20 / 2016

Dr. Arne Vogel, Rechtsanwalt, Hamburg

Erhalt steuerlicher Verlustvorträge auch bei Änderungen der Eigentümerstruktur – nun doch ein Happy End für eine nahezu unendliche (Gesetzgebungs-) Geschichte?

Nach geltender Gesetzeslage (vgl. § 8c KStG) gehen steuerliche Verlustvorträge aus Vorjahren bei erheblicher Veränderung der Eigentümerstruktur durch Kapitalerhöhung oder durch Veräußerung von Anteilen unter und können mit später erzielten Gewinnen nicht mehr steuermindernd verrechnet werden. Dies ist häufig insbesondere für Unternehmen in der Start-up-Phase oder in Sanierungssituationen oder für Unternehmer, die ihre Gesellschaft etwa im Rahmen der Unternehmensnachfolge aus Altersgründen veräußern möchten, nachteilig, weil potentielle Investoren abgeschreckt werden. Seit 2008 bemüht sich der Gesetzgeber, eine Regelung zu finden, die es erlaubt, insbesondere in den zuvor genannten Konstellationen steuerliche Verlustvorträge weiterhin zu nutzen. Diese Bemühungen scheiterten jedoch bisher an europarechtlichen Bedenken – eine nahezu unendliche Geschichte. Mit dem „Entwurf eines Gesetzes zur Weiterentwicklung der steuerlichen Verlustverrechnung bei Körperschaften” vom 14.9.2016 (BR-Drucks. 544/16; s. dazu auch den Beitrag von Frey/Thürmer, GmbHR 2016, 1083 ff. – in dieser Ausgabe) unternimmt die Bundesregierung nunmehr einen neuerlichen Versuch, die schädlichen Folgen des Untergangs von Verlustvorträgen einzuschränken. Wenn das Gesetz – nach Durchlaufen des weiteren Gesetzgebungsverfahrens – tatsächlich in Kraft treten sollte, könnte dies nunmehr tatsächlich das Ende einer nahezu unendlichen (Gesetzgebungs-) Geschichte sein.

I. Hintergrund zur Begrenzung der steuerlichen Verlustverrechnung beim Beteiligungserwerb

Im Allgemeinen sind Unternehmer bestrebt, ihr Geschäft profitabel zu betreiben. Dies gelingt bekanntermaßen nicht immer, so dass manches Unternehmen das eine oder andere Geschäftsjahr gelegentlich mit einem Verlust abschließt. Diese Verluste können in steuerlicher Hinsicht in gewissem Umfang mit in späteren Veranlagungszeiträumen erzielten Gewinnen verrechnet werden, so dass auf die erzielten Gewinne zu zahlende Steuern verringert werden (vgl. § 10d EStG).

Diese Möglichkeit führte jedoch dazu, dass ein reger Handel mit Gesellschaften, die kein funktionierendes Geschäftsmodell aber hohe Verlustvorträge aufwiesen, entbrannte. Diese Praxis wurde als sog. „Mantelkauf” bekannt. Käufer erwarben derartige Verlustgesellschaften, die auch Mantelgesellschaften genannt wurden, überführten ihre profitablen Unternehmen in diese und konnten ihre Gewinne steuermindernd mit den Verlusten der erworbenen Gesellschaften verrechnen. Der Staat befürchtete den Verlust erheblicher Steuereinnahmen.

Schon in der Mitte des letzten Jahrhunderts reagierte daher zunächst die Rechtsprechung auf diese Entwicklung und schränkte den steuerlichen Verlustabzug bei Änderungen des Geschäftsbetriebs und Eigentümerwechsel ein. Diese Rechtsprechung aufgreifend führte der Gesetzgeber 1988 einen neuen § 8 Abs. 4 KStG ein, dem zufolge Verluste nur dann abgezogen werden konnten, wenn das Unternehmen rechtlich und wirtschaftlich identisch mit dem Unternehmen war, das die Verluste erlitten hatte. Da § 8 Abs. 4 KStG jedoch sehr unbestimmt war, gab es erhebliche Unsicherheiten bei seiner praktischen Anwendung. Mit dem Ziel, diese Unsicherheiten zu beheben, ersetzte der Gesetzgeber § 8 Abs. 4 KStG im Jahre 2007 durch § 8c KStG. Dieser schließt, vereinfacht dargestellt, die Verlustverrechnung bei einem Erwerb von mehr als 25 % der Anteile einer Verlustgesellschaft anteilig und bei Erwerb von mehr als 50 % der Anteile vollständig aus (sog. „Untergang der Verlustvorträge”). Dem Erwerb der Anteile oder Stimmrechte steht die Änderung der Eigentümerstruktur durch Kapitalerhöhung gleich. Alle erfassten Fälle bezeichnet das Gesetz als „schädlichen Beteiligungserwerb”.

