BGH 6.3.2012, II ZR 56/10

Zur Haftung von GmbH-Gesellschaftern bei unterbliebener Offenlegung der wirtschaftlichen Neugründung einer GmbH

Im Falle der wirtschaftlichen Neugründung einer stillgelegten GmbH haften die Gesellschafter für die Auffüllung des Gesellschaftsvermögens bis zur Höhe des in der Satzung ausgewiesenen Stammkapitals (Unterbilanzhaftung). Unterbleibt die erforderliche Offenlegung der wirtschaftlichen Neugründung gegenüber dem Registergericht, kommt es für eine etwaige Unterbilanzhaftung darauf an, ob im Zeitpunkt der Neugründung eine Deckungslücke zwischen dem Vermögen der Gesellschaft und dem satzungsmäßigen Stammkapital bestanden hat.

Der Sachverhalt:
Der Kläger ist Insolvenzverwalter im Insolvenzverfahren über das Vermögen einer im Dezember 1993 gegründeten GmbH mit dem Unternehmensgegenstand des Vertriebs von medizinischen Heil-, Hilfs- und Pflegemitteln sowie des Handels mit Waren aller Art. Die GmbH verfügte Ende des Jahres 2003 über keinerlei Aktiva und tätigte keine Umsätze mehr.

Am 21.7.2004 beschloss die Gesellschafterversammlung eine Änderung der Firma und des Unternehmensgegenstands, verlegte den Gesellschaftssitz und bestellte eine neue Geschäftsführerin. Diese meldete die Änderungen zur Eintragung in das Handelsregister an, ohne die wirtschaftliche Neugründung offenzulegen, und nahm die Geschäfte entsprechend dem neuen Unternehmensgegenstand auf.

Die Beklagte erwarb Ende 2005 den einzigen Geschäftsanteil an der GmbH mit einem Nennbetrag von 50.000 DM zum Preis von 7.500 €. Im Februar 2007 wurde über das Vermögen der GmbH das Insolvenzverfahren eröffnet. Der Kläger stellte Forderungen i.H.v. 36.926 € zur Insolvenztabelle fest und beansprucht diesen Betrag von der Beklagten als Erwerberin sämtlicher Geschäftsanteile der GmbH.

Das LG wies die Klage ab; das OLG gab ihr statt. Auf die Revision der Beklagten hob der BGH das Berufungsurteil auf und verwies die Sache zur weiteren Aufklärung an das OLG zurück.

Die Gründe:
Das OLG hat zu Recht angenommen, dass es sich bei der Aufnahme der Geschäfte mit geändertem Unternehmensgegenstand im Juli 2004 um eine wirtschaftliche Neugründung handelte. Als wirtschaftliche Neugründung ist es nach der Rechtsprechung des BGH anzusehen, wenn die in einer GmbH verkörperte juristische Person als unternehmensloser Rechtsträger besteht und sodann mit einem Unternehmen ausgestattet wird. Hierbei macht es keinen Unterschied, ob eine bewusst für eine spätere Verwendung "auf Vorrat" gegründete Gesellschaft aktiviert oder ob wie im entschiedenen Fall ein leer gewordener Gesellschaftsmantel wiederverwendet wird.

Nach ständiger Rechtsprechung des BGH haften im Falle einer wirtschaftlichen Neugründung die Gesellschafter für die Auffüllung des Gesellschaftsvermögens bis zur Höhe des in der Satzung ausgewiesenen Stammkapitals (Unterbilanzhaftung). Außerdem ist die wirtschaftliche Neugründung gegenüber dem Registergericht offenzulegen. In Rechtsprechung und Literatur war bisher umstritten, wie die Haftung ausgestaltet ist, wenn die erforderliche Offenlegung der wirtschaftlichen Neugründung unterbleibt.

Der BGH ist vorliegend nicht der vom OLG vertretenen Auffassung gefolgt, dass die Gesellschafter in diesem Fall einer zeitlich unbegrenzten Verlustdeckungshaftung unterliegen. Vielmehr ist es nach Ansicht des BGH so, dass es im vorliegenden Fall für eine etwaige Unterbilanzhaftung der Beklagten, die ggf. als Erwerberin des Geschäftsanteils haftet, darauf ankommt, ob im Zeitpunkt der wirtschaftlichen Neugründung im Juli 2004 eine Deckungslücke zwischen dem Vermögen der Gesellschaft und dem satzungsmäßigen Stammkapital bestanden hat. Da das OLG hierzu keine Feststellungen getroffen hat, war die Sache zur weiteren Aufklärung zurückzuverweisen.

Linkhinweis:

  • Der Volltext der Entscheidung wird demnächst auf den Webseiten des BGH veröffentlicht.
  • Für die Pressemitteilung des BGH klicken Sie bitte hier.


Verlag Dr. Otto Schmidt vom 06.03.2012 16:11
Quelle: BGH PM Nr. 30 vom 6.3.2012

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