Thomas Keß, Dipl.-Finanzwirt, Köln

Die Gewerbesteuerpflicht der Schwarzwaldklinik

Oder: Angst vor der eigenen Courage?

Die Schwarzwaldklinik, ...

Den Begriff "Schwarzwaldklinik" wird man in erster Linie mit Professor Brinkmann und seichter Fernsehunterhaltung in Verbindung bringen. Im Zusammenhang mit dem Steuerrecht denkt der geneigte Leser aber vielleicht auch an ein Urteil des BVerfG aus dem Jahre 1999. Dieses hatte der Betreiber einer im Schwarzwald gelegenen Klinik erstritten, der sein Unternehmen in der Rechtsform einer Kapitalgesellschaft betrieb und dem das Finanzamt eine Umsatzsteuerbefreiung nur wegen der Rechtsform verwehrt hatte. Die Verfassungsrichter führten mit Blick auf "Wortlaut, Sinn und Zweck der maßgeblichen Vorschriften" aus, das grundgesetzliche Gleichbehandlungsgebot verbiete die allein nach der Rechtsform eines Unternehmens unterscheidende Umsatzsteuerbefreiung. Die Rechtsform, in der eine Leistung von einem Unternehmer erbracht wird, sei also kein hinreichender Differenzierungsgrund für eine Umsatzsteuerbefreiung.

... die Gewerbesteuerpflicht kraft Rechtsform ...

Im August 2003 hat das FG Sachsen-Anhalt in einem Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes diese allgemeinen Grundsätze auf die Gewerbesteuer übertragen. Bekanntlich unterliegen der Gewerbesteuer nur Gewerbebetriebe. Freiberufler sind dagegen von der Gewerbesteuerpflicht ausgenommen. Betreibt ein Freiberufler sein Unternehmen aber in der Rechtsform einer Kapitalgesellschaft, so wird es als Gewerbebetrieb behandelt, da das Gewerbesteuergesetz die Tätigkeit sämtlicher Kapitalgesellschaften unabhängig von ihrer tatsächlichen Tätigkeit bereits aufgrund ihrer Rechtsform als Gewerbebetrieb ansieht. Das FG Sachsen-Anhalt argumentierte, wenn das Gleichbehandlungsgebot des Grundgesetzes eine unterschiedliche Umsatzbesteuerung nur aufgrund der Rechtsform verbiete, so verbiete es auch eine allein an die Rechtsform anknüpfende unterschiedliche Gewerbebesteuerung. Es kam deshalb zu der Überzeugung, daß auch die Gewerbesteuerpflicht kraft Rechtsform gegen den Gleichheitssatz verstoße und beschloß, dem Betreiber der Freiberufler-Kapitalgesellschaft den erwünschten vorläufigen Rechtsschutz zu gewähren. Damit stellte sich das Gericht gegen die bisherige Rechtsprechung anderer Finanzgerichte und des BFH, die die Verfassungsmäßigkeit der Regelung stets bejaht hatten. Der Beschluß traf auf überwiegend positive Resonanz. Für das Hauptsacheverfahren erwartete man, daß das FG die Frage dem BVerfG zur Entscheidung vorlegen würde. Das beklagte Finanzamt bemühte jedoch zunächst mit einer Beschwerde den BFH -- und bekam Recht. In seiner Begründung führte der BFH aus, die Grundsätze des "Schwarzwaldklinik"-Urteils, das für die Umsatzsteuer ergangen sei, könnten nicht auf die Gewerbesteuer übertragen werden, weil beiden Steuerarten unterschiedliche Wertungen zugrunde lägen. Deshalb kassierten die Bundesrichter den Beschluß des FG Sachsen-Anhalt.

