, vgl. BAG v.11.4.2006 -- 9 AZR 610/05, NZA 2006, 1042). Dies ist für den Arbeitnehmer einerseits günstig, weil er die Leistung zeitnah erhält und nicht etwa einen späteren Stichtag abwarten muss. Andererseits entsteht spätestens mit Verbrauchen des Geldes ein starkes Abhängigkeitsverhältnis. Je höher die gewährte Sondervergütung war, desto einschneidender wären die Folgen einer Rückzahlungspflicht.

Vom Arbeitgeber vorformulierte Rückzahlungsklauseln unterliegen einer strengen Inhaltskontrolle gemäß §§ 305 ff. BGB. Werden Arbeitnehmer für eine übermäßig lange Zeitspanne an das Unternehmen gebunden, erkennt die Rechtsprechung darin einen unangemessenen Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit gemäß Art. 12 GG.

Bei der Frage, welche Bindungsfristen noch angemessen sind, differenzieren die Arbeitsgerichte nach dem Zweck der Sondervergütung. Sie unterscheiden Sonderzahlungen, die ausschließlich vergangene Leistungen zusätzlich vergüten („reiner Entgeltcharakter") und Sonderzahlungen, die daneben auch eine Honorierung künftiger Betriebstreue bezwecken („Mischcharakter"). Der Zweck der Sondervergütung wird maßgeblich durch die zugrunde liegende Vereinbarung bestimmt. Mitunter sind hier Details entscheidend. Arbeitgeber und Arbeitnehmer sollten deshalb von vornherein sorgfältig prüfen, welchen Zweck die maßgebliche Vertragsbestimmung zum Ausdruck bringt. So spricht eine Bezeichnung als „13. Monatsgehalt" regelmäßig für den reinen Entgeltcharakter (Griese in Küttner, Personalbuch 2008, § 209 Rz. 3; BAG v. 21.3.2001 -- 10 AZR 28/00, BB 2001, 1363). Setzt die Entstehung eines Anspruchs jedoch eine Wartefrist, eine Mindestbeschäftigungszeit oder das ungekündigte Fortbestehen des Arbeitsverhältnisses zu einem Stichtag voraus, so deutet dies regelmäßig auf die Belohnung von Betriebstreue hin. Im Regelfall sind nach Ansicht der Arbeitsgerichte beide Zweckelemente gewollt. Neuerdings neigt das BAG (BAG v. 24.10.2007 -- 10 AZR 825/06, NZA 2008, 40) indes zu der Ansicht, in Fällen, in denen die Sonderzahlung mindestens 25 % der Gesamtvergütung ausmache, sei der Zweck einer zusätzlichen Vergütung vorrangig, habe die Sonderzahlung also reinen Entgeltcharakter.

Steht fest, dass eine Sondervergütung reinen Entgeltcharakter hat, soll eine Rückzahlungspflicht schlechthin ausgeschlossen sein. Der Arbeitnehmer habe die Sonderzuwendung durch seine bereits erbrachte Arbeitsleistung verdient und werde durch den Entzug eines bereits verdienten Entgeltanteils bestraft (BAG v. 13.9.1974 -- 5 AZR 48/74, AP BGB § 611 Gratifikation Nr. 84). Sofern es sich hingegen um Sondervergütungen mit Mischcharakter handelt, sind Rückzahlungsklauseln grundsätzlich zulässig. Es gelten indes folgende Grenzwerte:

--    Bei Sonderzuwendungen bis 100 € ist eine Rückzahlungsklausel schlechthin unwirksam. Solch geringe Beträge sollen nicht geeignet sein, eine Bindung an das Unternehmen herstellen zu können (BAG v. 21.5.2003 -- 10 AZR 390/02, AP BGB § 611 Gratifikation Nr. 250).

