BVerfG 18.12.2014, 2 BvR 1978/13

Suhrkamp-Insolvenzverfahren: Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt

Das BVerfG hat den Antrag der Minderheitsgesellschafterin der insolventen Suhrkamp Verlag GmbH & Co. KG auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt. Die Nachteile, die der Schuldnerin und ihren Arbeitnehmern, ihren Gläubigern und ihren Anteilseignern bei Erlass der einstweiligen Anordnung drohen, überwiegen die Nachteile erheblich, die bei Ablehnung der einstweiligen Anordnung einzutreten drohen, selbst wenn die Verfassungsbeschwerde der Minderheitsgesellschafterin sich im weiteren Verlauf als begründet erweisen sollte.

Der Sachverhalt:
Die Beschwerdeführer sind eine Aktiengesellschaft schweizerischen Rechts (zu 1) und ihr alleiniger Aktionär (zu 2). Die Aktiengesellschaft ist mit 39 Prozent an der insolventen Suhrkamp Verlag GmbH & Co. KG beteiligt. Ein von der Gläubigerversammlung angenommener Insolvenzplan sieht vor, die Suhrkamp Verlag GmbH & Co. KG in eine Aktiengesellschaft umzuwandeln.

Mit ihrer Verfassungsbeschwerde wenden sich die Beschwerdeführer gegen die Eröffnung des Insolvenzverfahrens und die Bestätigung des Insolvenzplans. Im Wesentlichen machen sie einen Verlust ihrer Minderheitsrechte durch die Umwandlung geltend. Ein mit der Verfassungsbeschwerde verbundener Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist u.a. darauf gerichtet, die Eintragung der neuen Rechtsform der Schuldnerin in das Handelsregister zu verhindern. Das BVerfG hatte hierzu mit Beschluss vom 4.12.2014 eine befristete Anordnung getroffen.

Nunmehr lehnte das BVerfG die einstweilige Anordnung ab.

Die Gründe:
Die Nachteile, die der Schuldnerin und ihren Arbeitnehmern, ihren Gläubigern und ihren Anteilseignern bei Erlass der einstweiligen Anordnung drohen, überwiegen die Nachteile erheblich, die bei Ablehnung der einstweiligen Anordnung einzutreten drohen, selbst wenn die Verfassungsbeschwerde der Minderheitsgesellschafterin sich im weiteren Verlauf als begründet erweisen sollte.

Das BVerfG kann einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Bei offenem Ausgang des Verfassungsbeschwerdeverfahrens muss das BVerfG die Folgen, die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen abwägen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde aber der Erfolg zu versagen wäre. Dabei sind nicht nur die Interessen des Antragstellers, sondern alle in Frage kommenden Belange und widerstreitenden Interessen zu berücksichtigen und gegeneinander abzuwägen. Diese Folgenabwägung bleibt in der Regel auch dann maßgebend, wenn dem Antragsteller ein Eingriff in Grundrechte droht, der als solcher nicht mehr rückgängig gemacht werden kann.

Danach bleibt der Antrag der Beschwerdeführerin zu 1) jedenfalls aufgrund der gebotenen Folgenabwägung ohne Erfolg. Ergeht die einstweilige Anordnung nicht, kann die im Insolvenzplan vorgesehene Umwandlung der Schuldnerin in eine Aktiengesellschaft in das Handelsregister eingetragen werden. Die Beschwerdeführerin zu 1) verliert damit die ihr als Kommanditistin nach dem Gesellschaftsvertrag zustehenden weitgehenden Mitwirkungsrechte und wesentlichen unternehmerischen Entscheidungsbefugnisse sowie ihren unbedingten Anspruch auf Gewinnausschüttung. Außerdem kann die von der Schuldnerin beabsichtigte Kapitalerhöhung durchgeführt werden. Zugunsten der Beschwerdeführerin zu 1) ist zu unterstellen, dass diese Rechtsfolgen auch im Falle eines späteren Erfolgs ihrer Verfassungsbeschwerde nicht reversibel wären.

Die Beschwerdeführerin zu 1) bleibt aber in der bisherigen Höhe Anteilseignerin und würde auch im Falle einer Kapitalerhöhung noch immer mehr als 26 Prozent der Aktien halten. Sie verliert - das ist eines der Ziele des Insolvenzplans - die Möglichkeit der Einflussnahme auf den operativen Geschäftsbetrieb. Ob mit der Umwandlung wirtschaftliche Nachteile für die Beschwerdeführerin zu 1) einhergehen, ist offen. In ihrem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung behauptet sie diese lediglich. Ergeht jeodch die einstweilige Anordnung, droht die Umsetzung des Insolvenzplans und die damit beabsichtigte Sanierung wegen der durch das Verfassungsbeschwerdeverfahren eintretenden Verzögerung endgültig zu scheitern.

Die Schuldnerin hat dargelegt und glaubhaft gemacht, dass sie bei einer weiteren Verzögerung spätestens ab Juni 2015 nicht mehr in der Lage sein wird, ihre fälligen Verbindlichkeiten zu begleichen. Auch die Erklärung der Beschwerdeführerin zu 1), sie sei bereit, eine etwaig entstehende Liquiditätslücke zu schließen, genügt zur Abwendung des von der Schuldnerin glaubhaft gemachten Risikos einer Unterdeckung vor Abschluss des Insolvenzverfahrens nicht. Die Beschwerdeführerin zu 1) hat keine Sicherheiten für die Erfüllung ihrer Unterstützungszusage angeboten und diese u.a. auch von Unterstützungsleistungen der Mehrheitsgesellschafterin abhängig gemacht.

Dass der Insolvenzplan davon ausgeht, die Schuldnerin sei grundsätzlich in der Lage, die für ihre Fortführung benötigte Liquidität zu generieren und habe eine positive Ertragskraft, schließt nicht aus, dass beides unter den Bedingungen der Insolvenz (noch) nicht der Fall ist. Die Schuldnerin hat dargelegt und durch eidesstattliche Versicherung ihres Geschäftsführers glaubhaft gemacht, dass das Insolvenzverfahren zusehends Auswirkungen auf das operative Geschäft der Schuldnerin habe. Daher besteht ein erhebliches Risiko, dass bei einer weiteren Verzögerung auch im Falle einer Zurückweisung der Verfassungsbeschwerde die durch den Insolvenzplan beabsichtigte Sanierung der Schuldnerin endgültig scheitert und die Schuldnerin zerschlagen wird, was zu erheblichen Einbußen der Gläubiger, zu einem Verlust von Arbeitsplätzen sowie zur völligen Wertlosigkeit der an der Schuldnerin bestehenden Anteilsrechte führen würde.

Linkhinweis:

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 23.12.2014 11:27
Quelle: BVerfG PM Nr. 117 vom 19.12.2014

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