... und das FG Sachsen-Anhalt

Nunmehr ist im Hauptsacheverfahren die Entscheidung des FG Sachsen-Anhalt v. 12.4.2005 – 4 K 346/02, DStRE 2005, 1410 bekannt geworden. Das Gericht hat darin an seiner Überzeugung festgehalten, daß die Aussagen zur Schwarzwaldklinik auf die Gewerbesteuerpflicht kraft Rechtsform übertragbar seien und keine ersichtliche Wertung des Gewerbesteuergesetzes die Anknüpfung der Steuerpflicht an die Rechtsform rechtfertigen könne. Zur Begründung unterwarf das FG sämtliche bisher von Literatur und Rechtsprechung angeführten Rechtfertigungsversuche einer eingehenden Untersuchung. Zusammengefaßt argumentierten die sachsen-anhaltinischen Richter folgendermaßen:

1. Weder nach dem Äquivalenz- noch nach dem Leistungsfähigkeitsprinzip mache die Gewerbesteuerpflicht kraft Rechtsform Sinn. Die Rechtsform gebe weder Auskunft über die Lasten, die ein Unternehmen der Gemeinde verursache, noch über seine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit.

2. Die auch jüngst vom BFH wieder als Rechtfertigungsgrund für die Gewerbesteuerpflicht kraft Rechtsform angeführten "Besonderheiten" der Kapitalgesellschaft, nämlich Ausstattung mit einem Mindestkapital, Unabhängigkeit vom Wechsel der Mitglieder, steuerliche Abzugsmöglichkeit von Zahlungen an die Gesellschafter, umschrieben nur die Eigenschaften der Rechtsform, an die allein die Besteuerung aber gerade nicht anknüpfen dürfe. Diese "Besonderheiten" stellten lediglich die rechtssystematische Folge der Anerkennung von Kapitalgesellschaften als selbständige Steuersubjekte dar, nicht aber wirtschaftliche Vorteile gegenüber Personenunternehmen.

3. Wenn das Handelsrecht pauschal Kapitalgesellschaften den Regeln der Kaufleute unterwerfe, bedeute das nicht, daß das Steuerrecht dem folgend Kapitalgesellschaften ohne weiteres als Gewerbebetriebe behandeln dürfe. Während das Handelsrecht eine Vereinfachung und Beschleunigung des Handelsverkehrs anstrebe, bezwecke das Steuerrecht eine gerechte Verteilung der Steuerlasten. Vereinfachende Betrachtungsweisen des einen Rechtsgebiets dürften deshalb nicht ohne weiteres auf das andere übertragen werden.

4. Die Gewerbesteuerpflicht kraft Rechtsform könne auch nicht als Typisierung gerechtfertigt werden. Es sei heutzutage nicht mehr zutreffend, daß hauptsächlich Gewerbebetriebe in der Rechtsform einer Kapitalgesellschaft ausgeübt würden. Zum einen könne die Kapitalgesellschaft selbst durch ihre Organe freiberuflich tätig werden, was der Gesetzgeber durch zahlreiche berufsregelnde Gesetze ausdrücklich klargestellt habe. Zum anderen werde die Möglichkeit, sich in dieser Rechtsform zu organisieren, auch zunehmend von Freiberuflern genutzt.

5. Mit der Nennung der Gewerbesteuer in der Finanzverfassung habe der Verfassungsgesetzgeber nicht deren "Grundstrukturen", zu der sicherlich auch die Gewerbesteuerpflicht kraft Rechtsform gehört, für sakrosankt erklärt. Die Vorschrift des Art.106 Abs.6 GG verteile lediglich das Aufkommen einer tatsächlich erhobenen Steuer, ohne daß dadurch ihre Ausgestaltung verfassungsrechtlich gebilligt werde.

6. Schließlich könne die Gewerbesteuerpflicht der Kapitalgesellschaften auch nicht als Vorteilsausgleich für die niedrige Körperschaftsteuer gerechtfertigt werden, die Personenunternehmen nicht zugute komme. Denn bei einer Ausschüttung werde beim Anteilseigner die Vorbelastung der Gewinne mit Körperschaftsteuer durch das Halbeinkünfteverfahren berücksichtigt, nicht aber die Vorbelastung mit Gewerbesteuer. Damit stelle die Gewerbesteuer letztendlich eine Zusatzbelastung der Unternehmer dar, die in der Rechtsform einer Kapitalgesellschaft organisiert sind.

Nach alldem knüpfe die Vorschrift allein an die Rechtsform an und sei nach den Grundsätzen des "Schwarzwaldklinik-Urteils" verfassungswidrig.

Vorlagepflicht ...