--    Sonderzuwendungen zwischen 100 € und einem vollen Bruttomonatsentgelt rechtfertigen eine Bindung bis zum 31. März des Folgejahres (BAG v. 25.4.2007 -- 10 AZR 634/06, NZA 2007, 875; v. 21.5.2003 -- 10 AZR 390/02, AP, BGB § 611 Gratifikation Nr. 250). Zu diesem Datum kann der Arbeitnehmer ausscheiden, ohne dass ihn eine Rückzahlungspflicht trifft.

--    Eine Sonderzuwendung in Höhe eines vollen Bruttomonatsentgelts ermöglicht die Bindung über den 31. März des Folgejahres hinaus. Falls der Arbeitnehmer bis dahin nur eine Kündigungsmöglichkeit hat, so ist ihm zuzumuten, diese auszulassen und den Betrieb erst nach dem 31. März zu verlassen (BAG v. 28.4.2004 -- 10 AZR 356/03, AP BGB § 611 Gratifikation Nr. 255).

--    Erhält der Arbeitnehmer eine Sonderzahlung, die ein Bruttomonatsentgelt übersteigt, jedoch ein zweifaches Monatsgehalt nicht erreicht, kann er durch eine Rückzahlungsklausel nicht über den 30. Juni des folgenden Jahres hinaus gebunden werden, sofern er bis dahin mehrere Kündigungsmöglichkeiten hat. Eine über den 30. Juni hinausgehende Bindung ist ausnahmsweise möglich, wenn die Sonderzahlung ein Monatsgehalt erheblich übersteigt und eine eindrucksvolle und beachtliche Zuwendung darstellt (BAG v. 12.12.1962 -- 5 AZR 324/62, DB 1963, 454 = AP BGB § 611 Gratifikation Nr. 25).

Verstößt eine vorformulierte Rückzahlungsklausel gegen diese Grundsätze, so fällt sie ersatzlos weg. Der Arbeitnehmer kann das Geld behalten. Unwirksame Klauseln sind grundsätzlich nicht auf einen noch zulässigen Regelungsgehalt zurückzuführen (BAG v. 24.10.2007 -- 10 AZR 825/06, NZA 2008, 40; v. 23.1.2007 -- 9 AZR 482/06, NZA 2007, 748). Ebenso wenig ist der Arbeitgeber berechtigt, einseitig eine Änderung der unwirksamen Klausel vorzunehmen. Die „Reparatur" einer unwirksamen Klausel für die Zukunft ist grundsätzlich nur im Wege der einvernehmlichen Vertragsänderung oder unter den strengen Anforderungen der Änderungskündigung möglich.

Besteht eine wirksame Rückzahlungsverpflichtung des Arbeitnehmers, umfasst diese die vom Arbeitgeber an das Finanzamt abgeführte Lohnsteuer (BAG v. 15.3.2000 -- 10 AZR 101/99, NZA 2000, 1004; v. 5.4.2000 -- 10 AZR 257/99, NZA 2000, 1008) und die abgeführten Sozialversicherungsbeiträge (so auch Vossen, NZA 2005, 734).

 

II. Zulässigkeit von Stichtagsklauseln

Die Parteien des Arbeitsvertrags können anstelle einer Rückzahlungsklausel vereinbaren, dass ein Anspruch auf die Sonderzahlung nur entsteht, sofern das Arbeitsverhältnis an einem bestimmten Stichtag ungekündigt ist.

Scheidet ein Arbeitnehmer vor dem Stichtag aus dem Unternehmen aus, kommt es wiederum auf den Zweck der Sondervergütung an. Falls die Sondervergütung reinen Entgeltcharakter hat, kann sie für die bereits abgeleisteten Teile des Anspruchszeitraums anteilig verlangt werden. Ist der Charakter der Vergütung dagegen gemischt, so entsteht der Anspruch nicht, weil das zweite Zweckelement, die zu honorierende Betriebstreue, nicht verwirklicht ist. Sagt der Arbeitgeber ohne nähere Bestimmung ein "Weihnachtsgeld" zu, ist dies nach der Ansicht des BAG (BAG v. 30.3.1994 -- 10 AZR 134/93, NZA 1994, 651) regelmäßig so zu verstehen, dass das Arbeitsverhältnis zu Weihnachten noch bestehen muss.