Von dieser Grundregel gibt es bisher nur eng begrenzte Ausnahmen, z.B. bei gewissen Transaktionen innerhalb eines Konzerns oder bei Vorhandensein stiller Reserven. Wenn also ein neuer Investor entweder 25 % oder mehr der Anteile oder Stimmrechte an einem Unternehmen im Wege des Erwerbs der Anteile oder durch Kapitalerhöhung erhält, können nach geltender Gesetzeslage zukünftig erzielte Gewinne nicht mehr (in vollem Umfang) mit den in der Vergangenheit aufgelaufenen Verlusten verrechnet werden und zwar selbst dann nicht, wenn der Geschäftsbetrieb unverändert fortgesetzt wird.

Das geht weit über die ursprüngliche Intention von Rechtsprechung und Gesetzgebung, den missbräuchlichen „Mantelkauf” zu unterbinden, hinaus und schreckt Investoren häufig von einem Engagement in Verlustgesellschaften ab. Insbesondere Unternehmen in der Start-up-Phase, die eine weitere Finanzierungsrunde durchführen wollen und Unternehmen in Sanierungssituationen haben es dadurch gelegentlich schwer, neue Investoren zu finden, um ihre Zukunftspläne umzusetzen. Letztendlich müssen einige deshalb ihr grundsätzlich aussichtsreiches Geschäft aufgeben. § 8c KStG wurde daher auch als „investitions- und sanierungsfeindlich” bezeichnet.

Da auch der Gesetzgeber diese Problematik erkannte, war er schon bald bestrebt, Ausnahmen z.B. für junge und Innovative aber in der Anlaufphase verlustträchtige Unternehmen und Unternehmen in Sanierungssituationen zu schaffen. Sein Entwurf eines dafür vorgesehenen § 8c Abs. 2 KStG aus dem Jahre 2008 verstieß jedoch nach Ansicht der EU-Kommission gegen EU-Beihilfevorschriften und trat daher nie in Kraft. Auch die im Jahre 2009 eingeführte sog. „Sanierungsklausel” in § 8 Abs. 1a KStG, die unter dem Eindruck der Finanzkrise zumindest für den Beteiligungserwerb in Sanierungssituationen eine Ausnahmen schaffen sollte, wird zur Zeit wegen möglichen Verstoßes gegen EU-Beihilfevorschriften nicht angewendet. Der Versuch des Gesetzgebers, Start-ups und Unternehmen in Sanierungssituationen beim steuerlichen Verlustabzug zu privilegieren, gleicht also schon beinahe einer unendlichen Geschichte.

II. Wesentlicher Inhalt des Regierungsentwurfs

Vor diesem Hintergrund hat der Gesetzgeber nunmehr am 14.9.2016 einen Gesetzentwurf verabschiedet, mit dem u.a. ein neuer § 8d KStG eingefügt werden soll. Dieser soll nicht mehr nur für gewisse Start-ups und in Sanierungsfällen gelten, sondern grundsätzlich für alle Körperschaften.

Dem Entwurf nach sollen aufgelaufene Verluste auch bei einem an sich schädlichen Beteiligungserwerb auf Antrag weiterhin steuerlich mit Gewinnen verrechnet werden können, wenn die Gesellschaft seit ihrer Gründung oder zumindest in den letzten drei Jahren vor dem Jahr, in dem der schädliche Beteiligungserwerb stattfand, ausschließlich denselben Geschäftsbetrieb unterhalten hat (zu den einzelnen Voraussetzungen detaillierter Frey/Thürmer, GmbHR 2016, 1083 ff., unter II. – in dieser Ausgabe).

