Thomas Wachter, Notar,
Osterhofen (Bayern)

Der deutsche Steuerberater -- ein Prophet?

Gesetzesfluten und -formen

In den letzten Jahren gab es in Deutschland eine wahre Flut an neuen Steuergesetzen. Angesichts dieser Dynamik des Gesetzgebers ist es für Steuerberater schon heute nicht immer ganz einfach, den Überblick über die geltende Rechtslage zu behalten und ihre Mandanten stets umfassend und sachgerecht zu beraten. Neben der Vielzahl an Gesetzen trägt vor allem eine neue Form der Gesetzgebung dazu bei, daß die steuerliche Gestaltungsberatung immer schwieriger wird: Für die Bezeichnung von Gesetzen werden immer neue Wortungeheuer erfunden, die bei flüchtigen Lesern des Bundesgesetzblatts gelegentlich falsche Vorstellungen über den eigentlichen Gesetzesinhalt hervorrufen. Die Gefahr der Irreführung wird noch dadurch erhöht, daß zunehmend völlig sachfremde Materien in umfangreichen Artikelgesetzen zusammengefaßt werden. Bei dem hohen Arbeitstempo des Gesetzgebers bleibt es nicht aus, daß auch diesem gelegentlich Fehler unterlaufen, die dann selbstverständlich durch entsprechende Reparaturgesetze wieder bereinigt werden. Die Rechtsfindung erleichtert dies allerdings nicht.

Verkürzung der Reaktionszeiten auf neue Steuergesetze

Eine zusätzliche Herausforderung für die Beratungspraxis ergibt sich dadurch, daß der Steuergesetzgeber die Reaktionszeiten in der Vergangenheit immer mehr verkürzt hat. Dies gilt zunächst für die Zeit bis zur Verabschiedung eines Gesetzes im Deutschen Bundestag. Durch eine umfassende parlamentarische Beratung eines neuen Steuergesetzes soll u.a. gewährleistet werden, daß die Steuerpflichtigen und ihre Berater ausreichend Zeit haben, sich auf die Änderung der Rechtslage einzustellen. In der Vergangenheit sind indes immer wieder neue Möglichkeiten gefunden, um das Gesetzgebungsverfahren erheblich zu beschleunigen. Darüber hinaus bestehen aber auch nach Inkrafttreten des Gesetzes vielfach kaum noch Handlungsmöglichkeiten. Dies ist keineswegs nur bei rückwirkenden Gesetzen der Fall. Auch in zahlreichen anderen Fällen sind die neuen Gesetze bereits in Kraft getreten, bevor das Bundesgesetzblatt überhaupt gedruckt und ausgeliefert werden konnte. Der Steuerberater und seine Mandanten haben mithin oftmals überhaupt keine Möglichkeit mehr, auf die neue Rechtslage zu reagieren.

Berücksichtigung auch künftigen Steuerrechts?

Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, daß immer häufiger die Frage gestellt wird, ob sich ein Steuerberater bei seiner Tätigkeit auf das geltende Steuerrecht beschränken darf oder nicht auch das künftige Steuerrecht berücksichtigen muß. Der BGH mußte sich in diesem Jahr in einem Haftpflichtprozeß gegen einen Steuerberater erstmals mit dieser Thematik befassen (BGH v. 15.7.2004 -- IX ZR 472/00, Volltext; s. dazu auch den Besprechungsaufsatz von [Richter am IX. Zivilsenat des BGH] Raebel, DStR 2004, 1673).

Im März 1997 wurde ein Steuerberater von seinem langjährigen Mandanten damit beauftragt eine GmbH, die erhebliche Verluste erwirtschaftete auf ein gewinnbringendes Einzelunternehmen zu verschmelzen. Der Übernahmeverlust aus dem negativen Wert des übergangenen Vermögens sollte steuerlich gewinnmindernd geltend gemacht werden. Die Verschmelzung erfolgte mit Wirkung zum 31.12.1996. Am 29.8.1997 wurde die Verschmelzung beurkundet und dann zur Eintragung in das Handelsregister angemeldet.

