BGH 25.1.2011, II ZR 196/09

Geschäftsführer haftet nicht für Zahlung rückständiger Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung nach Eintritt der Insolvenzreife

Nach neuerer BGH-Rechtsprechung haftet der Geschäftsführer nicht nach § 64 S. 1 GmbHG, wenn er nach Eintritt der Insolvenzreife rückständige Umsatz- und Lohnsteuern an das Finanzamt und rückständige Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung an die Einzugsstelle zahlt. Nur das Vorenthalten von Arbeitnehmerbeiträgen ist in § 266a StGB unter Strafe gestellt und begründet eine Schadensersatzpflicht nach § 823 Abs. 2 BGB.

Der Sachverhalt:
Der Beklagte war Geschäftsführer einer GmbH, über deren Vermögen im Jahr 2006 das Insolvenzverfahren eröffnet wurde. Der Kläger war der Insolvenzverwalter. Er verlangte von dem Beklagten zwei Zahlungen ersetzt, die dieser im Oktober 2005 zu Lasten des Gesellschaftsvermögens geleistet hatte. Dabei handelte es sich zum einen um die Begleichung von rückständigen Sozialversicherungsbeiträgen an die AOK (23.822 €) und zum anderen um die Umsatzsteuer i.H.v. 51.371 €. Seiner Ansicht nach sei die GmbH zu diesem Zeitpunkt bereits überschuldet gewesen.

Hilfsweise stützte der Kläger seine Klage darauf, dass auf dem debitorisch geführten Geschäftskonto der GmbH im Oktober 2008 Überweisungen i.H.v. 121.212 € gutgeschrieben worden waren. Das LG wies die Klage bezüglich der beiden Zahlungen des Beklagten an die AOK und das Finanzamt ab und verurteilte den Beklagten bezüglich der auf dem Konto gutgeschriebenen Zahlungen unter Zurückweisung des weitergehenden Antrags an den Kläger 18.501 € zu zahlen, nämlich die Differenz zwischen den Gutschriften auf dem Geschäftskonto und den an das Finanzamt und die AOK gezahlten Beträgen.

Das OLG wies die Klage unter Zurückweisung der Anschlussberufung des Klägers in vollem Umfang ab. Auf die Revision des Klägers hob der BGH das Berufungsurteil auf und wies die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurück.

Die Gründe:
Die Klageabweisung war von den bisherigen Feststellungen des OLG nicht gedeckt, soweit sie sich auf die Erstattung der an die AOK gezahlten 23.822 € bezog.

Das OLG hatte nicht festgestellt, ob es sich bei den vom Beklagten gezahlten Sozialversicherungsbeiträgen um Arbeitnehmer- oder Arbeitgeberanteile handelte. Nach der neueren BGH-Rechtsprechung haftet der Geschäftsführer nicht nach § 64 S. 1 GmbHG, wenn er nach Eintritt der Insolvenzreife rückständige Umsatz- und Lohnsteuern an das Finanzamt und rückständige Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung an die Einzugsstelle zahlt. Infolgedessen ist die Klage unbegründet, wenn es Arbeitnehmeranteile waren. Der Beklagte ist dagegen nach § 64 S. 1 GmbHG zur Erstattung verpflichtet, wenn es Arbeitgeberanteile waren.

Nur das Vorenthalten von Arbeitnehmerbeiträgen ist in § 266a StGB unter Strafe gestellt und begründet eine Schadensersatzpflicht nach § 823 Abs. 2 BGB. Hinsichtlich der Arbeitgeberanteile fehlt es an einem Interessenkonflikt und damit an einem Grund, den Anwendungsbereich des Zahlungsverbots aus § 64 S. 1 GmbHG einzuschränken. Auch für einen Vertrauensschutz wegen einer zuvor gegenteiligen Rechtsprechung bestand kein Anlass. Denn dass eine Zahlung von Arbeitgeberanteilen zur Sozialversicherung nach BGH-Rechtsprechung mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns i.S.d. § 64 S. 2 GmbHG, § 92 Abs. 2 S. 2 AktG vereinbar sei, wurde seit Inkrafttreten der Insolvenzordnung zu keiner Zeit ernsthaft angenommen.

Das OLG wird gegebenenfalls der Frage nachzugehen haben, ob die Zahlung an die AOK deshalb nicht zu einem Ersatzanspruch nach § 64 S. 1 GmbHG geführt hat, weil sie dem debitorisch geführten Geschäftskonto der Schuldnerin belastet wurde. Damit könnte insoweit ein bloßer - haftungsrechtlich unschädlicher - Gläubigertausch vorliegen. Von einem solchen ist grundsätzlich dann auszugehen, wenn - wie hier - aus einem debitorisch geführten Bankkonto eine Gesellschaftsschuld beglichen wird.

Linkhinweise:

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 21.02.2011 11:48
Quelle: BGH online

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