Scheidet ein Arbeitnehmer aufgrund betriebsbedingter Kündigung vor dem Stichtag aus, beeinträchtigt dies seinen Anspruch auf die Sondervergütung nicht, wenn es sich um eine Vergütung mit reinem Entgeltcharakter handelt. Bei Vergütungen mit Mischcharakter ist die Rechtsprechung des BAG nicht eindeutig. Nach früherer Rechtsprechung (BAG .v. 26.6.1975 -- 5 AZR 412/74, DB 1975, 2089, vgl. auch BAG v. 13.9.1974 -- 5 AZR 48/74, AP § 611 BGB Gratifikation Nr. 84) konnte ein betriebsbedingtes Ausscheiden einen Anspruch auf Weihnachtsgeld nicht zu Fall bringen, in einem jüngeren Urteil ließ das BAG den Anspruch entfallen (BAG v. 19.11.1992 -- 10 AZR 264 / 91, NJW 1993, 1414). Jüngst zieht das BAG bei Sondervergütungen, die mehr als 25 % des Jahreseinkommens ausmachen, die Wirksamkeit der Stichtagsklausel gerade deswegen in Zweifel (BAG v. 24.10.2007 -- 10 AZR 825/06, NZA 2008, 40).

Der maßgebliche Stichtag kann grundsätzlich innerhalb oder außerhalb des Bezugszeitraums liegen. Eine Jahressonderzahlung kann daher z.B. davon abhängig gemacht werden, dass das Arbeitsverhältnis am 1. März des Folgejahres noch besteht. Insbesondere ein Stichtag nach Ende des Bezugszeitraums bewirkt eine Bindung des Arbeitnehmers. Nach bisheriger Ansicht des BAG (BAG v. 30.11.1989 -- 6 AZR 21/88; v. 21.2.1974 -- 5 AZR 302/73, AP BGB § 611 Gratifikation Nr. 81) war eine Bindungsdauer von bis zu sechs Monaten bei einer Sondervergütung von einem halben Monatsgehalt nicht unangemessen. Auf die zu Rückzahlungsklauseln entwickelte strengere Rechtsprechung griff das BAG bewusst nicht zurück, weil eine Stichtagsregelung im Vergleich zur Rückzahlungspflicht mildere Folgen habe und daher weniger geeignet sei, Arbeitnehmer von einer Eigenkündigung abzuhalten. Das BAG hat allerdings angedeutet, diese Rechtsprechung aufgeben zu wollen (BAG v. 24.10.2007 -- 10 AZR 825/06, NZA 2008, 40). Stichtagsklauseln, namentlich die Stichtage außerhalb des Bezugszeitraumes, müssen daher demnächst wohl an den zu Rückzahlungsklauseln entwickelten Maßstäben gemessen werden.

Sollte das BAG die beiden angekündigten Rechtsprechungs-Änderungen vollziehen, wären vor allem Stichtagsklauseln in Bonusvereinbarungen mit Führungskräften gefährdet. Denn aufgrund des dann anzunehmenden reinen Entgeltcharakters der Leistungen könnte durch Jahresboni über 25 % des Einkommens faktisch keinerlei Bindungswirkung mehr erzielt werden. Unternehmen müssten diese paradoxerweise senken, was der Anreizfunktion kaum dienlich wäre, oder aber andere Gestaltungsmöglichkeiten finden.

 

III. Fazit

Der Verlust an Gestaltungsfreiheit durch die angekündigten Rechtsprechungs-Änderungen ist zu bedauern. Nichtsdestotrotz müssen sich Klauselverwender darauf einstellen. Altverträge sollten rechtzeitig auf Wirksamkeit geprüft und ggf. einvernehmlich geändert werden.

 

*              McDermott Will & Emery.

 

 

 



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