05 / 2017

Georg Geberth, Rechtsanwalt, München

Anzeigepflicht für Steuergestaltungsmodelle – Steuergeheimnis vs. Sinnhaftigkeit und Grenzen von Transparenz

Die Diagnose, dass in den letzten Jahren ein zunehmender Hype um Transparenz im Steuerrecht entstanden ist, fällt nicht schwer. In der Öffentlichkeit besteht seitdem der etwas undifferenzierte Eindruck, dass Transparenz als höchster, über allem schwebender Wert anzusetzen sei. Wie im Folgenden deutlich werden soll, bedarf es jedoch einer klaren Unterscheidung: zwischen der Transparenz des Steuerpflichtigen gegenüber der Finanzverwaltung einerseits sowie der Transparenz gegenüber einer interessierten – aber für Fehlinterpretationen anfälligen – Öffentlichkeit andererseits. Weitere Problempunkte ergeben sich aus dem Informationsaustausch, also der grenzüberschreitenden Datenweitergabe zwischen Finanzverwaltungen.


I. Bisherige Initiativen zur Steuertransparenz

Transparenz gegenüber der eigenen Finanzverwaltung ist ein legitimes Interesse des Fiskus. In unserer eng verflochtenen Staatenwelt gilt das vielfach auch für Finanzverwaltungen anderer Länder.

Deshalb ist z.B. gegen den sog. Common Reporting Standard der OECD nicht viel einzuwenden. Er sieht vor, dass die Kontoinformationen von Privatpersonen zwischen den Finanzverwaltungen der Staaten automatisch ausgetauscht werden. Aufgrund der großen Zahl teilnehmender Staaten ist dadurch ein Netz mit immer kleineren Lücken entstanden, das es Privatpersonen zunehmend erschwert, Anlageerträge vor ihrem heimischen Fiskus zu verbergen.

Weiterhin hat die OECD in Aktionspunkt 13 ihres BEPS-Projekts das Country-by-Country-Reporting (sog. länderbezogene steuerliche Berichterstattung) beschlossen. Dieses wurde bereits in eine EU-Richtlinie „gegossen” und in deutsches Recht umgesetzt. Damit werden internationale Gruppen mit einem Umsatz von mehr als 750 Mio. € verpflichtet, den Finanzverwaltungen der Länder, in denen sie tätig sind, Informationen aus ihrem Rechnungswesen – insbesondere ihre nach Ländern aufgeschlüsselten Steuerzahlungen – offenzulegen. Das soll Betriebsprüfern einen ersten Anhaltspunkt liefern (Schlagwort: „High Level Risk Assessment Tool”), um abschätzen zu können, ob das jeweilige Unternehmen lokale Steuern in „angemessener” Höhe gezahlt hat. Daraus können sich dann Anhaltspunkte für weitere Prüfmaßnahmen ergeben.

Auch hiergegen ist zunächst nichts einzuwenden. Schon problematisch ist allerdings, dass die so erlangten Daten an andere Staaten weitergegeben werden. Denn damit kann die Vertraulichkeit der weitergegebenen Informationen nicht sichergestellt werden. Daran schließt sich die Frage an, was passiert, wenn Daten von einem ausländischen Staat, der sie über den Datenaustausch erlangt hat, versehentlich (z.B. absichtsloses Datenleck) weitergegeben bzw. absichtlich öffentlich verfügbar gemacht werden. Für betroffene Unternehmen kann das dramatische Folgen haben. Denn die abgefragten Daten erlauben wettbewerbsrelevante Rückschlüsse auf die Geschäftsmodelle einzelner Unternehmen. Eine Veröffentlichungspflicht hat sich deshalb auf OECD-Ebene nicht durchgesetzt.

Besonders verstörend ist deshalb, dass sowohl die Europäische Kommission als auch das Europäische Parlament eine Änderung der EU-Bilanzrichtlinie betreiben, die eine jährliche Veröffentlichung der Daten aus dem Country-by-Country-Reporting vorsieht. Der Vorstoß der Europäischen Kommission zu einem öffentlichen Country-by-Country-Reporting ist nicht akzeptabel. Denn die vorgesehenen Veröffentlichungspflichten widersprechen den Vertraulichkeitsvorgaben von G20 und OECD. Damit schert die Kommission aus einem auf internationaler Ebene mühsam erarbeiteten Konsens aus, erschwert die weitere Auseinandersetzung um gemeinsame und angemessene Regeln im internationalen Steuerrecht und benachteiligt große europäische Unternehmen gegenüber der internationalen Konkurrenz.

