BGH 5.12.2013, IX ZR 93/11

Auch die lediglich überwiegend wahrscheinliche Fälligkeit von Zahlungspflichten kann eine drohende Zahlungsunfähigkeit begründen

In die Prognose, die bei der Prüfung drohender Zahlungsunfähigkeit vorzunehmen ist, sind auch Zahlungspflichten einzubeziehen, deren Fälligkeit im Prognosezeitraum nicht sicher, aber überwiegend wahrscheinlich ist. Verbindlichkeiten aus einem Darlehen können insoweit nicht nur dann drohende Zahlungsunfähigkeit begründen, wenn der Anspruch auf Rückzahlung durch eine bereits erfolgte Kündigung auf einen bestimmten in der Zukunft liegenden Zeitpunkt fällig gestellt ist, sondern auch dann, wenn aufgrund gegebener Umstände überwiegend wahrscheinlich ist, dass eine Fälligstellung im Prognosezeitraum erfolgt.

Der Sachverhalt:
Der Kläger ist Verwalter in dem auf Antrag vom 27.11.2003 am 23.12.2003 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der I.-G. mbH (Schuldnerin). Die Schuldnerin betrieb ihr Unternehmen in einem von der Beklagten gemieteten Gebäude. Gesellschafter der Beklagten, einer GbR, waren die drei Gesellschafter der Schuldnerin mit Anteilen von insgesamt 80 Prozent. Ihre Ehefrauen hielten die restlichen Anteile an der Beklagten. Die vereinbarte Miete betrug seit dem 1.1.2002 mtl. rd. 20.650 €. Die Schuldnerin zahlte an die Beklagte am 10.1.2003 und am 14.2.2003 jeweils rd. 16.300 €. Zwischen dem 15.5.2003 und dem 15.10.2003 zahlte sie insgesamt weitere rd. 67.700 €.

Die Dresdner Bank hatte der Schuldnerin einen Geschäftskredit i.H.v. 630.000 € und ein Hypothekendarlehen über rd. 110.000 € gewährt. Mit Schreiben vom 5.12.2002 erbat sie wegen eines erhöhten Kreditrisikos Vorschläge der Schuldnerin für eine werthaltige Absicherung der bisher nur durch Bürgschaften der drei Gesellschafter gesicherten Kredite. In einem Schreiben vom 4.2.2003 wiederholte sie ihre Aufforderung zur Stellung von Sicherheiten. Für den Fall, dass entsprechende verbindliche Vorschläge nicht bis zum 12.2.2003 erfolgten, drohte sie mit der Kündigung der Kredite. Mit Schreiben vom 19.2.2003 kündigte die Bank den Geschäftskredit in Höhe eines Teilbetrags von 90.000 € mit sofortiger Wirkung und machte ihre Kreditbereitschaft i.Ü. davon abhängig, dass bis zum 28.2.2003 Zusatzsicherheiten gestellt wurden.

Auf Vorschlag der Schuldnerin kam es am 12./19.3.2003 zu einer Vereinbarung, wonach die Bank still hielt, sofern die Schuldnerin den Geschäftskredit bis zum 11.4.2003 in mehreren Raten vollständig zurückführte, das Hypothekendarlehen ordnungsgemäß bediente und näher bezeichnete Sicherheiten stellte. Mit Schreiben vom 15.4.2003 stellte die Bank fest, dass der Geschäftskredit noch i.H.v. 350.000 € offen stand und die vereinbarte Sicherheitenverstärkung nicht erfolgt war. Sie drohte die Kündigung des Kreditengagements an, falls die bestehende Überziehung nicht bis zum 25.4.2003 ausgeglichen werde. Am 2.6.2003 erfolgte die Kündigung.

Das LG gab der auf Rückgewähr der im Jahr 2003 von der Schuldnerin entrichteten Mieten i.H.v. insgesamt rd. 100.000 € gerichteten Klage statt. Das OLG gab der Klage lediglich teilweise statt und wies sie in Höhe des Teilbetrags von rd. 32.600 € ab. Auf die Revision des Klägers hob der BGH das Berufungsurteil auf und wies die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des LG zurück.

Die Gründe:
Die Voraussetzungen eines anfechtungsrechtlichen Rückgewähranspruchs nach § 143 Abs. 1, § 133 Abs. 1 InsO sind auch hinsichtlich der Mietzahlungen im Januar und Februar 2003 gegeben.