Die gewinnmindernde Wirkung des Übernahmeverlusts wurde vom Finanzamt aufgrund einer rückwirkenden Änderung des Umwandlungssteuergesetzes (§ 4 Abs. 5, § 27 Abs. 3 UmwStG) nicht anerkannt. Das Gesetz zur Fortsetzung der Unternehmenssteuerreform v. 29.10.1997 (BGBl. I 1997, 2590) sieht vor, daß Übernahmeverluste aufgrund eines negativen Werts des übergegangenen Vermögens bei Verschmelzungen, die nach dem 31.12.1996 wirksam werden, nicht mehr anerkannt werden. Danach hätte der Übernahmeverlust im vorliegenden Fall nicht mehr geltend gemacht werden können, da die im August 1997 beschlossene Verschmelzung erst mit der Eintragung in das Handelsregister des übernehmenden Rechtsträgers (und damit nach dem 31.12.1996) wirksam wurde. Durch das "Gesetz zur Finanzierung eines zusätzlichen Bundeszuschusses zur gesetzlichen Rentenversicherung" v. 19.12.1997 (BGBl. I 1997, 3121) wurde die rückwirkende Änderung des Umwandlungssteuergesetzes allerdings nachträglich auf solche Umwandlungsvorgänge beschränkt, deren Eintragung in das Handelsregister nach dem 5.8.1997 (der Tag, an dem der Deutsche Bundestag das Gesetz zur Fortsetzung der Unternehmenssteuerreform beschlossen hat) beantragt worden war. Der Übernahmeverlust wäre hier demnach steuerlich nur dann anerkannt worden, wenn die Verschmelzung bis spätestens zum 5.8.1997 (und nicht erst am 27.8.1997) beschlossen und zur Eintragung in das Handelsregister angemeldet worden wäre.

Den Steuerberater kann man daher allenfalls dann für einen etwaigen (Steuer-)Schaden verantwortlich machen, wenn er die bevorstehende Änderung des Umwandlungssteuergesetzes hätte vorhersehen müssen. Der BGH hat im konkreten Fall eine Haftung des Steuerberaters zu Recht verneint, aber gleichzeitig weitreichende Pflichten zur Beobachtung von laufenden Gesetzesvorhaben aufgestellt. Der amtliche Leitsatz der Entscheidung lautet:

"Wird in der Tages- oder der Fachpresse über Vorschläge zur Änderung des Steuerrechts berichtet, die im Falle ihrer Verwirklichung das von dem Mandanten des Beraters erstrebte Ziel unter Umständen vereiteln oder beeinträchtigen, kann der Steuerberater gehalten sein, sich aus allgemein zugänglichen Quellen über den näheren Inhalt und den Verfahrensstand solcher Überlegungen zu unterrichten."

Ein Steuerberater ist demnach nicht nur verpflichtet, die für seine Beratungspraxis maßgeblichen Fachzeitschriften (deren Anzahl und Umfang in den letzten Jahren nicht geringer geworden ist) regelmäßig zu verfolgen, sondern muß zusätzlich auch die entsprechenden Berichte in der Tagespresse aufmerksam lesen. Vor allem bei laufenden Gesetzgebungsvorhaben besteht offensichtlich eine Verpflichtung zu tagesaktueller Information. Dies zeigt sich auch daran, daß die Lektüre der steuerrechtlichen Fachzeitschriften -- die ja überwiegend schon wöchentlich erscheinen -- den Anforderungen an eine zeitnahe Information nicht genügt. Immerhin besteht derzeit wohl (noch) keine Verpflichtung sich durch die Lektüre der Bundestags- und Bundesrats-Drucksachen über den jeweiligen Stand von Gesetzgebungsvorhaben und deren Änderungen zu informieren. Allerdings muß der Steuerberater bei Berichten in der Tagespresse über bevorstehende Gesetzesänderungen alle allgemein zugänglichen Quellen heranziehen. Dies wird wohl auch zuverlässige Informationsangebote im Internet (wie z.B. des Deutschen Bundestages oder des Bundesfinanzministeriums) umfassen.

