11 / 2016

Dr. Jochen Blöse, MBA, Rechtsanwalt und Mediator (CfM), Köln

Reform des Anfechtungsrechts nähert sich der Zielgeraden

Nachdem am 11.3.2015 ein Referentenentwurf zur Anfechtungsrechtsreform vorgelegt wurde (dazu Blöse, GmbHR 2015, R 177 f.), hat die Bundesregierung am 16.12.2015 einen Regierungsentwurf dem Präsidenten des Bundestages zugeleitet (BT-Drucks. 18/7054), worauf am 15.1.2016 die erste Lesung des Reformgesetzes erfolgte (Deutscher Bundestag, Plenarprotokoll 18/150, 14808 ff.). Seitdem befindet es sich in Ausschussberatungen.

I. Änderungen durch den Regierungsentwurf

Der Referentenentwurf hat durch den Regierungsentwurf eine Reihe von Änderungen erfahren.

In der beabsichtigten Ergänzung von § 131 Abs. 1 InsO entfällt der Zusatz, dass die angesprochene Zwangsvollstreckungsmaßnahme auf Grundlage eines im gerichtlichen Verfahren erlangten Vollstreckungstitels erfolgt. Insbesondere diese Änderung des Referentenentwurfs hat viel Kritik erfahren, auf die nachstehend unter II. eingegangen wird.

Die geplante Änderung von § 133 Abs. 1 InsO entfällt. Der vorgesehene neue Abs. 2 bleibt unverändert. Bei Abs. 3 wird im Regierungsentwurf im Vergleich zum Referentenentwurf noch deutlicher herausgestellt, dass der Abschluss einer Zahlungsvereinbarung oder einer sonstigen Zahlungserleichterung gerade keinen zwingenden Rückschluss auf die Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit erlaubt.

§ 142 InsO wird formal vollständig neu gefasst. Die schon im Referentenentwurf vorgesehene Ergänzung durch die Anfügung zweier weiterer Sätze, findet sich nun in einem eigenen Abs. 2. Der bisherige S. 1 des § 142 InsO soll in einem eigenen Abs. 1 enthalten sein und die Anfechtbarkeit eines Bargeschäfts unter die weitere Voraussetzung stellen, dass dem Anfechtungsgegner das unlautere Handeln des Schuldners bekannt war.

In § 143 InsO wird schließlich im Vergleich zum Referentenentwurf noch die Ergänzung aufgenommen, dass sich herauszugebende Nutzungen auf die Zinsen beschränken und also ein darüber hinausgehender Anspruch auf Herausgabe von Nutzungen nicht besteht.

II. Bewertung der geplante Neuregelungen in der Fassung des Regierungsentwurfs

Insbesondere ein Aspekt der geplanten Neuregelungen in Form des Regierungsentwurfs hat erhebliche Kritik erfahren. Dadurch, dass in der Änderung von § 131 Abs. 1 InsO die Formulierung des Referentenentwurfs „weil der Gläubiger die Sicherung oder Befriedigung durch Zwangsvollstreckung auf der Grundlage eines in einem gerichtlichen Verfahren erlangten vollstreckbaren Titels erwirkt hat” entfällt, wird eine faktische Wiedereinführung des Fiskus-Privilegs befürchtet. In der Begründung des Regierungsentwurfs zur Neufassung des § 131 Abs. 1 InsO wird dazu allerdings kein Wort verloren. Es heißt dort lediglich ganz allgemein, dass durch die Neuregelung gewährleistet werden soll,

„dass Gläubiger, die lediglich von den im Gesetz vorgesehenen Zwangsmitteln Gebrauch machen, künftig keine Inkongruenzanfechtung befürchten müssen. Zu diesem Zweck wird bestimmt, dass eine Deckung nicht schon deshalb als inkongruent anzusehen ist, weil sie durch Zwangsvollstreckung erwirkt oder zu deren Abwendung bewirkt worden ist.” (Reg-E, BT-Drucks 18/7054, S. 17)