Kennt der Schuldner seine Zahlungsunfähigkeit, kann daraus nach ständiger Rechtsprechung auf einen Benachteiligungsvorsatz geschlossen werden. Auch die nur drohende Zahlungsunfähigkeit stellt ein starkes Beweisanzeichen für den Benachteiligungsvorsatz des Schuldners dar, wenn sie ihm bei der Vornahme der Rechtshandlung bekannt war. In diesen Fällen handelt der Schuldner dann nicht mit Benachteiligungsvorsatz, wenn er aufgrund konkreter Umstände - etwa der sicheren Aussicht, demnächst Kredit zu erhalten oder Forderungen realisieren zu können - mit einer baldigen Überwindung der Krise rechnen kann. Droht die Zahlungsunfähigkeit, bedarf es konkreter Umstände, die nahe legen, dass die Krise noch abgewendet werden kann.

Zahlungsunfähigkeit droht, wenn der Schuldner voraussichtlich nicht in der Lage sein wird, die bestehenden Zahlungspflichten im Zeitpunkt ihrer Fälligkeit zu erfüllen (§ 18 Abs. 2 InsO). Ergibt die Prognose, dass der Eintritt der Zahlungsunfähigkeit wahrscheinlicher ist als deren Vermeidung, droht Zahlungsunfähigkeit. Verbindlichkeiten aus einem Darlehen können deshalb nicht nur dann drohende Zahlungsunfähigkeit begründen, wenn der Anspruch auf Rückzahlung durch eine bereits erfolgte Kündigung auf einen bestimmten in der Zukunft liegenden Zeitpunkt fällig gestellt ist, sondern auch dann, wenn aufgrund gegebener Umstände überwiegend wahrscheinlich ist, dass eine Fälligstellung im Prognosezeitraum erfolgt.

Vorliegend stand bereits zum Zeitpunkt der Mietzahlung vom 10.1.2003 fest, dass die Schuldnerin zahlungsunfähig sein würde, wenn die Bank im Lauf der nachfolgenden Wochen den Geschäftskredit fällig stellte. Dies ergibt sich daraus, dass die Schuldnerin tatsächlich nicht annähernd in der Lage war, die im März 2003 vereinbarte ratenweise Rückführung des Kredits zu bewerkstelligen. Dass es zur Fälligstellung des Geschäftskredits kommen würde, war schon im Januar 2003 und erst recht zum Zeitpunkt der Mietzahlung vom 14.2.2003 wahrscheinlicher als eine Fortführung des Kreditengagements der Bank. Diese hatte bereits im Dezember 2002 die Aufrechterhaltung der Kreditlinie davon abhängig gemacht, dass zusätzliche werthaltige Sicherheiten gestellt wurden. Im Zeitraum zwischen den beiden Mietzahlungen an die Beklagte wiederholte sie ihre Forderung nach einer vollwertigen Nachbesicherung in Kredithöhe. Tatsächlich verfügte die Schuldnerin über solche Sicherheiten nicht.

Es war insoweit von vorneherein abzusehen, dass die Schuldnerin die Voraussetzungen nicht erfüllen konnte, unter denen die Bank bereit war, ihr weiter Kredit zu gewähren. Deren Ankündigung, ohne zusätzliche werthaltige Sicherheiten auf einer kurzfristigen Rückführung der Kredite zu bestehen, war offensichtlich ernst gemeint und sollte nicht lediglich als Druckmittel für die gewünschte Nachbesicherung dienen. Die Tatsache allein, dass die Verhandlungen mit der Bank im Januar und Februar 2003 noch andauerten und die Kreditlinie noch offen gehalten wurde, steht der Annahme von drohender Zahlungsunfähigkeit nicht entgegen. Maßgeblich ist, dass ein erfolgreicher Abschluss der Verhandlungen unwahrscheinlich war.

Die Beklagte kannte i.Ü. zur Zeit der Zahlungen im Januar und Februar 2003 den Benachteiligungsvorsatz der Schuldnerin. Dies folgt daraus, dass die beiden Geschäftsführer der Schuldnerin zugleich auch Gesellschafter und Geschäftsführer der Beklagten waren.

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 16.01.2014 12:45
Quelle: BGH online

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