10 / 2016

Dr. Lambertus Fuhrmann / Christoph Merks, Bonn

Ein weiterer Schritt in die richtige Richtung: Begrenzung der Einbeziehung Dritter in den Schutzbereich eines Anwaltsvertrags

Immer wieder ist die sog. Dritthaftung bei Haftungsklagen gegen Angehörige freier Berufe Gegenstand von Rechtsstreitigkeiten. Hierum ging es auch in dem Klageverfahren des ehemaligen baden-württembergischen Ministerpräsidenten Stefan Mappus gegen die Sozietät Gleiss Lutz Hootz Hirsch Partnerschaft mbB.

I. Schwerpunkt des Rechtsstreits

Gegenstand des Rechtsstreits war der Vorwurf angeblicher Beratungsfehler im Zusammenhang mit dem milliardenschweren Rückkauf von EnBW-Aktien durch das Land Baden-Württemberg. Die Kanzlei Gleiss Lutz hatte das Land sowie die Neckarpri GmbH, ein dem Land gehörendes Beteiligungsvehikel für die EnBW-Anteile, bei dem Anteilserwerb rechtlich beraten. Der ehemalige Ministerpräsident warf der Kanzlei im Wesentlichen vor, sie habe im Zusammenhang mit dem Vorgehen nach dem Notbewilligungsrecht gemäß Art. 81 LV Versäumnisse begangen. Den Kern des Rechtsstreits bildete letztlich das Bestehen eines für einen Schadensersatzanspruch erforderlichen Schuldverhältnisses.

Ein Anwalts- und Beratungsvertrag bestand nur zwischen dem Land und der Kanzlei. Damit der Kläger als Dritter aus diesem Vertrag Rechte herleiten konnte, kam nur ein Rückgriff auf das im Gesetz nicht geregelte, sondern von der Rechtsprechung entwickelte Institut des Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter in Betracht (Gottwald in Münch.Komm.BGB, 7. Aufl. 2016, § 328 Rz. 164 ff., m.w.N.). Der Kläger hatte vorgetragen, er sei als Ministerpräsident bestimmungsgemäß mit der Leistung der Beklagten gegenüber dem Land in Berührung gekommen und der Gefahr von Pflichtverletzungen in gleicher Weise ausgesetzt gewesen wie das Land. Das OLG Stuttgart v. 17.11.2015 – 12 U 41/15 lehnte das wie schon die Vorinstanz v. 24.2.2015 – 9 O 108/14, BeckRS 2015, 42011 mit der Begründung ab, der Anwalts- und Beratervertrag sollte nach dem hypothetischen und tatsächlichen Willen der Vertragsparteien nicht auch dem persönlichen Schutz des Klägers dienen (die Revision ist beim BGH anhängig unter dem Az. IX ZR 252/15).

II. Fehlende Leistungsnähe

Das ist nicht zu beanstanden. Der Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter beruht auf einer maßgeblich durch das Gebot von Treu und Glauben (§ 242 BGB) geprägten ergänzenden Vertragsauslegung. Es dient dem Schutz solcher bestimmbarer Personen, die zwar nicht Vertragspartner, jedoch dergestalt in die vertraglichen Sorgfalts- und Obhutspflichten zwischen den eigentlichen Parteien einbezogen sind, dass sie bei deren Verletzung unmittelbar (quasi-)vertragliche Schadensersatzansprüche gegen den Leistungspflichtigen geltend machen können (BGH v. 14.6.2012 – IX ZR 145/11, GmbHR 2012, 1009; v. 13.10.2011 – IX ZR 193/10, GmbHR 2012, 97). Auf dieses Rechtsinstitut stützt sich insbesondere die Berufshaftung von Rechtsanwälten, Steuerberatern und Wirtschaftsprüfern gegenüber Dritten, da diese Berufsträger über eine besondere, vom Staat anerkannte Sachkunde verfügen und ihre Vertragsleistung oft auch zum Gebrauch gegenüber einem Dritten bestimmt ist. Beim Testat eines Wirtschaftsprüfers wird dies besonders deutlich: Der Prüfer erbringt das Testat (und damit die Prüfungsleistung) zwar in Ausführung einer vertraglichen Leistungspflicht gegenüber der Gesellschaft, mit der er kontrahiert hat. Es dient aber auch dem Schutz Dritter, die sich auf die Ordnungsmäßigkeit der Rechnungslegung verlassen möchten, sofern die Haftung für ihn nicht unkalkulierbar wird, sondern die Möglichkeit besteht, sein Risiko einzuschätzen und ggf. zu versichern (BGH v. 22.1.1968 – VIII ZR 195/65, NJW 1968, 885 [887]).