Die Veröffentlichung der Steuerdaten von Unternehmen ist nicht nur wegen des drohenden Verrats von Geschäftsgeheimnissen abzulehnen. Vielmehr wollen die auf diesem Feld tätigen Lobbyisten (Steueraktivisten von Organisationen wie z.B. „Tax Transparency”, „Tax Justice Network”, „Publish What You Pay” und „Christian Aid” und vielen anderen Vereinen), neben der an sich zuständigen Finanzverwaltung eine zweite, aber öffentliche Kontrollebene aufbauen. Im Vergleich zu den Heerscharen an gut ausgebildeten und mit durchgreifenden Ermittlungsinstrumenten ausgestatteten Finanzbeamten haben diese Steueraktivisten nicht die erforderlichen Mittel, Steuersachverhalte der Unternehmen richtig einzuordnen. Dennoch beanspruchen sie das Recht für sich, vertrauliche Daten zu erhalten, und mit ihrer in der Regel einseitigen Interpretation dazu, Unternehmen öffentlich an den Pranger zu stellen. Gute Steuerzahler gelobt hat noch keine dieser Organisationen. Das ist kein Beitrag zu einer fairen öffentlichen Auseinandersetzung zur Steuerpolitik. Zu rechtfertigen wäre eine solche zweite Kontrollebene nur, wenn es zur systematischen oder auch nur zu einer deutlichen Häufung bei der Bestechlichkeit von Finanzbeamten käme oder ein ähnliches Staatsversagen aufträte. Beides ist aber nicht der Fall, vielmehr ist die Verwaltung ganz grundsätzlich an Recht und Gesetz gebunden. Und insbesondere bei der Steuererhebung halten sich die Staaten bereits aus fiskalischem Eigeninteresse heraus in erhöhtem Maß an Recht und Gesetz bzw. gehen teilweise sogar darüber hinaus, indem sie die Gesetze im Übermaß vollstrecken.


II. Anzeige von Steuergestaltungsmodellen

Eine weiteres Transparenz-Thema wurde jüngst wiederbelebt: die bereits im Jahressteuergesetz 2008 vorgeschlagene Anzeigepflicht von Steuergestaltungsmodellen. Mittlerweile haben die Diskussionen hierzu auf allen staatlichen Ebenen – ob auf Landes-, Bundes-, auf EU- oder OECD-Ebene – bereits zu Vorschlägen geführt.

So hat Ende letzten Jahres, einer Pressemitteilung des Finanzministeriums von Schleswig-Holstein zufolge, die dortige Finanzministerin Monika Heinold den 15 anderen Landesfinanzministern sowie Bundesfinanzminister Dr. Wolfgang Schäuble den Entwurf einer gesetzlichen Regelung zur Anzeigepflicht von Steuergestaltungen übermittelt und wirbt für dessen zeitnahe Umsetzung. Demnach sollen Kanzleien die Steuermodelle (ihrer Mandanten) offenlegen. Die Anzeigepflicht treffe in erster Linie sog. Promotoren von Steuergestaltungen, die eine Steuergestaltung entgeltlich empfehlen. Dies betrifft insbesondere die steuer- und rechtsberatenden Berufe. Der Steuerpflichtige soll Presseberichten zufolge Steuersparmodelle zur Anzeige bringen müssen, die er selbst entwickelt hat. Dies betrifft Fälle, „in denen ein Sparmodell in der Abteilung eines Unternehmens ersonnen wurde”. Dem Vernehmen nach haben die Landesfinanzminister beschlossen, eine Arbeitsgruppe einzurichten, die bis Ende März 2017 einen entsprechenden Gesetzentwurf vorlegen soll. Hintergrund dieser Initiative ist vermutlich nicht zuletzt die Landtagswahl in Schleswig-Holstein am 7.5.2017.