Auch wenn der Gesetzgeber das – wohl unter dem Eindruck der europarechtlichen Bedenken – nicht ausdrücklich in der Begründung sagt, dürfte diese Regelung insbesondere Start-ups, die weitere Finanzierungsrunden durchführen wollen und Unternehmen in Sanierungssituationen zugute kommen.

Die Abziehbarkeit dieses sog. „fortführungsgebundenen Verlustvortrags” soll jedoch gemäß § 8d Abs. 2 KStG nachträglich wieder entfallen, z.B. wenn der Geschäftsbetrieb doch eingestellt wird oder die Gesellschaft ihren Geschäftsbetrieb ändert, einen zusätzliche Geschäftsbetrieb aufnimmt oder sich an anderen Unternehmen beteiligt. Fristen, nach denen derartige Maßnahmen zulässig würden, sind nicht vorgesehen. Das Gesetz soll noch im Jahr 2016 das weitere Gesetzgebungsverfahren durchlaufen und rückwirkend zum 1.1.2016 in Kraft treten, so dass es bereits auf Beteiligungserwerbe im Jahre 2016 angewendet werden kann.

III. Lob und Kritik

Der Gesetzentwurf geht in die richtige Richtung. Sollte er umgesetzt werden, dürfte das die Suche nach neuen Investoren insbesondere für Start-ups, die noch Verluste schreiben, für Unternehmen in Sanierungssituationen und für Unternehmer, die ihre (verlustbehaftete) Gesellschaft im Rahmen der Unternehmensnachfolge verkaufen wollen, deutlich erleichtern.

Kritikwürdig ist jedoch die Ausgestaltung des nachträglichen Wegfalls der Abziehbarkeit des fortführungsgebundenen Verlustvortrags gemäß § 8d Abs. 2 KStG bei Maßnahmen wie Änderung bzw. Aufnahme eines zusätzlichen Geschäftsbetriebs oder der Beteiligung an anderen Unternehmen. Da keine Fristen vorgesehen sind, nach deren Ablauf derartige Maßnahmen zulässig wären, könnte dies dazu führen, dass Unternehmen sich im Laufe der Geschäftstätigkeit ergebende Chancen ungenutzt verstreichen lassen müssen, oder sich einem veränderten Geschäftsumfeld nicht anpassen können, um nicht die Abzugsfähigkeit der fortführungsgebundenen Verlustvorträge zu riskieren. Um den Unternehmen die erforderliche Flexibilität für die Weiterentwicklung ihres Geschäftsbetriebs zu erhalten, wäre es daher wünschenswert, wenn der Gesetzgeber eine Frist für die Unzulässigkeit der in § 8d Abs. 2 KStG genannten Maßnahmen einführen würde. Als angemessen erscheinen angesichts des heutigen Tempos der Veränderung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen z.B. drei Jahre.

Darüber hinaus ist der Wortlaut des Gesetzentwurfs missverständlich in Bezug darauf, ob bei den Maßnahmen gemäß § 8d Abs. 2 KStG der gesamte fortführungsgebundene Verlustvortrag rückwirkend wieder entfällt (mit der Folge, dass ggf. nachträglich höhere Steuern gezahlt werden müssen), oder lediglich die bis zur Vornahme der Maßnahme nicht verrechneten fortführungsgebundenen Verlustvorträge in zukünftigen Veranlagungszeiträumen nicht mehr abzugsfähig sind. Leider enthält auch die Regierungsbegründung keine Hinweise zu dieser Frage. Es wäre wünschenswert, wenn der Gesetzgeber die Regelung in dieser Hinsicht etwas deutlicher gestalten würde, um die ob der Missverständlichkeit der jetzigen Formulierung vorprogrammierten Diskussionen und Rechtsunsicherheiten zu vermeiden.

Tritt der Gesetzentwurf mit diesen Änderungen in Kraft, könnte dann vielleicht wirklich von einem Happy End für eine beinahe unendliche Geschichte gesprochen werden.

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Rechtsanwälte M&P Dr. Matzen & Partner mbB, Hamburg.

Verlag Dr. Otto-Schmidt vom 23.02.2017 08:52