Jedoch bestehen oft bereits erhebliche Bedenken gegen die Leistungsnähe. Der Dritte muss nämlich bestimmungsgemäß mit der Leistung in Berührung kommen (BGH v. 6.5.2008 – IX ZR 56/07, NJW 2008, 2245 [2247]). So versagte z.B. OLG Köln v. 21.10.2010 – 8 U 12/10, DStR 2011, 737 die Einbeziehung des GmbH-Geschäftsführers in den Steuerberatervertrag zwischen „seiner” GmbH und dem Steuerberater, da keine unmittelbaren Auswirkungen der steuerrechtlichen Beratung der GmbH auf die Person des Geschäftsführers zu erkennen seien. Dieses Urteil hob BGH v. 13.10.2011 – IX ZR 193/10, GmbHR 2012, 97 auf und stellte klar, dass auch der Geschäftsführer als Dritter in den Schutzbereich eines von der GmbH erteilten Umsatzsteuermandats einbezogen sein könne. Die Leistungsnähe ergebe sich aus §§ 34, 69 AO, da der Geschäftsführer die von dem Berater vorbereiteten Steuererklärungen unterzeichnen und verantworten müsse und die Mitwirkungspflicht der GmbH nach § 90 AO ihn persönlich treffe. Zwar werden dem Geschäftsführer im Rahmen seiner Haftung gegenüber dem Fiskus gemäß §§ 34, 69 AO das Verschulden seines Beraters nicht zugerechnet, jedoch haftet er für dessen sorgsame Auswahl und Überwachung. Unrichtige Steuererklärungen und eine unzureichende Mitwirkung der GmbH begründeten für den Geschäftsführer ein spezifisches steuerliches Haftungsrisiko gemäß §§ 69, 191, 219 AO, das auch auf ein pflichtwidriges Handeln des Steuerberaters zurückgehen könne. Aufgrund der vertraglichen Haftung des Steuerberaters dürfe der Mandant auch ohne Kontrolle auf die fehlerfreie Bearbeitung der steuerlichen Fragen vertrauen. Dieser im Vergleich zur zivilrechtlichen Beraterhaftung strengere Pflichtenmaßstab des Steuerrechts schaffe demnach für den Geschäftsführer das spezifische Risiko. Dieses Pflichtengefälle könne nur durch vertragliche Haftungsansprüche des Geschäftsführers ausgeglichen werden. Im Ergebnis bestand zwischen der Pflichtverletzung des Steuerberaters und dem Haftungsvorwurf gegen den Geschäftsführer ein sog. spezifischer Risikozusammenhang (BGH v. 13.10.2011 – IX ZR 193/10, GmbHR 2012, 97, Rz. 18).

III. Weitere Beispielsfälle für die Leistungsnähe

Auch in den folgenden Fällen bejahte der BGH die Leistungsnähe:

  • Dem Urteil des BGH v. 6.7.1965 – VI ZR 47/64, NJW 1965, 1955 lag eine pflichtwidrig unterlassene testamentarische Erbeinsetzung der Tochter des Mandanten zugrunde. Nach dem Anwaltsvertrag sollten die Vermögensinteressen der Tochter gewahrt werden.

  • Im Urteil des BGH v. 11.1.1977 – VI ZR 261/75, NJW 1977, 2073 (2074) ging es um die pflichtwidrig verursachte Nichtdurchführbarkeit einer Scheidungsvereinbarung des Rechtsanwalts, der die Eheleute beriet. Aufgrund der Vereinbarung hätten die Kinder bestimmte Vermögenswerte erhalten sollen, was wegen der fehlerhaften Beratung nunmehr nicht möglich war.

  • Auch die anwaltliche Beratung einer Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer über den Erhalt eines Ruhegeldes können Schutzpflichten zugunsten der Ehefrau des später verstorbenen Arbeitnehmers begründen (BGH v. 1.10.1987 – IX ZR 117/86, NJW 1988, 200).

  • Ebenso erstreckte der BGH die Schutzwirkung eines Vertrags auf die Kinder des im Beauftragungszeitpunkt lebensgefährlich erkrankten Erblassers. Mit dem Vertrag sollte zugunsten der Kinder ein durch Erbvertrag mit vertraglicher Rücktrittsklausel begründetes Alleinerbrecht der Ehefrau des Erblassers ausgeschlossen werden, was aufgrund eines Beratungsfehlers misslang (BGH v. 13.6.1995 – IV ZR 294/93, NJW 1995, 51).