Das im Referentenentwurf noch enthaltene Argument,

„dass die Unabhängigkeit der Gerichte und das von ihnen zu beachtende Verfahrensrecht dem Titel eine hinreichende Legitimation und dem vollstreckenden Gläubiger eine schützenswerte Vertrauensgrundlage verschaffen” (Ref-E, S. 15)

wird nicht mehr genannt. Damit wird deutlich, dass eben nicht nur durch Inanspruchnahme der Judikative geschaffene Vollstreckungstitel zu der beabsichtigten anfechtungsrechtlichen Erleichterung führen, sondern auch von der Exekutive selbst geschaffene Titel. Dies wird insbesondere von der DAV-Arbeitsgemeinschaft Insolvenzrecht und Sanierung heftig kritisiert. In einer Pressemitteilung vom 10.3.2016 (InsO 1/16) wird darauf hingewiesen, dass durch diese Regelung des Regierungsentwurfs institutionelle Gläubiger auf dem Rücken der übrigen Gläubiger, vor allem von Arbeitnehmern und Kleingläubigern, zukünftig ohne Sanktion die letzten Vermögenswerte eines Schuldners an sich ziehen könnten.

Unter demselben Gesichtspunkt wird auch die geplante Neufassung des Bargeschäftsprivilegs kritisiert, die allerdings insoweit auch schon im Referentenentwurf enthalten war. Der von der DAV-Arbeitsgemeinschaft konstatierte Wille der Regierung, auch Lohnsteuern und Sozialabgaben, die innerhalb von drei Monaten ihrer Fälligkeit bezahlt werden, anfechtungsfrei zu stellen, findet sich gleichfalls nicht ausdrücklich in der Gesetzesbegründung, ist aber wohl zwangsläufige Konsequenz der Anfechtungsfreiheit der Lohnzahlung selbst. Die Frage, was unter Arbeitsentgelt in diesem Zusammenhang zu verstehen ist, beantwortet der Regierungsentwurf im sozialversicherungsrechtlichen Sinne, d.h. nach Maßgabe der Vorschrift des § 14 Abs. 1 S. 1 SGB IV. Begrifflich erfasst werden damit alle laufenden oder einmaligen Einnahmen aus einer abhängigen Beschäftigung, also auch die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall oder bei Urlaub (Reg-E, BT-Drucks 18/7054, S. 20).

In der geplanten Fassung des § 142 Abs. 1 InsO taucht der Begriff „unlauter” auf, der in der Begründung dahingehend erläutert wird, dass ein unlauteres Handeln bei gezielter Benachteiligung von Gläubigern vorliegt, wie sie etwa gegeben ist, wenn es dem Schuldner in erster Linie darauf ankommt, durch die Befriedigung des Leistungsempfängers andere Gläubiger zu schädigen. Ein unlauteres Handeln liege weiter vor, wenn der Schuldner bei Kenntnis der eigenen Zahlungsunfähigkeit sein Vermögen für Leistungen verschleudert, die den Gläubigern unter keinem erdenklichen Gesichtspunkt nutzen können, wie dies etwa bei Ausgaben für „flüchtige Luxusgüter” der Fall sei. Als drittes Beispiel für unlauteres Handeln wird das Abstoßen von Betriebsvermögen, das zur Aufrechterhaltung des Unternehmens unverzichtbar ist, genannt. Dies unter der Voraussetzung, dass der Schuldner den vereinnahmten Gegenwert seinen Gläubigern entziehen will. Schließlich erläutert der Regierungsentwurf den Begriff des unlauteren Handelns auch in einer negativen Abgrenzung. Danach soll ein solches nicht vorliegen, solange der Schuldner Geschäfte führt, die allgemein zur Fortführung des Geschäftsbetriebs erforderlich sind. Dies auch dann, wenn der Schuldner erkennt, dass die von ihm betriebene Fortführung des Betriebs verlustträchtig ist (Reg-E, Drucks, 18/7054, S. 19).

Zur Probe auf Exempel für diesen letztgenannten Ausschluss unlauteren Handelns kommt es – so muss man im Organinteresse hoffen – nicht allzu häufig, da sich der Insolvenzverwalter dann zur Masseanreicherung nicht anfechtungsrechtlicher Instrumente bedienen wird, sondern der des § 64 S. 1 GmbHG oder – seltener – § 93 Abs. 3 Nr. 6 AktG bzw. § 34 Abs. 3 Nr. 4 GenG bzw. bei Personenhandelsgesellschaften § 130a Abs. 2 HGB.

