21 / 2016

Dr. Thomas Wachter

Erbschaftsteuerreform 2016 – oder: Briefmarkensammlungen von GmbHs

 

I. Einigung in allerletzter Minute

Der Gesetzgeber war um seine Aufgabe – die Schaffung eines neuen ErbStG – wahrlich nicht zu beneiden. Schon die Vorgaben des BVerfG in seinem Urteil vom 17.12.2014 – 1 BvL 21/12, GmbHR 2015, 88 waren alles andere als klar und eindeutig. Das politische Umfeld in Sachen Erbschaftsteuer ist seit langem schwierig und stark emotional aufgeladen. Bund (Gesetzgebungskompetenz) und Länder (Steuergläubiger) ziehen häufig nicht an einem Strang. Die Auffassungen der einzelnen Bundesländer gehen weit auseinander (nicht nur zwischen A- und B-Ländern). Die Parteien haben meist nur ihre eigenen Wähler im Blick und sind sich selbst parteiintern nicht immer ganz einig. Die Lobbyisten sind zahlreich und mächtig. Der Gesetzgeber hat es gleichwohl noch einmal geschafft. Dieses Mal allerdings mit besonders viel Mühen, nicht ganz fristgerecht und mit einem an Dramatik kaum mehr zu überbietenden Gesetzgebungsverfahren. Allein im Jahr 2016 war von (vermeintlichen) politischen Kompromissen, über die Androhung von Vollstreckungsmaßnahmen durch das BVerfG (s. PM Nr. 41/2016 vom 14.7.2016) bis zur Anrufung des Vermittlungsausschusses einiges geboten. In der Nacht zum 22.9.2016 haben die Mitglieder des Vermittlungsausschusses dann aber doch noch einen Kompromiss erzielt (BT-Drucks. 18/8960). Der Deutsche Bundestag hat das Gesetz mit den Stimmen der großen Koalition am 29.9.2016 beschlossen (s. Plenarprotokoll 18/193, 19195 B und BR-Drucks. 555/16). Der Bundesrat hat am 14.10.2016 seine Zustimmung erteilt. Das „Gesetz zur Anpassung des Erbschaft- und Schenkungsteuergesetzes an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgericht” kann damit – grundsätzlich rückwirkend zum 1.7.2016 – in Kraft treten (ausführlich dazu Kotzenberg/Jülicher, GmbHR 2016, 1135 ff. – in dieser Ausgabe).


II. Nach der Reform ist vor der Reform

Damit hat der Gesetzgeber das „leidige” Thema Erbschaftsteuer (vorerst) vom Tisch. Die Diskussion wird aber weitergehen. Bereits wenige Tage nach der Einigung meldeten sich Politiker unterschiedlicher Parteien zu Wort und kündigten an, dass die Reform der Erbschaftsteuer – jedenfalls nach der Bundestagswahl 2017 – erneut in Angriff genommen werden muss. Die Verfassungsmäßigkeit des Erbschaft- und Schenkungsteuergesetzes wird die Gerichte schon bald wieder beschäftigen. Angesichts der unklaren Vorgaben für eine verfassungskonforme Ausgestaltung der Verschonungsregelungen war dies wohl kaum zu vermeiden. Völlig unnötig war es dagegen, dass der Gesetzgeber mit dem rückwirkenden Inkrafttreten ein zusätzliches (und erhebliches) verfassungsrechtliches Risiko eingegangen ist. Das BVerfG würde seiner eigenen Weitergeltungsanordnung (Fortgeltung auch über den 30.6.2016 hinaus) widersprechen, wenn es diese (echte) Rückwirkung als zulässig ansehen würde.