Auf internationaler Ebene hat sich die OECD in Punkt 12 des BEPS-Aktionsplans dieses Themas angenommen. Auch die Europäische Kommission ist aktiv geworden. Sie hat eine öffentliche Konsultation zu Offenlegungspflichten für Steuerberater veröffentlicht. So möchte sie grundsätzlich, dass Steuerberater, Rechtsanwälte, Finanzinstitute u.a. verpflichtet werden, „aggressive” Steuerplanungsmodelle den Finanzbehörden gegenüber zu offenbaren. Die Kommission möchte erfahren, ob eine solche Pflicht in der EU eingeführt werden sollte und, wenn ja, in welcher Form bzw. mit welcher Reichweite. Der Konsultationsfragebogen im Internet (48 Seiten, nur in Englisch erhältlich) richtet sich vor allem an Mitglieder der steuerberatenden Berufe, aber auch an die Steuerpflichtigen selbst. Es werden sechs Handlungsmöglichkeiten zur Wahl gestellt, darunter „nichts tun”, „Offenbarung gegenüber Steuerbehörden” und „Veröffentlichung”.

Auch das Bundesfinanzministerium ist zum Thema der Einführung einer Anzeigepflicht für Steuergestaltungen tätig geworden. Es hat beim Münchener Max-Planck-Institut ein Gutachten in Auftrag gegeben, welches im Oktober letzten Jahres veröffentlicht wurde. Darin kommen die Gutachter zu dem Ergebnis, dass eine verfassungs- und europarechtskonforme Anzeigepflicht möglich und sinnvoll ist. Allerdings wird von einer zu weiten (verfassungsrechtlich problematisch wegen des Bestimmtheitsgebots) oder speziell auf internationale Sachverhalte abzielenden (EU-rechtlich problematisch wegen des Diskriminierungsverbots) Regelung abgeraten. Außerdem wird ein Ausgleich zugunsten der Steuerpflichtigen wärmstens empfohlen. Hierzu wird vorgeschlagen, dass sich die Finanzverwaltung auf Antrag zur rechtlichen Einordnung einer angezeigten Gestaltung äußert.


III. Zentrales Thema: Datenschutz

Diese mittlerweile zahlreichen Beispiele zeigen, dass in Bezug auf Transparenzbestrebungen von einem Megatrend im Steuerrecht gesprochen werden kann. Gleichzeitig wird deutlich, dass Steuertransparenz nicht als absoluter Wert angesehen werden darf. Es hat seine guten Gründe, weshalb es in den meisten Staaten eine lange Tradition des Steuergeheimnisses gibt. Auch wenn sich das Steuergeheimnis in einer zunehmend globalisierten Welt in seiner bisherigen, sehr strikten Form zu Recht nicht mehr aufrechterhalten lässt, muss mit seinem Gegenstück, der Steuertransparenz, vorsichtig umgegangen werden.

In dem Zusammenhang sollte das gespaltene öffentliche Bewusstsein zu Datenschutzfragen sehr zu denken geben: Auf steuerlichem Feld wird für immer weitergehende Auskunftsansprüche zu Daten unbescholtener Steuerpflichtiger auch gegenüber der Öffentlichkeit plädiert. Dieselbe öffentliche Meinungsströmung begrüßt es, dass eine Verfassungsbeschwerde gegen Ermittlungsbefugnisse des Bundeskriminalamts zur Terrorismusbekämpfung im April 2016 in Teilen erfolgreich war. Es ist allerdings schlicht nicht nachvollziehbar, dass der Datenschutz bei Geldforderungen des Staates weit weniger berücksichtigt wird als dort, wo es um den Strafanspruch des Staates und die Abwehr schwerster Straftaten geht.

Hier müssen wir wieder zu sachgerechten Maßstäben zurückfinden, die neben den Pflichten auch die Rechte der Steuerpflichtigen in den Blick nehmen. Konkret: Die Steuerpflichtigen müssen mit verlässlichen Auskunftsansprüchen und eindeutig formulierten Datenschutzansprüchen ausgestattet werden.

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Siemens AG und Vorsitzender des Steuer- und Finanzausschusses der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft.

Verlag Dr. Otto-Schmidt vom 23.02.2017 08:56