Dr. Christian Levedag, LL.M. Tax, Richter am BFH, München

Tarifbegünstigung des Betriebsaufgabegewinns trotz vorheriger Ausgliederung einer 100 %-Beteiligung zum Buchwert

Mit Urteil vom 28.5.2015 – IV R 26/12 hat der IV. Senat des BFH seine Rechtsprechung zur Anwendung der Tarifbegünstigung gemäß § 34 EStG bei vorheriger Ausgliederung von Betriebsvermögen weiterentwickelt.

Zu den wesentlichen Grundlagen eines Betriebs oder Mitunternehmeranteils gehören im Zusammenhang mit der Tarifbegünstigung eines Gewinns aus einer Betriebsveräußerung oder -aufgabe neben den funktional wesentlichen Wirtschaftsgütern auch solche Wirtschaftsgüter, die funktional gesehen für den Betrieb, Teilbetrieb oder Mitunternehmeranteil nicht erforderlich sind, in denen aber erhebliche stille Reserven gebunden sind (sog. funktional-quantitative Betrachtungsweise). Dies folgt aus der normspezifischen Auslegung des § 34 EStG, dessen Zweck darin zu sehen ist, eine zusammengeballte Realisierung der über die Zeit entstandenen und gesammelten stillen Reserven nicht dem progressiven Einkommensteuertarif zu unterwerfen. Unerheblich ist, ob die Wirtschaftsgüter im Gesamthandsvermögen oder im Sonderbetriebsvermögen (I oder II) der Mitunternehmer gehalten werden. Zu den Auswirkungen der Gesamtplanrechtsprechung ist mittlerweile geklärt, dass im Rahmen der § 16 Abs. 4, § 34 EStG aufgrund des Erfordernisses, die stillen Reserven des Mitunternehmeranteils zusammengeballt aufdecken zu müssen, eine zeitraumbezogene Betrachtung anzuwenden ist: In den BFH-Urteilen vom 30.8.2012 – IV R 44/10, GmbHR 2013, 220, vom 9.12.2014 – IV R 36/13, GmbHR 2015, 382 m. Komm. Suchanek und vom 17.12.2014 – IV R 57/11, GmbHR 2015, 384 m. Komm. Suchanek hat der IV. Senat zuletzt die Ausgliederung von funktional wesentlichen Einzelwirtschaftsgütern im Vorfeld einer Betriebsaufgabe oder -veräußerung stets als schädlich für die Gewährung der Tarifbegünstigung für den Veräußerungs- oder Aufgabegewinn angesehen.
In dem hier vorgestellten Urteil hat der IV. Senat diese Rechtsprechung für den Fall einer das gesamte Nennkapital umfassenden (100 %-) Beteiligung, die zum Sonderbetriebsvermögen einer GmbH & Co. KG I gehörte, präzisiert und die Tarifbegünstigung gewährt. In diesem Fall trat die Komplementär-GmbH aus einer zweigliedrigen GmbH & Co. KG I aus, was zu deren Vollbeendigung und Anwachsung des Betriebsvermögens auf den Kommanditisten führte. Dieser übernahm das gesamte Betriebsvermögen in das Privatvermögen. Zuvor übertrag er aber die 100 %-Beteiligung an einer GmbH, die zum Sonderbetriebsvermögen der GmbH & Co. KG I gehörte, in das Sonderbetriebsvermögen bei einer GmbH & Co. KG II, an der er ebenfalls beteiligt war. Das Finanzamt verneinte die Voraussetzungen der Tarifbegünstigung für den Betriebsaufgabegewinn, der dem Kommanditisten aus der durch Anwachsung erloschenen GmbH & Co. KG I zugerechnet wurde. Dies tat es nach der Entscheidung des BFH zu Unrecht. Der IV. Senat grenzte im Rahmen der Betriebsaufgabe die 100 %-Beteiligung an der Kapitalgesellschaft als sog. fiktiven Teilbetrieb und den auf Ebene der GmbH & Co. KG I aufgegebenen Betrieb als separate Sachgesamtheiten ab. Daraus folge – so der IV. Senat –, dass die Frage der Tarifbegünstigung bezogen auf die jeweils betroffene Sachgesamtheit zu prüfen sei und im Sinne einer segmentierten Betrachtung die Aufdeckung der in den wesentlichen