III. Neue Unternehmensbewertung

Die amtliche Überschrift des neuen Gesetzes ist nicht nur ziemlich sperrig (eine offizielle Kurzbezeichnung fehlt leider), sondern auch irreführend. Der Gesetzgeber hat das ErbStG nämlich nicht nur an die Rechtsprechung des BVerfG angepasst, sondern darüber hinaus auch verschiedene weitere Änderungen vorgenommen, die vom BVerfG gar nicht verlangt worden sind. Dazu gehört (neben der Stundung, § 28 Abs. 1 ErbStG n.F.) insbesondere die Änderung des vereinfachten Ertragswertverfahrens (§§ 199 ff. BewG). Bei der Unternehmensbewertung nach dem vereinfachen Ertragswertverfahren wurde im Jahr 2016 bislang ein Kapitalisierungsfaktor von 17,86 angewendet (§ 203 BewG a.F.). Dieser Faktor ergab sich aus einem Basiszins von 1,1 % und einem Risikozuschlag von 4,5 % (1 : 5,6 = 17,86). Die hohe Kapitalisierung beruht maßgeblich auf dem niedrigen Zinsniveau und wurde allgemein als zu hoch angesehen. Vor diesem Hintergrund hat der Gesetzgeber nunmehr einen einheitlichen Kapitalisierungsfaktor von 13,75 bestimmt (und zwar rückwirkend zum 1.1.2016, nicht nur zum 1.7.2016, § 203 Abs. 1 BewG n.F.). Wie dieser Faktor ermittelt wurde lässt sich den amtlichen Gesetzesmaterialien nicht entnehmen. Vermutlich war es schlicht das Ergebnis eines politischen Kompromisses. Das BVerfG hat allerdings bereits im Jahre 2006 einen „starren Einheitsvervielfältiger von 12,5” für die Grundstücksbewertung als verfassungswidrig angesehen (BVerfG v. 7.11.2006 – 1 BvL 10/02, GmbHR 2007, 320). Für einen einheitlichen Kapitalisierungsfaktor von 13,75 für die Unternehmensbewertung kann an sich nichts anderes gelten. Das BMF wird zwar ermächtigt, den Kapitalisierungsfaktor durch Rechtsverordnung an „die Entwicklung der Zinsstrukturdaten anzupassen” (§ 203 Abs. 2 BewG). Allerdings müssen die wesentlichen Entscheidungen im Gesetz selbst getroffen werden (Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG). Die Bewertung ist für das ErbStG von zentraler Bedeutung. Eine Delegierung an den Verordnungsgeber ist nicht möglich. Im Übrigen erscheint völlig unklar, in welchem Ausmaß sich Änderungen der „Zinsstrukturdaten” (am inländischen oder europäischen Rentenmarkt?) auf den Kapitalisierungsfaktor auswirken und in welchem zeitlichen Abstand solche Anpassungen erfolgen sollen. Wenig überzeugend ist es auch, wenn in ein und demselben Gesetz von völlig unterschiedlichen Zinssätzen ausgegangen wird. Für Zwecke der Unternehmensbewertung wird jetzt wohl ein Zinssatz von weniger als 3 % zugrunde gelegt; im Falle der Steuerstundung werden dagegen Zinsen von 6 % p.a. (ab dem zweiten Jahr) erhoben. Beides passt nicht zusammen.


IV. Vorab-Abschlag beim Erwerb von Anteilen an Familienunternehmen

Eine weitere zentrale Neureglung, die das BVerfG nicht ausdrücklich vorgegeben hat, ist ein Vorab-Abschlag für den Erwerb von Anteilen an besonders qualifizierten Familienunternehmen (§ 13a Abs. 9 ErbStG n.F.). Für begünstigtes Vermögen wird danach ein Abschlag von bis zu 30 % gewährt, wenn der Gesellschaftsvertrag bestimmte Entnahme-, Verfügungs- und Abfindungsbeschränkungen enthält. Bestehende Gesellschaftsverträge – vor allem auch von GmbHs und GmbH & Co. KGs – sollten zeitnah an die steuerlichen Vorgaben angepasst werden. Der Vorab-Abschlag wird nämlich nur dann gewährt, wenn die Beschränkungen im Zeitpunkt der Steuerentstehung bereits seit mindestens zwei Jahren im Gesellschaftsvertrag vereinbart waren (und auch danach noch 20 Jahren fortbestehen). Der Abschlag erfolgt vor Anwendung des Verschonungsabschlags von 85 % bzw. 100 % und wird daher auch als „Vorab-Abschlag” bezeichnet. Die Höhe des Abschlags richtet sich allein nach der Höhe der Abfindungsbeschränkung eines ausscheidenden Gesellschafters und beträgt maximal 30 %.