Im vorliegenden Fall hatte das Handelsblatt in einem Bericht v. 24.6.1997 über eine mögliche Änderung des Umwandlungssteuergesetzes berichtet. Die Unkenntnis dieses Artikels konnte hier aber u.a. deshalb keine Verletzung der Informationspflicht begründen, weil diese Meldung in der sonstigen Tagespresse nicht aufgegriffen worden ist. Bei einer wiederholten Berichterstattung in mehreren Tageszeitungen hätte für den Steuerberater dagegen Veranlassung bestanden, sich über den konkreten Stand des Gesetzgebungsverfahrens und dessen Auswirkungen auf die geplanten Gestaltungen zu erkundigen.

Der BGH hat vor allem auch darauf hingewiesen, daß die Änderungen des Umwandlungssteuergesetzes durch das Gesetz zur Fortsetzung der Unternehmenssteuerreform im steuerrechtlichen Schrifttum durchweg als eine völlig überraschende Blitzaktion des Gesetzgebers gewertet worden ist, die in keiner Weise vorhersehbar war. Unter diesen Umständen liegt naturgemäß keine Pflichtverletzung des einzelnen Steuerberaters vor. Interessant ist in diesem Zusammenhang, daß der Gesetzgeber wegen der erfolgten Gesetzesänderung derzeit selbst zur Verantwortung gezogen wird. Der BFH hält die Änderung des Umwandlungssteuergesetzes (im Zusammenhang mit § 12 Abs. 2 S. 4 UmwStG) für formell verfassungswidrig und hat die Frage dem BVerfG zur Entscheidung vorgelegt (BFH v. 18.7.2001 -- I R 38/99, BStBl. II 2002, 27; Az. des BVerfG: 2 BvL 12/01).

Stellt ein Steuerberater fest, daß durch eine bevorstehende Gesetzesänderung die steuerlichen Wirkungen einer beabsichtigten Gestaltung möglicherweise beeinträchtigt werden, muß er seine Mandanten nicht nur über die geplanten Änderungen informieren, sondern auch auf eine beschleunigte Umsetzung des beabsichtigten Vorhabens oder eine entsprechende Anpassung hinwirken. Dabei wird dem Steuerberater von der Rechtsprechung wohl keine längere Überlegungsfrist zugebilligt. Vielmehr ist davon auszugehen, daß in diesem Fall eine Pflicht zum unverzüglichen Tätigwerden besteht. Denn andernfalls kann man (wenn überhaupt) nicht mehr rechtzeitig vor der drohenden Gesetzesänderung reagieren. Die Anforderungen an die Beratungspflichten in einer solchen Situation dürfen allerdings nicht überspannt werden. Der Steuerberater darf insbesondere nicht vor die Wahl gestellt werden, entweder wegen eines verspäteten Hinweises auf die Änderung der Rechtslage oder wegen einer (übereilten und damit möglicherweise) falschen Beratung über die neue Rechtslage in Anspruch genommen zu werden. Dabei ist auch zu berücksichtigen, daß der Steuerberater in einer solchen Situation einer der ersten ist, der das neue Gesetz praktisch anwenden muß. Erläuternde Erlasse der Finanzverwaltung oder Fachaufsätze liegen zu diesem Zeitpunkt noch nicht vor. Die Gesetzesbegründungen sind oftmals kaum aussagekräftig, wenn das Gesetz im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens noch geändert worden ist oder erst im Vermittlungsausschuß zustande gekommen ist.

Fazit: Keine Haftung mangels prophetischer Gaben

Dem deutschen Steuerrecht fehlt es seit Jahren an Verläßlichkeit und Kontinuität. Den Gesetzgeber trifft für die rückwirkenden, überraschenden und unvorhersehbaren Eingriffe in das Steuerrecht selbstverständlich keine Haftung (zumindest nicht im rechtlichen Sinn). Man kann dann aber auch nicht erwarten, daß die Steuerberater dafür die Haftung übernehmen. Die Steuerberater sind ihrer Pflicht zu einer umfassenden Beratung ihrer Mandanten in der Vergangenheit in einem immer schwieriger werdenden Umfeld hervorragend gerecht geworden. Über prophetische Gaben verfügen aber auch die deutschen Steuerberater nicht.


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