Wirtschaftsgütern vorhandenen stillen Reserven nur im Hinblick auf die jeweils veräußerte oder aufgegebene Sachgesamtheit untersucht werde. Dies gelte für alle in § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 – 3 EStG genannten Sachgesamtheiten. Danach unterliege der Gewinn aus der Aufgabe eines Betriebs auch dann der Tarifbegünstigung gemäß § 34 EStG, wenn im engen zeitlichen Zusammenhang mit der Betriebsaufgabe eine das gesamte Nennkapital umfassende Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft zum Buchwert in ein anderes Betriebsvermögen übertragen oder überführt werde. Diese stelle kein Einzelwirtschaftsgut dar, das für die Prüfung der Tarifbegünstigung nach §§ 16, 34 EStG der anderen Sachgesamtheit als funktional wesentliche Betriebsgrundlage zuzurechnen sei.
Die Frage, ob eine 100 %-Beteiligung eine eigenständige Sachgesamtheit darstellt oder als funktional wesentliche Betriebsgrundlage vorrangig zu einem anderen Betrieb oder Teilbetrieb gehört, ist auch im Rahmen des § 15 UmwStG 2006 relevant. Hier vertritt die Finanzverwaltung in Rz. 15.06 des Umwandlungsteuererlasses (UmwStE 2011, BMF vom 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978-b/08/10001 – DOK 2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314 = GmbHR 2012, 112 [LS]), eine 100 %-Beteiligung stelle keinen eigenständigen (fiktiven) Teilbetrieb i.S.d. § 15 Abs. 1 S. 3 UmwStG dar, wenn sie einem Teilbetrieb als funktional wesentliche Betriebsgrundlage zuzurechnen sei, so dass bei Übertragung der 100 %-Beteiligung das zurückbleibende Vermögen keinen Teilbetrieb mehr darstelle. Diese bestrittene Verwaltungsauffassung stellt ein Umwandlungshindernis dar, da § 11 Abs. 2 u. § 13 Abs. 2 UmwStG auf die Auf- und Abspaltung sowie die Teilübertragung nur entsprechend anzuwenden sind, wenn auf die Übernehmerinnen bzw. die Übernehmerin ein Teilbetrieb übertragen wird und im Fall der Abspaltung oder der Teilübertragung bei der übertragenden Körperschaft das zurückbleibende Vermögen ebenfalls zu einem Teilbetrieb gehört (sog. doppeltes Teilbetriebserfordernis, s. Rz. 15.01 des UmwStE 2011). Aus dem vorliegenden Urteil ist für diese Problematik jedenfalls der Grundsatz ableitbar, dass die Auffassung der Finanzverwaltung sich als Ausnahme zu dem Grundsatz einer getrennten Betrachtung fiktiver und echter Sachgesamtheiten darstellt, der sich nur aus den Wertungen des UmwStG 2006 heraus rechtfertigen lässt. Schließlich sei noch darauf hingewiesen, dass die Finanzverwaltung in Rz. 24.02 des UmwStE 2011 für Zwecke des § 24 UmwStG eine zu einem Betriebsvermögen gehörende, das gesamte Nennkapital umfassende Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft auch bei Einbringungen in das Gesamthandsvermögen als Teilbetrieb ansieht, der vorrangig als wesentliche Betriebsgrundlage einem anderen Betrieb zugerechnet werden kann. Die Rechtsprechung behandelt die das gesamte Nennkapital umfassende Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft in diesen Fällen und bei Übertragungen in Sonderbetriebsvermögen des Mitunternehmers sowie das Gesamthandsvermögen gegen Gewährung von Gesellschaftsrechten als Einzelwirtschaftsgut gemäß § 6 Abs. 5 EStG (s. abweichend BFH v. 17.7.2008 – I R 77/06, BStBl. II 2009, 464 = GmbHR 2009, 48 m. Komm. W. Meilicke).

Verlag Dr. Otto Schmidt vom 03.09.2015 15:27

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