V. Neuer Verwaltungsvermögenstest

Der Verwaltungsvermögenstest wird grundsätzlich beibehalten. Der von der Bundesregierung zunächst favorisierte Wechsel zu einem Hauptzwecktest hat sich somit (abgesehen von den Finanzmitteln, s. § 13b Abs. 4 Nr. 5 ErbStG n.F.) nicht durchsetzen können. Inhaltlich haben der künftige und der bisherige Verwaltungsvermögenstest aber wohl nur noch den Namen gemein. Das Verwaltungsvermögen unterliegt grundsätzlich der vollen Besteuerung. Die typisierende Grenze von 50 % ist ganz entfallen. Insgesamt ist der neue Verwaltungsvermögenstest (s. § 13b Abs. 2 – 10 ErbStG n.F.) ein besonders abschreckendes Beispiel moderner Steuergesetzgebung. Die Regelung ist extrem kompliziert, schwer verständlich und völlig intransparent. Im Vermittlungsausschuss wurde immerhin noch geregelt, dass auch „Briefmarkensammlungen” zum nicht begünstigten Verwaltungsvermögen gehören (§ 13b Abs. 4 Nr. 3 ErbStG n.F.). Der Gesetzgeber hatte offenbar keine anderen Sorgen.


VI. Großerwerbe von mehr als 26 Mio. €

Das Herzstück des neuen Gesetzes, die Verschonung von sog. Großerwerben, wurde im Vermittlungsausschuss dagegen erstaunlicherweise nicht mehr geändert. Bei einem großen Erwerb von mehr als 26 Mio. € kann der Erwerber künftig zwischen einem reduzierten Verschonungsabschlag (§ 13c ErbStG n.F.) und einem Steuererlass aufgrund einer individuellen Verschonungsbedarfsprüfung wählen (§ 28a ErbStG n.F.). Die Grenze von 26 Mio. € gilt für jeden Erwerber alle 10 Jahre neu. Die sukzessive Übertragung von Unternehmensanteilen zu Lebzeiten ist steuerlich somit günstiger als der Erwerb von Todes wegen, bei dem das ganze Unternehmen „auf einen Schlag” übergeht. In der Praxis wird es darauf ankommen, den Erwerb sachgerecht auf mehrere (geeignete) Erwerber (z.B. Kinder und Enkel, aber auch Mitarbeiter und Stiftungen) aufzuteilen, um die 26 Mio. €-Grenze mehrfach nutzen zu können. Leider hat es der Gesetzgeber versäumt klarzustellen, dass Erwerbe vor dem 30.6.2016 in diesem Zusammenhang unberücksichtigt bleiben – auch dies eine unnötige Rückwirkungsproblematik.

Das Abschmelzungsmodell (§ 13c ErbStG n.F.) ist vergleichsweise unattraktiv. Der Verschonungsabschlag von 85 % bzw. 100 % wird mit zunehmender Höhe des Erwerbs immer weiter reduziert, und zwar bis auf Null. Einen Sockelbetrag im Sinne einer Mindestverschonung gibt es nicht. Ab einem Erwerb von rund 90 Mio. € ist der Abschlag vollständig abgeschmolzen, so dass keine Verschonung mehr erfolgt.

Bei dem Erlassmodell wird die Steuer ganz oder teilweise erlassen, wenn der Erwerber nachweist, dass er nicht in der Lage ist, die Steuer aus seinem verfügbaren Vermögen zu begleichen (§ 28a ErbStG n.F.). Der Steuererlass ist auch bei einem Erwerb von mehr als 90 Mio. € möglich. Das Erlassmodell ist vor allem dann attraktiv, wenn der Erwerber noch über kein eigenes Vermögen verfügt (z.B. minderjährige Kinder) und auch in den folgenden 10 Jahren kein weiteres Vermögen erben wird (z.B. „künstliche Erwerber”, wie neu gegründete, in- oder ausländische Familienstiftungen).


VII. Fazit

Das neue ErbStG wirft eine Vielzahl schwieriger Rechtsfragen auf. Die Leser der GmbHR können sich daher schon heute auf eine Fülle interessanter Beiträge freuen (s. bereits den eingangs erwähnten Beitrag von Kotzenberg/Jülicher, GmbHR 2016, 1135 ff. – in dieser Ausgabe).

Verlag Dr. Otto-Schmidt vom 23.02.2017 08:53