In § 133 Abs. 2 InsO soll der Anfechtungszeitraum für die Vorsatzanfechtung von Deckungshandlungen auf den ersten Blick deutlich, nämlich von zehn auf vier Jahre verkürzt werden. Ob dies zu einem spürbaren Effekt führt, ist jedoch zweifelhaft. Während eine Reihe von Handelsverbänden, u.a. der Bundesverband Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen e.V., der Bundesverband deutscher Stahlhandel und der Verband deutscher Gas- und Stromhändler e.V. in einer gemeinsamen Stellungnahme vom 11.12.2015 die Verkürzung begrüßen, da sie zu einer besseren Kalkulierbarkeit von Vorsatzanfechtungen führe, ergibt der Blick auf die Rechtswirklichkeit der Insolvenzanfechtung, dass die weitaus meisten Vorsatzanfechtungen den insolvenznahen Zeitraum betreffen, so dass die Verkürzung des Anfechtungszeitraums wohl eher eine optische Erleichterung darstellt. Insoweit ist die Erwartung, die in der Begründung des Regierungsentwurfs Ausdruck findet, dass die Planungssicherheit für den Wirtschaftsverkehr erhöht wird (Reg-E, BT-Drucks 18/7054, S. 18) wohl eher zu optimistisch.

Einen tatsächlichen Effekt könnte allerdings die ausdrückliche Klarstellung haben, dass die Vermutung besteht, dass ein potentieller Anfechtungsgegner, der mit dem Schuldner eine Zahlungsvereinbarung getroffen hat oder in sonstiger Weise diesem eine Zahlungserleichterung gewährte, keine Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners hatte. In der Begründung zu dieser Regelung wird – zumindest sinngemäß – ausgeführt, dass der Gläubiger, der einem in wirtschaftlichen Schwierigkeiten befindlichen Schuldner Hilfestellung leistet – der Regierungsentwurf spricht von einer Art „Überbrückungsfinanzierung” (Reg-E, BT-Drucks 18/7054, S. 18) – privilegiert sein soll. Nicht wirklich zu überzeugen vermag allerdings die zweite genannte Begründung für die geplante Regelung. Danach steht hinter der Regelung der Gedanke, „dass die mit einer Stundungs- oder Ratenzahlungsbitte dem Gläubiger offenbar werdende Liquiditätslücke mit Gewährung der Stundung respektive Abschluss der Ratenzahlungsvereinbarung regelmäßig beseitigt sein wird” (Reg-E, BT-Drucks 18/7054, S. 18). Ist die Liquiditätslücke aber geschlossen, so liegt im Zweifel schon keine drohende Zahlungsunfähigkeit und erst recht nicht, die nach der geplanten Neuregelung erforderliche eingetretene Zahlungsunfähigkeit vor. Ist eine drohende Zahlungsunfähigkeit aber gar nicht gegeben, so wäre auch schon nach bisherigem Recht ein Anfechtungsgrund nicht vorhanden. Gleichwohl ist die geplante Neuregelung wertvoll, um auch legislativ eine Eindämmung der ausufernden Vorsatzanfechtung vorzunehmen. Auch der BGH hatte sich in seinem Beschluss vom 16.4.2015 – IX ZR 6/14, ZIP 2015, 937 von der judikativen Seite auf diesen Weg gemacht.

III. Fazit

Insgesamt ist die Initiative zu begrüßen, durch gesetzgeberische Maßnahmen die Belastung des Wirtschaftsverkehrs mit unverhältnismäßigen und unkalkulierbaren Risiken (Reg-E, BT-Drucks 18/7504, S. 10) durch das Anfechtungsrecht zu entschärfen. Insbesondere im Rahmen der geplanten Neuregelung des § 133 InsO enthält der Regierungsentwurf dazu sachgerechte Ansätze. Dass bei dieser Gelegenheit dem Fiskus bereits überwunden geglaubte Privilegien faktisch wieder eingeräumt werden sollen, ist hingegen unverständlich und führt zugleich zu einer zumindest teilweisen Entwertung der Erleichterungen, die dem Wirtschaftsverkehr eingeräumt werden sollen. Denn bis sich der „normale” Gläubiger auf dem Weg durch die Instanzen einen Vollstreckungstitel beschafft hat, wird sich der Fiskus mit selbstgeschaffenen Titeln das Schuldnervermögen längst einverleibt haben.

 

Verlag Dr. Otto-Schmidt vom 20.09.2016 14:33