Für den Fall, daß ein Gericht eine Norm für verfassungswidrig hält, schreibt das Grundgesetz dem Gericht vor, das Verfahren auszusetzen und dem BVerfG zur Entscheidung vorzulegen -- wenn die Norm im konkreten Verfahren entscheidungserheblich ist. Entscheidungserheblich ist die Norm dann, wenn das Gericht bei ihrer Ungültigkeit zu einer anderen Entscheidung käme als bei ihrer Gültigkeit. Dies war hier der Fall: Dürfte bei Kapitalgesellschaften nicht mehr bloß auf die Rechtsform abgestellt werden, weil die dies bestimmende Norm verfassungswidrig ist, müßte die Gewerbesteuerpflicht wie bei Personenunternehmen nach der Tätigkeit bestimmt werden. Freiberuflich tätige Kapitalgesellschaften wären dann nicht mehr gewerbesteuerpflichtig. Das Verfahren hätte deshalb nach diesen eindeutigen Feststellungen ausgesetzt und eine Entscheidung des BVerfG über die Rechtsfrage eingeholt werden müssen.

... oder nicht?

Das FG Sachsen-Anhalt scheute aber offenbar diese letzte Konsequenz seiner Entscheidung. Es ist hier vielleicht auch deswegen vor einer Vorlage zurückgeschreckt, weil das BVerfG gerade bei Vorlagen zur Verfassungsmäßigkeit der Gewerbesteuerpflicht sehr hohe, fast nicht nachvollziehbare Anforderungen an deren Zulässigkeit stellt. Mit recht umständlichen und wohl kaum vertretbaren Überlegungen verneinte es die Entscheidungserheblichkeit der vorliegenden Rechtsfrage und damit seine Vorlagepflicht. Das Gericht führte hierfür zunächst aus, bereits die Beschränkung der Gewerbesteuerpflicht auf Gewerbetreibende sei verfassungswidrig und verwies zur Begründung vollständig auf die Ausführungen im dritten Vorlagebeschluß des FG Niedersachsen. Diese Verfassungswidrigkeit -- so das FG Sachsen-Anhalt weiter -- sei durch den Gesetzgeber nur mit einer Ausweitung der Gewerbesteuer auf alle Unternehmen zu beseitigen. Der Kläger könne sich deshalb auch nicht darauf berufen mit seiner Freiberufler-Kapitalgesellschaft wie ein Freiberufler behandelt zu werden, weil die Herausnahme der Freiberufler aus der Gewerbesteuerpflicht insgesamt ein Unrecht darstelle und es keine Gleichheit im Unrecht gebe. Mit diesen Ausführungen hat das FG Sachsen-Anhalt sowohl die Entscheidung des BVerfG über die Vorlage des FG Niedersachsen als auch eine hierauf folgende Entscheidung des Gesetzgebers vorweg genommen und damit das "Verwerfungsmonopol" des BVerfG und den Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers mißachtet. Es hat außerdem seine vorherigen Ausführungen zur Verfassungswidrigkeit der Gewerbesteuerpflicht kraft Rechtsform leerlaufen lassen.

Fortsetzung folgt

Mit seiner Entscheidung hat das FG Sachsen-Anhalt dem Kläger erst eindrucksvoll bestätigt, daß das Gesetz ihn ungerecht behandelt, um ihm dann aber darzulegen, daß ihm diesbezüglich nicht geholfen wird. Gegen die Entscheidung wurde inzwischen Revision eingelegt. Die Frage, ob die Gewerbesteuerpflicht kraft Rechtsform verfassungswidrig ist, liegt damit nunmehr zwei verschiedenen Senaten des BFH zur Entscheidung vor. Neben dem IV. Senat, dem die Revision der sachsen-anhaltinischen Entscheidung zugewiesen ist (Az.: IV R 42/05), hat der I. Senat die Revision einer Entscheidung des FG München in einem gleichgelagerten Fall zu entscheiden (Az.: I R 76/03). Beide werden sich mit den materiell-rechtlichen Ausführungen des FG Sachsen-Anhalt befassen müssen. Zumindest insofern waren dessen Bemühungen nicht vergebens.



Zurück