  • Ein Anwaltsvertrag zwischen der GmbH und dem Rechtsanwalt, der die Beratung der Gesellschaft bei einer Kapitalerhöhung zum Gegenstand hat, kann Schutzwirkung zugunsten des Gesellschafters entfalten. Im konkreten Fall musste dieser die Einlage wegen einer Falschberatung (verdeckte Sacheinlage) doppelt aufbringen, nachdem die GmbH in Vermögensverfall geraten war (BGH v. 2.12.1999 – IX ZR 415/98, GmbHR 2000, 131 m. Komm. Schick).

Den vorgenannten BGH-Entscheidungen war gemein, dass durch die nach dem jeweiligen Anwaltsvertrag geschuldete Beratungsleistung die Rechtslage für den Dritten unmittelbar mitgestaltet werden sollte. Davon konnte, wie LG Stuttgart v. 24.2.2015 – 9 O 108/14, BeckRS 2015, 42011 zutreffend hervorhob, in dem Verfahren Mappus keine Rede sein. Dem Kläger sollte aus dem Geschäft kein unmittelbarer Vermögensvorteil erwachsen. Auch den in der Entscheidung des BGH v. 13.10.2011 – IX ZR 193/10, GmbHR 2012, 97 angeführten spezifischen Risikozusammenhang zwischen der Pflichtverletzung des Beraters und dem steuerlichen Haftungsvorwurf gegen das Organ sah das LG Stuttgart im vorliegenden Fall zu Recht nicht, da keine besonderen Umstände hinzuträten. Das vom Kläger angeführte Haftungsrisiko gemäß § 48 BeamtStG ist kein solcher besonderer Umstand. Denn die Norm verpflichtet den Ministerpräsidenten ihrem Wortlaut nach nur gegenüber dem Land zum Schadensersatz, sei also im Gegensatz zu § 69 AO, der einen Schadensersatzanspruch des Fiskus als Drittem begründe (BFH v. 26.7.1988 – VII R 83/87, GmbHR 1989, 94), nur ein Innenhaftungsanspruch gegenüber dem Land. Zwar können auch Dritte sich diesen Innenregress im Wege der Zwangsvollstreckung zunutze machen, den Anspruch also gemäß § 829 Abs. 1 ZPO pfänden und gemäß § 835 Abs. 1 ZPO zur Einziehung überweisen oder sich den Anspruch gemäß § 398 ZPO vom Land abtreten lassen. Jedoch besteht diese Möglichkeit bei jedem Innenhaftungstatbestand. Eine solche Argumentation würde das Erfordernis des vom BGH zu Recht verlangten spezifischen Risikozusammenhangs praktisch leerlaufen lassen. Die Idee, die Haftung nicht unkalkulierbar werden zu lassen und daher Dritte nur unter strengen Anforderungen in den vertraglichen Schutz einzubeziehen (Grüneberg in Palandt, BGB, 75. Aufl. 2016, § 328 Rz. 16), wäre damit auf dem bestem Wege, verloren zu gehen. Somit dürfen vollstreckungsrechtliche Überlegungen im Zusammenhang mit der Behandlung der Leistungsnähe als einer der wesentlichen Voraussetzungen keinen Eingang finden.

Hinzu kommt der vom BGH hervorgehobene strengere Pflichtenmaßstab des steuerlichen Haftungsrechts im Vergleich zur bürgerlich-rechtlichen Beraterhaftung. Zwar kann dem Geschäftsführer das Verschulden seines steuerlichen Beraters nicht zugerechnet werden. Jedoch haftet er gemäß §§ 34, 69 AO für die Verletzung der ihm in diesem Rechtsverhältnis abverlangten sorgsamen Auswahl und Überwachung derjenigen Personen, denen er die Erledigung der ihm auferlegten steuerlichen Pflichten für die GmbH übertragen hat. Für den Fall der Unterzeichnung einer vom Steuerberater entworfenen Umsatzsteuererklärung kann eine Haftung des die Unterschrift leistenden Geschäftsführers in Frage kommen, wenn er selbst nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalls Anlass und Möglichkeit hatte, die Richtigkeit der Steuererklärung zu überprüfen (BFH v. 28.8.2008 – VII B 240/07, BeckRS 2008, 25014001). Gerade erst dieser strenge Pflichtenmaßstab schafft ein spezifisches Risiko, das die Einbeziehung des Dritten in den vertraglichen Schutz rechtfertigt.

 

Verlag Dr. Otto-Schmidt vom 20.09.2016 14:34